• Keine Ergebnisse gefunden

Confessio et commercium

Im Dokument Confessio im Konflikt (Seite 186-200)

Konfessionelle Selbst- und Fremdwahrnehmung protestantischer Buchhändler in der Habsburgermonarchie (1680–1750)

1. Hinführung

Zu einer angemessenen Erfassung konfessioneller Selbst- und Fremdwahr-nehmung im Spiegel der frühneuzeitlichen Mediengeschichte erscheint es notwendig, einen breit gefassten buchgeschichtlichen Zugang zu wählen:

Bekanntlich ist es relativ schwierig, umfassend gesicherte Aussagen über die Verbreitung, Auflagenhöhe, Rezeption und den Erfolg einzelner Werke im frühneuzeitlichen Europa zu treffen. Dennoch ist es für die Rezeptionsge-schichte unabdingbar, stärker auf die frühneuzeitliche Medientopographie, die die Berücksichtigung der Druckorte, entsprechender Verleger und vor allem der Distribution von Werken umfasst, einzugehen.

Eine Untersuchung der Mediengeschichte des ausgehenden 17. und frühen 18.  Jahrhunderts muss entsprechend buchhandelsgeschichtlichen Aspekten wie der Distributionsgeschichte größere Aufmerksamkeit widmen. Während der Fokus der deutschsprachigen Forschung meist auf Veränderungen des Buchmarkts in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gerichtet ist, erschei-nen die Jahrzehnte ab 1680 bereits als wichtige Wandlungsphase der Prak-tiken des Buchhandels. Bis heute gilt der Buchmarkt um 1700 als ein Ort, der von der Aufklärungsliteratur kontinuierlich erobert wurde und mit der Leipziger Messe als dem entscheidenden Umschlagsplatz gleichgesetzt wird.

Damit wird eine bereits zeitgenössische Vorstellung der Zweiteilung des Buch-markts in einen fortschrittlichen, protestantischen Teil des Aufklärungsbuch-handels in Mittel- und Norddeutschland und verbleibende – als rückständig und mehrheitlich katholisch wahrgenommene – Territorien vornehmlich im Süden und Südosten des Heiligen Römischen Reichs fortgeschrieben1. Ein

1 Für diese Einschätzung bis heute prägend Johann Goldfriedrich, Geschichte des Deutschen Buchhandels vom Westfälischen Frieden bis zum Beginn der klassischen Litteraturperiode (1648–1740), Leipzig 1908, Bd. 2, S. 85f.: »Das mit dem unleugbaren starken absoluten Rückgange der süd- und westdeutschen Stätten namentlich altzeit-lich gelehrt-lateinisch-katholischer Produktion verbundene Sichzurückziehen Süd-deutschlands, und besonders des katholischen, wie es sich in der Geschichte gerade des Buchhandels so deutlich zeigt, ist eine Art Selbstausschluß von dem Strom des

186 Mona Garloff

ausgewogener Blick auf die unterschiedlichen Zentren der Buchproduktion im Heiligen Römischen Reich zeigt jedoch, dass der Markt des ausgehenden 17. Jahrhunderts in weiten Teilen durch religiöses Schrifttum bestimmt war und süddeutsche Großverleger aus Nürnberg und Augsburg neben Leipziger Konkurrenten als einflussreiche Akteure auf diesem Markt hervortraten2.

Daher soll von einer starren Fokussierung auf ein Corpus der Aufklärungs-literatur – und das gilt sowohl für den Markt in protestantisch als auch in katholisch geprägten Territorien – abgerückt und das Buchangebot in seiner ganzen Breite mit hohen Titelauflagen von Gebets- und Erbauungsbüchern, Predigten, Ratgeberliteratur, volkstümlichen Werken, Gelegenheitsdrucken sowie Kalendern in den Blick genommen werden.

Ferner muss der Frage konfessioneller Zugehörigkeiten in der Buchhan-delsgeschichte um 1700 größere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Protes-tantische Buchhändler partizipierten in hohem Maße an der wirtschaftlich ertragreichen Produktion katholischer Erbauungs- und Frömmigkeitslitera-tur, waren jedoch aufgrund ihrer Glaubenszugehörigkeit – territorial unter-schiedlichen  – wirtschaftlichen Handelsbeschränkungen ausgesetzt. Dies wird am Beispiel der wichtigen Absatzgebiete der böhmischen und österrei-chischen Länder deutlich, in denen Händler aus Leipzig, Nürnberg und Augs-burg langfristige Handelsbeziehungen auszubauen suchten. Dabei stand das obrigkeitliche Streben nach konfessioneller Uniformität häufig im Konflikt mit wirtschaftlichen Interessen. Einerseits ließ der frühneuzeitliche Handel konfessionelle und religiöse Differenzen offen zu Tage treten, andererseits för-derte er im Geschäftsalltag häufig einen pragmatischen und flexiblen Umgang

deutschen Gesamtfortschritts. Was, von konfessioneller und anderer Spezialität abge-sehen, fähig und wert war, sich allgemein Absatz zu verschaffen, das kam auch auf die Leipziger Messe oder wurde dorthin geholt. […] Ein norddeutsch-protestantisches Gebirge ist es, das wir in der Ferne, in dem großen halben Jahrhundert von 1740 bis 1790 emporsteigend, blauen sehen, und an dessen Fuße wir uns befinden«. Vgl.

auch Albrecht Kirchhoff, Versuch einer Geschichte des deutschen Buchhandels im XVII. und XVIII. Jahrhundert bis zu Reich’s Reformbestrebungen, Leipzig 1853.

2 Nach Reinhard Wittmann, Geschichte des deutschen Buchhandels, München 32011, S.  96, ergibt sich für die Anzahl von buchgewerblichen Betrieben in den Zentren des Heiligen Römischen Reichs zwischen 1701 und 1750 folgende Größenordnung:

Augsburg (150 Firmen), Leipzig (145), Nürnberg (99), Frankfurt a.M. (98), Köln (93), Hamburg (76), Halle / Saale (61), Jena (58), Berlin (53), Wien (53) und Basel (41). Vgl.

zu Leipzig exemplarisch Thomas Fuchs, Buchhandel und Verlagswesen, in: Detlef Döring (Hg.), Geschichte der Stadt Leipzig, Bd. 2: Von der Reformation bis zum Wie-ner Kongress, Leipzig 2016, S. 234–271; zu Augsburg Helmut Gier, Buchdruck und Verlagswesen in Augsburg vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Ende der Reichsstadt, in: Ders. / Johannes Janota (Hg.), Augsburger Buchdruck und Verlagswesen. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Wiesbaden 1997, S. 633–652; zu Nürnberg den Quel-lenband Michael Diefenbacher / Wiltrud Fischer-Pache u.a. (Hg.), Das Nürnberger Buchgewerbe. Buch- und Zeitungsdrucker, Verleger und Druckhändler vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, Nürnberg 2003; Friedrich Oldenbourg, Die Endter. Eine Nürn-berger Buchhändlerfamilie (1590–1740), München u.a. 1911.

187 Confessio et commercium

mit solchen Konfliktlinien. Gleichwohl impliziert der Handel mit Büchern Dimensionen, die weit über die Akteursebene hinausgehen: So bestimmt sich der Wert von Büchern im Unterschied zu anderen Waren in der Frühen Neu-zeit in hohem Maße selbst durch konfessionelle Bezüge. Es scheint eine starke Wechselwirkung zwischen dem ökonomischen Wert von Büchern als Waren und ihrem Inhalt zu geben. Seltene und gesuchte Titel waren exklusive Han-delsgüter und Träger hohen kulturellen Werts, was wiederum steigernd auf ihren ökonomischen Wert rückwirkte. Auf dem Buchmarkt des ausgehenden 17. Jahrhunderts ist dieser jedoch starken Wandlungen unterworfen: Schnell veraltete Bücher und damit unveräußerliche Großauflagen, bei obendrein überquellenden Lagerbeständen, konnten den ökonomischen Wert eines Buches rapide senken.

Eine Untersuchung der Buchmärkte von Prag und Wien und der wirt-schaftlichen Beziehungen protestantischer Verleger in der Habsburgermo-narchie bietet sich gerade beispielhaft dafür an, Muster konfessioneller Selbst- und Fremdwahrnehmung in der Handelsgeschichte des ausgehenden 17. und frühen 18. Jahrhunderts herauszuarbeiten. Die Thematik ist insofern ein For-schungsdesiderat, als die Buchgeschichtsschreibung bis heute starr entlang nationaler Grenzen der Gegenwart ausgerichtet ist und damit wirtschaftliche und kulturelle Räume der Frühen Neuzeit selten in ihrer historischen Ein-heit begriffen werden3. Auch bezüglich des Untersuchungszeitraums 1680 bis 1750 besteht großer Forschungsbedarf, da die Buchgeschichtsschreibung in Deutschland, Österreich und Tschechien ihre Interessensschwerpunkte mehr-heitlich auf die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts legt4. Es gilt, jenseits der lang etablierten Forschungsbilder stärker nach der Verknüpfung von Kom-merz und Glaube im Buchhandel zu fragen, dabei die Akteure des Buchhan-dels selbst in den Blick zu nehmen, aufmerksamer den Markt für religiöses und theologisches Schrifttum zu betrachten und damit schließlich die Unter-suchung auf Distributionswege und Absatzmärkte jenseits des Messhandels hin zu erweitern. Mit Blick auf die obrigkeitlichen Regulierungsversuche wird deutlich, dass in der Praxis vielfältige, territorial unterschiedliche Freiräume

3 Vgl. u.a. Wittmann, Geschichte des Buchhandels; Norbert Bachleitner u.a., Ge - schichte des Buchhandels in Österreich, Wiesbaden 2000; Zdeněk Šimeček, Ge- schichte des Buchhandels in Tschechien und in der Slowakei, Wiesbaden 2002; hin-gegen Frédéric Barbier (Hg.), Est – Ouest. Transferts et réceptions dans le monde du livre en Europe (XVIIe – XXe siècles), Leipzig 2005.

4 Vgl. u.a. Johannes Frimmel / Michael Wörgerbauer (Hg.), Kommunikation und Information im 18. Jahrhundert. Das Beispiel der Habsburgermonarchie, Wiesbaden 2009; Christine Haug u.a. (Hg.), Geheimliteratur und Geheimbuchhandel in Europa im 18. Jahrhundert, Wiesbaden 2011; Jeffrey Freedman, Books without Borders in Enlightenment Europe. French Cosmopolitanism and German Literary Markets, Phi-ladelphia 2012.

188 Mona Garloff

bestanden, die die Umgehung von Zensurvorgaben oder anderen Handelsbe-schränkungen ermöglichten. Hinführend soll im Folgenden die einflussreiche Rolle protestantischer Buchhändler auf den Buchmärkten von Prag und Wien im Zeitraum von 1680 bis 1750 genauer analysiert werden.

Im ausgehenden 17. Jahrhundert führte die zunehmende Ausdifferenzie-rung im Buchgewerbe und die wachsende Anzahl an Betrieben in Handelszen-tren wie Leipzig, Nürnberg und Augsburg zu einer verstärkten Konkurrenz-situation. Viele Verleger konnten ihre Geschäftsverluste damit ausgleichen, dass sie ihren Handel in die Territorien der Habsburgermonarchie ausdehn-ten und diesen in Form von Filialgründungen zu verstetigen suchausdehn-ten. Fir-men wie Felsecker suchten darüber hinaus dem abnehFir-menden Einfluss des Nürnberger Buchhandels mit einer Neuorientierung hin zum Zeitungsverlag zu begegnen. Obwohl der Druck von katholischer Literatur in Nürnberg offi-ziell verboten war, avancierte die fränkische Reichsstadt im 17. Jahrhundert zu einem wichtigen Verlagsort und Umschlagsplatz katholischer Werke. Zu Beginn des 18.  Jahrhunderts gewann jedoch Augsburg, mitbedingt durch den Zuzug des Druckerverlegers Johann Caspar Bencard aus Dillingen sowie von Buchhändlern wie Daniel Walder und Philipp Jakob Veith, eine führende Rolle im Bereich der katholischen Erbauungs- und Predigerliteratur, die weit über die Region hinausstrahlte.

Während Leipziger Verleger wie Fritsch oder Gleditsch auf dem Prager Buchmarkt in starker Konkurrenz mit Nürnberger Händlern eine marktfüh-rende Position einnahmen, dominierten Nürnberger und Augsburger Firmen an Handelsorten entlang der Donau und beispielsweise auf den Salzburger Märkten. Es sind relativ wenige Konfliktfälle bekannt, die auf eine erhöhte Konkurrenz zwischen Nürnberger und Augsburger Händlern schließen las-sen  – vielmehr schienen die österreichischen Länder ausreichend Absatz-möglichkeiten geboten zu haben: Während das Programm der Augsburger Verleger Walder und Veith vornehmlich auf den regionalen Absatz im süd-deutschen Raum und die Belieferung von österreichischen Klöstern ausge-richtet war, gelang es Nürnberger Buchführern, eine einflussreiche Stellung im Prager und Wiener Buchhandel aufzubauen. Jedoch belieferte auch der Nürnberger Wolfgang Moritz Endter regelmäßig Klöster wie St.  Florian, Kremsmünster oder Lambach. Am Beispiel des Verlagshauses Veith kann der Ausbau der Handelsbeziehungen zwischen Schwaben und der Steiermark durch die Begründung einer Filialhandlung in Graz belegt werden. Auch nach Ingolstadt, München und Salzburg wurden – unter gleichzeitigem Rückgang des eigenen Verlagswesens in diesen Zentren – im 18. Jahrhundert Geschäfts-beziehungen wichtiger.

Die nahezu paritätisch vertretenen protestantischen Buchhändler in Augs-burg genossen ebenfalls eine einflussreiche Stellung, die nicht zuletzt durch die Reichweite ihrer Handelsbeziehungen und die bedeutende Rolle von

Pro-189 Confessio et commercium

testanten im Kupferstichwesen bedingt war5. Lorenz Kroniger beispielsweise besuchte regelmäßig die Salzburger Dult, belieferte darüber hinaus aber auch Gelehrte wie Lodovico Antonio Muratori in Modena. Die Bikonfessionali-tät Augsburgs erwies sich zweifelsohne als Standortvorteil der Reichsstadt, bedingte jedoch auch Konflikte zwischen katholischen und protestantischen Verlegern etwa um die Publikation erfolgreicher katholischer Titel.

Die Märkte der an der Donau gelegenen Städte Linz und Krems wurden sowohl von Nürnberger als auch von Augsburger Händlern frequentiert. Die zentrale Bedeutung des Donauhandels für den süddeutschen Verlag wird anhand entsprechender Einträge in Mautprotokollen (Aschach) sowie Waag- und Niederlagsbüchern (Krems) ersichtlich6. Neben den offiziellen Markt-besuchen spielten auch direkte Buchbestellungen adeliger und geistlicher Abnehmer eine wichtige Rolle, aus den Korrespondenzen mit den Verlags-häusern lassen sich Anhaltspunkte zu den Transportwegen und der Bezahl-weise entnehmen7.

Während der Donauhandel, die Marktpräsenz in Linz und Krems, Kloster-belieferungen sowie insbesondere der Wiener Niederlagehandel zeigen, dass der Buchmarkt in Österreich unter und ob der Enns, in der Steiermark und in Salzburg fest in der Hand von Nürnberger und Augsburger Buchhändlern war, wird auf dem Prager Buchmarkt eine stärkere Konkurrenzsituation mit Leipzig deutlich. Allerdings waren Nürnberger Händler in der Verstetigung ihrer Handelsbeziehungen und der Eröffnung von Filialhandlungen erfolg-reicher. So firmierte beispielsweise das Verlagsgeschäft Georg Lehmanns in Nürnberg, Brünn, Olmütz, Prag, Wien und Frankfurt. Insbesondere Brünn war für süddeutsche Buchhändler, die wie Lehmann auch als Niederleger

5 Vgl. Étienne François, Die unsichtbare Grenze. Protestanten und Katholiken in Augs-burg 1648–1806, Sigmaringen 1991; ders., Buchhandel und Buchgewerbe in AugsAugs-burg im 17. und 18. Jahrhundert, in: Jochen Brüning / Friedrich Niewöhner (Hg.), Augs-burg in der Frühen Neuzeit. Beiträge zu einem Forschungsprogramm, Berlin 1995, S. 332–342.

6 Diese Quellen liegen der von Peter Rauscher (Wien) erarbeiteten Datenbanken (»Datenbank Aschach« und »Kremser Waag- und Niederlagsbücher-Datenbank«), URL: <https://www.univie.ac.at/donauhandel/> (15.08.2018) zugrunde. Vgl. Peter Rauscher / Andrea Serles, Der Donauhandel. Quellen zur österreichischen Wirt-schaftsgeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Frühneuzeit-Info 25 (2014), S. 244–

247; zu den Kremser Märkten Peter Rauscher, Die Kremser Märkte im 17. Jahrhun-dert (ca. 1620–1730). Städtischer Fernhandel und staatliche Wirtschaftspolitik im Zeitalter des beginnenden Merkantilismus, in: Guillaume Garner / Sandra Richter (Hg.), »Eigennutz« und »gute Ordnung«. Ökonomisierungen der Welt im 17. Jahrhun-dert, Wiesbaden 2016, S. 95–112; zum Buchhandel in Linz Rudolf M. Henke / Gerhard Winkler, Geschichte des Buchhandels in Linz, Linz 2002.

7 Vgl. exemplarisch Thomas Wallnig / Thomas Stockinger (Hg.), Die gelehrte Korres-pondenz der Brüder Pez. Text, Regesten, Kommentare, Bd. 1: 1709–1715, Wien u.a.

2010; Thomas Stockinger u.a., Die gelehrte Korrespondenz der Brüder Pez. Text, Regesten, Kommentare, Bd. 2: 1716–1718, Wien u.a. 2015.

190 Mona Garloff

in Wien agierten, ein wichtiger Umschlagplatz8. Der Nürnberger Verleger Johann Zieger ließ, teilweise in Kooperation mit Lehmann, seine Bücher in Prag drucken. Am Beispiel von Johann Friedrich Rüdiger kann der Prozess der Niederlassung eines Nürnberger Buchhändlers in Prag nachvollzogen werden (s.u.).

Mit der Erschließung von Absatzmärkten in der zweiten Hälfte des 17. Jahr-hunderts gingen Bemühungen finanzstarker Sortimentsverleger einher, ihr Angebot auch außerhalb der regulären Mess- und Marktzeiten zu vertreiben und ihre Handelsbeziehungen durch Zweigniederlassungen zu verstetigen.

Aufgrund dieses unerlaubten Verkaufs außerhalb der Marktzeiten kam es regelmäßig zu Rechtskonflikten. In Handelszentren wie Prag und Wien liegen zahlreiche Gesuche von Buchhändlern um die Öffnung dauerhafter Ladenge-schäfte vor, die mehrheitlich abgelehnt wurden.

Entsprechende Aushandlungsprozesse sind bei der Verleihung des Bür-gerrechts zu beobachten, das abhängig von den städtischen bzw. territoria-len Bestimmungen zur Eröffnung einer Filialhandlung erworben werden musste9. Auch in diesem Zusammenhang wird die Rolle konfessioneller Zugehörigkeiten in den Handelsbeziehungen im böhmischen und österrei-chischen Raum deutlich. Die Ausgangsbedingungen für auswärtige Kauf-leute unterschieden sich in Prag und Wien grundsätzlich voneinander. Für Leipziger und Nürnberger Buchhändler spielten die Absatzmärkte in Böh-men und besonders der Prager Buchmarkt traditionell eine wichtige Rolle10.

Insbesondere zu den Veits- und Wenzelsmärkten kamen Buchhändler aus Leipzig, Dresden und Nürnberg nach Prag11. Sie konnten deutsch- und latei-nischsprachige Werke häufig bis zu einem Drittel günstiger als ihre Prager Kollegen anbieten, was nicht selten zu Konflikten führte. Außerdem verlegten sie aufwendig gestaltete Bohemica selbst und druckten zur Minimierung der Vertriebswege direkt in Prag. Es bestand eine gewisse Abhängigkeit von den süddeutschen Reichsstädten und von Leipzig, da die Prager Buchhändler in

8 Vgl. zum Brünner Buchhandel Zdeněk Šimeček, Knižní obchod v Brně od sklonku 15. do konce 18. století [Der Buchhandel in Brünn vom Ende des 15. Jahrhunderts bis zum Ende des 18. Jahrhunderts], Brünn 2011.

9 Im Unterschied zum mittelalterlichen Bürgerrecht ist die Problematik im Alten Reich für das 17. und 18. Jahrhundert kaum erforscht, vgl. Karl Otto Müller, Das Bürger-recht in den oberschwäbischen Reichsstädten, in: WVLG N.F. 25 (1916), S. 163–192;

N.F. 26 (1917), S. 42–63; Karl S. Bader / Gerhard Dilcher (Hg.), Deutsche Rechtsge-schichte. Land und Stadt – Bürger und Bauer im Alten Europa, Bd. 1, Berlin u.a. 1999.

10 Vgl. zum Buchhandel in Böhmen um 1700 Michael Wögerbauer / Jiří Pokorný, Barocke Buchkultur in den Böhmischen Ländern, in: Christian Gastgeber / Elisabeth Klecker (Hg.), Geschichte der Buchkultur, Bd. 7: Barock, Graz 2015, S. 383–426; Josef Volf, Geschichte des Buchdrucks in Böhmen und Mähren bis 1848, Prag 1928.

11 Vgl. Šimeček, Geschichte des Buchhandels, hier bes. S. 25–42; zu einzelnen Buchhänd-lern Petr Voit, Encyklopedie knihy. Starší knihtisk a příbuzné obory mezi polovinou 15. a počátkem 19. století, 2 Bde., Prag 22008.

191 Confessio et commercium

der Regel nicht messfähig waren und Novitäten somit meist von auswärti-gen Kaufleuten auf die Prager Märkte gebracht wurden12. Aufgrund dessen erfolgten im 16. und 17. Jahrhundert von kaiserlicher Seite zahlreiche Erlasse, mit denen der Handel protestantischer Kaufleute auf die Marktzeiten in Prag beschränkt werden sollte. Wie abgelehnte Gesuche seitens des böhmischen Commerz-Collegiums zeigen, suchten die Prager Buchhändler im 18. Jahrhun-dert auf institutioneller Ebene selbst, die Konkurrenz auswärtiger Kollegen entschieden zu unterbinden.

Im Vergleich zu dieser restriktiven Politik gegenüber protestantischen Kaufleuten in Prag schuf das Wiener Niederlagewesen günstigere Ausgangs-bedingungen13. Ab dem 16. Jahrhundert bis zur Neuregelung des Großhan-delsgewerbes 1774 konnten Niederleger in Wien ihre Stellung und Privilegien als extraterritoriale Großhändler  – nicht ohne Widerstand der ansässigen Kaufmannschaft – festigen. Sie genossen Religionsfreiheit und hatten, abge-sehen von einer allgemeinen Kopfsteuer, keine Steuern, sondern lediglich Zoll- und Mautgebühren zu entrichten. Im Gesamtumfang des Niederlage-handels mochten Bücher eine untergeordnete Rolle spielen, jedoch bereite-ten die Niederleger bzw. »Niederlagsverwandbereite-ten« den einheimischen Firmen der Branche erhebliche Konkurrenz. Sie verfügten über starke Stammhäuser und gute Verbindungen zu den Messestädten, während die angestammten Wiener Verleger dort kaum ihr Angebot absetzen konnten. Teilweise handel-ten Niederleger auch als Kommissionäre für Leipziger Buchhändler – diesen selbst gelang es jedoch nicht, eine feste Markposition aufzubauen. Die ein-flussreiche Stellung der Niederleger entspricht auch der Wahrnehmung des Wiener Buchmarktes in Zedlers Universal-Lexicon, in dem es im Artikel zu

»Wien« heißt:

12 Vgl. Olga Fejtová u.a. (Hg.), Ztracená blízkost. Praha  – Norimberk v proměnách staletí, Prag 2010.

13 Die Rolle des Wiener Niederlagehandels ist bislang kaum erforscht, vgl. Peter Rau-scher / Andrea Serles, Die Wiener Niederleger um 1700. Eine kaufmännische Elite zwischen Handel, Staatsfinanzen und Gewerbe, in: Oliver Kühschelm (Hg.), Geld – Markt – Akteure / Money – Market – Actors, Innsbruck u.a. 2015, S. 154–182; zum Buchhandel Bachleitner u.a., Geschichte des Buchhandels, S.  69–72, 117–121;

Martin Scheutz, Legalität und unterdrückte Religionsausübung. Niederleger, Reichs-hofräte, Gesandte und Legationsprediger. Protestantisches Leben in der Haupt- und Residenzstadt Wien im 17. und 18. Jahrhundert, in: Rudolf Leeb u.a. (Hg.), Geheim-protestantismus und evangelische Kirchen in der Habsburgermonarchie und im Erzstift Salzburg (17./18. Jahrhundert), Wien 2008, S. 209–236; vgl. zur allgemeinen Wirtschaftsgeschichte des Niederlagswesens Günther Chaloupek u.a., Handel im vor-industriellen Zeitalter. Der kanalisierte Güterstrom, in: Ders. u.a. (Hg.), Wien. Wirt-schaftsgeschichte 1740–1938, Bd. 2: Dienstleistungen, Wien 1991, S. 999–1036; Helene Kuraić, Die Wiener Niederleger im 18. Jahrhundert, Diss. (masch.), Wien 1946.

192 Mona Garloff

Was die Buchläden anlanget, so ist zu wissen, daß deren zwar zwantzig in Wien sind;

aber es sind unter solchen kaum sieben oder achte, welche was sagen wollen, und diese gehören meistentheils Protestantischen Buchführern zu, welche die Bücher zum Theil von Leipzig, Nürnberg und Franckfurt und andern Evangelischen Orten dahin bringen lassen. Die übrigen Buchläden sind sehr schlecht bestellt, und kann man in solchen gemeiniglich nichts anders als Schul- und andere dergleichen Bücher und Scartequen bekommen14.

Freilich ist hier eine standortgebundene mitteldeutsche Perspektive Johann Heinrich Zedlers auf den österreichischen Buchmarkt miteinzubeziehen, doch an den Geschäftsvolumina von Buchhändlern wie beispielsweise Wolf-gang Moritz Endter, Georg Lehmann, Peter Konrad Monath oder Johann Paul Krauss wird zweifelsohne die einflussreiche Stellung von Nürnberger Buch-händlern in Wien deutlich15. Die Verschärfung der Zollbestimmungen und Importverbote ab den 1720er Jahren bewirkte, dass süddeutsche Buchführer nun verstärkt darauf setzten, dauerhafte Verlagsgeschäfte in den österreichi-schen Ländern zu begründen und ihre Werke, häufig mit Zukauf einer eige-nen Druckerei, vor Ort drucken zu lassen.

Bei der Untersuchung der Distributionswege und des Buchangebots neh-men schließlich die Zensurpraxis um 1700 und ihre Auswirkungen auf den Buchhandel eine zentrale Rolle ein. Der Handel mit verbotenen Büchern wurde zwar häufig angezeigt, etablierte Großbuchhändler hatten jedoch selten ernsthafte Konsequenzen zu befürchten. Ferner werden die Grenzen entspre-chender obrigkeitlicher Regulierungsversuche hinsichtlich der verzweigten Vertriebswege des Buchhandels und zahlreicher territorialer Schlupflöcher schnell ersichtlich16.

14 Johann Heinrich Zedler, Art. Wien, in: GVUL 56 (1748), Sp. 293. Diese Beschreibung ist Johann Basil Küchelbecker, Allerneueste Nachricht vom Römisch-Kayserlichen Hof. Nebst einer ausführlichen historischen Beschreibung der Kayserlichen Residenz-Stadt Wien, Hannover 1730, S. 711f. entnommen.

15 Vgl. zum Wiener Buchhandel ab der zweiten Hälfte des 18.  Jahrhunderts Peter R.

Frank / Johannes Frimmel, Buchwesen in Wien 1750–1850. Kommentiertes Ver-zeichnis der Buchdrucker, Buchhändler und Verleger, Wiesbaden 2008.

16 Vgl. zur Zensurpraxis exemplarisch Marie-Elisabeth Ducreux (Hg.), Libri prohibiti.

16 Vgl. zur Zensurpraxis exemplarisch Marie-Elisabeth Ducreux (Hg.), Libri prohibiti.

Im Dokument Confessio im Konflikt (Seite 186-200)