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D. Eine erste Analyse

VI. Im Besonderen: Die Tätigkeit der Schiedspersonen 1. Allgemeines

11. Zur Kritik am Einsatz von Schiedspersonen

Angesichts der insgesamt doch sehr kursorischen Regelungen zur Tätigkeit der Schiedsper-sonen im SGB V überrascht es nicht, dass gegen deren Einsatz immer wieder ganz grundle-gende Kritik vorgebracht wird, die vom Vorwurf einer tatsächlich ungeeigneten1028 „Zwangs-schlichtung“1029 bis hin zur Verfassungswidrigkeit der maßgeblichen Normen reicht.1030

Diese Kritik ist nicht gänzlich unberechtigt. Aufgrund der weitgehenden Nichtnormierung dieses Bereichs des Schiedswesens fehlt es jedenfalls an verlässlichen Kriterien für das kon-krete Verfahren und dementsprechend an einem Maßstab für die spätere gerichtliche Kon-trolle.1031 Ob die „von der Entscheidung der Schiedsperson Betroffenen … infolgedessen der Schiedsperson inhaltlich und verfahrensmäßig in vollem Umfang ausgeliefert“ sind,1032 mag hier einmal dahinstehen;

die Zurückhaltung des Gesetzgebers ist aber in der Tat überraschend. Die Schiedsperson ist hinsichtlich der Verfahrensgestaltung scheinbar völlig frei und könnte ihre eigene Schieds-ordnung konzipieren und dem konkreten Verfahren zugrunde legen.1033 Es bliebe ihr

1023 § 68 Abs. 1 SGG.

1024 Vgl. nur zu § 132a SGB V Schneider in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, § 132a Rn. 28.

1025 Vgl. etwa BSG v. 13.11.2012 – B 1 KR 27/11 R, Rn. 27 zur Landesschiedsstelle nach § 114 SGB V.

1026 So BSG v. 25.11.2010 – B 3 KR 1/10 R, Rn. 38.

1027 BSG v. 25.11.2010 – B 3 KR 1/10 R, Rn. 38.

1028 Zuck, NZS 2014, S. 401, 405.

1029 Hierzu Zuck, NZS 2014, S. 401, 404.

1030 Vgl. nur Schnapp: in Schnapp/Düring, Handbuch des sozialrechtlichen Schiedsverfahrens, Rn. 36: „…wirft verfassungsrechtliche Bedenken unterschiedlichster Art auf.“

1031 Schnapp: in Schnapp/Düring, Handbuch des sozialrechtlichen Schiedsverfahrens, Rn. 36.

1032 So Zuck, NZS 2014, S. 401, 404.

1033 Zuck, NZS 2014, S. 401, 405.

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nommen, darüber zu entscheiden, ob überhaupt eine mündliche Verhandlung mit den Be-troffenen stattfindet; und wenn der Untersuchungsgrundsatz des § 20 SGB X gar nicht gilt, nimmt diese Form des Schiedsverfahrens fast zivilrechtliche Züge an.1034 Dass es an jeglicher Aufsicht über die Tätigkeit der Schiedsperson mangelt, erscheint mit Blick auf die Grund-rechtsbetroffenheit der Leistungserbringer als besonders bedenklich.1035

Es ist unbestritten, dass der Gesetzgeber bei der Regelung der Tätigkeit der Schiedspersonen zu zurückhaltend ist. Allerdings gründet die Kritik am Einsatz von Schiedspersonen letztlich im Wesentlichen auf der Vorstellung, dass es sich bei ihnen um Vertragshelfer entsprechend

§ 317 BGB handelt – und ob das zutreffend ist, muss bezweifelt werden.1036

Das Bundessozialgericht hatte sich in seiner diesbezüglichen Entscheidung vom 25.11.2010,1037 die zur häuslichen Krankenpflege ergangen war, zunächst vor allem auf den damaligen Wortlaut der maßgeblichen Norm gestützt, wonach die Frage der Schiedsperso-nen „in den Verträgen“ zu regeln war.1038 Bereits diese Unterscheidung zwischen gesetzlichen und vertraglichen Schiedsverfahren überzeugt angesichts der im Gesetz geregelten „Ver-tragsverpflichtung“ nicht: Auch wenn eine einvernehmliche Entscheidung über die Schieds-person gewollt ist, bestimmt gegebenenfalls die Aufsichtsbehörde die betreffende Person.

Aber auch unabhängig von dieser Differenzierung – auf die es in der Entscheidung aus dem Jahr 2015 nicht mehr ankam, weil § 73b SGB V insoweit anders formuliert ist – entspricht die Einordnung als Vertragshelfer in entsprechender Anwendung von § 317 BGB in keiner Weise der Aufgabenstellung der Schiedsperson und ihrer Einbindung in die gemeinsame Selbstverwaltung.1039 Das SGB V zwingt den zum Vertragsschluss verpflichteten Selbstver-waltungspartnern für den Konfliktfall eine Konfliktlösungsinstanz auf, die an ihrer Stelle gegebenenfalls den gesamten Vertragsinhalt festlegt. Mit der Idee des § 317 BGB hat das nichts zu tun: Hier einigen sich Vertragspartner auf einen Dritten, der „eine Lücke des Ver-trags“1040 schließen soll; es geht also um eine bloße Vertragsergänzung. Mit der gesetzlich angeordneten Ersetzungsverpflichtung bezogen auf den gesamten Vertrag ist diese Situation nicht vergleichbar.1041 Dass der Gesetzgeber selbst im Kontext von § 132a SGB V a.F. von §

1034 Allerdings wird die Geltung des Untersuchungsgrundsatzes auch bei manchen Schiedsstellen einge-schränkt (zu § 18a KHG vgl. etwa BVerwG v. 8.9.2005 – 3 C 41/04, Rn. 20 ff.; hierzu auch Kuhla, das Krankenhaus 2016, S. 524 ff., der allerdings davor warnt, die Grundsätze des Zivilprozessrechts einfach zu übertragen – vgl. etwa S. 526 mit Blick auf § 138 Abs. 4 ZPO). Für die Schiedsverfahren nach dem SGB XI geht das Bundessozialgericht dagegen von einer umfassenden Aufklärungspflicht aus (hierzu Wahrendorf, KrV 2016, S. 221, 223 f.).

1035 Hierzu Shirvani, SGb 2011, S. 550; Zuck, NZS 2014, S. 401.

1036 Kritisch zu Recht und mit ausführlicher Begründung auch Buchner/Spiegel zu § 73b Abs. 4a SGB V, die einen Verwaltungsakt bejahen (NZS 2013, S. 1 ff.).

1037 B 3 KR 1/10 R.

1038 BSG v. 25.11.2010 – B 3 KR 1/10 R 2010, Rn. 23.

1039 Kritisch auch Schnapp, GesR 2014, S. 193, 196 bezogen auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts:

„Allerdings überzeugen mich das Ergebnis und vor allem die Art der Begründung der erstgenannten Entscheidung nicht.“

1040 So Würdinger in: Münchener Kommentar zum BGB, § 317 Rn. 6.

1041 Kritisch zu Recht Schnapp in: Schnapp/Düring, Handbuch des sozialrechtlichen Schiedsverfahrens, Rn.

20. Vgl. auch Schnapp, GesR 2014, S. 193, 197, der zu Recht darauf hinweist, dass für die Schiedsperson letztlich dieselben Maßstäbe für ihre Tätigkeit und deren Kontrolle gelten wie für das Schiedsamt nach

§ 89 SGB V: „Dass eine Privatperson denselben Anforderungen zu entsprechen hat wie eine Behörde, wäre allerdings noch des Nachweises bedürftig.“

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317 BGB gesprochen hat,1042 kann demgegenüber nicht ausschlaggebend sein – das gilt schon deshalb, weil der Qualifizierung der Schiedsperson als Vertragshelfer auch verfas-sungsrechtliche Bedenken entgegenstehen.1043

Ausgehend vom Wortlaut des § 1 Abs. 2 SGB X ist vielmehr davon auszugehen, dass die Schiedsperson, die als Institution1044 im SGB V fest etabliert ist, als Behörde tätig wird.1045 Ihre Entscheidung erfüllt im Übrigen auch alle sonstigen Tatbestandsmerkmale von § 31 SGB X,1046 so dass der Schiedsspruch einen Verwaltungsakt darstellt – und unter dieser Prämisse sind wesentliche Vorgaben des SGB X auch für die Tätigkeit der Schiedsperson einschlägig.1047 Folgt man dieser Ansicht, müsste in den maßgeblichen Normen allerdings wiederum geregelt werden, dass eine Klage gegen den Schiedsspruch keine aufschiebende Wirkung hat.

Wenn schließlich noch so manche offene Frage im SGB V gesondert geregelt würde – und man den Schiedspersonen ebenso wie den Schiedsstellen eine Geschäftsstelle zur Seite stell-te, die die Büro- und Verwaltungsarbeiten erledigt1048 –, bestünden gegen den Einsatz von Schiedspersonen keine Bedenken – und zwar auch im dreiseitigen Bereich nicht. Dass eine einzelne Person den Streit letztlich entscheidet, ist schließlich im Schiedswesen keine Beson-derheit: So ist es im Krankenhausfinanzierungsrecht in der Regel der allein tätige Vorsitzen-de, der zumeist das „Zünglein an der Waage“ ist1049; und auch ansonsten ist es häufig die Stimme des Vorsitzenden, die den Ausschlag gibt. Solange sich die Parteien auf eine fachlich kompetente und neutrale Person einigen oder die Aufsichtsbehörde von ihrem Auswahler-messen entsprechend sachgerecht Gebrauch macht, ist diese Variante der Konfliktlösung nicht per se abzulehnen.1050 Darauf wird im Kontext der dreiseitigen Verträge zurückzu-kommen sein.

1042 BT-Drs. 15/1525, S. 123.

1043 Hierzu mit Blick auf die Gewaltenteilung Buchner/Spiegel, NZS 2013, S. 1, 7.

1044 Auf die konkret handelnde Person kommt es insoweit ebenso wenig an wie auf den innerhalb einer Be-hörde agierenden Sachbearbeiter.

1045 Die Ausführungen des Bundessozialgerichts zur Behördeneigenschaft des Schiedsamts in der Entschei-dung von 2010 haben dagegen mit dem Wortlaut der Norm nur wenig zu tun (ebenso Schnapp in:

Schnapp/Düring, Handbuch des sozialrechtlichen Schiedsverfahrens, Rn. 20). Die Bewertung der Tätig-keit der Schiedsperson hat im Übrigen auch Konsequenzen für die Staatshaftung – für die Schiedsperson gälte nur nach hier vertretener Auffassung das Haftungsprivileg des § 839 Abs. 1 S. 2 BGB i.V.m. Art. 34 GG.

1046 Vgl. insoweit auch schon Ebsen, Rechtliche Anforderungen an das Handeln der Schiedsperson für die Festlegung des Inhalts des Vertrags über die hausarztzentrierte Versorgung nach § 73b Abs. 4a SGB V, 2009. Dass eine Behörde „apersonale Eigenschaften“ haben muss, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen (so aber Klückmann in: Hauck/Noftz, SGB V, § 73b Rn. 15b).

1047 Zum Behördenbegriff im Sozialrecht vgl. auch Schnapp, NZS 2010, S. 241 ff.

1048 Hierzu Becker, SGb 2003, S. 664, 670. Gerade dieser Aspekt verdeutlicht noch einmal, wie abwegig die Idee des Verwaltungshelfers ist – soll die Schiedsperson die Akten in ihrer Privatwohnung lagern und Schriftsätze selbst kopieren und verteilen?

1049 Auch das insoweit bestehende besondere Genehmigungserfordernis (vgl. oben C. II. 3. c. (2) (c)) ändert angesichts des bestehenden Beurteilungsspielraum daran häufig nichts.

1050 Mit Blick auf die demokratische Legitimation stellt sich natürlich auch und gerade bei Schiedspersonen die Frage der gesetzlichen Anleitung – das gilt insbesondere dann, wenn die jeweiligen Verträge normset-zende Wirkung haben.

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VII. Fazit

Die erste Analyse des Systems der Konfliktlösung bei Verträgen und Beschlüssen der ge-meinsamen Selbstverwaltung ergibt das Bild einer doch überraschenden Vielfalt, die sich für den Rechtsanwender als echte Herausforderung erweist. Zugleich bestehen vereinzelt echte Lücken hinsichtlich der Konfliktlösung. Bezogen auf die Tätigkeit der Schiedspersonen soll-te deren rechtliche Bewertung noch einmal kritisch hinsoll-terfragt werden; der Gesetzgeber wäre gut beraten, konkretere Regelungen in das Gesetz aufzunehmen.

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