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Auf dem Weg in die Wissensgesellschaft:

Im Dokument Hochschule und Gesell-schaft (Seite 53-56)

2. Multidisziplinärer Kontext

2.2 Auf dem Weg in die Wissensgesellschaft:

Die Sonderstellung wissenschaftlichen Wissens

Gegen Ende des 20. Jahrhunderts kam es zu einem Wandel der Gesellschaft von der Industrie- zur sogenannten Wissensgesellschaft. Der Begriff Wis-sensgesellschaft geht auf den amerikanischen Politikwissenschaftler Robert E. Lane zurück, der als Erster von einer knowledgeable society sprach, die sich durch das Vorhandensein von viel Wissen, das von vielen Menschen ange-messen genutzt wird, auszeichnet (Lane 1966: 650). Anfang der 1970er Jahre definierte Daniel Bell die knowledge society als Ort theoretischen Wissens. Er betonte die Bedeutung von Wissenschaft und Technologie als Innovations-quellen und die Wichtigkeit des Ausbildungs- und Forschungssektors (Bell 1973: 37; 213). Nico Stehr ging mit seiner Definition der Wissensgesellschaft noch einen Schritt weiter und behauptet, dass es zu einer Verdrängung ande-rer Wissensformen durch wissenschaftliches Wissen kommt (Stehr 1994:

36f.). Es nimmt gegenüber anderen Wissensformen eine Sonderstellung ein und gilt als wahr, universell, unabhängig und verändert sich im Zeitverlauf.

Somit kommt es auch zu einer Veränderung dessen, was als »wahr« gilt – Zweifel am Wahrheitscharakter wissenschaftlichen Wissens werden schon durch einen einfachen Blick in die Geschichte der Wissenschaft selbst ge-weckt (Weingart 2013 [2003]). Im Gegensatz zur Industriegesellschaft, die

sich durch das Eigentum an Produktionsmitteln auszeichnet, tritt in der Wis-sensgesellschaft das wissenschaftliche Wissen hinsichtlich seiner gesell-schaftlichen Funktion und Bedeutung an die Stelle materieller Produktions-mittel (Weingart 2001: 14).

»Die Etablierung der Wissenschaft in ihrer modernen Form als eine zentrale Insti-tution der Gesellschaft hat einen Optimismus begründet, dessen vorläufiger Höhe-punkt in der seit einiger Zeit eingeführten Charakterisierung der Gesellschaft als

›Wissensgesellschaft‹ zum Ausdruck kommt.« (Weingart 2013 [2003]: 8)

In modernen Gesellschaften nimmt wissenschaftliches Wissen einen immer größeren Raum ein. Man könnte auch von einer »Verwissenschaftlichung«

der Gesellschaft sprechen, da nahezu alle Handlungsbereiche (Wirtschaft, Politik, Gesundheit, Familie) mehr oder weniger wissensbasiert sind – Wis-senschaft und Gesellschaft können nicht mehr getrennt voneinander betrachtet werden (Stehr 1994: 36ff.). Allgemein lassen sich aus historischer Perspektive drei große Phasen der Verwissenschaftlichung unterscheiden (Weingart 2001: 24ff.):

1. 17. Jahrhundert: Entstehung der modernen Wissenschaft, die versucht sich mit Hilfe theoretisch begründeter Praxis gegenüber den vorherr-schenden Wissensformen – Handwerk und scholastische Gelehrsamkeit – zu legitimieren.

2. Ende des 18.Jahrhunderts: Differenzierung der Wissenschaft in Dis-ziplinen. Sie werden im 19. Jahrhundert zur Grundlage der Ausdifferen-zierung der Wissenschaft. Das Labor als zentraler Ort der Produktion wissenschaftlichen Wissens rückt in den Vordergrund.

3. Mitte des 20. Jahrhunderts: Abwendung von den Laborstudien und der in ihr stattfindenden Normierung der Natur. Es kommt zu einer episte-mischen und institutionellen Veränderung der Wissenschaft. Die Grenze zwischen Grundlagenforschung und anwendungsbezogener FuE wird aufgehoben.

Zwar besteht weiterhin großes Vertrauen in das institutionalisierte Wissen-schaftssystem, aber die Qualität wissenschaftlichen Wissens wird zuneh-mend skeptisch betrachtet und in Frage gestellt (Merton 1973b [1942]).

Getting into Print (Powell 1985; Abschnitt 1.4) kann als Metapher verwendet werden, um bedeutende Entdeckungen zu umschreiben (Merton 1957: 655).

Aus diesem Grund rückt die Wissenschaft und das in ihr produzierte Wissen – in dieser Arbeit betrachtet in Form von Publikationen in wissenschaft-lichen Zeitschriftenartikeln – ins Zentrum soziologischer Analysen. Die

Wissenschaftssoziologie im Besonderen geht davon aus, dass »Wissenschaft ein Teil von Gesellschaft und die Produktion wissenschaftlichen Wissens ein besonderer Typus sozialen Handelns oder der Kommunikation ist.«

(Weingart 2013 [2003]: 12)

Wissenssoziologische Ansätze (siehe beispielsweise Berger/Luckmann 2013 [1969]) unterstellen, dass wissenschaftliches Wissen konstruiert ist.

Innerhalb dieser Arbeit kann die Mikroebene einzelner Organisationen aller-dings nicht betrachtet werden, da Autoren einzelner Zeitschriftenaufsätze nicht untersucht wurden. Forschungskooperationen zwischen einzelnen Au-toren, Einzelorganisationen und verschiedenen Organisationsformen sind allerdings komplexe Gebilde. Status und Reputation spielen eine große Rol-le, da Wissenschaft in sozialen Settings stattfindet. Bestimmte Organisa-tionsformen verteilen beispielsweise ihre Ressourcen anders und stellen unterschiedliche Forschungsbedingungen für Wissenschaftler bereit. Im Ag-gregat der Organisationsformen können in dieser Arbeit Aussagen getroffen werden, welche Formen mehr oder weniger Wissenschaft produzieren (Kapitel 9). Jedoch wurde erst mit der Festlegung des Labors – eine von vielen Organisationsformen in der Wissenschaft produziert wird – als zen-traler Ort für die Analyse (natur-)wissenschaftlicher Wissensproduktion (Knorr-Cetina 1981, 2002 [1999]) in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufgezeigt, warum wissenschaftliches Wissen konstruiert ist. Die epistemi-sche Besonderheit des Labors als zentrale Institution der Forschung wurde begründet. In ihm finden Kämpfe um Ressourcen, Reputation und Ausbeu-tung statt. Durch die Verlagerung der Forschung in das Labor, frei von Um-welteinflüssen, wird eine neue Qualität der Forschung erreicht, in dem For-schungsvorhaben beliebig oft wiederholt, variiert und reproduziert werden können. Entgegen der von Peter Weingart aufgestellten These, dass Wissen-schaft und GesellWissen-schaft nicht mehr voneinander getrennt betrachtet werden können, ging Knorr-Cetina davon aus, dass genau diese Trennung erzeugt werden muss, um wissenschaftliches Wissen zu produzieren. Es kommt zur Konstruktion wissenschaftlichen Wissens im Labor, da die in der Forschung erzeugten Ergebnisse nicht als Beschreibung der Natur angesehen werden können, sondern in einem künstlichen Umfeld unter bestimmten Bedingun-gen erzeugt wurden (Knorr-Cetina 1981).

»Die Laborstudien wollen […] zur Entzauberung der Wissenschaft beitragen und auf diesem Weg den epistemischen und gesellschaftlichen Sonderstatus wissen-schaftlichen Wissens bestreiten. Deshalb ziehen sie aus den empirischen Befunden die weitreichende epistemologische Folgerung, wissenschaftliche

Erkenntnispro-duktion und das durch sie produzierte Wissen unterscheide sich grundsätzlich nicht von Alltagswissen.« (Weingart 2013 [2003]: 70)

Diese Aussage wiederspricht jedoch völlig dem spezifischen Charakter der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Besonders das institutionalisierte Proze-dere des Forschungsprozesses selbst und die daran anschließende Kom-munikation wissenschaftlichen Wissens in Form von Publikationen in Fach-zeitschriften zeichnet die Besonderheit wissenschaftlichen Wissens und ihre Abgrenzung vom Alltagswissen aus. Erst im Anschluss kann Objektivität hergestellt werden.

Im Dokument Hochschule und Gesell-schaft (Seite 53-56)