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Witt Seelsorge im Konflikt

Im Dokument Confessio im Konflikt (Seite 22-54)

Zur konfessionellen Selbst- und Fremdwahrnehmung in Bellarmins Kontroversen

1. Hinführung

Die kontroverstheologische Auseinandersetzung zwischen römisch-katholi-schen und lutherirömisch-katholi-schen Theologen gehört zu den zentralen Strukturmerkma-len der Universitätstheologie beider Konfessionskirchentümer nicht nur, aber auch und vor allem des 16. und 17. Jahrhunderts, ihre publizistischen Erzeug-nisse sind Legion. Dies rührt in erster Linie daher, dass frühneuzeitliche Kon-troverstheologie keineswegs auf eine bestimmte Gattung beschränkt blieb, obgleich sie einer ganzen Disziplin frühneuzeitlicher Theologie ihren Namen gab. Sie fand mit ihren – tiefgreifende theologische Reflexionsprozesse dauer-haft dynamisierenden und insofern vielfach konstruktiven – Fragestellungen und Herausforderungen Aufnahme und Ausdruck besonders, wenn auch kei-neswegs ausschließlich in religionspolemischen Streitschriften1. Kontrovers-theologie setzt dabei »eine konfessionelle Grundentscheidung voraus, fragt nach dem konkreten Dissens im theol[ogischen] Diskurs und will die Streit-fragen austragen«2. Zum Verständnis dieses äußerst vielschichtigen, durch theologisch-dogmatische Grenzziehung zur ideengeschichtlich komplexen konfessionellen Identitätsstiftung maßgeblich beitragenden Betätigungsfelds sind zuerst einmal zwei Voraussetzungen wesentlich: Zum einen gilt es, sich die politischen und rechtlichen Hintergründe der scharf geführten Debat-ten zu vergegenwärtigen. Sodann ist es notwendig, sich zugleich die inhalt-liche Füllung und die argumentative Bedeutung der religiös-konfessionellen Selbstwahrnehmung und der daraus resultierenden Fremdwahrnehmung der beteiligten Denker exemplarisch zu verdeutlichen. Dabei ist

grundsätz-1 Eine literaturgeschichtliche Einordnung frühneuzeitlicher interkonfessioneller Pole-mik unternimmt Kai Bremer, Religionsstreitigkeiten. Volkssprachliche Kon troversen zwischen altgläubigen und evangelischen Theologen im 16.  Jahrhundert, Tübin-gen 2005, S.  3–66. Interessante Fallstudien zur Vielschichtigkeit polemischer Stra-tegien über die Gruppe der religionspolemischen Streitschriften hinaus bieten die Beiträge in Nathalie Szczech u.a. (Hg.), Usages et stratégies polémiques en Europe (XIVe – premier XVIIe siècles), Brüssel u.a. 2016.

2 Erwin Fahlbusch, Art. Kontroverstheologie, in: EKL 2 (1989), Sp. 1422.

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lich festzuhalten, dass kontroverstheologisch motivierte und stets in ihren politisch-rechtlichen Verflechtungen zu betrachtende interkonfessionelle Po- lemik mitnichten als schlichter und flächendeckender Ausweis eines streit-süchtigen Konfessionalismus oder eines bornierten Dogmatismus zu stehen kommt. Ganz im Gegenteil: Sie ist als veritable, oftmals scharfsichtige und methodisch-inhaltlich reflektierte theologische Selbstbehauptungsanstren-gung angesichts als bedenklich oder gar bedrohlich eingestufter Herausforde-rungen zu werten3, die sich nicht kurzerhand in vereinfachende und wertende Schemata wie das von »böser Polemik« und »guter Irenik« pressen lässt 4.

Im Anschluss an den Augsburger Religionsfrieden, der die religiös-kon-fessionelle Spaltung reichsrechtlich festschrieb, um die Einheit des Heiligen Römischen Reiches zu sichern, erwuchsen die sich bildenden konfessionel-len Lager allmählich zu machtvolkonfessionel-len, miteinander nun dauerhaft konfron-tierten und konkurrierenden geistlich-theologischen Parteien. Die mit dem Religionsfrieden einhergehende Verrechtlichung des Konfessionskonflikts entschärfte mithin die Spaltung zwar juristisch durch Aufrichtung einer pari-tätischen Religionsverfassung; theologisch hingegen verfestigte und vertiefte sie den Konflikt, gerade weil Bekenntnis und Politik zu einer inneren Einheit verwachsen waren. Um es zusammenzufassend zu sagen:

3 Vgl. dazu Hans Leube, Kalvinismus und Luthertum im Zeitalter der Orthodoxie, Bd. I:

Der Kampf um die Herrschaft im protestantischen Deutschland (einziger Band), Leip-zig 1928, und Christian Volkmar Witt, Protestanten. Das Werden eines Integrations-begriffs in der Frühen Neuzeit, Tübingen 2011, S. 91–120 sowie S. 124–139. Hoch-gradig aufschlussreich sind diesbezüglich die Beobachtungen von Walter Sparn, Die fundamentaltheologische Fixierung des Anticalvinismus im deutschen Luthertum, in:

Herman J. Selderhuis u.a. (Hg.), Calvinismus in den Auseinandersetzungen des frü-hen konfessionellen Zeitalters, Göttingen 2013, S. 127–150. Den engen Zusammen-hang nicht zuletzt zwischen institutionalisierter Berufung auf die lutherische Refor-mation sowie Bekenntnisbildung und dadurch sowohl geprägter als auch artikulierter Selbstwahrnehmung lutherischer Theologen verdeutlicht exemplarisch die Studie von Kenneth G. Appold, Orthodoxie als Konsensbildung. Das theologische Disputations-wesen an der Universität Wittenberg zwischen 1570 und 1710, Tübingen 2004.

4 Dass sich derartig einfache und entsprechend verkürzende Schematisierung unter pejorativer Wahrnehmung polemischer Strategien verbieten, unterstreichen jüngst die Studien in Kai Bremer u.a. (Hg.), Gelehrte Polemik. Intellektuelle Konfliktverschär-fungen um 1700, Frankfurt a.M. 2011, und ders. u.a. (Hg.), »Theologisch-polemisch-poetische Sachen«. Gelehrte Polemik im 18. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 2015. Eine luzide Fallstudie bietet auch Howard Hotson, Irenicism in the Confessional Age. The Holy Roman Empire, 1563–1648, in: Howard P. Louthan u.a. (Hg.), Concil iation and Confession. The Struggle for Unity in the Age of Reform, 1415–1648, Notre Dame / Ind.

2004, S. 228–285. Dass in der Historiographie umgekehrt auch die unhinterfragt posi-tive Wahrnehmung vermeintlich irenischer Debattenbeiträge wahrnehmungs- und theologiehistorisch problematisch ist, verdeutlicht exemplarisch Christian Volkmar Witt, Keine Irenik ohne Polemik. Konfessionelle Wahrnehmungsformationen am Beispiel des David Pareus, in: Ders. u.a. (Hg.), Confessio im Barock. Religiöse Wahr-nehmungsformationen im 17. Jahrhundert, Leipzig 2015, S. 17–53.

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Alsbald nach 1555 begann ein eigenartiges hundertjähriges Ringen zwischen beiden Religionsparteien um die Erweiterung des eigenen und die Beschneidung des gegneri-schen religiösen Machtbereichs im Reich. […] Beide Teile wollten ihre eigenen konfessi-onellen Prinzipien und kirchenpolitischen Vorteile durch die parteiische, nur scheinbar neutrale Auslegung der gemeinsamen säkularen Religionsfriedensartikel durchdrü-cken, was von der Gegenseite als besonders hinterhältig und vergiftend zurückgewie-sen worden ist5.

Die sich daraus ergebende Dynamik der konfessionellen Auseinandersetzung auf juristischer und theologischer Ebene war in ihrer konkreten geschicht-lichen Ausformung angesichts der Selbstwahrnehmung beider Lager letzt-lich unvermeidbar.

So sah sich die römisch-katholische Kirche zwar genötigt, das aufgrund ihres aus Bibel und Tradition abgeleiteten Universalitätsanspruchs eigentlich nicht Denk- und Duldbare zu akzeptieren, nämlich die rechtlich abgesicherte, dauerhafte Etablierung von sich selbst christlich nennenden Institutionen, die ihrem Zugriff entzogen waren. Sich mit diesem Zustand abzufinden, war der hierarchischen, nach ihrer Lesart des biblischen Doppelkanons von Jesus selbst begründeten und im Papst gipfelnden römischen Kirche primär als Heils-, sekundär als Rechts- und Lehranstalt mit universalem Geltungsanspruch allerdings nicht möglich, weshalb nicht zuletzt ihre Theologen die durch den Religionsfrieden geschaffene Situation bestenfalls als provisorischen Zustand ansahen, den es besser früher als später zu revidieren galt. Exemplarisch illus-trieren lässt sich die dahinterstehende Selbstwahrnehmung mit dem soge-nannten Trienter Glaubensbekenntnis von 15646. Dort erklärt der Gläubige als Amts- oder Würdenträger unter anderem, »die heilige katholische und apostolische Römische Kirche als Mutter und Lehrerin aller Kirchen« anzu-erkennen, und gelobt, »dem Römischen Bischof, dem Nachfolger des seligen Apostelfürsten Petrus und Stellvertreter Jesu Christi, wahren Gehorsam«7.

Und der Bekenntnistext schließt mit den Worten:

5 Martin Heckel, Deutschland im konfessionellen Zeitalter, Göttingen 22001, S. 67.

6 Das Trienter Glaubensbekenntnis ist leicht greifbar in Heinrich Denzinger, Kom-pendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen. Verbessert, erweitert, ins Deutsche übertragen und unter Mitarbeit v. Helmut Hoping hg. v. Peter Hünermann, Freiburg u.a. 442014, S. 546–548 (Nr. 1862–1870).

7 Ebd., S.  548 (Nr.  1868): »Sanctam catholicam et apostolicam Romanam Ecclesiam omnium ecclesiarum matrem et magistram agnosco; Romanoque Pontifici, beati Petri Apostolorum principis successori ac Iesu Christi vicario, veram oboedientiam spondeo ac iuro«.

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Ich, N. N., gelobe, verspreche und schwöre, daß ich diesen wahren katholischen Glau-ben, außerhalb dessen niemand gerettet werden kann, den ich gegenwärtig aus freiem Willen bekenne und wahrhaft festhalte, mit Gottes Hilfe ganz standhaft bis zum letz-ten Lebenshauch unversehrt und makellos bewahre und bekenne, und daß ich, soweit es bei mir liegen wird, dafür sorgen werde, daß er von meinen Untergebenen oder jenen, deren Sorge mir in meinem Amte anvertraut sein wird, festgehalten, gelehrt und verkündet wird […]8.

Damit ist der Anspruch der »heiligen katholischen und apostolischen Römi-schen Kirche«, angesichts der reformatoriRömi-schen Häresie als Heilsinstitution ganz exklusiv im Besitz der christlichen Wahrheit und des seligmachenden Glaubens zu sein, in von Papst und Konzil sanktionierte Bekenntnisform ge- gossen und entsprechend unzweideutig artikuliert.

Doch auch aufseiten der lutherischen Theologen sorgte der Friedensschluss von 1555 in den kommenden Jahrzehnten immer wieder für Unmut: Er bewirkte zwar die ersehnte politische Sicherung und rechtliche Anerkennung der reformatorischen Kirchentümer, zwang aber zum Verzicht auf die weitere Verkündigung und Ausbreitung des Evangeliums. Die reichsrechtlichen Fest-setzungen des Religionsfriedens unterbanden gleichsam den für die Selbst-wahrnehmung lutherischer Theologie integralen gottgewollten Kampf der Reformation für die universale Durchsetzung der Freiheit des allein seligma-chenden Gotteswortes und damit gegen die antichristliche, Gewissen knecht-ende Weltbemächtigung des Papsttums und der ihm hierarchisch unterge-ordneten Institutionen. Hinzu trat das Problem, mit der Zersplitterung des eigenen konfessionellen Lagers in einzelne Landeskirchen und -bekenntnisse umzugehen, die sich in Folge des Religionsfriedens und seiner Bestimmungen zunehmend bahnbrach und den seit jeher kräftig vorgetragenen Katholizi-tätsanspruch des neuen Glaubens öffentlichkeitswirksam und nachhaltig zu konterkarieren drohte9.

8 Ebd. (Nr. 1870): »Hanc veram catholicam fidem, extra quam nemo salvus esse potest, quam in praesenti sponte profiteor et veraciter teneo, eandem integram et immaculatam usque ad extremum vitae spiritum constantissime, Deo adiuvante, retinere et confiteri atque a meis subditis vel illis, quorum cura ad me in munere meo spectabit, teneri, doceri et praedicari, quantum in me erit, curaturum, ego idem N. spondeo, voveo ac iuro […]«.

9 Einen konzisen Überblick über die komplexe Theologie- und Institutionengeschichte des frühneuzeitlichen Luthertums bietet jüngst Hans-Martin Kirn, Geschichte des Christentums, Bd.  IV,1: Konfessionelles Zeitalter, Stuttgart 2018, S.  91–165. Ein-schlä gig bleibt dazu die Gesamtschau von Ernst Koch, Das konfessionelle Zeitalter.

Katholizismus, Luthertum, Calvinismus (1563–1675), Leipzig 2000, S. 211–259.

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Insgesamt lief also die reichsrechtlich fixierte und entsprechend auf Dauer gestellte Parität der Selbstwahrnehmung der sich formierenden kon-fessionellen Lager strikt zuwider. Die aufgezeigten, mittels des Trienter Glaubensbekenntnisses gebündelten Selbstwahrnehmungsmuster der rö- misch-katholischen Kirche bedingten ihrerseits wiederum den vehementen Durchsetzungswillen, der die kontroverstheologischen Debatten kennzeich-net. Schließlich traten in der Wahrnehmung der zeitgenössischen Theologen nicht einfach unterschiedliche Meinungen oder partikulare Interessen gegen-einander in die Schranken; es wurde auch nicht um irgendwie randständige, spitzfindige theologische Dissense gestritten, die sich mit dissimulierenden Formeln oder ein wenig gutem Willen beilegen ließen. Vielmehr reklamierten beide Seiten für sich, mit dem Wort Gottes für dasselbe zu streiten.

Vollends setzte man in der literarischen Polemik die eigenen Meinungen durchweg als feststehende Wahrheiten voraus, die es nur galt, auf Grund der auf beiden Seiten aner-kannten Autoritäten nach allen Regeln eines hoch entwickelten demonstrativen Verfah-rens als richtig zu erweisen10.

Beide konfessionell gebundenen und einander aufgrund der entsprechend geprägten Wahrnehmungsmuster letztlich ausschließenden theologisch-dogmatischen Grundpositionen in der Verhältnisbestimmung von Gott und Mensch, von Institution und Individuum, von menschlichem Tun und göttlicher Gnade, von Subjekt und Objekt des göttlichen Erlösungshandelns betrachteten sich demnach als Sachwalter und Verteidiger der christlichen Wahrheit gegen die Anfechtungen und Übergriffe des irrgläubigen Gegen-übers. Auf dem Feld der Kontroverstheologie wurde daher um nicht weniger gestritten als um die Deutungshoheit darüber, was eigentlich warum als lehr-mäßiger Ausdruck des wahrhaft Christlichen zu gelten habe. Entsprechend sind die »Elemente und Mechanismen der Streitkultur […] als ein entschei-dendes Medium für die Suche nach religiöser, lehrmäßiger ›Wahrheit‹ zu werten«11. Die durch reichsrechtliche Bestimmungen verstetigte Konkurrenz der sich theologisch-dogmatisch in strikter Abgrenzung zueinander profilie-renden Konfessionen sorgte folglich für die permanente Konfrontation der

10 Otto Ritschl, Dogmengeschichte des Protestantismus, Bd. IV: Orthodoxie und Syn-kretismus in der altprotestantischen Theologie (Schluss). Das orthodoxe Luthertum im Gegensatz zu der reformierten Theologie und in der Auseinandersetzung mit dem Synkretismus, Göttingen 1927, S. 231f.

11 Irene Dingel, Zwischen Disputation und Polemik. »Streitkultur« in den nachinteri-mistischen Kontroversen, in: Henning P. Jürgens u.a. (Hg.), Streitkultur und Öffent-lichkeit im konfessionellen Zeitalter, Göttingen 2013 (VIEG Beiheft  95), S.  17–29, hier S. 19.

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einander negierenden Alleinvertretungsansprüche der christlichen Wahrheit.

Somit lassen sich das 16. und das 17. Jahrhundert auch in dem für uns hier wichtigen Zusammenhang wesentlich durch den Gegensatz von Pluralität und Pluralismus beschreiben:

Gemeint ist damit, dass die Frühe Neuzeit eine Epoche war, in der aus traditioneller Einheit eine neue Vielfalt entstand, sowohl in religiöser als auch in politischer Hinsicht, dass aber […] die Menschen nicht bereit waren, diese neue Vielfalt anzuerkennen. Es entstand also in der Praxis eine neue Pluralität religiöser und politischer Einheiten, ohne dass die Pluralität allgemein akzeptiert wurde12.

Pluralität ohne Pluralismus war eine Signatur der Zeit, die sich naturgemäß auch auf dem Feld der Religion und der Konfessionen niederschlug und nicht zuletzt die Wahrnehmungsmuster und die Debattenkultur der Zeitgenossen entscheidend prägte. Vor diesem Hintergrund

ging es in den Kontroversen zwischen evangelischen und katholischen Theologen dem-nach um die Behauptung der eigenen Religionsgemeinschaft in den durch die Refor-mation entstandenen theologischen Spannungsfeldern, um deren kirchen- und heils-geschichtlich begründete Dignität, öffentliche Sichtbarkeit und Handlungsfähigkeit angesichts der politischen Antagonismen, welche die Konfessionsbildung erzeugte13.

Dabei zielte die publizistische kontroverstheologische Auseinandersetzung, die die reichsrechtlichen Debatten flankierte, grundsätzlich in drei Richtun-gen: Erstens ging es den betreffenden Autoren naturgemäß darum, dem als falschgläubig erachteten Gegenüber die Wahrheit der je eigenen und damit die Irrigkeit der anderen, der fremden Lehre vor Augen zu stellen. Allerdings ging man auf beiden Seiten strukturell von vornherein davon aus, dass die Kontrahenten als Vertreter ihrer als irrig abzuweisenden Lehren von diesen subjektiv genauso fest überzeugt waren, wie man selbst von der Wahrheit der eigenen Position überzeugt war. Obgleich man also gegen sie polemisierte, galten die direkt adressierten anderskonfessionellen Theologen a priori als unbelehrbar, weshalb man nicht davon ausgehen konnte, sie für die eigene Sache zu gewinnen. Dennoch galt es, sie nach allen Regeln der kontrovers-theologischen Kunst demonstrativ ins Unrecht zu setzen, was uns zur

zwei-12 Christoph Kampmann, Friedensnorm und Sicherheitspolitik. Zur Geschichte der Friedensstiftung in der Neuzeit, in: Ders. u.a. (Hg.), Bündnisse und Friedensschlüsse in Hessen. Aspekte friedenssichernder und friedensstiftender Politik der Landgrafschaft Hessen im Mittelalter und in der Neuzeit, Marburg 2016, S. 1–22, hier S. 6.

13 Silvia Serena Tschopp, Politik in theologischem Gewand. Eine jesuitisch-lutherische Kontroverse im Kontext des Dreißigjährigen Krieges, in: Jürgens u.a. (Hg.), Streit-kultur und Öffentlichkeit, S. 31–55, hier S. 41.

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ten Zielrichtung führt: Diente der kontroverstheologische Streit eigentlich nicht dazu, den direkten theologisch gebildeten Antagonisten inhaltlich-argumentativ zum Abfall von seiner irrigen Lehrmeinung zu bewegen, »so blieb der Polemik doch die Aussicht, auf andere, sei es bisher unbeteiligte, sei es belehrbare und nur zur Zeit noch material häretisch denkende Menschen einzuwirken und sie von den Gegnern zur eigenen Partei herüberzuziehen«14.

Und aus der Tatsache, dass die gegnerische Seite mit ihren theologisch-dog-matischen Streitbeiträgen offenkundig dasselbe bezweckte, ergab sich schließ-lich die dritte Zielrichtung kontroverstheologischer Publizistik, nämschließ-lich die Ausrichtung auf das eigene Lager. Mittels der öffentlichen Überführung und Widerlegung suchte man dem Verwirrungs- und Verführungspotential, das die Wortmeldungen des Gegenübers zu entfalten drohten, entgegenzuwirken, die Haltung der eigenen Konfessionsgenossen zu festigen und so die Reihen des je eigenen Lagers zu schließen und vor allem geschlossen zu halten.

Diese drei inhaltlich-argumentativ sicher nicht trennscharfen, einander im steten In- und Miteinander bedingenden Aspekte werden nun im Folgenden im Zusammenhang mit den ihnen zugrundeliegenden Wahrnehmungsmus-tern anhand eines der berühmtesten Beispiele römisch-katholischer Kontro-verstheologie, Robert Bellarmins Disputationes de Controversiis Christianae fidei adversus huius temporis haereticos, exemplifiziert; konkret nehmen wir dazu die Vorrede zum ersten Band (1586) in deutscher Übersetzung in den Blick. Die Disputationes de Controversiis – auf Deutsch in der Regel kurz als Kontroversen bezeichnet – gelten als das Hauptwerk des Jesuiten Bellarmin (1542–1621)15 und wurden zwischen 1586 und 1593 erstmals publiziert. Die-ser ersten dreibändigen, in Ingolstadt gedruckten Ausgabe folgte dann bereits 1596 eine von Bellarmin selbst verbesserte vierbändige Auflage, die in Vene-dig gedruckt wurde und zahlreiche Neuauflagen erlebte. Dabei stellte das von der stupenden Gelehrsamkeit seines Autors genauso wie von dessen rheto-risch-stilistischer Begabung zeugende Werk

14 Ritschl, Dogmengeschichte des Protestantismus, Bd. IV, S. 235.

15 Eine ausführliche Darstellung von Leben und Werk des prominenten Jesuiten, Papstneffen, Kardinals, Inquisitors und Heiligen bietet James Brodrick SJ, Robert Bellarmine. Saint and Scholar, London 1961. Überblicksartig informieren Gustavo Galeota, Art. Bellarmini, Roberto (1542–1621), in: TRE  5 (1980), S.  525–531, und Günther Wassilowsky, Robert Bellarmin (1542–1621), in: Friedrich Wilhelm Graf (Hg.), KLTh, Bd.  1: Von Tertullian bis Calvin, München 2005, S.  267–280.

Eine exemplarische Würdigung Bellarmins als Kontroverstheologe liegt vor mit Thomas Dietrich, Die Theologie der Kirche bei Robert Bellarmin (1542–1621).

Systematische Voraussetzungen des Kontroverstheologen, Paderborn 1999. Die mit seiner Kontroverstheologie zusammenhängende Rolle und das Wirken Bellarmins an der Spitze der römischen Inquisition beleuchtet Peter Godman, The Saint as Censor.

Robert Bellarmine between Inquisition and Index, Leiden u.a. 2000.

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nicht nur den literarischen Niederschlag von Bellarmins eigenen Vorlesungen am Collegio Romano bzw. seiner rund zwanzigjährigen Lehrtätigkeit insgesamt dar. Die sogenannten »Kontroversen« bilden vielmehr eine Art Summe römisch-katholischer Positionsbestimmung zur Zeit der Konfessionalisierung, in der sich die Arbeit meh rerer Generationen von Kontroverstheologen kompiliert und nach systematischen Gesichts-punkten geordnet findet16.

Die schwerlich zu überschätzende Wirkmacht der Kontroversen Bellarmins findet ihren Ausdruck auch in der Feststellung, sie seien »eine Art erster Abschluß« papstkirchlicher Kontroverstheologie17; sie kommen eben als das imposante Resultat der Denkarbeit eines Mannes zu stehen, der »seine Lebensaufgabe in der systematischen Durchdringung der katholischen Glau-benslehre gefunden und diese in der kontroverstheologischen Diskussion zugespitzt« hat18. Wenden wir uns dessen eingedenk unserer genannten Quelle zu.

2. Quelle19

Ich gehe daran, über die Kampfpunkte des Glaubens gegen alle Ketzer dieser Zeit zu streiten, dabei sehr viele und verschiedene Fragen gleichsam an einem Ort zu versammeln und alles Einzelne, nach den Kräften, die mir Gottes Gnade vom Himmel verleihen wird, zusammenzufassen. Es ist dies ein sehr schweres Unternehmen und, wenigstens nach meiner Meinung, der Art, dass es beinahe eine unendliche Kenntnis nicht nur der verschiedenen Wissen-schaften und Sprachen, sondern auch des ganzen Altertums, aller

Geschich-16 Wassilowsky, Robert Bellarmin, S. 273.

17 Heribert Smolinsky, Art. Kontroverstheologie, in: LThK  6 (1997), Sp.  333–335, hier Sp. 335.

18 Thomas Dietrich, Schriftverständnis und Schriftauslegung bei Robert Bellarmin (1542–1621), in: Christoph Bultmann u.a. (Hg.), Hebraistik – Hermeneutik – Homi-letik. Die »Philosophia Sacra« im frühneuzeitlichen Bibelstudium, Berlin u.a. 2011, S. 341–356, hier S. 341.

19 Vorrede (1586), in: Robert Bellarmin, Streitschriften über die Kampfpunkte des christlichen Glaubens, Bd. 1, übersetzt v. Viktor Philipp Gumposch, Augsburg 1842, S. 29–48. Die folgenden Ausführungen Bellarmins wurden lediglich in Orthographie und Interpunktion zwecks besserer Lesbarkeit dem heutigen Standard angepasst; zur leichteren Nachvollziehbarkeit der entsprechenden Änderungen und der im Kontext der Analyse (s.u. unter III) angeführten Zitate wurden die Seitenzahlen der genannten Übersetzung Gumposchs von 1842 in eckigen Klammern eingefügt. Online ist sie ohne größeren Aufwand greifbar, beispielsweise unter: URL: <https://books.google.

de/books?id=_tlNAAAAcAAJ&pg=PA38&lpg=PA38&dq=#v=onepage&q&f=false>

(01.10.2018). Die gewissenhaften Quellenverweise Bellarmins wurden zugunsten des Leseflusses unverändert beibehalten; sie sind mithilfe der einschlägigen patristischen und reformationsgeschichtlichen Handbuchliteratur leicht aufzulösen.

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ten und Zeiten erfordert, soll es anders nicht leicht und obenhin, sondern genau und nach der Würde und Wichtigkeit der Sache ausgeführt werden. Da ich selbst fühle, wie gering in allen diesen Dingen mein Wissen und gleich-wohl die Notwendigkeit vorhanden ist, die mir auferlegte Last zu tragen und ans Ziel zu bringen, so will ich mich [30] wenigstens bestreben, durch Mühe und Fleiß meine Ungeschicklichkeit auszugleichen und, falls auch alle Hilfs-mittel der Gelehrsamkeit mir fehlen, Eifer und Emsigkeit doch weniger als das Übrige vermissen lassen. Ehe ich aber die Untersuchung über die vorgesetzten Fragen beginne, scheinen mir ein paar Worte über die Nützlichkeit derartiger Erörterungen und eine kurze Auseinandersetzung der Anzahl und Beschaf-fenheit der jetzigen Streitpunkte notwendig.

Die Nützlichkeit der uns vorgesetzten Untersuchungen kann leicht aus dem Umstand erkannt werden, dass sie einen wichtigen und notwendigen Zweig der Theologie umfassen. Denn man handelt dabei nicht über eine Dachrinne und ein Stück Boden, nicht über wertlose Dinge, wo es wenig verschlägt,

Die Nützlichkeit der uns vorgesetzten Untersuchungen kann leicht aus dem Umstand erkannt werden, dass sie einen wichtigen und notwendigen Zweig der Theologie umfassen. Denn man handelt dabei nicht über eine Dachrinne und ein Stück Boden, nicht über wertlose Dinge, wo es wenig verschlägt,

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