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3. PARADIGMATISCHE WORTBILDUNGSANALYSE: THEORETISCHE FRAGEN

3.2 Wortbildungskategorien und Komponentenanalyse

W ir sind bislang stets davon ausgegangen, daß die Wortbildungskategorien die letzten Einheiten der Inhaltsebene sind, m it denen das Wortbildungssystem einer Sprache operiert. Viele Oppositionen in den Wortbildungsparadigmen legen jedoch nahe, auch diese Einheiten in Teileinheiten zu zerlegen. Man betrachte dazu Paare wie

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repišče 1Rübenfeld׳ :: repnjak ‘Kraut, Blätter der Rübenpflanze׳

sveklovišče ,Zuckerrübenfeld' :: svekol’nik ‘Rübensuppe’

goroxovišče '(abgeemtetes) Erbsenfeld’ :: goroxovina ,der Erbsenstengel m it Blättern, das Erbsenstroh’.

Es bietet sich an, ein abstraktes Merkmal wie [± lok(al)] zu postulieren, um den gemeinsamen semantischen Kern der Ableitungen der linken Spalte (alles Bezeich- nungen fü r Felder, auf denen die betreffende Pflanze angebaut wurde) zum Ausdruck zu bringen und sie von den Ableitungen der rechten Spalte zu differenzieren.

Entsprechend könnte man durch ein Merkmal wie [± a rt(ifiz ie ll)] die beiden A blei־

tungen kotlovan ‘Baugrube’ und kotlovina ,Kesselschlucht’ voneinander abgrenzen;

etc. Eine solche Notation würde zudem erlauben, die semantische Verwandtschaft zwischen Ableitungen verschiedener Wortbildungskategorien, die sonst unvermittelt nebeneinander stünden, direkt zum Ausdruck zu bringen: kartofljanišče ‘(abgeemte- tes) K a rto ffe lfe ld ’ und kartofelexraniliäce ,Kartoffelm iete’, gusjatnik ,Gänsestall’ und gusjatnica ,Gefäß zum Braten von Gänsen’ würden z.B. alle das Merkmal [+loc|

teilen, das Ableitungen w ie kartofelevod ,Spezialist für Kartoffelanbau’ und gusevod ,Gänsezüchter' fehlt.

G anz neu w äre ja ein solches V e rfa h re n im B e re ich der W o rtb ild u n g sle h re n ich t;

a lle rd in g s w aren es b isla n g vo rw ie g e n d p rä fix a le A b le itu n g e n , d ie im G e fo lg e der berü hm ten U n te rsu ch u n g von R. J a k o b s o n zum Kasussystem des Russischen nach binären M e rk m a le n k la s s ifiz ie rt w urden ( v a n S c h o o n e v e ld 1978, FLIER 1975, G a l l a n t 1979). A m liebsten setzt man solche M e rk m a le fü r d ie Randbereiche des W o rtb ild u n g s s y s te m s an, d ie m it H ilfe der syn ta ktisch d e fin ie rte n W o rtb ild u n g s - kategorien n ic h t m ehr erfaßt w erden können: c f. etwa die U nterscheidung von

kategorialen und sekundären M e rkm a le n bei BUZÁSSYOVÁ 1974: 51-71 oder den B e g r iff d e r qualifikativen M e rk m a le bei R e v z in a 1969: 19sqq. D ie A n a ly s e ‘ von W o rtb ild u n g sb e d e u tu n g e n d urch d is tin k tiv e sem antische M e rk m a le ist a lle rd in g s in le tz te r Z e it a u f h e ftig e K r it ik gestoßen, c f. J a n d a 1986: 27-32 und D e b a t y - L u c a , d e r dieser Frage e in eigenes K a p ite l seiner A rb e it gew idm et hat ( D e b a t y - L u c a

1986: 281-292).

W ir wollen die Argumente der Gegner der Komponentenanalyse hier nicht wiederho- len, sondern an einem Beispiel aus unserem eigenen Material aufzeigen, warum die Darstellung der Inhaltsseite von W ortbildungskategorien m it H ilfe elementarer semantischer Merkmale nur einen scheinbaren Gewinn m it sich bringt. Man betrachte dazu die W ortbildungskategorie, der Ableitungen wie abrikosovka, klubnikovka, limonovka etc. angehören -- Bezeichnungen für hausgemachte Branntweine und Liqueure (‘A prikosenliqueur’, ,Erdbeerbranntwein’, ‘Zitronenbranntwein’). Die W ort- bildungsbedeutung dieser Ableitungen könnte man ansatzweise in folgende Elemente zerlegen:

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A ls erstes brauchte man ein Merkmal, um alle Ableitungen, denen eine metony- mische Beziehung zugrundeliegt (limonarij ,Pflanzstätte für Zitronen'), von A bleitun- gen abzugrenzen, denen eine metaphorische Beziehung zugrundeliegt (limonka 1zitronenförm ige Handgranate’); in der Kategorie der metonymischen Ableitungen müßte man dann durch ein eigenes Merkmal Personen- von Gegenstandsbezeichnun- gen voneinander unterscheiden (vinogradar ,W inzer׳ vs. vinogradnik ,W einberg׳);

aus den Gegenstandsbezeichnungen könnte man Bezeichnungen fü r Nahrungsmittel (limonad ,Limonade1) ausgliedem, um schließlich durch ein letztes, sehr spezifisches Merkmal die Opposition zwischen limonad und limonovka zum Ausdruck zu bringen.

Kürzt man diese vier Merkmale als [± mtn, ± hum, ± ali, ± vin] ab, so erhält man für limonovka die Kombination [+m tn, -hum, +ali, + vin], fü r limonad die Kom bina- tion [+m tn, -hum, +ali, -vin], für limonarij und vinogradnik die Kom bination [+m tn, -hum, -ali, -vin] und für vinogradar die Kom bination [+m tn, +hum, -a li, -vin ].

Geht man nun andere Merkmalskombinationen durch, so überzeugt man sich sehr bald, daß die meisten unter ihnen nicht nur in den W ortbildungsparadigmen des Russischen nicht belegt, sondern auch sachlich unmöglich sind. Keine A bleitung kann zugleich [+hum, +ali] (Bezeichung fü r eine Person, die als Nahrungsmittel dient) oder [-a li, +vin] sein (ein Branntwein, der kein Nahrungsmittel ist). Im plika- tionsbeziehungen dieser A rt können durch keine auch noch so abstrakte Analyse vermieden werden; sie sind ein Anzeichen dafür, daß die Zerlegung der W o rtb il- dungskategorien in elementare Einheiten nur scheinbar stattgefunden hat: ein M erk- mal wie [+ vin] enthält genauso viel semantische Inform ation wie die entsprechende W ortbildungskategorie. Den Zusammenhang zwischen unseren W ortbildungsparadig- men hat man sich als ein Baumdiagramm vorzustellen, in dem jede Verzweigung ein eigenes Oppositionssystem eröffnet: Personenbezeichnungen können nach Geschlecht, Bezeichnungen fü r Räumlichkeiten nach den Tätigkeiten, die in ihnen stattfinden, Bezeichnungen fü r Nahrungsmittel nach Alkoholgehalt bzw. A rt der Herstellung differenziert werden. Eine Übertragung der Gliederungsprinzipien von einem Zweig dieses Diagramms auf einen anderen ist selten m öglich; die Einführung elementarer semantischer Merkmale in die Analyse der W ortbildungskategorien führt — um die Term ini von Za l iz n j a k 1967: 6-9 zu benutzen - nicht zu einer universellen, sondern zu einer baumförmigen Klassifikation. Rein technisch ist es zwar im m er möglich, eine baumförmige Klassifikation durch Uminterpretation der M erkmale in eine universelle umzuwandeln; das ergibt aber massive Verletzungen des N atürlich- keitsprinzips. Aber auch dort, wo einzelne Merkmale auf natürliche Weise von einer Ableitungsgruppe auf eine andere übertragen werden können, braucht das Ergebnis nicht unbedingt sinnvoll zu sein: nichts kann nämlich gewährleisten, daß eine Unter- Scheidung, die z.B. im Bereich der Personenbezeichnungen durch eine formale Opposition zum Ausdruck gebracht w ird, dieselbe Relevanz auch im Bereich der Gegenstandsbezeichnungen aufweist. Eine Zerlegung in elementare semantische Merkmale hätte hier eine Überdifferenzierung der W ortbildungskategorien zur Folge.

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W ir schließen also, daß nicht elementare semantische Merkmale, sondern W ort- bi !dungskategorien jene Einheiten sind, m it denen das Wortbildungssystem operiert;

ihre semantische Zerlegung ist vom Standpunkt der W ortbildung aus irrelevant -־ sie stellt bestenfalls ein (recht unhandliches) M itte l dar, um die Wortbildungskategorien aufgrund ihrer semantischen Verwandtschaft in übergreifende Gruppen einzuteilen.

Diese letztere Aufgabe ist allerdings nicht sinnlos; in der einen oder anderen Form kehrt sie in vielen W ortbildungsarbeiten wieder. W ir werden deshalb im nächsten Kapitel das wichtigste K riterium behandeln, nach dem im Bereich der desubstantivi- sehen Ableitungen eine solche Einteilung vorgenommen werden kann: den Gegensatz zwischen den metaphorischen und den metonymischen Ableitungsbeziehungen.