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Symbolischer Akt der Versöhnung zwischen Gesellschaften

Teil 2: Versöhnung trotz Erinnerung?

2.3 Gesellschaftliche Felder der Versöhnung

2.3.1 Symbolischer Akt der Versöhnung zwischen Gesellschaften

Ein Volk oder eine Nation, also ein Kollektiv als ganzes, kann nicht eines Verbre-chens schuldig gesprochen werden.241 Wenn auf politischer Ebene eine Versöh-nung stattfinden soll, so muss dementsprechend auch eine Vergebung stattfin-den. Doch wie ist das möglich? Ein Kollektiv als ganzes kann höchstens politisch dafür haftbar gemacht werden, was es an Untaten in der Vergangenheit anderen Kollektiven angetan haben mag. Politische Haftung ist nicht gleichbedeutend mit Schuld daran sein, sondern die Verantwortung übernehmen. So ist man als Mit-glied einer Gruppe gleichzeitig MitMit-glied einer Verantwortungsgruppe.

Keiner kollektiven Gruppe – sei es eine Nation oder ein Volk oder eine ethnische Gruppe – kann eine Entschuldigung bzw. Sühne im moralischen Sinne aufge-zwungen werden. Es gibt jedoch Formen der kollektiven Entschuldigung, die Hermann Lübbe als eine Art Zivilbußpraxis242 beschreibt. Unverkennbar in diesem Kontext ist die religiöse Herkunft aus der Vergebung.243 Weiterhin folge ich Her-mann Lübbe, der den Gegenstand solcher Zivilbußpraxen

Menschheitsverbre-240 Herrmann Lübbe, Ich entschuldige mich. Das neue politische Bußritual, Berlin: Berliner Ta-schenbuchverlag, 2003, 7.

241 Karl Jaspers, Die Schuldfrage, München: Piper & Co. Verlag: 1979, 28

242 Hermann Lübbe nennt einige Fälle wie z.B. Willy Brandts berühmten Kniefall im Jahr 1970 in Warschau vor dem Mahnmal für die Ghetto-Opfer, die Rede von Bill Clinton, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika vom 23. März 1998 in Mukono, Uganda, u.v.a.

243 Hermann Lübbe, Ich entschuldige mich, 16.

2.3Gesellschaftliche Felder der Versöhnung 96 chen nennt, für die es keine Verjährungsfrist gibt. Die Unverjährbarkeit solcher Menschheitsverbrechen manifestiert ihre Singularität und begrenzt die juridi-schen Mittel. Doch durch die neue Zivilbußpraxis werden nun die Verbrechen, auf die sich diese Praxis bezieht, der Zuständigkeit gewöhnlichen Rechts entzo-gen und gänzlich dem moralischen Urteil anheimgegeben.244 Obwohl sich morali-sche Schuld nicht vererbt245, aber auch nicht verjährt246, kommen auf diese sym-bolische Weise kollektive Schuldeingeständnisse zustande. Es gibt zwar die Kon-tinuität der Kollektivsubjekte nicht, die über große Geschichtsräume hinweg mit-einander in moralischer und juridischer Absicht kommunizieren könnten. Den-noch bezieht man sich im Kollektiv auf diese Vergangenheit, da sie nicht einfach vergehen will.247So kann man den Sinn der Zivilbußpraxis darin sehen, dass man durch Schuldeingeständnisse (auf politischer Ebene in symbolischer Form durch Handlung und Zeichensetzung) von Vergangenheitslasten befreit werden kann.

Abgesehen von der symbolischen Kraft der Zivilbußpraxis, mit der der zugehöri-gen Gruppe sozusazugehöri-gen gezeigt werden kann, in welche Richtung es geht mit der Beziehung zum Gegner, haben im Rahmen dieser Praxis Ausgleichmaßnahmen, wie Wiedergutmachung oder auch Geldbußen, eine streitbeilegende Wirkung.248 Entschuldigungen sind normalerweise nur dann angemessen, wenn es sich um eine Entschuldigung für eine direkt begangene Tat handelt. Dasselbe gilt für den Adressaten, der ebenfalls das bzw. die direkten Opfer der in der Vergangenheit begangenen Tat sein sollte. In dem neuen Trend der Zivilbußpraxis kann man jedoch solche Formen klassischer Entschuldigung nicht finden. Es handelt sich vielmehr um politische und diplomatische Beziehungsverbesserungen, denen sich nicht verjährende moralische Schuld in den Weg stellt, wofür aber politische Verantwortung übernommen werden soll.

Die Zivilbußpraxis, wie sie von Hermann Lübbe beschrieben wird, hat die Wir-kung, das vergangene Geschehen in der Gegenwart aufzurufen (Vergangen-heitsvergegenwärtigung). Dadurch gibt sie für beide Seiten den Anstoß, sich der vergegenwärtigten Vergangenheit zu stellen. Mit Merkmalen religiöser Bußpraxis werden die Bitten um Entschuldigung geäußert, die wiederum mit derselben

244 Hermann Lübbe, Ich entschuldige mich, 86-87.

245 Gesine Schwan, Politik und Schuld. Die zerstörerische Macht es Schweigens, 124.

246 Hermann Lübbe, Ich entschuldige mich, 86.

247 Hermann Lübbe, Ichentschuldige mich, 89f, 32f.

248 Hermann Lübbe, Ich entschuldige mich, 31.

2.3Gesellschaftliche Felder der Versöhnung 97 Ernsthaftigkeit erwidert werden müssen.

Welche Kraft diese haben und welche Zukunftshoffnungen und –pläne sich da-mit erschließen lassen, erkennt man an den Folgen des Kniefalls von Willy Brandt (Siehe oben Anm.136) oder auch an der gemeinsamen Erklärung des da-maligen südkoreanischen Präsidenten Kim Dae-Jung und des japanischen Pre-mierministers Obuchi Keizo im Jahr 1998.

Die Kraft der Symbolik liegt nicht in der praktizierten Zivilbußpraxis selbst. Sie gibt vielmehr nur den Anstoß und weist in die Richtung, in die sich ein Kollektiv erst einmal mühsam durchdringen muss249. Dafür haben diese symbolischen Zei-chensetzungen – nach Klaus-M. Kodalle – als »magische Gesten« ein ganz eige-nes Gewicht, das dazu beiträgt, Eindrücke im kollektiven Bewusstsein zu erzie-len, die sich nicht so leicht vergessen lassen. Jedoch entstehen die faktischen positiven Wirkungen erst durch Folgemaßnahmen auf der Ebene der praktischen Politik.250Als Beispiele sind zu nennen:

Am 6. September 1984 trafen sich der damalige japanische Kaiser Hirohito und der südkoreanische Präsident Chon Doo-Hwan während seines Staatsbesuches in Japan und sie verlasen gemeinsam eine sorgfältig erarbeitete und vorbereitete Erklärung, die als symbolische Handlung der Bitte um Vergebung und deren An-nahme gelten sollte. Der bekannte japanische Theologe Kosuke Koyama ver-stand dies tatsächlich als unwiederholbaren Vergebungsakt.251 Allerdings blieb diese symbolische Handlung nicht ohne Kritik, da in dieser Erklärung lediglich der Ausdruck des »Bedauerns« Japans verwandt wurde.252 Danach war es zwar nicht der japanische Kaiser, der sich dieser neuen Zivilbußpraxis weiterhin ange-schlossen hat, aber es war wenigstens ein Mitglied der kaiserlichen Familie

Ja-249 Klaus-M. Kodalle, Verzeihung nach Wendezeiten?, Antrittsvorlesung an der Friedrich-Schiller-Universität Jena am 2. Juni 1994, Jena: Verlag Palm & Enke, 1994, 13.

250 Z.B.: Ostpolitik, Gegenseitige Öffnung für Kulturgüter zwischen Korea und Japan.

251 Kosuke Koyama, »Forgiveness and Politics. The Japanese Experience, in: Asia Journal of Theologiy, 6, 1992, 1, 20.

252 Kosuke Koyama, »Forgiveness and Politics. The Japanese Experience«, in: Asia Journal of Theology, 6, 1992, 1, 20: »At the official reception held for the visiting President Chon Doo Hwan of the Republic of Korea on September 6. 1984, Emperor Hirohito of Japan read from a carefully prepared statement: It is regrettable that there was an unfortunate past between us for a period in this century and I believe that it should not be repeated; The expression ›it is regrettable‹ in both original and Japanese and in English translation suggest that something inexorably happened, quite apart from any human action or responsibility.«

2.3Gesellschaftliche Felder der Versöhnung 98 pans, das sich zum Eröffnungsspiel für die Fußballweltmeisterschaft 2002 Korea-Japan für die vergangenen Untaten der japanischen Kolonialmacht und für deren Folgen entschuldigte.253

Hier verweise ich auf den Anhang, der zahlreiche Erklärungen der ›Entschuldi-gung‹ (Apology, Sorry) oder des ›Bedauerns‹ (regrettable) beinhaltet. Der Ein-satz des japanischen Kaisers und der politischen Verantwortungsträger für eine – nach Hermann Lübbe so benannte – ›Zivilbußpraxis‹, sowie auch die positive Re-aktion des ›Gegenübers‹, also des (Süd)Koreanischen Präsidenten bzw. hochran-giger Regierungsmitglieder ist hoch zu schätzen. Allerdings zeigen sich im Ver-gleich zur Liste der Äußerungen japanischer Politiker zum Problem ›Militärtrost-frauen‹254 deutliche Unterschiede, wenn nicht gar Widersprüche. Es geht also im Grunde genommen nicht ›nur‹ um eine Entschuldigung, die auf eine Annahme wartet, sondern mehr um den Inhalt der Entschuldigung und die Erinnerung an deren Inhalt, was beides die symbolische Kraft der ›Zivilbußpraxis‹ zu entleeren droht.