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Kontext zum Interview mit Jeremy

Im Dokument Selbstentzieher/innen von Heroin (Seite 115-118)

3. Auswertung der Interviews

3.4. Jeremy

3.4.1. Kontext zum Interview mit Jeremy

Zu beachten ist, daß Jeremy Lebenspartner von Maus ist. Deshalb sollte der Kon-text zum Interview mit Maus ebenfalls in Augenschein genommen werden.

Lebensraum der Interviewpartnerin

Sie wohnt zusammen mit ihren zwei Kindern, ihrem Lebenspartner (Maus) und ei-nem Hund im Erdgeschoß eines Neubaus. Neben Dusche, zwei Toiletten und Kü-che umfaßt die Wohnung noch zwei Kinderzimmer, das Schlafzimmer der Erwach-senen und ein geräumiges Wohnzimmer.

Die Einbauküche ist gut organisiert und ordentlich, wie auch Bad und WC. Das Wohnzimmer, ein vieleckiger Raum, nach meinem Eindruck der Dreh- und Angel-punkt der Familie, ist mit einem niederen ovalen Tisch ausgestattet, um den herum zwei Sofas und einige Sessel angeordnet sind. Der Tisch ist vollgestellt mit allerlei Dingen, von Medikamenten über Tabak, Aschenbecher und Getränke (Wein, Spru-del, Bier) bis hin zu Süßigkeiten. Die Interviews fanden, auf mein Bitten hin, im benachbarten Kinderzimmer, welches gerade nicht bewohnt ist, statt.

Zur Person von Jeremy

Jeremy ist eine Frau im Alter von 34 Jahren. Sie ist ca. 158 cm groß und von nor-maler Figur. Ihr Haar ist glatt, blond mit rotem Schimmer, schulterlang und zu ei-nem Zopf gebunden. Ihr Gesicht wirkt verlebt und von Leiden gezeichnet (sie brachte erst kürzlich ein Mädchen zur Welt). Sie trägt weite Kleidung in matten Farben. Sie ist Mutter von drei Kindern von drei verschiedenen Vätern (K. 6 Wo-chen, U. 9 Jahre, T. 13 Jahre), wobei U. bei Pflegeeltern lebt, da er schwer erzieh-bar ist. Ihr Lebenspartner Maus ist der Vater ihres Neugeborenen.

Zeitpunkt und Ort des Interviews

Am 09. Februar 1998 gegen 19 Uhr erschien ich an Jeremy’s Wohnung wie verein-bart. Diese liegt ungefähr einen Kilometer vom Zentrum einer Stadt mit ca. 80.000 Einwohnern, in einer sozial schwachen Gegend, in der sich auch unterschiedliche Verwaltungsgebäude befinden. Zuerst interviewte ich Maus, danach Jeremy.

Mein Bezug zu Jeremy

Ich lernte Jeremy über einen Bekannten eine Woche vor dem Interview kennen.

Er war zufällig auch am Tag des Interviews anwesend. Auch nach dem Interview habe ich die Familie einige Male besucht und inzwischen einen freundschaftlichen Kontakt.

Meine Situationswahrnehmung

Beim ersten Treffen war ich etwas schockiert, fühlte mich unwohl und hatte den Eindruck, daß durch meine Anwesenheit eine aufgedrehte Stimmung entsteht.

Zugleich schien mein Interesse zu schmeicheln und das Gefühl zu vermitteln, etwas Besonderes und Wichtiges zu sein, wofür sich die Wissenschaft interessiert. Abnei-gung löste in mir vor allem der angetrunkene Zustand der Eltern in Kombination mit einem von Zigaretten und Joints völlig verqualmten Wohnzimmer (in dem auch das Baby, auf dem Sofa liegend, passiv mitrauchen mußte) aus. Jeremy war geplagt von Hustenanfällen aus abgründigen Tiefen der Lungenflügel. All dies ließ mich schon fast zu dem Schluß kommen, daß mir diese Interviews nichts nützten, da beide Therapieerfahrung hatten.

Dies Unbehagen meinerseits änderte sich nach den Interviews, wobei ich durch ei-nige weitere Besuche die Familie besser kennenlernte. Ich sah vor allem, daß es in der Familie speziell zwischen Eltern und Kindern eine sehr offene, herzliche und ehrliche Kommunikation gibt. So wurden Themen wie alltäglicher Drogenkonsum der Eltern, ihre Beziehung ebenso wie die Beziehung der Tochter aufs Korn ge-nommen. Ein anderes, ernstes Thema war auch die von den älteren Kindern miter-lebte „harte“ Zeit des Junks.

Der Hund von Jeremy, nach dem sie ihren Codenamen wählte, mochte mich an-fangs übrigens auch nicht, wobei er es nicht nur beim Knurren und Bellen beließ, sondern einmal ganz ordentlich (aus Angst) nach meiner Hand schnappte. Als Ur-sache dafür wurde der an mir haftende Geruch meines Hundes (ebenfalls Rüde) schnell ausgemacht. Bei meinem zweiten Besuch war er dann schon viel friedvoller und ließ sich am Ende sogar streicheln.

Schon bei meinem ersten Besuch war ich nicht der einzige Besucher. Ebenso bei weiteren Besuchen waren zumeist noch eine oder zwei weitere Personen anwe-send. Dies ist ein Beleg dafür, daß die Familie auf keinen Fall abgeschottet ist, son-dern inmitten eines aktiven sozialen Umfeldes agiert.

Am Tag des Interviews sind neben einem Bekannten und seiner Freundin noch der Freund der älteren Tochter im Haus, die allerdings früh gehen.

Während des Interviews wird K. (Säugling) vom Vater und der ältesten Tochter betreut.

Jeremy erschien mir anfangs eher zurückhaltend und prüfend. Nach einigen weite-ren Besuchen (nach dem Interview) wurde sie zunehmend herzlicher.

Der Interviewverlauf

Jeremy erkundigte sich direkt vor dem Interview noch einmal nach dem Sinn und Zweck des Interviews. Interviewt zu werden war ihr fremd und es schien mir, daß ihre Einwilligung zum Interview im Sog der großen Bereitwilligkeit ihres Lebens-gefährten erfolgte.

Jeremy ist angetrunken und bekifft zugleich, weshalb sie etwas lallt. Am Anfang gestaltet sich das Interview schwierig. Jeremy antwortet auf meine Fragen nur kurz und knapp. Sie spricht langsam mit langen Sprechpausen und ich bestätige viel mit

„mha“ (ja), auch während sie spricht, bzw. nach fast jedem Satz oder Teilsatz, was in der Transkription ebenso wie ihr schwäbischer Akzent etwas entschärft ist. Mit der Zeit überwinden wir das anfängliche Stocken und Jeremy erzählt mehr und mehr von sich aus. Dabei erfahre ich viel Neues.

Meine erste Einschätzung des Interviews

Jeremy war eine stark abhängige Frau, die, um aufhören zu können, sämtliche Tiefs durchleben mußte. Es ist meines Erachtens ein sehr ehrliches und emotionales In-terview.

Bemerkenswertes aus den Vor- und Nachgesprächen

• Der Sohn U. ist bei Pflegeeltern, da er schwer erziehbar ist. Jeremy hat die Hoffnung, daß er bald zurückkommt.

• Schade, daß durch das Verschriften die Stimmodulationen verloren gehen, die speziell bei Jeremy vielsagend sind (z.B. ganz leise, wehmütig, zornig, aggres-siv usw.)

• Mein Bekannter klärt mich darüber auf, daß die meisten Besucher Freunde von Jeremy sind und ihren Lebenspartner nicht mögen. Ebenfalls von ihm weiß ich, daß sie die Mieterin der Wohnung ist und Maus über ein Zimmer in der

Nach-• Die von mir transkribierten Interviews gab Jeremy auch ihrer Tochter zum Le-sen, die mich auf die wohl anfänglichen Schwierigkeiten beim Befragen an-sprach.

• Jeremy wählte ihren Codename nach dem Namen ihres Hundes.

• Die älteste Tochter dürfte kiffen, wenn sie wollte. Sie hat es mit der Mutter auch schon probiert, mag es aber nicht.

• Jeremy lebt von Sozialhilfe und Kindergeld.

Im Dokument Selbstentzieher/innen von Heroin (Seite 115-118)