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D. Eine erste Analyse

VI. Im Besonderen: Die Tätigkeit der Schiedspersonen 1. Allgemeines

10. Rechtsschutz im Schiedsamtsverfahren

Unterschiedlich ausgestaltet sind in den Normen des SGB V, die als Konfliktlösungsinstru-ment eine Festlegung des Inhalts der Vereinbarung durch eine Schiedsperson vorsehen, die Aussagen zum Rechtsschutz. Hierbei sind zwei Ebenen zu trennen: Zum einen stellt sich die Frage, ob die Bestimmung der Schiedsperson durch die Aufsichtsbehörde gerichtlich über-prüft werden kann; zum anderen geht es um die gerichtliche Kontrolle der Entscheidung der Schiedsperson selbst.

a. Zum Rechtsschutz gegen die Bestimmung der Schiedsperson

Die in den maßgeblichen Normen fast durchweg vorgesehene Bestimmung der Schiedsper-son durch die Aufsichtsbehörde stellt sich gegenüber den Verhandlungsparteien als Verwal-tungsakt dar. Die Aufsichtsbehörde bestimmt anstelle der Parteien – im Wege einer Art von Ersatzvornahme – die Schiedsperson für das konkrete Verfahren. Sie tut dies hoheitlich, mit Rechtswirkung nach außen und zur Regelung eines Einzelfalls als Behörde im Sinne von § 1 Abs. 2 SGB X.1001 Ein Verwaltungsakt kann grundsätzlich mit Widerspruch und Klage ange-griffen werden; allerdings ist die Vorverfahrenspflicht nach § 78 Abs. 1 S. 2 SGG in den dort genannten Konstellationen entbehrlich, ein Widerspruch damit unstatthaft. Die Verhand-lungspartei, die mit der Bestimmung der Schiedsperson nicht einverstanden ist, könnte also direkt Anfechtungsklage beim zuständigen Sozialgericht1002 erheben,1003 das die Entscheidung der Aufsichtsbehörde als Ermessensentscheidung nach Maßgabe von § 54 Abs. 2 S. 2 SGG allerdings nur beschränkt überprüfen kann.

Da sich der durch die Aufsichtsbehörde erlassene Verwaltungsakt mit der Bekanntgabe der Entscheidung der Schiedsperson erledigt und die Anfechtungsklage unzulässig wird,1004 kommt dem einstweiligen Rechtsschutz maßgebliche Bedeutung zu. Die Anfechtungsklage gegen die Bestimmung der Schiedsperson hat nach der Grundsatzregelung des § 86a Abs. 1 SGG aufschiebende Wirkung; etwas anderes gilt aber gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG in

„anderen durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen.“ Bezogen auf diesen Aspekt sind die vierzehn Vorschriften des SGB V, die eine Entscheidung durch eine Schiedsperson vorsehen, unter-schiedlich ausgestaltet. Während §§ 39a, 125 Abs. 1, 127, 132, 132a, 132b, 132d, 132e, 132g und 211 SGB V zu diesem Thema keine Aussage treffen, ist in §§ 65c, 73b, 110 und 125 Abs. 2 SGB V ausdrücklich bestimmt, dass Rechtsmittel gegen die Bestimmung der Auf-sichtsperson keine aufschiebende Wirkung haben.1005 Es drängt sich die Frage auf, warum der Gesetzgeber hier eine Differenzierung vorgenommen hat; auf Anhieb erschließt sich diese unterschiedliche Ausgestaltung jedenfalls nicht. Angesichts der Zielsetzung des

1001 Ausführlich hierzu BSG v. 27.11.2014 – B 3 KR 6/13, Rn. 16.

1002 Für entsprechende Gerichtsverfahren besteht keine erstinstanzliche Zuständigkeit der in § 29 SGG ge-nannten Landessozialgerichte. § 29 Abs. 2 Nr. 2 SGG ist nicht einschlägig, weil die Aufsichtsbehörde bei der Bestimmung der Schiedsperson keine Aufsicht im Rechtssinn ausübt (hierzu BSG v. 27.11.2014 – B 3 KR 6/13, Rn. 13 f.). Zwar besteht eine Nähe zu den in § 29 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 4 SGG genannten Ge-richtsverfahren; die Schiedsperson ist aber eben keine der dort genannten Stellen.

1003 § 56a SGG dürfte vorliegend nicht einschlägig sein, weil es sich nicht nur um eine Verfahrenshandlung im Sinne der Norm handelt (hierzu Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, § 56a Rn.

3 ff.).

1004 Hierzu Engelmann in: Schnapp/Düring, Handbuch des sozialrechtlichen Schiedsverfahrens, Rn. 249.

1005 In § 125 Abs. 2 SGB V ist die Rede von „Widerspruch und Klage.“

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Schiedsverfahrens in Form der Entscheidung durch eine Schiedsperson, den vertragslosen Zustand möglichst zügig zu beenden, erschiene es sachgerechter, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Bestimmung der Schiedsperson in allen entsprechenden Verfahren aus-zuschließen – bestünde doch andernfalls die Gefahr eines jahrelangen vertragslosen Zu-stands, der die Funktionsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung ge-fährdet.

Auf der anderen Seite darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Rechtsstellung der Ver-tragsparteien erheblich geschwächt wird. Nach Ansicht des Bundessozialgerichts wird eine Anfechtungsklage mit Wirksamwerden des Schiedsspruchs unstatthaft, weil sich der Verwal-tungsakt „Bestimmung der Schiedsperson“ erledigt hat und auch kein Fortsetzungsfeststel-lungsinteresse besteht.1006 Der Verwaltungsakt kann nach dem Schiedsspruch nicht mehr aufgehoben werden, und der von der durch die Aufsichtsbehörde bestimmten Schiedsper-son getroffene Schiedsspruch bleibt bestehen.1007 Der effektive Rechtsschutz wird also – trotz der durch § 86a Abs. 3 SGG jedenfalls theoretisch bestehenden Möglichkeit der Aus-setzung der Vollziehung – erheblich beeinträchtigt. Das lässt sich tatsächlich nur mit den gewichtigen öffentlichen Interessen“ am gesetzlich geforderten Vertragsabschluss rechtfertigen.1008 b. Rechtsschutz gegen die inhaltliche Entscheidung der Schiedsperson

Es liegt in der Natur des Schiedsverfahrens, dass nicht immer beide Seiten mit der Entschei-dung der Schiedsperson einverstanden sind. Ein Schiedsverfahren dient zwar auch der Schlichtung in dem Sinne, dass es vorrangig darum gehen sollte, doch noch eine Einigung zwischen den Verhandlungspartnern herbeizuführen1009 – und das gilt trotz fehlender aus-drücklicher Regelung auch für das Tätigwerden der Schiedsperson.1010 Das gelingt aber nicht immer – und dann muss die Schiedsperson anstelle der Parteien eine inhaltliche Entschei-dung treffen. Wenn diese nicht von beiden als Kompromisslösung akzeptiert wird, stellt sich die Frage nach dem Rechtsschutz der Parteien.

Zuständig für eine entsprechende Klage sind die Sozialgerichte. Die statthafte Klageart hängt vom Rechtscharakter der Entscheidung ab, die die Schiedsperson getroffen hat. Nur wenn es sich um einen Verwaltungsakt handelt, wäre die Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 S. 1 1. Var. SGG statthaft. Es war lange umstritten, ob die seit 2003 im SGB V etablierten Schiedspersonen Verwaltungsakte erlassen.1011 Die Einschätzung der Instanzgerichte war alles andere als einheitlich,1012 was auch mit Formulierungen im Gesetz zu tun hatte, die ur-sprünglich die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Festlegung des Vertragsinhalts

1006 BSG v. 27.11.2014 – B 3 KR 6/13 R, Rn. 15 ff.

1007 Das Bundessozialgericht beruft sich insoweit hier auf einen „allgemeinen Grundsatz“ (v. 27.11.2014 – B 3 KR 6/13 R, Rn. 22).

1008 BSG v. 27.11.2014 – B 3 KR 6/13 R, Rn. 30. Nur am Rande sei bemerkt, dass sich vergleichbare Prob-leme auch bei anderen Schiedseinrichtungen stellen: Mitunter wird auch der unparteiische Vorsitzende einer Schiedsstelle durch eine staatliche Behörde bestimmt (vgl. etwa § 111b Abs. 1 SGB V oder § 114 Abs. 2 SGB V).

1009 Zur Schiedsstelle nach § 114 SGB V vgl. etwa § 10 Abs. 1 der Hamburgischen Landesschiedsstellenver-ordnung.

1010 Vgl. hierzu auch BSG v. 25.11.2010 – B 3 KR 1/10 R, Rn. 37.

1011 Schnapp, NZS 2010, S. 241, 245 m.w.N.

1012 Hierzu BSG v. 25.3.2015 – B 6 KA 9/14 R, Rn. 28 mit zahlreichen weiteren Nachweisen.

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durch die Schiedsperson ausschlossen. Eine entsprechende Regelung macht nur Sinn, wenn es sich bei der Entscheidung um einen Verwaltungsakt handelt – denn nur Widerspruch und Klage gegen einen Verwaltungsakt haben gemäß § 86a Abs. 1 SGG aufschiebende Wirkung, die es nach § 86 Abs. 2 SGG auszuschließen gälte.1013 Für die in § 132a Abs. 2 SGB V a.F.

normierte Schiedsperson hatte das Bundessozialgericht bereits im Jahr 2010 entschieden, dass der Schiedsspruch einer Schiedsperson zur Vergütung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege kein Verwaltungsakt, sondern eine nach billigem Ermessen zu treffende öf-fentlich-rechtliche Leistungsbestimmung eines Vertragshelfers analog § 317 BGB sei.1014 Im Jahr 2015 erging dann eine sehr ausführliche Entscheidung zur Schiedsperson nach § 73b SGB V: Auch der Schiedsspruch, mit dem eine Schiedsperson den Inhalt eines Vertrags zur hausarztzentrierten Versorgung festsetzt, ergehe nicht als Verwaltungsakt.1015 Die Schieds-person sei keine Behörde; auch hier agiere sie vielmehr als Verwaltungshelfer entsprechend

§ 317 BGB.1016 Die Konsequenzen dieser – durchaus kritikwürdigen – Rechtsprechung1017 für die statthafte Klageart werden unterschiedlich beurteilt: Während der 3. Senat des Bun-dessozialgerichts im Jahr 2010 eine Ersetzungsklage nach § 132a Abs. 2 S. 6 SGB V a.F.

i.V.m. § 69 Abs. 1 S. 3 SGB V und §§ 317 Abs. 1, 319 Abs. 1 S. 2 BGB als Sonderform der Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG für statthaft hielt,1018 plädiert der 6. Senat in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2015 zur Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 SGG – Gerichte könnten keine „umfassenden Vertragswerke festsetzen, Regelungen über den Datenaustausch formulieren und die Beziehungen der Partner der Verträge untereinander vollständig regeln …“.1019 Mit Entschei-dung vom 23.6.20161020 hat der 3. Senat noch einmal sehr ausführlich zur statthaften Klage-art Stellung bezogen. Man hält zwar grundsätzlich an der Ersetzungsklage fest, betont aber nunmehr: „Als weitere Voraussetzung der Begründetheit der Ersetzungsklage muss das Gericht jedoch die Ersatzleistungsbestimmung durch Urteil vornehmen können.“1021 Ist das nicht möglich, weil es an einer „geklärten Tatsachengrundlage“ fehlt, sei die Ersetzungsklage zwar zulässig, aber unbe-gründet; dann käme allenfalls eine Feststellungsklage in Betracht, mit der der Kläger die Un-billigkeit des Schiedsspruchs geltend machen könne.1022

Zu all dem trifft das Gesetz keine Aussage – das wäre allerdings auch unüblich. Die Rechts-qualität einer angegriffenen Maßnahme ist stets nach allgemeinen Grundsätzen – vor allem

1013 Zum vergleichbaren Problem im Kontext der Schaffung der Schlichtungsausschüsse nach § 17c Abs. 4 KHG a.F. Felix, SGb 2015, S. 241.

1014 Ausführlich hierzu BSG v. 25.11.2010 – B 3 KR 1/10 R, Rn. 22 ff. Dabei stützt das Gericht seine Ein-schätzung allerdings auch auf die – wenig überzeugende – Unterscheidung von vertraglichem und gesetz-lichem Schiedsverfahren.

1015 BSG v. 25.3.2015 – B 6 KA 9/14 R, Rn. 25 ff.

1016 BSG v. 25.3.2015 – B 6 KA 9/14 R, Rn. 25.

1017 Hierzu ausführlich unter D. VI. 11.

1018 BSG v. 25.11.2010 – B 3 KR 1/10 R, Rn. 30.

1019 BSG v. 25.3.2015 – B 6 KA 9/14 R, Rn. 50.

1020 B 3 KR 26/15 R.

1021 BSG v. 23.6.2016 – B 3 KR 26/15 R, Rn. 21.

1022 BSG v. 23.6.2016 – B 3 KR 26/15 R, Rn. 26. Vgl. in diesem Kontext auch Rn. 50 zur – insoweit fehlen-den – Amtsermittlungspflicht der Schiedsperson. Letztlich zeigt auch die jüngste Entscheidung des Bun-dessozialgerichts zum Rechtsschutz gegen entsprechende Schiedssprüche die grundlegende Problematik dieser Form der Schiedseinrichtung auf (ausführlich hierzu gleich unter 11.): Die gesetzlichen Vorgaben sind „dürre“ und viele Detailfragen sind ungeklärt (so Shirvani, SGb 2017, S. 470, 472).

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anhand von § 31 SGB X – zu beantworten; und die Konsequenzen für den Rechtsschutz ergeben sich aus dem Sozialgerichtsgesetz. Wenn man der Auffassung folgt, dass es sich bei den Entscheidungen der Schiedsperson nicht um Verwaltungsakte handelt, ist jedenfalls auch ein Widerspruch gegen die Festsetzung unstatthaft.1023

Was der Gesetzgeber allerdings in einigen der Normen, mit denen er das Tätigwerden einer Schiedsperson vorgesehen hat, normiert hat, ist der Klagegegner: In den §§ 65c Abs. 6 S. 12, 73b Abs. 4a S. 5 und 125 Abs. 2 S. 10 SGB V ist jeweils bestimmt, dass sich die Klage gegen die Festsetzung gegen den oder die anderen Verhandlungspartner, nicht aber gegen die Schiedsperson richtet. Obwohl die §§ 39a, 127 Abs. 1a, 132, 132a, 132b, 132d, 132e, 132g und 211 SGB V zu diesem Thema schweigen, ist davon auszugehen, dass nie die Schieds-person selbst, sondern stets die andere Seite, mit der eigentlich eine Einigung erzielt hätte werden sollen, Klagegegner sein soll.1024

Die Kontrolldichte des Sozialgerichts ist aufgrund des Beurteilungsspielraums der Schieds-person beschränkt. Unabhängig davon, ob man diesen Spielraum aus den zur Überprüfung von Schiedsstellenentscheidungen1025 entwickelten Maßstäben ableitet oder aber auf das in

§ 317 Abs. 1 BGB normierte „billige Ermessen“ abstellt,1026 kann das Gericht nur prüfen, ob der Sachverhalt richtig ermittelt wurde, ein faires Verfahren stattgefunden hat und ob der bestehende Beurteilungsspielraum eingehalten wurde.1027