• Keine Ergebnisse gefunden

2. Stand der Forschung

2.1. Epilepsie

2.1.1. Definition und Bedeutung

Epilepsien sind durch wiederkehrende, spontane Anfälle zentralen Ursprungs charakterisiert.

Ein epileptischer Anfall ist in der Regel eine vorübergehende Phase abnormaler, übermäßiger oder synchroner Aktivität im Gehirn (FISHER et al. 2005). Diese kann sich je nach Anfalls-fokus im Gehirn und der lokalen oder generalisierten Ausbreitung der Anfallsaktivität im zentralen Nervensystem unterschiedlich darstellen. Eine präzise Klassifizierung des Anfalls-typs, der Ursache, des Alters des Patienten bei Erstauftreten der Anfälle, auslösender Faktoren und elektroenzephalographischer Befunde ist für die erfolgreiche Therapie unerlässlich. Man unterscheidet fokale von generalisierten Anfällen (BERG et al. 2010). Fokale Anfälle treten nur in definierten Hirnregionen auf, während sich bei primär generalisierten Anfällen die epi-leptische Aktivität von Anfang an über beide Hirnhemisphären ausbreitet. Etwa 60 % der neu diagnostizierten Epilepsien sind durch fokale Anfälle charakterisiert, oft kommt es jedoch während eines fokalen Anfalls zu einer sekundären Generalisierung (HAUSER et al. 1993;

BANERJEE u. HAUSER 2008). Man unterscheidet weiterhin einfach-fokale Anfälle mit Er-halt des Bewusstseins von komplex-fokalen Anfällen mit Bewusstseinsbeeinträchtigung. Ein Anfall hat klinisch verschiedene Erscheinungsbilder, neben Krämpfen, die sich als atonisch, myoklonisch, tonisch, klonisch oder tonisch-klonisch darstellen, treten auch sogenannte Absencen auf, bei denen lediglich eine kurze Bewusstseinspause mit anschließender, vorübergehender Amnesie zu beobachten ist (WESTBROOK 2000).

Um die Diagnose Epilepsie bei einem Patienten zu stellen, genügt ein epileptischer Anfall in Kombination mit weiteren Befunden, die auf eine Prädisposition für Epilepsie hinweisen (FISHER et al. 2005). Sowohl beim Menschen als auch beim Hund kommen Epilepsien mit einer Prävalenz von etwa 1 % in der Bevölkerung bzw. der Hundepopulation vor (ENGEL et al. 2003; LÖSCHER 1997). Die Ursachen für epileptische Anfälle können vielfältig sein. Sie reichen von symptomatischen Epilepsien, bei denen die Entstehung der Epilepsie auf eine Grunderkrankung, wie etwa einen Gehirntumor, zurückzuführen ist, über idiopathische Epi-lepsien, bei denen genetische Faktoren als Auslöser der Epilepsie diskutiert werden. Des

12

Weiteren bezeichnet man Epilepsien als kryptogen, wenn weder eine pathologische noch eine genetische Ursache festgestellt werden kann (ENGEL 2006).

2.1.2. Alternative Therapien

In der Regel ist die erste therapeutische Intervention die systemische Einnahme von Anti-epileptika. Wie eingangs erwähnt, ist neben dem Auftreten von Nebenwirkungen die Pharma-koresistenz, die bei mindestens einem Drittel der Patienten auftritt, ein stark limitierender Faktor für den Erfolg der Behandlung (SCHMIDT u. LÖSCHER 2005; ROGAWSKI u.

HOLMES 2009). Pharmakoresistenz bedeutet, dass der Patient nach Behandlungsversuchen mit zwei verschiedenen Antiepileptika, in Monotherapie oder in Kombination, keine anhaltende Anfallsfreiheit erreicht (KWAN et al. 2010). Mit dem Einsatz moderner Antiepileptika kann bei 10-20 % der zuvor als pharmakoresistent eingestuften Patienten Anfallsfreiheit erreicht werden (LUCIANO u. SHORVON 2007). Trotzdem kann der Mehrheit der pharmakoresistenten Epilepsiepatienten noch nicht mit medikamenteller Therapie geholfen werden. Die Konsequenzen sind schwerwiegend: Beim Hund führt eine pharmakoresistente Epilepsie aufgrund mangelnder Therapiemöglichkeiten häufig zur Euthanasie und damit zu einer verminderten Lebenserwartung (BERENDT et al. 2007). Beim menschlichen Patienten treten neben Einschränkungen im Alltag, wie etwa beim Führen von Kraftfahrzeugen, gehäuft Komorbiditäten wie Depressionen und Angststörungen auf (TELLEZ-ZENTENO et al. 2007). Zusätzlich kommt es bei einem Teil der Patienten zu Ver-haltensauffälligkeiten oder Lern- und Gedächtnisdefiziten (POST 2004). Die Lebenserwar-tung sinkt (RYVLIN u. KAHANE 2003).

Die bislang erfolgreichste Behandlung neben der Pharmakotherapie besteht in der chirurgischen Resektion des Anfallsfokus: Seit 2001 ist durch eine randomisierte Langzeit-studie belegt worden, dass die resektive Chirurgie der rein medikamentösen Therapie überle-gen ist (WIEBE et al. 2001). Hierfür wurden 80 pharmakoresistente Patienten in zwei Grup-pen eingeteilt; eine Gruppe wurde medikamentös behandelt, die anderen Patienten unterzogen sich einer Fokusresektion mit anschließender (geringerer) Einnahme von Antiepileptika. In der Medikamentengruppe erreichten nach einem Jahr lediglich 8 % Anfallsfreiheit gegenüber 58 % in der Operationsgruppe. Zusätzlich stuften die operierten Patienten ihre Lebensqualität signifikant höher ein. Aufgrund der mit diesem schwerwiegenden Eingriff verbundenen

Risi-13

ken oder wegen eines multifokalen Ursprungs der epileptischen Anfälle ist allerdings nicht jeder Patient für diese Therapie geeignet (NILSEN u. COCK 2004).

Eine weitere, erst kürzlich zugelassene Option ist die tiefe Hirnstimulation des anterioren Thalamus. Die tiefe Hirnstimulation geeigneter Hirnregionen wird bereits seit Jahren erfolg-reich in der Therapie von Schmerz- und Bewegungsstörungen eingesetzt (NGUYEN et al.

2011; FASANO et al. 2012).

Neben der zentralen Stimulation wird klinisch auch die periphere Stimulation des 10. Hirn-nervs (Nervus vagus) durchgeführt. Diese Behandlungen können bei bis zu 40 % der Patien-ten zu einer deutlichen Senkung der Anfallsfrequenz führen (BOON et al. 2009; NITSCHE u.

PAULUS 2009; FISHER et al. 2010). Die vagale Stimulation führt auch beim pharmakoresis-tenten Hund zu einer Anfallsreduktion um etwa 35 % (MUNANA et al. 2002). Allerdings ist noch relativ wenig zu Risiken einer solchen Behandlung als Dauertherapie bekannt, und es mangelt an verblindeten, groß angelegten klinischen Studien. Ein Problem stellt zum Beispiel die Verblindung bei Vagusstimulation dar, da die Patienten die Impulse wahrnehmen können.

Sowohl die tiefe Hirnstimulation als auch die Stimulation des Nervus vagus sind in ihrer Effektivität gegenüber der konventionellen medikamentösen Therapie nicht überlegen (LÖSCHER 2009b).

Die ketogene Diät, eine sehr fettreiche, kohlenhydratarme Ernährung, die vor allem bei Kin-dern eingesetzt wird, kann etwa bei einem Drittel der Patienten eine bis zu 90 %ige Anfalls-reduktion hervorrufen (KOSSOFF u. RHO 2009). Diese Diät ist allerdings eher als komplementäre denn als alleinige Therapie einsetzbar; sie ist mit viel Verzicht und gesund-heitlichen Risiken verbunden (GROESBECK et al. 2006; ENGEL u. MOSHÉ 2009). Alle weiteren Ansätze, wie etwa die Untersuchung von anderen, effektiveren Applikationsrouten alternativ zur systemischen Gabe von Antiepileptika, Zell- und Gentherapie oder auch hormonelle Intervention befinden sich noch im experimentellen Stadium. In meiner Arbeit habe ich mich mit der fokalen bzw. gerichteten Therapie beschäftigt.

2.1.3. Tiermodelle

Neue therapeutische Ansätze werden u.a. in Versuchstiermodellen getestet, da die komplexe Verschaltung epileptischer Anfallsaktivität und ihre vielfältigen endo- und exogenen Ein-flüsse oft nicht zufriedenstellend in alternativen Systemen wie etwa Zellkulturmodellen

nach-14

zubilden sind (RAOL u. BROOKS-KAYAL 2012; STEWART et al. 2012). Die in der Epilepsieforschung verwendeten Tiermodelle lassen sich grob in zwei Hauptgruppen unter-teilen: Zum einen werden schnelle und sehr sensitive Screening-Methoden verwendet, um beispielsweise das antikonvulsive oder prokonvulsive Potential bestimmter Substanzen in der Wirkstoffentwicklung zu testen (LÖSCHER 2011). Diesen Modellen ist gemeinsam, dass epileptische Anfälle i.d.R. akut ausgelöst werden, d.h. die Versuchstiere zeigen keine sponta-nen Anfälle und keine pathologischen Veränderungen des Gehirns (LÖSCHER 1999). An-fälle werden mithilfe systemisch oder fokal verabreichter, prokonvulsiv wirkender Substanzen oder durch elektrische Stimulation ausgelöst. Ein viel verwendetes, akutes Anfallsmodell ist der Pentylentetrazol-Anfallsschwellentest, kurz PTZ-Test (LÖSCHER 2009a; LÖSCHER 2011), der in der vorliegenden Arbeit verwendet wurde (s. Abschnitt 4.2). Weiterhin sind Mo-delle etabliert, die möglichst genau die klinische Situation des Epilepsiepatienten widerspie-geln sollen. Hierfür ist neben dem Auftreten wiederholter, spontaner Anfälle mit einem Anteil pharmakoresistenter Tiere auch eine Pathologie der beteiligten Hirnregionen ein Kriterium (s. Abschnitt 2.2.3.), um die Translation gewonnener Erkenntnisse im Tiermodell auf den humanen Patienten übertragen zu können (COULTER et al. 2002). Modelle, mit denen dies zum Teil erreicht wird, nutzen einen selbsterhaltenden Status epileptikus als Hirninsult, der elektrisch oder chemisch, mithilfe prokonvulsiver Substanzen, induziert wird und nach einer gewissen Latenzzeit zu spontanen Anfällen führt (LÖSCHER 1997). Bisher steht kein Modell zur Verfügung, das alle Kriterien zufriedenstellend erfüllt (SLOVITER 2008; SLOVITER 2009; RUBIO et al. 2010; LÖSCHER 2011). Für die Überprüfung der Wirksamkeit eines neuen Therapieansatzes, in diesem Fall der fokalen Therapie, ist auch die Determination einer geeigneten Applikationsroute entscheidend. Um fokal therapieren zu können, müssen zu-nächst geeignete Hirnregionen als Zielstrukturen identifiziert werden.