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Vergebung und Erinnerung

Teil 2: Versöhnung trotz Erinnerung?

2.3 Gesellschaftliche Felder der Versöhnung

2.3.2 Vergebung und Erinnerung

2.3Gesellschaftliche Felder der Versöhnung 98 pans, das sich zum Eröffnungsspiel für die Fußballweltmeisterschaft 2002 Korea-Japan für die vergangenen Untaten der japanischen Kolonialmacht und für deren Folgen entschuldigte.253

Hier verweise ich auf den Anhang, der zahlreiche Erklärungen der ›Entschuldi-gung‹ (Apology, Sorry) oder des ›Bedauerns‹ (regrettable) beinhaltet. Der Ein-satz des japanischen Kaisers und der politischen Verantwortungsträger für eine – nach Hermann Lübbe so benannte – ›Zivilbußpraxis‹, sowie auch die positive Re-aktion des ›Gegenübers‹, also des (Süd)Koreanischen Präsidenten bzw. hochran-giger Regierungsmitglieder ist hoch zu schätzen. Allerdings zeigen sich im Ver-gleich zur Liste der Äußerungen japanischer Politiker zum Problem ›Militärtrost-frauen‹254 deutliche Unterschiede, wenn nicht gar Widersprüche. Es geht also im Grunde genommen nicht ›nur‹ um eine Entschuldigung, die auf eine Annahme wartet, sondern mehr um den Inhalt der Entschuldigung und die Erinnerung an deren Inhalt, was beides die symbolische Kraft der ›Zivilbußpraxis‹ zu entleeren droht.

2.3Gesellschaftliche Felder der Versöhnung 99 nennen, da in den vorigen Abschnitten deutlich dargestellt wurde, dass bereits im Prozess der Erinnerung anhand ihrer Eigenart von »Selektivität«, »Variabili-tät« und »Auslöschung der Erinnerung«255 eine Funktion von Vergessen bzw.

Verdrängen enthalten ist. Daher spitzt sich die schon gestellte Frage darauf zu, wie man sich erinnert, und warum man sich denn an schmerzliche Ereignisse immer noch erinnern soll.

Betrachtet man – auf gesellschaftlicher Ebene – die vielen Gedenktage und die damit verbundenen Zeremonien, so fällt zunächst einmal auf, dass es zur Verge-bung nicht zwingend notwendig ist zu vergessen. Ganz im Gegenteil, die Realität (Siehe Fallbeispiele in Teil 1) zeigt, dass mit einer einmaligen Aufhebung der

»Freund-Feind Dialektik ja nicht zu rechnen ist«256, selbst wenn doch einmal alles

›vergessen‹ sein sollte.

Im Rahmen dieser Problematik hat Paul Ricoeur den Zusammenhang von Verzei-hen und Vergessen dargestellt.257 Verzeihen ist nach ihm eine Form des aktiven Vergessens.258 So ist das Verzeihen zunächst einmal das Gegenteil des passiven Vergessens. Insofern verlangt es einen zusätzlichen Aufwand an ›Erinnerungsar-beit‹.259

Diese Erinnerungsarbeit betrifft allerdings nicht die Ereignisse selbst, deren Spur im Gegenteil sorgsam zu bewahren ist, sondern die Schuld, deren Last das Ge-dächtnis und folglich auch das Vermögen lähmt, in schöpferischer Weise die Zu-kunft zu entwerfen. Nicht das vergangene Ereignis, die verbrecherische Tat wird vergessen, sondern ihre Bedeutung und ihr Ort im Ganzen der Dialektik des ge-schichtlichen Bewusstseins.260 Im Anschluss an Ricoeur halte ich hier den Gedan-ken von Klaus-M. Kodalle für wichtig, der betont, dass Verzeihen (Vergeben) nie-mals dem Sachverhalt selbst gilt, sondern dem Täter, dem Schuldigen.261

Für das Verständnis der im Verzeihen notwendigen Erinnerungsarbeit greife ich

255 David Cohen, »Die Abrechnung der Sieger. Öffentliche Erinnerung und Kriegsverbrecherpro-zesse in Asien und Europa«, in: Christoph Cornelißen, Lutz Klinkhammer, Wolfgang Schent-ker(Hg), Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945, Frankfurt am Main:

Fischer Taschenbuchverlag, 2003, 51-66, hier: 52.

256 Klaus-M. Kodalle, a.a.O., 18.

257 Paul Ricoeur, Das Rätsel der Vergangenheit. Erinnern – Vergessen – Verzeihen, Göttingen:

Wallstein Verlag, 2002, 144-148.

258 Paul Ricoeur, a.a.O., 144.

259 Ebd.

260 Ebd.

261 Klaus-M. Kodallle, a.a.O., 5.

2.3Gesellschaftliche Felder der Versöhnung 100 zurück auf die These von Gesine Schwan, die als ersten Schritt zur Überwindung des Beschweigens »die Anerkennung der Tatsachen«262 nennt. In diesen Zusam-menhang gehören auch die Bemühungen der »Wahrheits- und Versöhnungs-kommission« in Südafrika, die bei der Gegenüberstellung von Tätern und Opfern höchsten Wert darauf legte, die Wahrheit zur Sprache zu bringen.263 Es geht also zunächst darum, an was man sich erinnert. An die Wahrheit. Doch wessen Wahrheit?

Wenn die Wahrheit zur Sprache gebracht werden muss, geht es nicht nur dar-um, die verhüllte oder verdrängte Wahrheit, die den Tatsachen entspricht, auf-zudecken, sondern auch darum, dass man in der Erinnerung versucht, einige Dinge aus der Vergangenheit aus seinem Gedächtnis zu verdrängen. Die in Teil 3 geschilderte Forschungsreise zu unterschiedlichen »Orten der Erinnerung«

wird zeigen, wie unterschiedlich die Auffassung der Wahrheit, bzw. der Tatsa-chen auf den jeweils gegenüberstehenden Seiten sein kann. Jan Buruma stellt hierzu in seinem Buch »Die Erbschaft der Schuld«264 einen Vergleich der Erinne-rungslandschaften von Deutschland und Japan dar, an denen der Eifer zur Be-wahrung der Tatsachen (Deutschland) auf der einen und auf der anderen Seite der Drang zur Verdrängung einiger Tatsachen (Japan) deutlich wird. Diese Aspekte werden in Teil 3 dieser Arbeit dargestellt.

Schwierig und schmerzhaft ist es, sich der eigenen Vergangenheit zu stellen und sich ihrer zu erinnern. Vielleicht noch schwieriger ist es, der Erinnerung Anderer

›wenigstens‹ sein Gehör – oder sogar seine Aufmerksamkeit und Zuneigung – zu schenken. Die Schwierigkeit wird noch gesteigert, wenn sich die Erinnerungen beider Seiten in einem krassen Kontrast gegenüber stehen.

Die Folgen, die aus einem ungeklärten »Was« und »Wie« der Erinnerung entste-hen, schildert Gesine Schwan im Hinblick auf die ›beschwiegene Schuld‹. Jan Buruma und Cristoph Cornelißen (und andere Herausgeber)265 stellen diese Fol-gen anhand der mangelnden VerganFol-genheitsbewältigung der Nachkriegszeit

Ja-262 Gesine Schwan, a.a.O., 161.

263 Wie wichtig dieser Aspekt sowohl für die Opfer als auch für die Täter ist, wurde oben anhand der Darstellung von Desmond Tutu und der Untersuchung von John de Gruchy beschrieben.

264 Jan Buruma, Die Erbschaft der Schuld. Vergangenheitsbewältigung in Deutschland und Ja-pan, München: Carl Hanser Verlag, 1994.

265 Christoph Cornelißen, Lutz Klinkhammer, Wolfgang Schentker (Hg), Erinnerungskulturen.

Deutschland, Italien und Japan seit 1945, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuchverlag, 2003.

2.3Gesellschaftliche Felder der Versöhnung 101 pans266 dar. Wulf-Volker Lindner erklärt die Folgen anhand der ›Schwierigkeit das Schweigen zu überwinden‹ bei der Wehrmachtsaustellung267 und ebenfalls in sei-nem Bericht268 über die Ergebnisse der Untersuchungen des israelischen Psycho-logen Dan Bar-On, der sich mit den Auswirkungen der Shoah auf die Kinder von Opfern und Tätern auseinander gesetzt hat.269 In allen Fällen wird ein »Abwehr-mechanismus« erkannt, der bei der Untersuchung über Israel als »Aggressions-verschiebung« (Bar-On) bezeichnet wird. Diese Verschiebung resultiert aus dem Versuch einer Antwort auf die Frage »Wo sind die Wut- und Rachegefühle ge-blieben?«.270 Aus den Untersuchungen von Gesine Schwan geht hervor, dass die Elterngeneration, die das Schweigen (bzw. Beschweigen) über ihre eigene Ver-gangenheit nicht überwinden konnte, auch keine normalen Beziehungen zu ihren Kindern aufbauen konnte. In der Beziehung zwischen Südkorea und Japan sieht eine Reihe von Forschern271 den Aspekt des »Abwehrmechanismus« in vielerlei Hinsicht bestätigt. In diesen Zusammenhang gehören:

die Überbetonung von ›Hiroshima‹, ohne gleichzeitig die Veranlassung für den Atombombenabwurf und den Aggressions- bzw. Invasionskrieg der Japaner zu berücksichtigen,

die Unkenntnis über die noch ausstehende Kompensation für die

asiati-266 Ausführlich darüber in Teil 3.

267 »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944« des Hamburger Instituts für So-zialforschung in den Ausstellungsräumen der Freien Akademie der Künste in Hamburg, 1.

Juni – 11. Juli 1999.

268 Wulf-Volker Lindner, »Vergessen, Verdrängen, Durcharbeiten. Zum Umgang mit der eigenen Geschich-te«, Zeitschrift für Mission, 3 (2005), 201-212.

269 Wulf-Volker Lindner, a.a.O., 209-212.

270 Wulf-Volker Lindner, a.a.O., 210-211: »In Anlehnung an den von Sigmund Freud beschriebe-nen Abwehrmechanismus der Identifikation mit dem Angreifer führt Bar-On aus, dass es in einer stark asymmetrischen Machtbeziehung, in der der Unterdrückte in vollkommener und traumatischer Weise vom Unterdrücker abhängig ist, erstens zu solchen unbewussten Identi-fizierungen mit dem Aggressor kommt, zweitens ein anderes Opfer zur Abfuhr der eigenen Aggressionen gesucht wird. [...] Auf dem Hintergrund dieser Untersuchungen stellt Bar-On nun die These auf, ›dass die entscheidende Zielgruppe der verschobenen Aggression jüdi-scher Israelis, die sich mit dem Holocaust konfrontiert sehen, die Palästinenser sind‹.«

271 Repräsentativ sind zu nennen: Jan Buruma, Die Erbschaft der Schuld. Vergangenheitsbewäl-tigung in Deutschland und Japan, München: Carl Hanser Verlag, 1994; Christoph Cornelißen, Lutz Klinkhammer, Wolfgang Schentker (Hg), Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuchverlag, 2003; Forian Coulmas, Hi-roshima. Geschichte und Nachgeschichte, München: Verlag C. H. Beck, 2005; Yagyû Kunichika,

»Der Yasukuni-Schrein im Japan der Nachkriegszeit. Zu den Nachwirkungen des Staatsshintô«, in: Chri-stoph Cornelißen, Lutz Klinkhammer, Wolfgang Schwentker (Hg), Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 2003, 243-256; Chung Jae-Jeong, »Die Schatten der Vergangenheit im südkoreanisch-japanischen Verhältnis«, in: Isa Ducke, Sven Saaler (Hg), Japan und Korea auf dem Weg in eine gemeinsame Zukunft. Aufgaben und Perspek-tiven, München: Iudicum Verlag, 2004, 89-106. und viele Andere.

2.3Gesellschaftliche Felder der Versöhnung 102

schen ehemaligen Militärtrostfrauen,

aber auch die Verdrängung der eigenen Untaten während des Koreakrie-ges auf Seiten der Südkoreaner. Auf diese Themen wird in Teil 3 näher eingegangen.

Dan Bar-On schließt seine These mit einer wichtigen Schlussfolgerung, die das oben erwähnte Problem von »Wie und Was soll erinnert werden« aufgreift. Er betont, es sei sinnlos, angesichts widersprechender Erinnerungen danach zu fra-gen, wer den Teufelskreis in Gang gesetzt habe. Überwunden werden könne er nur, wenn beide kollektiven Gedächtnisse272 gegenseitig anerkannt werden.273