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Umsetzung des Drogenausstiegs

Im Dokument Selbstentzieher/innen von Heroin (Seite 40-43)

1. Drogen – Theorie und Forschungsergebnisse

1.4. Der Prozeß des Selbstentzugs

1.4.2. Umsetzung des Drogenausstiegs

Ist der/die Süchtige motiviert auszusteigen, ist dies der Anfang eines schwierigen und lan-gen Pfades. Die Umsetzung beginnt zumeist mit körperlichen Entzugserscheinunlan-gen. Diese halten einige Tage bis zu einer Woche an. Fälschlicherweise wird oft angenommen, daß Drogen, die eine physische Abhängigkeit ausbilden können, von ihrem Suchtpotential ge-fährlicher sind, als Drogen die lediglich psychische Abhängigkeit verursachen. Dies hat zur Folge, daß in der Szene oft Abhängigkeiten von letztgenannten Präparaten damit gerecht-fertigt oder verharmlost werden, weil sie keinen körperlichen Entzug zur Folge haben.

Braun/Gekeler61stellen in ihrer Studie fest, daß die Heroinabhängigen den körperlichen Entzug als nicht so schlimm empfunden haben wie das Drug-Craving62. Dies bedeutet, daß nicht die physischen sondern die psychischen Folgen von Sucht das Hauptproblem auf dem Weg in ein unabhängiges Leben darstellen. Jeder und jede Süchtige steht genau vor diesem Problem: Der Überwindung von Gier oder Sehnsucht nach der Droge. Der körperliche Ent-zug ist schnell überwunden, die psychische Abhängigkeit verlangt nach Coping-Strategien, die für den Rest des Lebens vor der Sucht bewahren. Folgende, auf verschiedenen Autoren zurückzuführende Coping-Strategien, die von Opiatkonsumenten/innen zur Überwindung kompulsiven Gebrauchs angegeben wurden, haben Weber/Schneider zusammengefaßt: „ a) Aktivierung von Ängsten gegenüber den möglichen negativen Konsequenzen eines

‚Rückfalls‘ bzw. Bewußtmachung positiver Gründe gegen einen erneuten Heroinkon-sum.

b) Abstand von der Drogenszene bzw. vom opiatkonsumierenden Bekanntenkreis durch symbolische oder explizit vollzogene Distanzhaltung. Bspw. Wurden bewußt Situatio-nen vermieden, in deSituatio-nen die Droge leicht verfügbar war. Unter einer symbolischen

61Braun/Gekeler, 1983, S. 75

62Drug-Craving = Sehnsucht bzw. Gier nach Drogen.

Distanzierung ist dagegen die Präsentation eines anderen Lebensstils gegenüber aktu-ellen Heroinkonsumenten zu verstehen. In der Regel wurde der Kontakt jedoch ab-gebrochen und zeitweilig eine soziale Isolation bewußt in Kauf genommen. Manche Personen wechselten den Wohnort, um eine räumliche Distanz zur bekannten Drogen-szene sicherzustellen.

c) Nutzung noch vorhandener drogenunspezifischer Äquivalente oder anderer Aufgaben-stellungen, um die frei gewordene Zeit ausfüllen zu können.

d) Vermeidung emotionaler Belastungen durch evasive Bewältigungsstrategien, um nicht in die Situation zu kommen, Opiate als Mittel zur Konflikt- bzw. Streßregulierung ein-zusetzen.

e) Vermeidung eines erneuten Heroinkonsums durch den Gebrauch alternativer Substan-zen, falls keine anderen ‚Abfuhrmöglichkeiten‘ zur Neutralisierung der ‚Opiatsehn-sucht‘ aktiviert werden konnten“.63

Ergebnis dieser Coping-Strategien können nicht nur abstinentes Leben oder erneuter kom-pulsiver Drogengebrauch sein, sondern auch ein kontrollierter Gebrauch ist nach Bierna-ckie64durchaus möglich. Gerade deshalb ist es nicht hilfreich, jeden Rückfall als Versagen zu interpretieren.

Häufig ist auch eine Suchtverlagerung zu beobachten. Nach Bohnert65ist der Cannabis-gebrauch nach Heroinabhängigkeit als durchaus positiv zu betrachten66, da er der Umset-zung konventioneller Lebensperspektiven nicht entgegenstehen muß. Oft wird die Heroin-abhängigkeit durch Alkohol substituiert. Dieses kann ein Schritt vom Regen in die Traufe sein; allerdings ist der/die Abhängige dann keiner Kriminalisierung auf Grund des Konsum-verhaltens ausgesetzt.

63Weber/Schneider, 1992, S. 59

64Biernackie 1986, S. 124, Tab. 8

65Bohnert u.a. 1988

66ACM-Magazin, 1999, S. 1, „ Nach historischen Berichten und einigen Fallberichten ist Cannabis ein gutes Mittel zur Bekämpfung der Entzugssymptomatik bei Benzodiazepin-, Opiat- und Alkoholabhän-gigkeit. Es wird daher auch gern als Ausstiegdroge bezeichnet.“ Dieser Aspekt wird in einem Fragebo-gen der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e.V. (ACM) die bis ins Jahr 1999 durchgeführt wird, ebenfalls erforscht.

Ganz entscheidend für den Erfolg beim Selbstausstieg sind soziale, materielle, ideelle und personale Ressourcen. Diese sozialen Stützsysteme können Hilfe in Form von emotioneler, instrumenteller, informativer und selbstbewertender Unterstützung leisten (vgl.

We-ber/Schneider 1992, S.98 ff).

Die Coping-Strategie, der drogenbehafteten Szene auszuweichen, hat zwangsläufig zur Fol-ge, daß neue soziale Netzwerke, die nicht drogenfixiert sind, aufgebaut oder restauriert werden müssen. Kontakte zum Elternhaus können sich positiv auf die Heroinabstinenz aus-wirken, ebenso wie Partnerbeziehungen, denen ein hoher Stellenwert zugemessen wird67. Derartige informelle soziale Kontakte haben gegenüber institutionellen Hilfsangeboten den Vorteil, daß sie mehr emotionale Geborgenheit bzw. Hilfe bieten können. Andere, persone-nunspezifische funktionale Äquivalente sind in personell-ideellen oder personell –materiellen Unterstützungspotentialen zu sehen. Zu diesen gehören z.B. die Anstellung in ein Beschäfti-gungsverhältnisses, positive Einschätzung eines opiatfreien Lebensstils oder der Glaube an das eigene Vermögen, ohne die Droge leben zu können. Gerade der letzte Punkt ist sehr wichtig, denn wer nicht an sich und ein drogenfreies Leben glaubt, wird nicht die Kraft auf-bringen können, aktiv neue soziale Kontakte und Beschäftigungen zu suchen, um die Dro-genabstinenz aufrechtzuerhalten (Vgl. Braun/Gekeler)68. Positives Feedback, ob jetzt bei ei-ner neu aufgenommenen Arbeit, im Sportverein, von Bekannten oder durch Stabilisierung der Gesundheit sind natürlich mit von großer Bedeutung.

Der ehemalige „Junkie“ muß auch erkennen, daß er nicht zum „Junkie“ determiniert ist, sondern wie jeder andere Mensch multiple soziale Identitäten in sich trägt. Biernacki69 un-terscheidet in diesem Zusammenhang zwischen drei handlungsleitenden Entwicklungsmus-tern der Identität:

1. Aktivierung der handlungsleitenden Kompetenzen und Orientierungen, wie sie vor der Drogenabhängigkeit bestanden.

2. Entwicklung neuer handlungsleitender Kompetenzen und Orientierungen und damit ver-bundene neue Selbstwahrnehmung.

67Vgl. Klingemann 1990b, S. 94

68Braun/Gekeler, 1983, S. 80

69Birnackie 1986, S. 146ff

3. Übersetzung der während des kompulsiven Drogengebrauchs in der Szene erlernten Ü-berlebensstrategien auf ein drogenunspezifisches Leben.

Biernacki stellte ebenfalls fest, daß das „Drug-Craving“ im Verlauf von zwei Jahren konti-nuierlich abnimmt, was von den „Ex-Usern“ bewußt als Fortschritt wahrgenommen wird.

Problematisch erscheint ihnen weiterhin die Stigmatisierung zum „Junkie“, weshalb viele ih-re Vergangenheit verschweigen, um nicht in einer für sie neuen Welt gegen Vorurteile an-kämpfen zu müssen.

Im Dokument Selbstentzieher/innen von Heroin (Seite 40-43)