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2. Stand der Forschung

2.4. Studie II: Neurotransplantation

2.4.4. Zellen für die Neurotransplantation

Aus den früheren Parkinson-Studien ist bekannt, dass die Verwendung von Vorläuferzellen gegenüber der Verwendung von adulten Neuronen bzw. Zelllinien aussichtsreicher sein

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könnte, da immature Precusorzellen nach Transplantation höhere Überlebensraten zeigen (BJÖRKLUND u. LINDVALL 2000). Es ist nicht abschließend geklärt, wie lange GABAerge Zelllinien in der Lage sind post transplantationem zu überleben und langfristig GABA freizu-setzen (SHETTY 2011). Eine mögliche Erklärung für die in einigen Untersuchungen beobachtete, transient antikonvulsive Wirkung könnte sein, dass die Zellen bald nach Trans-plantation apoptotisch werden oder aus bisher nicht geklärten Gründen die GABA-Produktion einstellen.

Bisher gibt es insgesamt wenige Studien zur Transplantation GABAerger Precursoren in die SNr bzw. keine zur Transplantation in den STN. Zumeist wurde der Hippokampus als Ziel-region ausgewählt. Neben den zuvor beschriebenen fetalen Zellen, die aus dem Hippokampus selbst isoliert wurden, haben in den letzten Jahren vermehrt Transplantationen mit striatalen Vorläuferzellen stattgefunden: Seit Ende der 90er ist bekannt, dass Zellen des ventralen Sub-palliums des Telencephalons während der Gehirnentwicklung u.a. in den Kortex, Basal-ganglienregionen, Hippokampus und Bulbus olfactorius wandern und dort GABAerge Projektions- und Interneurone bilden (DE CARLOS et al. 1996; TAMAMAKI et al. 1997;

ANDERSON et al. 1997). Diese Regionen werden als mediale und laterale ganglionische Eminenz (MGE bzw. LGE) bezeichnet (ANDERSON et al. 2001). Die Zellen der MGE gelten als Hauptquelle kortikaler GABAerger Interneurone (LAVDAS et al. 1999; SUSSEL et al. 1999; WICHTERLE et al. 2001). Besonders das hohe Potential zu Migration lässt vermuten, dass sich die Zellen in geschädigten Arealen integrieren bzw. sich dort ansiedeln, wo sie für eine Wiederherstellung des funktionellen Netzwerkes nützlich sein könnten (ANDERSON u. BARABAN 2012). Die Zellen migrieren nach Transplantation zwischen 1 und 5 mm im Nagergehirn (WICHTERLE et al. 1999; SEBE u. BARABAN 2011). Die Arbeitsgruppe um Scott BARABAN et al. (2009) transplantierte MGE-Vorläuferzellen in den Kortex sehr junger Mäuse (P2) und beobachtete, dass die Zellen 60 Tage nach Transplantation noch lebten, in dieser Zeit bis zu 3 mm migrierten und zu 69 % in GABAerge Interneurone differenziert waren. Sie wiesen alle Charakteristika nativer Interneurone auf (ähnliches Entladungsmuster), erhöhten die tonischen und phasischen GABA-Ströme im Gehirn und bildeten inhibitorische Synapsen. Eine Verpflanzung dieser Zellen in genetisch-epileptische Mäuse (Knockout eines Kalium-Kanals, Kv1.1-/-) führte zu einer An-fallsreduktion um 86 % (BARABAN et al. 2009). Es wurden weder eine Tumorbildung noch

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unerwünschte Verhaltensänderungen bei den Tieren beobachtet. In einem chemischen Modell für akute Anfälle durch Pilokarpin konnte belegt werden, dass die signifikant antikonvulsive Wirkung der transplantierten MGE-Zellen vergleichbar mit der Wirkung verschiedener Antiepileptika (Valproat, Phenobarbital, Carbamazepin) war (ANDERSON u. BARABAN 2012). ZIPANCIC et al. (2011) verursachten im Mausmodell durch Ablation einer GABAergen Subpopulation von Neuronen durch ein neurotoxisches Saporin eine verminderte synaptische Inhibition, die nach MGE-Zelltransplantation in den anterioren und posterioren Hippokampus wiederhergestellt werden konnte. Zudem wirkten die Zelltransplantate antikon-vulsiv nach intraperitonealer Applikation von PTZ. Ein Jahr nach Transplantation konnten noch 20 % vitale Zellen nachgewiesen werden (ZIPANCIC et al. 2010).

Auch in Rattenmodellen wurden MGE-Vorläuferzellen erfolgreich transplantiert und zeigten eine funktionelle Integration und erhöhte Inhibition (HATTIANGADY et al. 2011). Die Gruppe um Ashok Shetty hat in einem chronischen Epilepsiemodell verschiedene neuronale Precursorzellen aus Rattenfeten in die CA3 des Hippokampus adulter Ratten transplantiert.

Zunächst verwendete die Gruppe LGE-Vorläuferzellen. Diese werden hauptsächlich zu Projektionsneuronen u.a. des Striatums und Bulbus olfactorius (WICHTERLE et al. 2001).

Aus LGE-Vorläuferzellen differenzierten sich nach Transplantation in die hippkampale CA3 zu einem hohen Prozentsatz GABAerge Neurone (69 %), was sie neben den MGE-generierten Zellen ebenfalls interessant für unsere Transplantationsversuche macht (HATTIANGADY et al. 2008). Durch den Zusatz eines Wachstumsfaktors („Fibroblast-Growth-Factor 2“, FGF-2) und eines Apoptosehemmers (Caspase-1-Inhibitor) in-vitro konnte ein langanhaltender antikonvulsiver Effekt nach Transplantation der LGE-Zellen erzielt werden (HATTIANGADY et al. 2008). So vorbehandelte Zellen wurden 4 Tage nach einem Status epileptikus in die CA3 des Hippokampus transplantiert. In einer Gruppe von Tieren konnte noch 9 bzw. 12 Monate nach Operation eine Anfallsreduktion von 67 % bzw. 89 % im Vergleich zu Kontrolltieren, die ebenfalls einen Status epileptikus, aber keine Zelltransplantation erfahren hatten, nachgewiesen werden. 33 % der Zellen hatten langfristig im Gehirn überlebt (HATTIANGADY et al. 2008).

Des Weiteren verwendete auch die Arbeitsgruppe Shetty die zuvor genannten MGE-Vorläuferzellen. Anstelle der Verwendung frisch gewonnener MGE-Vorläufer wurden diese zunächst in-vitro als neurale Stammzellen („neural stem cells“, NSC) unter Zusatz bestimmter

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Proliferationsfaktoren als sogenannte Neurosphären kultiviert (WALDAU et al. 2010). Über einen Zeitraum von drei Monaten konnte in chronisch epileptischen Tieren nach Transplantation eine Reduktion der Anfallsfrequenz (43 %) und -dauer (51 %) beobachtet werden. Mit 10 % der transplantierten MGE-NSCs machten auch hier die GABAergen Zellen den größten Anteil der Neurone aus, allerdings ließen sich etwa 50 % der Zellen als Astrozyten klassifizieren und waren positiv für den „Glial-derived neurotrophic factor“

(GDNF). GDNF ist im epileptischen Gewebe signifikant weniger vorhanden (WALDAU et al. 2010) und besitzt selbst antikonvulsive Eigenschaften (KANTER-SCHLIFKE et al. 2007), so dass ein Vorteil in der Verwendung von MGE-Stammzellen demzufolge darin liegt, dass sie neben GABAergen Interneuronen auch GDNF-positive Astrozyten hervorbringen (HATTIANGADY et al. 2007). Stammzellen sind ideale Transplantate insofern, dass sie sich vergleichsweise einfach in-vitro expandieren lassen und somit beinahe unlimitiert vorliegen (SHETTY u. HATTIANGADY 2007a).

Erste klinische Transplantationsstudien mit Vorläuferzellen bei epileptischen Menschen wur-den unter Verwendung fetaler, porciner Zellen durchgeführt, was trotz vielversprechender, antikonvulsiver Effekte aufgrund einer erhöhten Infektionsgefahr mit Retroviren des Schweines zunächst nicht weiter verfolgt wurde (SCHACHTER et al. 1998). Durch die immensen Fortschritte in der Stammzellforschung, wie etwa die kürzlich mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Induktion pluripotenter Stammzellen aus adulten körpereigenen Zellen (GURDON 1962; TAKAHASHI u. YAMANAKA 2006), wird möglicherweise sogar eine autologe Neurotransplantation eine zukunftsnahe Option für einen translationalen Ansatz in der Tier- und Humanmedizin. Offen bleibt, ob die beschriebenen, langfristigen Effekte sich auf andere Zielregionen wie die Basalganglien übertragen lassen.

2.4.4.2. NT2-Zellen

Vergleichend zur Transplantation hauptsächlich GABAerger Zellen wurden außerdem einer-seits humane NT2-Vorläuferzellen und anderereiner-seits adulte NT2-Neuronen transplantiert, die eine Mischkultur darstellen und somit neben GABA auch noch andere Neurotransmitter sekretieren. Bei NT2-Zellen handelt es sich um eine humane Teratokarzinom-Zelllinie, die 1984 aus einem Hodentumor isoliert wurde (ANDREWS et al. 1984). Die Zellen können mit-hilfe bestimmter Zusätze innerhalb von etwa 7 Wochen in adulte Neurone differenziert

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den (ANDREWS et al. 1984; ANDREWS 1984; LEE u. ANDREWS 1986; PLEASURE et al.

1992). Differenzierte Neurone gleichen nativen Neuronen in ihrer Morphologie, der Expres-sion neuronaler Marker, ihrer Fähigkeit funktionelle Synapsen auszubilden und ihrer Sekre-tion und Antwort auf Neurotransmitter (PLEASURE et al. 1992; MUNIR et al. 1995;

PAQUET-DURAND u. BICKER 2007). Von der Arbeitsgruppe um Professor Bicker konnte ein Differenzierungsprotokoll erarbeitet werden, mit dem sowohl die Kultur von NT2-Zellen in einem Vorläuferstadium, als sogenannte “spherical aggregates”, analog der oben beschrie-benen Neurosphären-Kultur durchgeführt werden kann, als auch die Generierung postmito-tischer Neurone in kürzerer Zeit (4 Wochen) (PAQUET-DURAND et al. 2003). Adulte NT2-Neurone stellen eine heterogene Population dar, die verschiedene Neurotransmitter wie GABA, Glutamat, Dopamin, Acetylcholin und Serotonin sezernieren kann (ZELLER u.

STRAUSS 1995; YOSHIOKA et al. 1997; FISCHER et al. 2000; GUILLEMAIN et al. 2000;

IACOVITTI et al. 2001). Im Anschluss an die Differenzierung mit dem von der Arbeits-gruppe Bicker entwickelten Protokoll sind die NT2-Neurone zu etwa 40 % glutamaterg, zu 35 % cholinerg, zu 15 % GABAerg und zu 2 % serotonerg (PODRYGAJLO et al. 2009). Die Kulturen enthalten weniger als 5 % Kontamination mit undifferenzierten, aber postmito-tischen Zellen (PODRYGAJLO et al. 2009). Mit den adulten Neuronen wurden bereits zahl-reiche Transplantationsstudien in Krankheitsmodellen für Parkinson, amyotrophe Lateral-sklerose, Hirntraumata und Schlaganfall durchgeführt: Es konnte in Sicherheits- und Mach-barkeitsstudien gezeigt werden, dass die Zellen sich erfolgreich experimentell im Nagerhirn und in klinischen Studien im humanen Gehirn integrieren; in keiner der Studien sind bisher Tumore ausgehend von den transplantierten Zellen aufgetreten (TROJANOWSKI et al. 1993;

KLEPPNER et al. 1995; GARBUZOVA-DAVIS et al. 2002; SAPORTA et al. 2002;

RAVINDRAN u. RAO 2006; KONDZIOLKA et al. 2005; ZHANG et al. 2005). Die genann-ten Charakteristika belegen daher den großen Wert der NT2-Modellneurone für experimen-telle und klinische Forschung. NT2-Zellen könnten eine stets verfügbare Quelle an Neuronen für Transplantationen darstellen (PAQUET-DURAND u. BICKER 2007). In-vitro ist es gelungen, durch Zusatz spezifischer Wachstumsfaktoren oder Ko-Kulturen mit anderen Zel-len bestimmte Subtypen, wie etwa vermehrt dopaminerge oder cholinerge Neurone zu gene-rieren (IACOVITTI et al. 2001; SCHWARTZ et al. 2005; LUO et al. 2006; ZELLER u.

STRAUSS 1995). Hervorzuheben ist, dass besonders der Vergleich der GABAergen

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Vorläuferzellen mit den NT2-Vorläufern interessant ist, da gezeigt werden konnte, dass das Wirtsmilieu entscheidend für die terminale Differenzierung der NT2-Vorläufer ist (MIYAZONO et al. 1996; SAPORTA et al. 2000).

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