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Zeugen der Versöhnung im Leben aus der Freiheit

Teil 2: Versöhnung trotz Erinnerung?

2.1 Versöhnung in Gott

2.1.2 Zeugen der Versöhnung

2.1.2.2 Zeugen der Versöhnung im Leben aus der Freiheit

2.1Versöhnung in Gott 69 Die Gottesgerechtigkeit ist ausschließlich Gottes und der Mensch wird in sie hin-eingenommen.160 Der Mensch, der durch den stellvertretenden Sühnetod Jesu in Christus mit Gott versöhnt ist, steht in neuer Relation zu Gott, als ›neue Kreatur‹

vor Gott. Aber was bedeutet es konkret für den Menschen, als ›gerechtfertigter, von der Sünde befreiter und freier‹ Mensch zu leben?

Wenn Paulus davon spricht, wie der neue Mensch durch die Versöhnung in die Gerechtigkeit Gottes hineingenommen wird (2 Kor 5,21), so ist hier die entschei-dende Stelle beschrieben, an der der Versöhnte befreit wird zum individuellen und politischen Handeln. Diese Neuschaffung des Menschen begründet seine Freiheit zum Handeln neu. Dieser neue Mensch wird nämlich frei gemacht von der Hybris, gerade auch frei vom Vorurteil über den Anderen, und damit frei zum Handeln. Damit kann er in seiner neuen Freiheit einen Beitrag leisten, beispiels-weise zur Überwindung der Spaltungen in Korinth. Die Gottesgerechtigkeit schafft also die Freiheit des Menschen. Erst diese Freiheit gibt ihm die Möglich-keit zu einem neuen Verhalten gegenüber seinem Mitmenschen und gegenüber der Welt. Diese Freiheit zum Handeln stellt den Versöhnten aber auch in eine neue Verantwortung gegenüber dem Anderen und gegenüber der Welt.

2.1Versöhnung in Gott 70 insbesondere ins Gespräch mit Hans-Georg Geyer ein, der Luthers Paulusinter-pretation von der Freiheit eines Christenmenschen darstellt.

Hans-Georg Geyer untersucht den Begriff der Freiheit, die dem Menschen zuge-sprochen wird durch die Versöhnungstat Gottes.161 Dabei nimmt er zunächst den Weg entlang der philosophischen Tradition von Aristoteles (3. Buch der »Niko-machischen Ethik«), Kant, über Fichte zu Sartre und dann schließlich zur theolo-gischen Verortung des Begriffs der Freiheit. Bei seinen letzten Schritt stützt sich Geyer auf die Lehre Luthers von der menschlichen Freiheit, die aus der Kontro-verse zwischen Erasmus von Rotterdam und Martin Luther im Jahr 1525 entstan-den ist.162 Im Rahmen dieser Arbeit soll keine Darstellung der philosophischen Tradition versucht werden. Ich denke jedoch, dass eine kurze Erläuterung der Gedankengänge Hans-Georg Geyers über die Grundzüge des Begriffs der Frei-heit hilfreich sind, um die Verknüpfung zwischen der Versöhnungstat Gottes und dem ethischen Handeln des Menschen aufzuzeigen.

Geyer unterscheidet in seinen Vorüberlegungen zwischen technischer und mora-lischer Freiheit des Menschen, wobei er die Faktizität der technischen Freiheit nicht anzweifelt. Seinen Gedankengang bestimmt die »Wirklichkeit der morali-schen Freiheit als des Vermögens zur Wahrheit des Lebens«.163

Nach Luther habe Erasmus den freien Willen zur Fähigkeit erklärt, durch die der Mensch sich entweder zur Gnade Gottes bekehren oder von der Gnade abkehren könne. Gegen dieses Zutrauen insistiert Luther auf dem Gedanken, dass es ein-zig und allein Gott ist, der die Bestimmung seines Geschöpfes, auch und gerade gegen dessen Widerspruch, zum Ziele führt.164

»Die Alternative, die Luther gegen Erasmus aufstellt, ist mithin die Alternative zwischen der Freiheit des Menschen als Vermögen zur Wahrheit seines Lebens und der Gnade Gottes als der Zuwendung,

161 Hans-Georg Geyer, »Die christliche Freiheit. Norm und Freiheit«, 306-331.

162 Hans Georg Geyer, »Die christliche Freiheit. Norm und Freiheit«, 319-320. Zur Kontroverse zwischen Erasmus von Rotterdam und Martin Luther, siehe: Martin Luther, »De servo arbi-trio«, in: Otto Clemen (Hg), Luthers Werke in Auswahl, Band III, Berlin: 1962-68, 127, 24ff.

Gegen die humanistische These des freien Willens (liberum arbitrium) hat Luther kompro-misslos die evangelische Antithese vom unfreien Willen (servum arbitrium) verfochten, die nach seinem Schriftverständnis im Kontext der christlichen Lehre den Rang einer heilsnot-wendigen Wahrheit hat, sofern sie einen notwendige Folgerung aus der Erkenntnis Jesu Christi ist.

163 Hans-Georg Geyer, »Die christliche Freiheit. Norm und Freiheit«, 310.

164 Hans-Georg Geyer, »Die christliche Freiheit. Norm und Freiheit«, 321.

2.1Versöhnung in Gott 71 durch die Gott von sich aus den Widerstand des gefallenen Geschöp-fes gegen seine Heilsabsicht überwindet und diesen Willen zum Ziele führt. [...] Diese göttliche Befreiung des Menschen vom Gesetz sei-ner Freiheit bedeutet nicht etwa die Beseitigung der Freiheit, son-dern, so versteht es Luther, die Einsicht in das fiktive Wesen der selbstgewählten Freiheit auf Grund der Wirklichkeit der von Gott dem Menschen in Christus und durch sein Wort geschenkten neuen Frei heit.«165

Die Ausschließlichkeit, mit der Gott – wie Luther betont – durch sein Wort in Christus den Menschen für sich gewinnt, bedeutet die Aufhebung aller Notwen-digkeit für den Menschen, dass er durch sein eigenes Tun und Verhalten sich die Gerechtigkeit erwirbt, deren er zum wahrhaftigen Leben bedarf. Diese Gerech-tigkeit wird ihm vielmehr ohne eigenes Verdienst als die fremde GerechGerech-tigkeit Christi von Gott vollmächtig so zugesprochen, dass er aller Sorge und aller ei-genmächtigen Bemühungen um die Verwirklichung seines Wesens enthoben ist.166

Somit bedeutet diese von Gott geschenkte Freiheit für den Menschen, die Frei-heit vom Zwang der Selbstrechtfertigung, Bewahrung, Sicherung, Erhaltung und Steigerung dieser Gerechtigkeit, »weil es Gott selbst ist, der diese Versöhnung ein für allemal vollbracht hat«.167 Aus diesem Verständnis von Freiheit als Folge der Versöhnungstat Gottes lässt sich die Nächstenliebe wie auch die Feindesliebe verstehen. Geyer beschreibt sie als die bewusste Praxis, als die Ausübung der christlichen Freiheit. 168 Denn, wenn »es zum Wesen der christlichen Freiheit ge-hört, dem Nächsten nicht eine vorgefasste Meinung aufzunötigen, sondern wenn es zur der mit der christlichen Freiheit unlöslich verbundenen Liebe zum Nächs-ten gehört, von ihm selbst das ihm Notwendige und Erforderliche sich nennen zu lassen, dann wird es in der bewussten Praxis der christlichen Freiheit stets um kritische Diskussion mit dem Bewusstsein der jeweiligen Gegenwart gehen

müs-165 Hans-Georg Geyer, »Die christliche Freiheit. Norm und Freiheit«, 322. Siehe auch: Martin Lu-ther, »Von der Freiheit eines Christenmenschen«, in: Otto Clemen (Hg), Luthers Werke in Auswahl, Band II, 11, Berlin: 1962-68, 6.

166 Hans-Georg Geyer, »Die christliche Freiheit. Norm und Freiheit«, 232.

167 Hans-Georg Geyer, »Die christliche Freiheit. Norm und Freiheit«, 232.

168 Hans-Georg Geyer, »Die christliche Freiheit. Norm und Freiheit«, 329.

2.1Versöhnung in Gott 72 sen.«169

Ich komme zurück auf meine oben gestellte Frage, was es konkret für den Men-schen bedeutet, als ›gerechtfertigter, von der Sünde befreiter und freier‹

Mensch zu leben und ethisch zu handeln. Die Brücke von der Versöhnungstat Gottes hin zur menschlichen, bzw. ethischen Dimension möchte ich nun wie folgt beschreiben:

Cilliers Breytenbach zeigt auf, dass nach paulinischem Verständnis das Versöhnt-Sein in Gott gleichzeitig bedeutet, vor Gott gerechtfertigt zu sein. Er verweist auf die Parallelisierung von Versöhnung und Rechtfertigung bei Paulus. Vor Gott ge-rechtfertigt zu sein bedeutet also demnach nicht nur, als gege-rechtfertigter Sünder vor Gott zu stehen, sondern auch als versöhnter Mensch.

Gerechtfertigt zu sein bedeutet zugleich auch frei zu sein von Selbstrechtferti-gung. Dies bedeutet die Aufhebung aller Notwendigkeit für den Menschen, dass er durch sein eigenes Tun und Verhalten sich die Gerechtigkeit erwirbt, deren er zum wahrhaftigen Leben (Geyer, siehe oben) bedarf. Damit ist er auch befreit vom Zwang des Gesetzes oder der Norm. Der Ursprung dieser Freiheit, in wel-che der Mensch durch die Versöhnungstat Gottes gestellt wird, ist allein Jesus Christus.170 Da der Versöhnte nun ausschließlich aus dieser Freiheit leben kann, wird ihm ein neuer Zugang zum Nächsten, selbst zu seinem Feind eröffnet. Denn die christliche Freiheit nötigt keine vorgefasste – auch erinnerte - Meinung über den Nächsten auf, sondern ist unlöslich verbunden mit der Liebe zum Nächsten.

Dies wird besonders in den Abschnitten 2.3 und 3.2/3 dieser Arbeit konkretisiert werden, wo es zum einen um die (kollektive) Perspektive auf das Gegenüber und zum Anderen die kollektiv gespeiste Selbstwahrnehmung geht, die sich ständig am verzerrten Bild des Gegenüber zu orientieren droht.

Im Blick auf den Gegenstand dieser Arbeit erscheint daher die wiederherstellen-de Gerechtigkeit als Versöhnungsaspekt bei John wiederherstellen-de Gruchy etwas steil. wiederherstellen-de Gruchy stellt seine These auf das ›besondere Verständnis der Gerechtigkeit bei Paulus‹ im Rahmen seiner Rechtfertigungsbotschaft. Dieses besondere Verständ-nis sei das von der › wiederherstellenden Gerechtigkeit‹. Jedoch scheint mir zwi-schen der Rechtfertigung und der › wiederherstellenden Gerechtigkeit‹ ein

169 Hans-Georg Geyer, »Die christliche Freiheit. Norm und Freiheit«, 331.

170 Hans-Georg Geyer, »Die christliche Freiheit. Norm und Freiheit«, 324.

2.1Versöhnung in Gott 73 Brückenstück zu fehlen.

Die Gedankenführung von Hans-Georg Geyer scheint mir demgegenüber die Ein-zigartigkeit der Versöhnungstat Gottes nach Paulus besser festzuhalten. Somit betrachte ich es als möglich, das von Hans-Georg Geyer dargestellte lutherische Paulusverständnis im Bezug auf »Versöhnung« als Kritik an de Gruchy zu be-trachten.

Die Radikalität von der Gründung der Freiheit des Menschen in der Versöhnung wird schließlich bestätigt durch den schöpfungstheologischen Aspekt, auf den Gerhard Sauter verweist. Er blickt dabei auf die Worte des Paulus, der den Men-schen in dieser von Gott geMen-schenkten Freiheit durch die Versöhnungstat Gottes als »Neue Kreatur« beschreibt.171 Diese schöpfungtheologische Redeweise dient dem Ziel, sowohl die Zerissenheiten und Spaltungen als auch die jahrzehntelang kollektiv gespeisten unterschiedlichen Erinnerungen an die belastete Vergangen-heit in FreiVergangen-heit überwinden zu können.