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Motivationen zum Drogenausstieg

Im Dokument Selbstentzieher/innen von Heroin (Seite 37-40)

1. Drogen – Theorie und Forschungsergebnisse

1.4. Der Prozeß des Selbstentzugs

1.4.1. Motivationen zum Drogenausstieg

Es gibt einige Thesen zu sogenannten Selbstheilungsprozeßen. Eine ist die Maturing-Out These von Winick52. Er nimmt an, daß opiatabhängige Personen durch einen Reifungspro-zeß automatisch aus der Sucht entwachsen. Zwei Drittel aller Abhängigen stellt ihren Opi-atgebrauch im Verlauf der dritten Lebensdekate ein, was einher geht mit einer zunehmenden Orientierung an konventionellen Lebensmustern. Dem widerspricht allerdings eine über 20 Jahre geführte Studie von Vaillant, in der er zu dem Ergebnis gelangt: „Die Anzahl absti-nenter Personen nahm stetig zu; es schien aber keinen einheitlichen Lebensabschnitt zu geben, in dem die Remissionen eintraten ...“53.

Bohnert u.a.54 kommt durch eine Evaluationsstudie zu der Erkenntnis, daß der Weg aus der Abhängigkeit komplexer ist, als die Maturing-Out These suggeriert. Sie halten drei sich wechselseitig beeinflussende Faktoren für entscheidend.

1. Verinnerlichung konventioneller Wertorientierungen.

2. Weiterentwicklung im Beruf.

3. Integration in einen nicht drogenorientierten Bekanntenkreis.

Beide Annahmen implizieren einen prozeßhaften Ausstieg aus der Heroinabhängigkeit.

51Jung, Martin, „Abhängigkeit als gelerntes Verhalten – die Sicht der Verhaltenstherapie“. In: Längle, G.

„Sucht“, 1996, S. 102

52Winick, „Rollentheorie, Zugang und Einstellung gegenüber Drogen“, in: Dan Lettieri/Welz (Hg), 1983

53Vaillant G. E. „Was können wir aus Langzeitstudien über Rückfall und Rückfallprophylaxe bei Drogen-und Alkoholabhängigen lernen?“, in: Watzl, H.; Cohen, R. (Hg), Berlin 1989, S. 34

54Bohnert u.a., „Lebenspraxis und Unterstützungsnetze von Drogenkonsumenten. Abschlußbericht zum Hammer Modell.“ 1988, S.107, bzw. S. 197, Tab. 4.10.

Biernacki55 hat idealtypische Phasen von Ausstiegsprozessen in drei fließend ineinander ü-bergehende Stadien unterteilt.

- Initiierungsphase/Konstituierung der Ausstiegsmotivation - Umsetzungsphase

- Stabilisierungsphase/Konstituierung des Abstinenzstatus

Allerdings gibt es auch Fälle, bei denen der Ausstieg weniger als Prozeß betrachtet werden kann, sondern vielmehr auf ein Wendepunktereignis zurückzuführen ist. Als ein Beispiel hierfür ließen sich die Ergebnisse der Vietnamstudie von Robins56betrachten. Danach sind nur 1% von in Vietnam opiatabhängig gewordenen Soldaten nach ihrer Rückkehr abhängig geblieben. Ob nun das Ereignis der Rückkehr aus dem Krieg in die Heimat an sich, eine ver-änderte psycho-soziale Belastung oder die geographische Distanz und die damit verbundene geringere Verfügbarkeit von Opiaten für den drogenfreien Weg ausschlaggebend ist, soll hier nicht näher erörtert werden. Vielmehr sollen die Motive von Heroinabhängigen zum Ausstieg untersucht werden. Ganz oberflächlich betrachtet kann es sich dabei natürlich um existentielle Krisen handeln. Der/die Süchtige erkennt, „daß es so nicht weiter gehen kann“, d.h. er/sie ist an dem Punkt angelangt, an dem ihm/ihr bewußt wird, daß er/sie in die Ver-elendung und letztlich sogar in den Tod steuert, wenn nicht eine radikale Abkehr von kom-pulsivem Heroingebrauch erfolgt. Aber auch weniger dramatische existentielle Krisen sind vorstellbar. So erreichen viele Süchtige den Punkt, an dem sie „einfach nicht mehr breit“

werden und beenden ihren Konsum. Auf dieses Grundmotiv bezogen kursieren in der ein-schlägigen Literatur drei Schlagworte zum Ausstieg aus Heroinabhängigkeit:

- Rock-Bottom-Motiv: Dieser von Biernacki57eingeführte Begriff bezeichnet einen sub-jektiv erlebten Tiefstpunkt im Leben, an dem angelangt der/die Süchtige ohne große E-motionalität der Abhängigkeit den Rücken kehrt.

- Naked-Lunch-Erfahrung: Der Begriff „Naked-Lunch“ wurde von dem die „Beat-Generation“ (nonkonforme amerikanische Nachkriegsgeneration) vertretende

Schrift-55Biernacki, 1986

56Robins et. al. 1975, S. 959, Tab.1 und S. 961

57Vgl. Biernacke 1986, S. 56 ff

steller Jack Kerouac geprägt. Burroughs58verarbeitete diesen Begriff und versteht dar-unter eine Art Selbstreflexion in Form eines Gedankenblitzes. Dabei wird die eigene Si-tuation hinsichtlich der wegen des Heroinkonsums zu erwartenden zukünftigen Schwie-rigkeiten realistisch eingeschätzt. Dabei tut sich eine Grenze auf, die der/die Süchtige nicht bereit ist zu überschreiten. Diese Grenze verläuft für jeden/jede subjektiv. So reicht dem/der einen schon der Aspekt des eigenen finanziellen Ruins, während ein/eine Ande-rer/Andere bereits mit einem Bein im Gefängnis oder Grab stehen muß.

- Burning-Out-Phänomen: Dieses erleben langjährige Abhängige als ein ‚die Nase voll‘

haben von den die Sucht begleitenden Lebensumständen, wie etwa die Kriminalisierung, Verelendung oder den ständigen „run“ nach Stoff59.

In der Codierung der Interviews werden diese Begriffe angewandt. Dabei tritt das Problem der Abgrenzung der drei Begriffe offen zu Tage. Desweiteren erfassen sie lediglich einen kleinen Ausschnitt von möglichen Motiven.

Braun/Gekeler60kamen in ihrer Studie zu einer allgemein gültigeren Differenzierung von Ausstiegsmotiven:

- Sittlich-moralische Motive: Darunter werden Widersprüche zwischen den internali-sierten Wertvorstellungen und dem durch die Heroinabhängigkeit notwendigen Verhal-ten gefaßt, z.B. wenn zur Befriedigung der Sucht gestohlen werden muß, obwohl der/die Abhängige dies aus moralischen Gründen ablehnt.

- Soziale Motive: Soziale Motive können vielfältig sein. So kann der Rückzug von alten nicht drogenorientierten Freunden im Austausch gegen eine zunehmende Integration in die Heroinszene ein Ausstiegsmotiv sein. Aber auch das Übernehmen von Verantwor-tung für andere (z.B. für Kinder) kann zum Heroinausstieg führen.

- Geistig-psychologische Motive: Das Bedürfnis nach mehr Selbstbestimmung ohne ei-nem mit kompulsivem Heroinkonsum einher gehendem Kontroll- oder Autonomiever-lust.

58Burroughs, William S., „Naked Lunch“, 1978, S. 230

59Vgl. Biernacki, 1986, S. 53 u. 184

60Braun/Gekeler, 1983

Mit diesen Überbegriffe lassen sich alle in den Interviews benannten Motive zum Ausstieg aus dem Heroinkonsum erfassen. Inwieweit sie zur Typisierung Verwendung finden, sei an gegebener Stelle dargestellt (vgl. 4.1.4 Ausstiegsmotive).

Im Dokument Selbstentzieher/innen von Heroin (Seite 37-40)