• Keine Ergebnisse gefunden

Im Besonderen: Kooperationsmodelle im Recht der gesetzlichen Krankenver- Krankenver-sicherung und die demokratische Legitimation von Staatsgewalt

B. Die gemeinsame Selbstverwaltung im Recht der gesetzlichen Kran- Kran-kenversicherung als verfassungsrechtliche Herausforderung

II. Im Besonderen: Kooperationsmodelle im Recht der gesetzlichen Krankenver- Krankenver-sicherung und die demokratische Legitimation von Staatsgewalt

Entscheidungen der Sozialversicherungsträger selbst werden mit Blick auf ihre verfassungs-rechtliche Legitimation kaum hinterfragt.92 Das gesetzliche Krankenversicherungsrecht ist aber geprägt von unterschiedlichsten Formen der Kooperation von Krankenkassen mit an-deren öffentlich-rechtlichen oder auch privatrechtlichen Organisationen – und hier setzt durchaus berechtigte Kritik an. Dabei ist diese Kooperation unterschiedlich stark ausgeprägt – sie reicht von der einseitigen Normsetzung durch die Kostenträger mit entsprechenden Benehmenspflichten93 über die einvernehmliche Normsetzung durch Vereinbarung94 bis hin zur Normsetzung durch entsprechenden Mehrheitsbeschluss – hier spielen bekanntermaßen vor allem die Richtlinienbeschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses eine maßgebliche Rolle.95

Während das Bundessozialgericht den Korporatismus im Gesundheitswesen als verfassungs-rechtlich unbedenklich ansieht96 und insbesondere die Rechtssetzung durch den

90 BVerfG v. 5.12.2002 – 2 BvL 5/98, Rn. 145. Diese Frage ist gerade bezogen auf die jeweiligen Mehr-heitsverhältnisse in Schiedseinrichtungen von Bedeutung (vgl. hierzu unter H. II. 2. a.).

91 Hierzu gleich unter II.

92 Vgl. etwa Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 175: „… liegt auf der Hand, daß die Entscheidungen der Sozialversicherungsträger überall dort, wo sie staatlich konditioniert sind, auch staatlich legitimiert sind.“ Vgl. aber auch Engelmann, NZS 2000, S. 76 zur demokratischen Legitimation der Krankenkassen-Spitzenverbände.

93 Vgl. etwa § 130a Abs. 3a S. 11 SGB V: Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen regelt ab dem 13.

Mai 2017 „im Benehmen mit den für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenor-ganisationen der pharmazeutischen Unternehmer“ das Nähere zu den Abschlägen, die bei Preiserhöhungen be-zogen auf den Stand vom 1.8.2009 nach Maßgabe von Absatz 3a zu erheben sind (hierzu Axer in: Be-cker/Kingreen, SGB V, § 130a Rn. 10).

94 Vgl. etwa § 115 Abs. 1 S. 2 SGB V im Kontext der dreiseitigen Verträge.

95 Vgl. §§ 91 und 92 SGB V.

96 Zur verfassungsrechtlichen Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses vgl. nur BSG v. 20.3.1996 – 6 RKa 62/94; zu den Entscheidungen des Bewertungsausschusses BSG v. 9.12.2004 – B 6 KA 44/03 R, Rn. 77 ff. mit grundlegenden Ausführungen zur funktionalen Selbstverwaltung.

19

men Bundesausschuss schon länger „nicht mehr grundlegend in Zweifel“ zieht,97 hat die jahrelan-ge und teils heftijahrelan-ge98 Diskussion über die verfassungsrechtliche Legitimation des Gremi-ums99 letztlich nie geendet. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat seit langem eine „überra-gende Bedeutung“100 im System der gesetzlichen Krankenversicherung und ist eine viele Berei-che des SGB V beherrsBerei-chende Steuerungsinstanz geworden.101 Obwohl der Gesetzgeber durch seine jüngeren Reformen – man denke nur an die Einbindung des Ausschusses für Gesundheit des Deutschen Bundestags bei der Bestellung der unparteiischen Mitglieder oder an die Schaffung des § 91 Abs. 2a SGB V – bemüht war, die „Legitimation und Akzeptanz der Entscheidungen zu erhöhen“,102 hat die Debatte nie wirklich ein Ende gefunden, auch wenn es zwischenzeitlich etwas ruhiger geworden war. Eine knapp zwei Jahre alte und durchaus überraschende103 Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat die Diskussion nun neu entfacht.104 Mit Beschluss vom 10.11.2015105 hat das Gericht im Kontext der Ausgestaltung des Leistungsrechts – gleichsam am Rande – das Folgende bemerkt: „Mit dem Vorbringen – durchaus gewichtiger – genereller und allgemeiner Zweifel an der demokratischen Legitimation des Gemein-samen Bundesausschusses als Institution kann das nicht gelingen. Vielmehr bedarf es konkreter Ausführun-gen nicht nur zum Einzelfall, sondern auch zur Ausgestaltung der in Rede stehenden Befugnis, zum Gehalt der Richtlinie und zur Reichweite der Regelung auf an ihrer Entstehung Beteiligte oder auch unbeteiligte Dritte. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss für eine Richtlinie hinrei-chende demokratische Legitimation besitzt, wenn sie zum Beispiel nur an der Regelsetzung Beteiligte mit geringer Intensität betrifft, während sie für eine andere seiner Normen fehlen kann, wenn sie zum Beispiel mit hoher Intensität Angelegenheiten Dritter regelt, die an deren Entstehung nicht mitwirken konnten.

Maßgeblich ist hierfür insbesondere, inwieweit der Ausschuss für seine zu treffenden Entscheidungen gesetz-lich angeleitet wird.“106

Ob nunmehr tatsächlich die „Götterdämmerung des Gemeinsamen Bundesausschusses“107 angebro-chen ist, dürfte bezweifelt werden.108 Das Bundesverfassungsgericht hat zu Recht jede pau-schale Bewertung als „verfassungsgemäß“ oder „verfassungswidrig“ vermieden, sondern vielmehr verschiedene Parameter in den Blick genommen, die allerdings ihrerseits als durch-aus vage zu bezeichnen sind: Es geht um die Intensität der Betroffenheit Dritter, aber auch

97 So BSG v. 3.7.2012 – B 1 KR 23/11 R, Rn. 26; vgl. auch BSG v. 12.9.2012 – B 3 KR 10/12 R, Rn. 34, wo das Gericht feststellt: „Zu früher kritischen Stimmen hat sich in jüngerer Zeit die Literatur gegenteilig geäußert (vgl Neumann, NZS 2010, 593, Hauck, NZS 2010, 660 mwN).“

98 Vgl. etwa Kingreen, NZS 2007, S. 113, 121: „Der Gemeinsame Bundesausschuss residiert im verwaltungs- und verfas-sungsrechtlichen Niemandsland. Dort ist aber das deutsche Gesundheitswesen nicht gut aufgehoben.“ Kritisch zur Legi-timation des Gemeinsamen Bundesausschusses auch Saalfrank/Wesser, NZS 2008, S. 22; Castendieck, NZS 2001, S. 71.

99 Grundlegend auch Vießmann, Die demokratische Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Entscheidungen nach § 135 Abs. 1 S. 1 SGB V, 2009.

100 Schmidt-De Caluwe in: Becker/Kingreen, SGB V, § 91 Rn. 4.

101 Hierzu auch Schimmelpfeng-Schütte, GesR 2004, S. 1, 4.

102 So BT-Drs. 17/6906, S. 3.

103 Im so genannten „Nikolausbeschluss“ (so Kingreen, NJW 2006, S. 877, 880) vom 6.12.2005 (1 BvR 347/98) hatte das Gericht eine Auseinandersetzung mit dem Thema noch gemieden.

104 Jüngst Axer, KrV 2017, S. 89 ff.

105 1 BvR 2056/12. Hierzu auch Kingreen, MedR 2017, S. 8 ff.

106 BVerfG v. 10.11.2015 – 1 BvR 2056/12, Rn. 22.

107 So der Titel des kritischen Beitrags von Gassner, NZS 2016, S. 121.

108 Sproll (in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 91 SGB V Rn. 24) stellt fest:

„Zu Recht lässt deshalb das BSG an der bindenden Wirkung des GemBA keinen Zweifel ….“

20

um die gesetzliche Anleitung durch den Gesetzgeber. Auch wenn das „Gesundheits-Zentralkomitee“109 wohl eher nicht „wankt“, sollte man den „Weckruf aus Karslruhe“110 nicht überhören und die Regelungsdichte der einzelnen Befugnisnormen zugunsten des Gemein-samen Bundesausschusses111 tatsächlich kritisch hinterfragen. Letztlich wird es wohl das Bundesverfassungsgericht selbst sein, dass die Frage der demokratischen Legitimation in einem konkreten Einzelfall entscheiden und dabei möglicherweise die notwendigen konkre-teren Vorgaben für die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung machen wird.112

Es greift allerdings zu kurz, die Diskussion über die verfassungsrechtliche Legitimation der Akteure im Gesundheitswesen auf den Gemeinsamen Bundesausschuss – als ein von seiner gesetzlichen Konzeption her dreiseitig besetztes Gremium113 – zu beschränken. Alle Gremi-en der gemeinsamGremi-en Selbstverwaltung, die nach der Konzeption des SGB V befugt sind, verbindliche Beschlüsse mit Grundrechtsrelevanz für die Leistungserbringer, aber auch für die Versicherten zu treffen, sind unter Einbeziehung der Vorgaben des Bundesverfassungs-gerichts näher in den Blick zu nehmen.114 Das betrifft, um hier nur ein Beispiel zu nennen, etwa den – gegebenenfalls erweiterten – Bewertungsausschuss nach Maßgabe von § 87 SGB V.115

Nur auf den ersten Blick überraschend dürfte schließlich sein, dass auch die für das vorlie-gende Gutachten so bedeutsame vertragliche Kooperation im Recht der gesetzlichen Kran-kenversicherung immer wieder unter dem Gesichtspunkt der verfassungsrechtlichen Legiti-mation kritisch hinterfragt wird.116 Nach Einschätzung des Bundessozialgerichts lässt sich diese Form der Kooperation „sinnvoll in das demokratische Prinzip des Grundgesetzes einordnen.“117 Beim Abschluss von entsprechenden Vereinbarungen seien die Vertragsparteien zwar ge-zwungen, einen Interessenausgleich mit der anderen Partei vorzunehmen; es sei aber ver-fehlt, in entsprechenden Vereinbarungen „allein ein Instrument der Fremdbestimmung“ zu

109 So der Beitrag von Rath in der taz vom 21.12.2015 – „Gesundheits-Zentralkomitee“ wankt.

110 Insoweit zutreffend Gassner, NZS 2016, S. 121, 127.

111 Oldiges hat insoweit den Begriff „kleiner Gesetzgeber“ geprägt (Sozialer Fortschritt 1998, S. 69, 70); vgl. auch Roters, NZS 2007, S. 176 m.w.N.

112 Dass der Gesetzgeber selbst das Thema „Selbstverwaltung“ aktuell verstärkt in den Blick nimmt, sei hier nur am Rande erwähnt. Im Jahr 2017 ist das so genannte „Selbstverwaltungsstärkungsgesetz“ in Kraft ge-treten (Gesetz zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit der Selbstverwaltung der Spitzenorganisationen in der gesetzlichen Krankenversicherung sowie zur Stärkung der über sie geführten Aufsicht v. 21.2.2017, BGBl. I, 265). Bereits die Bezeichnung offenbart die hier bestehenden Konflikte (vgl. nur Rixen, SozSich 2017, S. 115 ff.).

113 Insofern werden auch die im Kontext seiner Entscheidungsfindung maßgeblichen Konfliktlösungsin-strumente zu hinterfragen sein.

114 Vgl. zur demokratischen Legitimation der Schiedsstelle nach § 130b SGB V etwa von Dewitz in:

Beck’scher Online-Kommentar Sozialrecht, § 130b SGB V Rn. 44. Freudenberg in: Schlegel/Voelzke, juris-PK SGB V § 87 Rn. 260 hat bezogen auf die demokratische Legitimation des ergänzten und erweiterten Bewertungsausschusses keine Bedenken. Vgl. hierzu auch Engelmann, NZS 2000, S. 1 ff.

115 Hierzu ausführlich C. III. 3. a. Auch Gassner, NZS 2016, S. 121, dürfte auf S. 127 dieses Gremium ge-meint haben. Kritisch insoweit zu Recht auch Orlowski mit Blick auf den erweiterten, ergänzten Bewer-tungsausschuss (Sektorenübergreifende Konfliktlösung in der GKV durch die gemeinsame Selbstverwal-tung, Manuskript, S. 16 f.).

116 Das Vertragsgeschehen beschränkt sich auch nicht auf reine Vergütungsfragen; vielmehr geht es bei ent-sprechenden Verträgen auch um die Ausgestaltung des Leistungsanspruchs selbst.

117 BSG v. 9.12.2004 – B 6 KA 44/03 R, Rn. 81.

21

hen:118 „Auch im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung bedeutet die vertragliche Kooperation nicht primär Verlust von, sondern Gewinn an Autonomie, wenn sie Bereiche betrifft, die die Interessen der Mit-glieder eines Selbstverwaltungsträgers berühren, von diesem aber nicht einseitig geregelt werden können, weil auch die Interessen der Mitglieder eines anderen Selbstverwaltungsträgers berührt werden … Vertragliche Vereinbarungen sind deshalb ein Instrument, das es ermöglicht, alle von einer Regelung betroffenen Interessen angemessen zu berücksichtigen , ohne deren Träger in eine Selbstverwaltungseinheit einbinden zu müssen.“119 Zweifellos wird der Staat durch „verbandliche Aushandlungsprozesse entlastet.“120 Das ist allerdings nicht der kritische Punkt. Solange Verträge auf der Individualebene getroffen werden – wie etwa im Kontext von § 132 SGB V, wo die Krankenkassen Verträge über die Versorgung mit Haushaltshilfe mit „geeigneten Personen, Einrichtungen oder Unternehmen“ schließen – erscheint das Kooperationsmodell tatsächlich nur als konsequente und gleichsam zwingende Folge des Naturalleistungsprinzips und der Erbringung der Leistungen durch Dritte.121 Bereits dann, wenn im Rahmen einer Individualvereinbarung zwischen einer Krankenkasse und einem Leistungserbringer die auf höherer Ebene beschlossenen Rahmenempfehlungen „zu-grunde zu legen“ sind,122 könnten Bedenken mit Blick auf diese – wenn auch weich formulierte – Bindungswirkung entstehen. Und spätestens dann, wenn sich der Regelungsgehalt eines Vertrages nicht auf die Mitglieder desjenigen Verbandes beschränkt, der die Vereinbarung mit den Krankenkassen abgeschlossen hat,123 sondern das Gesetz gleichsam die „Allgemein-gültigkeit“ des Vertrags bestimmt, muss man sich fragen, wie sich diese Bindungswirkung gegenüber Dritten verfassungsrechtlich legitimieren lässt. Der zwischen den Vertragspartei-en geschlossVertragspartei-ene Vertrag Vertragspartei-entfaltet aufgrund Vertragspartei-entsprechVertragspartei-ender gesetzlicher VorgabVertragspartei-en eine nor-mative Wirkung; man spricht hier von Normverträgen oder Normsetzungsverträgen.124 Der Vertrag bindet Dritte125 und wirkt damit letztlich wie eine Rechtsnorm.126

Die Bedenken sind umso berechtigter, wenn der Vertragspartner der Krankenkassen nicht seinerseits eine öffentlich-rechtliche Körperschaft ist,127 sondern der Vertrag mit einer

118 BSG v. 9.12.2004 – B 6 KA 44/03 R, Rn. 81. Kritisch zum Verlust der Autonomie insoweit Ebsen in:

Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 1, Krankenversicherungsrecht, § 7 Rn. 119.

119 BSG v. 9.12.2004 – B 6 KA 44/03 R, Rn. 81.

120 Kingreen, NZS 2007, S. 113, 114.

121 Vgl. § 2 Abs. 2 S. 1 und 3 SGB V.

122 Dieses Modell legt etwa § 132a SGB V zugrunde: Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die für die Wahrnehmung der Interessen von Pflegediensten maßgeblichen Spitzenorganisationen auf Bun-desebene geben gemeinsam Rahmenempfehlungen über die Versorgung mit häuslicher Krankenpflege ab, die den Verträgen „vor Ort“ (hierzu § 132a Abs. 4 SGB V) nach § 132a Abs. 1 S. 7 SGB V „zugrunde zu legen“ sind.

123 Vgl. hier etwa § 129 Abs. 3 SGB V; Rechtswirkungen hat der Vertrag auch für Apotheken, die dem Rah-menvertrag beitreten.

124 Häufig werden die Begriffe synonym verwendet; zu den Unterschieden vgl. Axer in: Schnapp/Wigge, Handbuch des Vertragsarztrechts, § 10 Rn. 31. Vgl. zum Normenvertrag auch Teigelack, Zwei- und dreiseitige Verträge nach SGB V, 1994, S. 84 sowie Engelmann, NZS 2000, S. 1, 2 ff.

125 Man könnte deshalb auch von einem Vertrag zu Lasten Dritter sprechen (Rüfner, NJW 1989, S. 1001, 1006).

126 Das SGB V kennt im Übrigen keine § 5 TVG entsprechende Norm, nach der das Bundesministerium für Arbeit einen Tarifvertrag unter bestimmten Voraussetzung für „allgemeinverbindlich“ erklären kann. Teige-lack schlägt allerdings die Aufnahme einer solchen Norm vor, um die verfassungsrechtlichen Bedenken zu beseitigen (Zwei- und dreiseitige Verträge nach SGB V, 1994, S. 96).

127 In der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 9.12.2004 – B 6 KA 44/03 R ging es um die Partner der Bundesmantelverträge.

22

vatrechtlichen Organisation geschlossen wurde.128 So wird etwa die in § 112 Abs. 1 S. 2 SGB V getroffene Feststellung, dass die zwischen den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen einerseits und den Landeskrankenhausgesellschaften andererseits geschlos-senen Verträge „für die Krankenkassen und die zugelasgeschlos-senen Krankenhäuser im Land unmittelbar ver-bindlich sind“, von manchem als „eindeutig und schwerwiegend verfassungswidrig“ gewertet.129 In der Tat sind nicht ausnahmslos alle Krankenhäuser Mitglieder der jeweiligen Landeskranken-hausgesellschaft, so dass eine Legitimation über den vertragsschließenden Verband aus-scheidet. Dass die Vereinbarung der Krankenkassen mit einer privatrechtlichen Organisation normsetzende Verträge zustande bringen kann, also Verträge, die wie Normen kraft Geset-zes binden, bedarf jedenfalls einer gesteigerten verfassungsrechtlichen Rechtfertigung.130 Auch wenn das Regelungskonzept der Rechtssetzung durch Normenverträge vom Bundes-sozialgericht „stets gebilligt worden“ ist131 und auch das Bundesverfassungsgericht „Zweifel an der Zulässigkeit vertraglicher Rechtssetzung“ tatsächlich nie auch nur angedeutet hat,132 sollte man Zweifel an der verfassungsrechtlichen Legitimation von Regelungskompetenzen und Rege-lungsinstrumenten im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung nicht vorschnell mit allgemeinen Prinzipien des Krankenversicherungsrechts oder einer entsprechenden Traditi-on abtun.133 Wenn man eine Aufsichtsregelung für die Legitimation für unentbehrlich hält, ließe sich das Verdikt der Verfassungswidrigkeit bei den mit privaten Organisationen ge-schlossenen Verträgen kaum vermeiden.134 Was für die Vertragsebene selbst gilt, schlägt im Übrigen auf die Konfliktlösungsinstrumente durch: Schiedsämter, Schiedsstellen und Schiedspersonen setzen im Fall gescheiterter Vertragsverhandlungen anstelle der Vertrags-partner den Vertragsinhalt fest – und auch diese Festsetzung hat dann dementsprechend normsetzenden Charakter.

Das Thema der Einbindung Privater in die Normsetzung ist übrigens kein Spezifikum des gesetzlichen Krankenversicherungsrechts. Entsprechende Bedenken wurden insbesondere auch im Kontext des Rahmenvertrags nach § 75 SGB XI vorgebracht.135 Sowohl die Rechts-stellung der so genannten Außenseiter, d.h. vertraglich nicht gebundener Einrichtungen, als auch die grundlegende Frage der Normsetzungskompetenz wird angesichts von § 75 Abs. 1 S. 4 SGB XI diskutiert, der bestimmt: „Die Rahmenverträge sind für die Pflegekassen und die zuge-lassenen Pflegeeinrichtungen im Inland unmittelbar verbindlich.“

Die Außenseiterproblematik lässt sich im Übrigen auch nicht einfach dadurch lösen, dass man nur solche Leistungserbringer zur Versorgung zulässt, die bereit sind, entsprechende Verträge zu akzeptieren. Wenn etwa § 134a Abs. 2 S. 2 SGB V bestimmt, dass Hebammen,

128 Vgl. zu diesem Themenkomplex ausführlich Wiegand, Zur Beleihung Privater mit Normsetzungskompe-tenzen, 2008. Zum Problem der Beteiligung der Leistungserbringer als Problem der Mitwirkung Privater an der Normsetzung auch Castendieck, Der sozialversicherungsrechtliche Normsetzungsvertrag, 2000, S.

134 ff.

129 Sodan, NZS 1998, S. 305, 309.

130 Ausführlich hier im Kontext von § 130b Abs. 9 SGB V Huster, KrV 2013, S. 1. Kritisch auch Axer, KrV 2017, S. 89, 95.

131 So das Bundessozialgericht in Rn. 82 seiner Entscheidung vom 9.12.2004 – B 6 KA 44/03 R.

132 BSG v. 9.12.2004 – B 6 KA 44/03 R, Rn 82 m.w.N.

133 Diesen Aspekt spricht Huster, KrV 2013, S. 1, 7 mit Blick auf Art. 87 Abs. 2 GG an.

134 Zu den Mängeln des Aufsichtsrechts vgl. auch unter H. I. 2.

135 Hierzu nur Udsching, NZS 1999, S. 473, 475 und Maschmann, SGb 1996, S. 149, 151; vgl. auch Wahl in:

Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, § 75 Rn. 29 m.w.N. sowie Schütze in: Udsching, SGB XI, § 75 Rn. 13.

23

für die die Verträge nach Absatz 1 keine Rechtswirkung haben – und das ist der Fall, wenn die Hebamme weder einem entsprechenden Verband angehört noch dem Vertrag beitritt –

„nicht als Leistungserbringer zugelassen“ sind, dürfte der Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG ungleich schwerer wiegen.