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Exponentielles Wachstum wissenschaftlicher Produktivität

Im Dokument Hochschule und Gesell-schaft (Seite 73-0)

3. Aktueller Stand der Forschung

3.2 Exponentielles Wachstum wissenschaftlicher Produktivität

In ihrer Untersuchung zur Forschung in der Schweiz hat das Staatssekreta-riat für Bildung und Forschung (SBF 2011) untersucht, wie sich wissen-schaftliches Wissen, gemessen durch die Anzahl an Publikationen in Zeit-schriften, verbreitet. Als Ergebnis konnte festgehalten werden, dass sich das Publikationsaufkommen seit den 1980er Jahren um das 2,7–fache gestiegen ist. Basierung auf der Zählung der Anzahl an Institutionen, die an einer Pu-blikation beteiligt sind (whole count) wurden zwischen 2005 und 2009 weltweit mehr als 10 Millionen wissenschaftliche Artikel publiziert. Die Angabe be-schreibt somit nicht die genaue Anzahl an Publikationen, sondern berück-sichtigt auch die Zunahme an Forschungspartnerschaften (siehe Abschnitt 6.7 zu den unterschiedlichen Methoden zur Berechnung der wissenschaftli-chen Produktivität). Weltweit ist die absolute Anzahl an Zeitschriftenarti-keln gestiegen. Europa dominiert allerdings weiterhin mit einem Anteil von 37,5 Prozent, gefolgt von Nordamerika mit 33,0 Prozent und Asien mit 18,9 Prozent. Das stärkste Wachstum an Publikationen verzeichnen aller-dings Asien (9,6 Prozent), der Mittlere Osten (9,3 Prozent) und Lateinameri-ka (8,8 Prozent). Europa (4,7 Prozent) und NordameriLateinameri-ka (4,4 Prozent) errei-chen hingegen einen wesentlich geringeren Anstieg an Publikationen. Ihr Anteil am weltweiten Publikationsaufkommen ist sogar gesunken. Mit Asien tritt ein dritter Konkurrent um die Vorherrschaft bei der Produktion wissen-schaftlichen Wissens neben Europa und Nordamerika. In Abschnitt 7.1 wird

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39 Kroatien wurde erst im Jahr 2013 als 28. Mitgliedsstaat in die EU aufgenommen und konnte somit bei der Analyse der präsentierten Daten nicht berücksichtigt werden.

die globale Entwicklung der Wissenschaft im 20. Jahrhundert beschrieben und der Frage nachgegangen, welche Länder am meisten zum Publikations-output im Zeitverlauf beigetragen haben und ob, wann und wohin es zu einer Verschiebung der Zentren wissenschaftlicher Produktivität kam.

3.3 Die Untersuchung von Organisationsformen, die an der Produktion wissenschaftlichen Wissens beteiligt sind

In nur sehr wenigen Studien über wissenschaftliche Produktivität (im inter-nationalen Vergleich) werden unterschiedliche institutionelle Settings und Organisationen der Forschung berücksichtigt. Selten wird der Frage nachge-gangen, wie diese den Publikationsoutput innerhalb der untersuchten Län-der beeinflussen (Powell u.a. 2017). Ernesto R. Gantman (2012) fand heraus, dass von den von ihm untersuchten Einflussfaktoren lediglich die Größe der Wirtschaft eines Landes einen Einfluss auf die wissenschaftliche Produktivi-tät hat. Allerdings hat er in seiner vergleichenden Analyse der Naturwissen-schaften nicht berücksichtigt, ob die Länder über einen ausgebauten Hoch-schulsektor verfügen. Wiederum andere Analysen haben zwar die Universi-täten als wichtige Organisation zur Produktion wissenschaftlichen Wissens mit einbezogen, aber anderen Organisationsformen, die zum jeweiligen Hochschul- und Wissenschaftssystem gehören, keine Beachtung geschenkt (siehe beispielsweise Meo/Al Masri/Usmani/ Memon/Zaidi 2013; Meo/

Usmani/Vohra/Bukhari 2013; Teodorescu 2000). Diese Einschränkung umfassender ländervergleichender Fallstudien kann ihre Potenziale durch ein Weglassen der Untersuchung anderer Wissenschaft produzierender Or-ganisationsformen nicht voll entfalten. Um langfristige Einflussfaktoren auf die Entwicklung wissenschaftlicher Produktivität zu identifizieren und um den Einfluss von Organisationsstrukturen auf die Kapazitätsbildung der Wissenschaft zu erforschen sind tiefgreifende Einzelfallstudien eines Lan-des, wie sie in dieser Arbeit für Deutschland angestrebt werden, über einen langen Zeitraum hinweg, notwendig. Die Ergebnisse sollten zusätzlich in den Kontext der globalen Entwicklung gestellt werden.

Mit seiner Studie zur wissenschaftlichen Produktivität und Organisation der Forschung der Medizin im 19. Jahrhundert hat Joseph Ben-David (1960) die These aufgestellt, dass ein steigender Wettbewerb zwischen Universitä-ten und die damit einhergehende Attraktivität der MöglichkeiUniversitä-ten für

Wissen-schaftler zu einem Anstieg ihrer Zahl führt. Obwohl der Wettbewerb zwi-schen den Einzelorganisationen einer Organisationsform in dieser Arbeit nicht untersucht wird, werden Vergleiche zwischen den Organisationsfor-men (Abschnitt 9.2 explizit zur Differenz von Universitäten und Nicht-Uni-versitäten in Deutschland) vorgenommen und theoretische Überlegungen zu den vermeintlichen Gegenpolen Zusammenarbeit und Wettbewerb (Ka-pitel 10) angestellt. Eine Untersuchung der wissenschaftlichen Produktivität der medizinischen Forschung in Deutschland wurde im Jahr 2002 von Robert J. W. Tijssen, Thed N. van Leeuwen und Anthony F. J. van Raan vorgelegt. Allerdings beschränken sich die Autoren auf eine Untersuchung der medizinischen Fakultäten an Universitäten, akademischen Lehrkranken-häusern und anderen Instituten, die an der medizinischen Forschung betei-ligt sind. Der Untersuchungszeitraum umfasst die Jahre 1982 bis 1998. In dieser Arbeit werden zusätzlich zu den akademischen Lehrkrankenhäusern auch Kliniken ohne institutionelle Anbindung an medizinische Fakultäten berücksichtigt.

Grundlagenforschung, wie sie in den klassischen Organisationsformen der Wissenschaft – Universitäten und außeruniversitäre Forschungsinstitute – betrieben wird, bildet die Basis für Publikationen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften. Im Gegensatz dazu ist davon auszugehen, dass Unterneh-men ihren Schwerpunkt auf die Produktion von Produkten legen, die in Form von Patenten verbrieft werden. Grundlagenforschung wird von ihnen als risikoreich und teuer angesehen, zudem steht einmal publiziertes Wissen dem Markt zur freien Verfügung – das Unternehmen verliert sein Exklusiv-recht auf die Nutzung des generierten Wissens. Um jedoch Wissen zur An-wendung zu bringen und schließlich in ein Produkt umzusetzen, wird von Unternehmen vermehrt eigene Forschung betrieben. Dennoch hält sich die Aussage, dass Unternehmen relativ wenig zum wissenschaftlichen Output in Form von Zeitschriftenartikeln beitragen (Godin 1996: 588). Mit ihrer Untersuchung kanadischer Unternehmen sind Éric Archambault und Vin-cent Lariviére (2011) der Frage nachgegangen, ob Firmen durch die zuneh-mende technologische Entwicklung vermehrt Grundlagenforschung betrei-ben. Sie kamen zu dem Schluss, dass obwohl immer mehr Unternehmen eigene wissenschaftliche Forschung vorantreiben und lediglich Firmen, die gleichzeitig Publikationen veröffentlichen und Patente anmelden, vermehrt an Grundlagenforschung interessiert sind. Der Bereich der Industriefor-schung (Small/Greenlee 1977; Carpenter 1983) und der Beziehungen zwi-schen Wissenschaft und Technologie wurde bisher relativ wenig beforscht,

obwohl der Anteil der publizierten Zeitschriftenartikel in den 1990er Jahren um 50 Prozent gestiegen ist. Eine Analyse der Anzahl der Publikationen konnte zeigen, dass Unternehmen immer mehr Zeitschriftenartikel produ-zieren. Benoît Godin (1996) dokumentierte mit seiner Untersuchung von 199 multinationalen Unternehmen, die die meisten Patente in den USA zur Begutachtung einreichen, dass diese rund drei Prozent der Zeitschrif-tenartikel des SCIE produzieren. Ihr Anteil ist zwischen 1980 und 1989 um ein Fünftel gestiegen. Zu den produktivsten Bereichen gehören Unterneh-men der Spitzentechnologie, wie Elektronik, Computer, chemische Industrie und pharmazeutische Industrie. Sie alle investieren gleichzeitig stark in FuE. Von den 199 analysierten Firmen publizieren deutsche Unter-nehmen einen Anteil von 7,9 Prozent. Im Untersuchungszeitraum konnte Deutschland seinen Anteil an wissenschaftlichen Zeitschriftenartikeln um 30 Prozent erhöhen. Um die oben gemachten Aussagen zu überprüfen, wird im empirischen Teil der Arbeit der Anteil unterschiedlicher Organisations-formen am Publikationsoutput im Zeitverlauf untersucht, da besonders in Deutschland die Tradition besteht, dass Firmen eigene Abteilungen für FuE finanzieren.

3.4 Nationale und internationale Kooperationen

Publikationen in internationalen Fachzeitschriften, die ein Peer-Review-Ver-fahren durchlaufen haben sind ein zentrales Instrument zur Verbreitung wis-senschaftlichen Wissens. Die weltweite Zunahme an Zeitschriftenartikeln sowohl in Alleinautorenschaft, besonders aber auch in Mehrautorenschaft, zeigt, dass wissenschaftliche Produktivität ein internationales Phänomen ist und nicht mehr nur unter dem Deckmantel nationalstaatlicher Einzelfallana-lysen betrachtet werden kann: führende Wissenschaftler wurden in verschie-denen Ländern ausgebildet, arbeiten an unterschiedlichen Orten im Laufe ihrer Karriere und teilen beziehungsweise entwickeln ihre Forschung zusam-men mit anderen Kollegen weltweit (Altbach 2016: 8). Zeitschriften spielen eine große Rolle bei der Beschreibung der Funktionsweise akademischer Forschung und ihrer Organisation. Publikationen in Fachzeitschriften die-nen der Reputation und Statuserhaltung beziehungsweise -erhöhung eines Wissenschaftlers. Der eigene Beitrag zur Generierung wissenschaftlichen Wissens wird durch Publikationen ausgedrückt. Allerdings birgt der

steigen-de Druck – publish or perish – die Gefahr einer Zunahme inflationärer Publi-kationen, die in immer kleinere Einheiten geteilt werden, ohne einen zusätz-lichen Erkenntnisgewinn zu erzielen. Jedoch hängt die Reaktion der For-scher von ihrer disziplinären Zugehörigkeit ab. Die Publikationstraditionen unterscheiden sich zum Teil deutlich voneinander (Ertl u.a. 2015).

Anhand des Beispiels der Sozialwissenschaften haben Sébastian Mosbah-Natanson und Yves Gingras (2014) die Internationalisierung und globale Entwicklung der Wissenschaft untersucht. Für den Zeitraum von 1980 bis 2009 haben sie mit Hilfe einer Analyse des Social Science Citation Index (SSCI) Publikationen, Zitationen und internationale Kooperationen im Zeit-verlauf ausgewertet. Ihre Ergebnisse zeigen, dass Europa und Nordamerika zur Zeit der Analyse die Zentren wissenschaftlicher Produktivität waren. Die Autoren bestätigen für die Sozialwissenschaften steigende internationale Forschungskooperationen, allerdings unterschieden sich die Raten für wis-senschaftliche Zusammenarbeit von Land zu Land teilweise erheblich. Die beiden Zentren wissenschaftlicher Produktivität gelten als besonders attrak-tive Partner für gemeinsame Publikationsprojekte. Ob diese Befunde auch auf die STEM+-Fächer und die hier ausgewerteten Daten übertragen wer-den können wird in Kapitel 10 überprüft.

3.5 Die Repräsentativität der Daten des SCIE zur Nutzung von vergleichenden Publikationsanalysen

Eine frühe vergleichende Analyse des Publikationsoutputs bis in die 1970er Jahre hinein konnte bereits zeigen, dass die Reliabilität wissenschaftlicher Zeitschriftendatenbanken, wie dem SCIE, davon abhängt, wie gut die inner-halb eines Landes in Form von Zeitschriftenartikeln publizierten For-schungsergebnisse von den Datenbanken abgedeckt werden. Zudem beein-flusst die Sorgfalt bei der Erstellung der Datenbanken die Ergebnisse. Eine konsistente Erfassung des Herkunftslandes einer Publikation ist essentiell (Bakker/Chang 1977: 563). Wie später gezeigt wird, besteht das Problem der einheitlichen Dokumentation der Basisinformationen zu den Autoren eines Artikels weiterhin und führt zu großen Problemen bei der Nutzung und Auswertung der Zeitschriftendatenbanken für Publikationsanalysen. Aller-dings haben erst maschinenlesbare und computergestützte Datenbanken die

Auswertung großer Datenbestände für viele Länder im internationalen Ver-gleich ermöglicht (Bakker/Chang 1977: 563).

Mit ihrer Untersuchung der Eignung des SCIE als Datenbank zur Analy-se von Publikationsaktivitäten gehen Mark P. Carpenter und Francis Narin (1981) der Frage nach, ob und inwieweit einzelne Länder und wissenschaftli-che Disziplinen repräsentiert werden. Sie kommen zu dem Schluss, dass die Abdeckung für wissenschaftliche Zeitschriften aus den USA und Großbri-tannien exzellent, für Zeitschriften als Westdeutschland und Frankreich gut und für Japan und »weitere« Länder adäquat für einen Großteil internationa-ler Vergleiche ist. Alinternationa-lerdings ist die Abdeckung für Zeitschriften aus der ehemaligen Sowjetunion so schlecht, dass die wissenschaftliche Produktivi-tät aus diesen Ländern nicht vollständig abgebildet werden kann beziehungs-weise Publikationszahlen unterschätzt werden. In Bezug auf die Abdeckung einzelner Disziplinen und Fächer ist zu beachten, dass besonders Fächer, die einen hohen Zentralisierungsgrad aufweisen und die durch große und inhalt-lich wenig spezialisierte Zeitschriften repräsentiert werden, wie Physik und Biologie, einen besonders hohen Repräsentationssgrad im SCIE erreichen.

Für Analysen dieser Fächer ist die Datenbank sehr gut geeignet. Fächer, die sich durch eine hohe Anzahl kleiner und spezialisierter Zeitschriften aus-zeichnen und die eventuell zusätzliche lokale Interessen verfolgen, erreichen eine etwas schlechtere Abdeckung in der Datenbank. Zu ihnen gehören Erd- und Raumwissenschaften, Ingenieurwissenschaften und Technologie, Mathematik und Biologie. Zudem deckt die Datenbank einen immer kleiner werdenden Teil wissenschaftlicher Literatur, besonders in schnell wachsen-den Bereichen (Computer- und Ingenieurwissenschaften), ab (Larsen/von Ins 2010). Obwohl der SCIE Dysbalancen in der Abdeckung einzelner Län-der und Disziplinen aufweist und nicht die komplette Welt Län-der Produktion wissenschaftlichen Wissens repräsentativ vertritt handelt es sich um die Da-tenbank der Wahl, um einen breiten Überblick über wichtige wissenschaftli-che Zeitschriften und publizierte Artikel zu gewinnen, besonders, wenn internationale Vergleiche angestrebt werden (Carpenter/Narin 1981: 439).

Carolin Michels und Ulrich Schmoch unterstreichen den bereits Anfang der 1980er Jahre herausgearbeiteten Befund, dass der Anteil wichtiger (klas-sischer) wissenschaftlicher Zeitschriften, die im SCIE gelistet werden, im Zeitverlauf gesunken ist. Allerdings ist der Anteil neuerer und erst kürzlich etablierter Fachzeitschriften gestiegen. Hinzu kommt, dass die Aufnahme älterer Zeitschriften das Volumen der Datenbank weiter anwachsen lässt.

Zwischen den Jahren 2000 und 2008 kam es zu einem Anstieg

wissenschaft-licher Zeitschriften um 29 Prozent, dies entspricht einer jährlichen Wachs-tumsrate von 3,3 Prozent. Eine wachsende Anzahl an Zeitschriften in der Datenbank impliziert einen gleichzeitigen Anstieg der Anzahl an Artikeln.

Diese Entwicklung führt zu einer steigenden Instabilität des SCIE, resultie-rend aus einer hohen Fluktuation der Zeitschriftenauswahl durch die Aus-wahlkriterien von Thomson Reuters. Es ist nur schwer auszumachen, ob der extreme Anstieg wissenschaftlicher Zeitschriftenartikel ein tatsächlicher An-stieg wissenschaftlicher Produktivität ist, oder aber ob er aus einer weiteren Zeitschriftenabdeckung durch den Anbieter der Datenbank resultiert (Michels/Schmoch 2012). Das Ergebnis muss zwingend in den empirischen Analysen dieser Arbeit berücksichtigt werden, auch wenn eine abschließende Aussage, wie groß der tatsächliche Anstieg wissenschaftlicher Produktivität im Zeitverlauf ist, hier nicht getätigt werden kann.


Peder Olesen Larsen und Markus von Ins (2010) haben die Wachstums-rate wissenschaftlicher Publikationen und den Rückgang der Abdeckung wissenschaftlicher Publikationen innerhalb des SCIE im Zeitraum von 1907 bis 2007 untersucht. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass Publikationen in Zeitschriftenartikeln generell ansteigen, dass es aber Unterschiede zwischen den Disziplinen gibt. Sie bestätigen, dass de Solla Prices (1961) Vorhersagen der Entwicklung des wissenschaftlichen Wachstums zwar nicht ganz kor-rekt, aber richtungsweisend waren. Obwohl die Anzahl der Publikationen pro Jahrgang des SCIE nicht verfügbar ist, gehen Bo-Christer Björk, Annikki Roosr und Mari Lauri (2008) davon aus, dass im Jahr 2006 ungefähr 1,35 Millionen Zeitschriftenartikel in peer reviewed Zeitschriften veröffentlicht wur-den. Dieses Ergebnis führt sie zu dem Schluss, dass die Abdeckung des SCIE niedriger ist, als die vergleichbarer Datenbanken. In Abschnitt 6.4 (Ka-pitel 6 Daten und Methoden) kann zumindest im Vergleich mit der Zeit-schriftendatenbank Scopus gezeigt werden, dass beide einen ähnlichen Be-stand an wissenschaftlicher Literatur in Form von Zeitschriftenartikeln auf-weisen. Heute (Stand 2010) werden ungefähr 24.000 wissenschaftliche peer reviewed Fachzeitschriften herausgegeben. Diese Zahl umfasst alle Diszipli-nen. Im SCIE hingegen werden lediglich 6.650 von ihnen erfasst (Larsen/

von Ins 2010: 594), da die Datenbank keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, einem strengen Auswahlprozess folgt, sich auf die STEM+-Fächer beschränkt und einen Bias in Bezug auf englischsprachige Zeitschriften (Beigel 2014) aufweist (Abschnitte 6.3 und 6.4). Die Autoren setzen sich auch mit der Frage auseinander, ob für historische Trendanalysen ein festes Set an Zeitschriften zur Analyse benutzt werden sollte. Durch die Aufnahme

neuer Zeitschriften in den SCIE werden auch Zeitschriften in älteren Jahr-gängen ergänzt. Dies führt zu dem Problem, dass der zum Zeitpunkt der Analyse herrschende Bestand nicht adäquat wiedergegeben wird. Im Um-kehrschluss führt die Nutzung eines festen Sets an Zeitschriften zu einer Unterrepräsentation von Forschung, die zu einem früheren Zeitpunkt in der Datenbank noch nicht berücksichtigt wurde, aber bereits Teil des wissen-schaftlichen Outputs war. Derek Hill und seine Kollegen (2007) empfehlen:

»The longer the period being studied, the less adequate a fixed journal set becomes as a representation of the world’s articles throughout the period.« (Larsen/von Ins 2010: 601)

Dieser Aussage folgend, wird in dieser Arbeit kein festes Set an Zeitschriften zur Analyse benutzt, sondern wie im Methodenteil (Kapitel 6) darzulegen ist für den Zeitraum von 1900 bis 1970 eine Zufallsstichprobe und ab 1975 der vollständig zur Verfügung stehende Datensatz, wie er zum Zeitpunkt der Datenziehung im Herbst 2012, vorlag. Abschließend werfen die Autoren in ihrem Artikel die Frage auf, ob und wann die Wachstumskurve wissenschaft-licher Produktivität abflachen wird. Die auch in dieser Arbeit zentrale Frage konnte von den Autoren nicht beantwortet werden, jedoch gehen sie davon aus, dass es zu einem Wendepunkt kommen muss, bevor die gesamte Bevöl-kerung zu Wissenschaftlern wird (Larsen/von Ins 2010: 601).

3.6 Zitationsanalysen zur Messung der Qualität wissenschaftlicher Publikationen

Obwohl Zitationsanalysen in dieser Arbeit nicht berücksichtigt werden, soll ihre Wichtigkeit für bibliometrische Analysen an dieser Stelle betont werden.

Zitate bilden ein grobes Maß für die Wichtigkeit eines Zeitschriftenartikels.

Durch die Auflistung der 100 meistzitierten Artikel seit 1900 zeigt Thomson Reuters, dass nicht unbedingt die berühmtesten Beiträge eines Feldes am häufigsten zitiert werden, sondern Beschreibungen experimenteller Metho-den oder Software, die von Forschern genutzt werMetho-den, um eigene Arbeiten durchzuführen (van Noorden u.a. 2014: 550). Um in die Liste der Top 100 aufgenommen zu werden, muss ein Artikel zur Zeit mindestens 12.119 mal zitiert werden, somit handelt es sich um extreme Ausreißer, da lediglich 14.499 Artikel mehr als 1.000 Zitationen erlangen. Um in diese erlesene

Aus-wahl zu gelangen, sollte ein Artikel als Standardreferenz für eine bestimmte Methode gelten. Fundamentale Entdeckungen werden eher seltener zitiert, da sie so wichtig sind, dass sie in Handbücher eingehen oder ihre Begriffe innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft so bekannt sind, dass sie kei-ne Literaturangabe mehr benötigen. Die Autoren ziehen zur Verbildlichung der bereits publizierten Masse an wissenschaftlichen Zeitschriftenartikeln die Höhe des Kilimandscharo (5.895 Meter) heran:

»If you were to print just the first page of every item indexed in Web of Science, the stack of paper would reach almost to the top of Mt Kilimanjaro. Only the top metre and a half of that stack would have received 1,000 citations or more, and just a centi-meter and a half would have been cited more than 10,000 times. All of the top 100 are cited more than 12,000 times, besting some of the most recognizable scientific discoveries in history.« (van Noorden u.a. 2014: 551)

Aufbauend auf der bereits 1997 erschienenen Studie zur Analyse des wissen-schaftlichen Outputs (Publikationen und Patente) verschiedener Länder von Robert M. May hat David A. King 2004 eine umfassende vergleichende Ana-lyse von 31 Ländern, inklusive der G8 und der EU–15 Länder, vorgelegt.

King (2004) wollte wissen, welchen Einfluss die ausgewählten Länder auf die Wissenschaft haben und inwiefern sich ihre Investitionen in FuE in Form wissenschaftlichen Outputs niederschlagen. Gemeinsam sind die USA, Großbritannien, Deutschland, Japan, Frankreich, Kanada, Italien und die Schweiz für 84,5 Prozent der führenden meistzitierten Zeitschriftenarti-kel zwischen 1993 und 2001 weltweit verantwortlich. Die nächsten neun Länder produzierten 13 Prozent und die restlichen Länder 2,5 Prozent der meistzitierten Artikel. Obwohl King lediglich 31 Länder in seine Analyse mit einbezogen hat, produzieren diese 97,5 Prozent der meistzitierten Zeit-schriftenartikel weltweit.

Die Zusammenfassung des aktuellen Stands der Forschung und die Prä-sentation einer Auswahl an Studien zeigt zum Teil große Forschungslücken auf, die auch nicht alle in dieser Arbeit geschlossen werden können. Der Vorteil dieser Studie ist allerdings die Berücksichtigung eines langen Beob-achtungszeitraums und die Einbeziehung der weltweiten und europäischen Entwicklung der Publikationszahlen, um die detaillierte Analyse der wissen-schaftlichen Produktivität in Deutschland über den Zeitraum von mehr als einem Jahrhundert auszuwerten. Durch die ausführliche Beschreibung der Strukturen und institutionellen Settings, die zur Produktion wissenschaftli-chen Wissens beitragen, wird eine Lücke geschlossen, die in vorangegange-nen Studien bisher keine Beachtung gefunden hat, aber wichtig für das

Ver-ständnis ist, welche Makrostrukturen die besten Bedingungen zur Generie-rung neuen Wissens bereitstellen. Die im nächsten Kapitel folgende theoreti-sche Einbettung der Arbeit dient dem tieferen Verständnis und betont die Wichtigkeit der Zusammenführung empirischer Ergebnisse und theoreti-scher Vorüberlegungen, die bis heute teilweise in nur wenig miteinander sprechenden Disziplinen stattfindet.

Bevor der aktuelle Forschungsstand mit den empirischen Daten dieser Dissertation konfrontiert werden kann, erfolgt die Vorstellung der herange-zogenen theoretischen Konzepte im nächsten Kapitel, denn ohne eine Ein-bettung der Daten in einen Rahmen ist eine sinnvolle Interpretation der Er-gebnisse nicht möglich.

Erklärungsansätze zur Beschreibung der Entwicklung und Institutionalisierung globaler Wissenschaft

Als theoretische Basis für meine Analysen nutze ich einen neo-institutionel-len Ansatz zur Untersuchung und Erklärung der Expansion des Hochschul-wesens und der Wissenschaft weltweit. Trotz des allgemeinen Wachstums wissenschaftlicher Publikationen in den STEM+-Fächern bestehen be-trächtliche Unterschiede zwischen den institutionellen Settings (zeit- und ortsübergreifend), Organisationsformen und einzelner Organisationen, die maßgeblich zur wissenschaftlichen Produktivität beitragen. Die Gemein-samkeiten und Unterschiede werden im empirischen Teil der Arbeit auf mehreren Analyseebenen unter Einbeziehung unterschiedlicher Dimensio-nen untersucht und miteinander in Beziehung gesetzt. Ausgehend von einer

Als theoretische Basis für meine Analysen nutze ich einen neo-institutionel-len Ansatz zur Untersuchung und Erklärung der Expansion des Hochschul-wesens und der Wissenschaft weltweit. Trotz des allgemeinen Wachstums wissenschaftlicher Publikationen in den STEM+-Fächern bestehen be-trächtliche Unterschiede zwischen den institutionellen Settings (zeit- und ortsübergreifend), Organisationsformen und einzelner Organisationen, die maßgeblich zur wissenschaftlichen Produktivität beitragen. Die Gemein-samkeiten und Unterschiede werden im empirischen Teil der Arbeit auf mehreren Analyseebenen unter Einbeziehung unterschiedlicher Dimensio-nen untersucht und miteinander in Beziehung gesetzt. Ausgehend von einer

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