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3. PARADIGMATISCHE WORTBILDUNGSANALYSE: THEORETISCHE FRAGEN

3.4 Die Behandlung der Beziehungsadjektive

Den Terminus Beziehungsadjektiv werden w ir im folgenden unterschiedslos für alle desubstantivischen Adjektive gebrauchen. Diesen A djektiven liegt näm lich stets die Vorstellung einer wie auch immer gearteten Beziehung zwischen dem Grundwort und dem durch das A djektiv bestimmten Substantiv zugrunde (cf. WARREN 1988); nur durch seine vollständige Demotivierung hört ein solches A d je ktiv auf, Beziehungs- adjektiv zu sein. Die Unterscheidung von Beziehungs- und Qualitätsadjektiven innerhalb der Kategorie der desubstantivischen A djektive, wie sie allgemein üblich ist (etwa lesistyj im Gegensatz zu lesnoj), bedient sich teils morphologischer (B il- dung von Steigerungsformen, Bildung von nomina qualitatis), teils syntaktischer Kriterien (Fähigkeit, in prädikativer Stellung aufzutreten); ob sie vom W ortbildungs- standpunkt aus sinnvoll ist, d.h. ob es keine W ortbildungskategorien gibt, die sowohl Qualitäts- als auch Beziehungsadjektive i.e.S. enthalten, kann erst nach Abschluß der Analyse beurteilt werden.

Die besondere Stellung des Beziehungsadjektivs im W ortbildungsparadigma ergibt sich daraus, daß es erst in Verbindung m it einem bestimmten Substantiv eine v o ll- ständige Benennung ergibt. Von den oben erwähnten onomasiologischen Bestand- teilen des abgeleiteten Wortes: der onomasiologischen Basis und dem onomasiolo- gischen M erkm al, ist die Basis im A dje ktiv ausgespart; lediglich seine Flexions- endung verweist auf die so entstandene Leerstelle, schließt sie jedoch nicht, w ie etwa der Vergleich des Adjektivs gorbatyj m it dem Substantiv gorbun zeigt (cf. die treffenden Bemerkungen bei HEINZ 1956: 266sq.). Das Beziehungsadjektiv ve rtritt also in den m it seiner H ilfe gebildeten Mehrwortbenennungen lediglich das onoma- siologische Merkmal, das man sich wie immer aus onomasiologischem M o tiv und onomasiologischer Kopula zusammengesetzt denken kann; in suffixalen Ableitungen w ird das onomasiologische Merkmal auf das onomasiologische M o tiv reduziert (kartofelnyj sup), in Komposita ist darüber hinaus die onomasiologische Kopula

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durch ein Kemmorphem oder einen abgeleiteten Wortstamm (kartofeleuborocnyj kombajn) vertreten.

Auch Verbindungen desubstantivischer Adjektive m it Substantiven lassen sich danach einteilen, ob die zugrundeliegende Beziehung metaphorisch oder metony- misch ist (HEINZ 1956, 1957). Metaphorisch sind z.B. bokalcatyj stakan, sto־

poroobraznyj rog, kuvsinnyj sapog, loiecnoe sverlo, tareločnaja čečevica; metony- misch sind flja in y j cexolt gorsecnyj zavod, goršečnoe pivo, sitnaja mukaf podnosnyj master, rjumočnaja nozkat pestovaja golovka, tareločnaja podstavka (die zitierten Fügungen stammen alle aus den benutzten Wörterbüchern und sind heute zum größten T e il veraltet; ihre Bedeutung läßt sich aus der Bedeutung der Bestandteile leicht erschließen).

In vielen Fügungen tritt die im vorangehenden Kapitel behandelte D ialektik metapho- rischer und metonymischer Beziehungen zutage, z.B.

petusinyj golos *Stimme, die an einen Hahnenschrei erinnert' o rlin y j nos 1Adlernase״

sokolinye oči Talkenaugen*

Solche Verbindungen weisen sowohl eine metaphorische als auch eine metonymische Komponente auf, die man sich auf zwei Stufen verteilt denken kann:

orel --[m tn ]— k lju v -[m p h ]-- nos

Eine bestimmte Schnabelform w ird durch Verweis auf den Vogel, der sie aufweist, identifiziert, um anschließend als Vergleichsobjekt fü r die menschliche Nase zu dienen.

Eine solche Zerlegung läßt das Verhältnis zwischen der metaphorischen und der metonymischen Komponente in orlinyj nos selbst metonymisch erscheinen. Die Leichtigkeit, m it der solche Verbindungen gebildet und verstanden werden, und ihre formale Einfachheit (sie weisen schließlich nicht zwei, sondern ein S uffix auf) suggerieren eine metaphorische Interpretation des Verhältnisses der beiden Kompo- nenten: w ir hätten es demnach m it einer einfachen Beziehung zu tun, die bei der semantischen Analyse bald ihre metaphorische, bald ihre metonymische Seite her- vorkehrt. Beide Interpretationen sind le g itim .“

Die Spezifik der Beziehungsadjektive bringt es m it sich, daß sich das Problem der Bestimmung ihrer Wortbildungsbedeutung auf zweifache Weise stellt:

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a) Abgrenzung auf der paradigmatischen Achse. Hierbei ist zu entscheiden, ob zwei (oder mehrere) Beziehungsadjektive eines Wortbildungsparadigmas zu ein und derselben oder aber zu verschiedenen W ortbildungskategorien gehören. Das Prinzip der Relevanz verlangt, daß eine Zuordnung zu verschiedenen W ortbildungskategorien nicht einfach nach einer mehr oder weniger deutlich empfundenen Bedeutungsver- schiedenheit, sondern nach Oppositionen erfolgt, die durch Substitution in identi- sehen Kontexten erm ittelt werden. Im Falle des Beziehungsadjektivs besteht dieser Kontext nicht nur aus der Ableitungsbasis, sondem auch aus den Substantiven, die m it den abgeleiteten Adjektiven verbunden werden können. So genügt etwa die Opposition pyl'nyj :: pylevoj *staubig :: Staub־' fü r sich genommen noch nicht, um die Zugehörigkeit der beiden A djektive zu verschiedenen W ortbildungskategorien zu beweisen. Es muß darüber hinaus (mindestens) ein Substantiv genannt werden kön- nen, das m it beiden Adjektiven verbunden w ird und die Bedeutungsopposition zwischen ihnen illustriert: pyl'nye očki :: pylevye očki (‘staubige B rille :: Staubschutz- b rille ״), cf. pyl'nyj/pylevoj ventiljator, pyl'nye/pylevye casticy (alle Beispiele nach Z e m s k a ja 1991: 154; zum Verhältnis zwischen den Suffixen -ov- und -л- cf. Z em - S K a ja 1965). Nur auf diese Weise kann ein Paar wie pyl'nyj/pylevoj von jenen Fällen unterschieden werden, in denen sich zwei Beziehungsadjektive in ihrer lexikalischen K om patibilität unterscheiden und unter deren E influß auch eigene Bedeutungs- nuancen entwickeln, jedoch nie in ein und demselben Kontext zueinander in Opposi- tion treten.

b) Abgrenzung auf der syntagmatischen Achse. Hierbei geht es um die Frage, welchen Anteil das Beziehungsadjektiv und welchen A nte il das davon bestimmte Substantiv am Zustandekommen der Gesamtbedeutung einer Mehrwortbenennung besitzen. Es ist offensichtlich, daß manche Beziehungsadjektive den Mehrwortbenen- nungen, in die sie eingehen, viel stärkere Beschränkungen auferlegen als andere:

durch ein A djektiv wie butylkomoeenyj *Flaschenspül1־ ist eine spezifische metony- misch-situative Beziehung vorgegeben, ein A dje ktiv wie śtoporoobraznyj ‘spiralför- m ig״ kann dagegen nur metaphorische Beziehungen ausdrücken, bei denen die Form des Gegenstandes, den die Ableitungsbasis bezeichnet, als tertium comparationis g ilt.

Dagegen ist durch visnexyj noch nicht einmal der elementare Charakter der Bezie- hung zwischen den beiden Substantiven bestimmt: diese kann ja metaphorisch w ie in visnevyj barxat ‘kirschroter Samt״ oder metonymisch wie in višnevyj sad ,Kirsch- garten* sein. Allgem ein g ilt: je unterschiedlicher die Beziehungen sind, die ein bestimmtes A djektiv in Verbindung m it verschiedenen Substantiven ausdrücken kann, desto niedriger muß der Beitrag dieses Adjektivs zur Semantik der Gesamt*

Verbindung veranschlagt werden (es sei denn, man entschließt sich dazu, mehrere homonyme .Adjektivform en anzusetzen; zur Frage der W ortbildungshom onym ie kehren w ir in Kap. 3.5.2 zurück).

Verläßliche Aussagen über die Wortbildungsbedeutung adjektivischer Ableitungen könnten nur auf der Grundlage eines umfangreichen Korpus vorgenommen werden;

das Material der Wörterbücher, die in diesem Bereich zudem besonders unzuverlässig sind (siehe Z em skaja 1977), reicht dazu keineswegs aus. W ir haben deshalb im folgenden die meisten Dubletten, die in diesem Bereich auftreten (apelsinovyj und apelsinnyj, abrikosovyj und abrikosnyj etc.) zu ein und derselben W ortbildungs- kategorie zusammengefaßt, d.h. als synonym behandelt. Stichproben m it einzelnen Fügungen ergeben meist, daß der Austausch des einen A djektivs gegen das andere von Muttersprachlern entweder abgelehnt oder als semantisch irrelevant angesehen w ird; diese Frage bedarf allerdings weiterer Untersuchungen.