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Beharrung in der Opfermentalität

Teil 3: Versöhnung, Vergebung und Schuld zwischen Südkorea und Japan

3.2 Wie Geschichtsdarstellungen die Geschichte neu schreibt

3.2.2 Die Bösen waren immer die anderen, oder: man konnte doch gar nicht anders

3.2.2.1 Beharrung in der Opfermentalität

Koreanische Opfermentalität nach 1945

Korea sieht sich nach wie vor als Opfer des japanischen Kolonialismus und des Zweiten Weltkrieges und beharrt auf dieser Perspektive auch in inneren Angele-genheiten, nämlich bei seiner Interpretation des Koreakrieges. Gegenwärtig lau-fen Bemühungen, Kriegsverbrechen der Amerikaner aufzudecken, doch die eige-nen werden nach wie vor tabuisiert. Wie das Massaker vom 3. April 1948 in Jeju als Fallbeispiel für das Verständnis von Han gezeigt hat (siehe Teil 1, 4.3 Fallbei-spiel für Han.), wurde selbst das Sonderkomitee für die Verfolgung und Untersu-chung der Kollaboration mit der japanische Kolonialmacht abgeschafft. Seitdem zieht sich die koreanische Tabuisierung dieser Themen fort.

Die Opfermentalität nach 1945 in Korea erzeugt innerhalb des Volkes einen überaus starken patriotischen Zusammenhalt, was zu verschiedenen Anlässen teilweise für blinde Wut und Patriotismus sorgt (siehe Teil 1, 1.4.3 Fallbeispiel für Han). Andererseits scheint das Opfer-Dasein der Koreaner große Müdigkeit erzeugt zu haben. Während meiner Forschungsreise konnte ich gelegentlich auch eine heftige Ablehnung der Debatte über Vergangenheitsbewältigung erle-ben. Es sei einfach genug!

Dass sich eine ausgeprägte Opfermentalität auch dadurch ausdrücken kann, dass sie die Unterdrückung durch eine Diktatur akzeptiert oder dass sie

zumin-336 Kenichi Mishima, Fehlende »Vergangenheitsbewältigung in Japan. Der Versuch einer Erklä-rung«, www.uni-muenster.de/PeaCon/wuf/wf-95/9521901m.htm , (26.12.2006)

337 Mishima Ken’ichi, »Generationswechsel und Erinnerungskulturen in Japan«, in: Christoph Corneließen, Lutz Klinkhammer, Wolfgang Schwentker (Hg), Erinnerungskulturen. Deutsch-land, Italien und Japan seit 1845, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 2003, 344-358, hier: 344.

3.2Wie Geschichtsdarstellungen die Geschichte neu schreibt 143 dest als Basis für die Kontrolle des Volkes dienen kann, das zeigt die Geschichte Südkoreas von 1948 bis 1992. Während dieser Zeit wurde dem Volk immer wie-der klar gemacht, dass es damals zu schwach war, sich selbst zu verteidigen.

Demnach sollte das Land aber nun – in der Zeit der Diktatur - eine starke Füh-rung haben, die alles unter Kontrolle hat.338

Japanische Opfermentalität nach 1945

Die Debatten über die japanische Kriegsschuld, die innerhalb Japans – wenn überhaupt – von den 1950er bis zu den frühen 1980er Jahren geführt wurden, zeichnen sich dadurch aus, dass sie keinerlei Bezug hatten zur außenpolitischen Abwicklung der Kriegsvergangenheit durch die Regierung Japans339.

Hinzu kommt, dass im Zentrum der Rückbesinnung auf die unmittelbare Vergan-genheit des Zweiten Weltkrieges die vorwiegend privaten Erinnerungen an den Krieg und die Fixierung auf die eigenen Opfer standen.340 So wurde in den 1950er und 1960er Jahren das Bild, das die Japaner vom Krieg hatten, entschei-dend durch die so genannten Kriegsgeschichten (senkimono) ehemaliger Stabs-offiziere und einfacher Soldaten beeinflusst.

Den Nährboden für diese Sicht der Geschichte lieferten die überwältigenden Er-fahrungen, die sich aus den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki herleiteten. So wurden die Debatten über Krieg und Frieden ausschließlich aus der Opferperspektive geführt. »Das Selbstverständnis des Volkes als Opfer der Staatshandlung (Siehe oben »Die Bösen waren immer die andern, oder: man konnte ja gar nicht anders«) ermöglichte eine schnelle Identifikation mit den Atomopfern, erkauft durch Ignoranz gegenüber den Opfern der japanischen In-vasion.«341 Die ausdrückliche Opferperspektive kann man schon an den Kriegs-museen erkennen, die im Abschnitt »Hiroshima und Nagasaki« geschildert wur-den. Die große Zeittafel, die im Friedensmuseum von Hiroshima ausgestellt ist, zeigt daher auch nicht den gesamten Ablauf des Krieges, sondern nur die

Ent-338 Vgl. »Concluding Remarks« im Museum von Nanjing. (Siehe Anmerkung: 136)

339 Volker Furth, Erzwungene Reue. Vergangenheitsbewältigung und Kriegsschulddiskussion in Japan 1952-1998, Hamburg: Verlag Dr. Kovač, 2002, 41.

340 Wolfgang Schwentker, »Die Grenzen der Entzauberung. Zur Rolle des Tennô in Staat und Gesellschaft Japans nach 1945«, in: Christoph Corneließen, Lutz Klinkhammer, Wolfgang Schwentker (Hg), Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 2003, 123-138, hier: 10.

341 Kenichi Mishima, Fehlende »Vergangenheitsbewältigung in Japan. Der Versuch einer Erklä-rung«, www.uni-muenster.de/PeaCon/wuf/wf-95/9521901m.htm, (26.12.2006)

3.2Wie Geschichtsdarstellungen die Geschichte neu schreibt 144 wicklung der Atombombe und deren Abwurf auf Hiroshima.

Einen weiteren optimalen Nährboden für die Opfermentalität der Japaner liefer-ten die amerikanische Besatzung und das Internationale Militärtribunal des Fer-nen Ostens (IMTFE, International Military Tribunal in Far East). Das IMTFE wird in Japan weiterhin als »krasse Form der »Siegerjustiz« betrachtet«.342 Kaiser Hi-rohito als Oberbefehlshaber der Armee und damit der Hauptverantwortliche wur-de nicht vor Gericht gestellt. Jedoch ist ohne die Rolle wur-des Kaisers die japanische Befehlsstruktur im Krieg nicht zu verstehen343,und auch die damit verbundenen Probleme können nicht verstanden werden, die die Opfermentalität der Japaner im Nachhinein prägten und stärkten. Denn nur die Generäle und nicht der Kaiser wurden vor Gericht für den Krieg verantwortlich gemacht. Daraus entstand das Bild des Märtyrertums der Verurteilten. Wenn selbst der Kaiser nicht für den Krieg und die Kriegsverbrechen verantwortlich war, konnten somit auch seine Untertanen nicht verantwortlich sein bzw. für schuldig erklärt werden. Absicht der amerikanischen Besatzungsbehörden war es, den Kaiser als Stabilisierungs-faktor zum raschen Aufbau der japanischen Gesellschaft zu nutzen.344 »Mit eini-gen sophistischen Umdeutuneini-gen des modernen Verfassungsrechts gelang es Yoshida und seinen Mitstreitern, die Frage nach der Souveränität und Herr-schaftsgewalt dahingehend zu lösen, dass man erklärte, sie liege selbstverständ-lich beim Volk in seiner Gesamtheit, also auch beim Tenno.«345 So wurde ermög-licht, dass der Tenno (der japanische Kaiser) weiterhin seine Rolle erfüllen konn-te.

Dieses Verfahren zeigte seine Folgen unmittelbar im Jahr 1952, als die Satzung der Hinterbliebenenvereinigung dahingehend geändert wurde, dass auch die

Fa-342 David Cohen, »Öffentliche Erinnerung und Kriegsverbrecherprozesse in Asien und Europa«, in: Christoph Cornelißen, Lutz Klinkhammer, Wolfgang Schwentker (Hg), Erinnerungskultu-ren. Deutschland, Italien und Japan seit 1945, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Ver-lag, 2003, 51-66, hier:54.

343 Franziska Seraphim, »Kriegsverbrecherprozess in Asien und globale Erinnerungskulturen«, in:

Christoph Cornelißen, Lutz Klinkhammer, Wolfgang Schwentker (Hg), Erinnerungskulturen.

Deutschland, Italien und Japan seit 1945, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 2003, 77-94, hier: 82.

344 Wolfgang Schentker, »Die Grenzen der Entzauberung. Zur Rolle des Tenno in Staat und Ge-sellschaft Japans nach 1945«, in: Christoph Cornelißen, Lutz Klinkhammer, Wolfgang Schwentker (Hg), Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 2003, 123-138, hier: 124, 127.

345 Wolfgang Schentker, a.a.O., 130. Ähnlich auch Amado Yu, Karl Barths Ethik der Versöh-nungslehre. Ihre theologische Rezeption in Japan und ihre Bedeutung für die kirchlich-gesell-schaftliche Situation in Japan, Frankfurt am Main: Peter Lang, 1994, 166.

3.2Wie Geschichtsdarstellungen die Geschichte neu schreibt 145 milien von hingerichteten Kriegsverbrechern eintreten konnten. Somit wurde der Weg in den Yasukuni-Schrein auch für die Seelen der hingerichteten Kriegsver-brecher geebnet und sie damit nahtlos in die Reihe der Kriegstoten eingeordnet und als nationale Helden ohne Rücksicht auf individuelle Taten gefeiert.346

3.2.2.2 Es geht um weit mehr als ›nur‹ um Unterrichtsbücher