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Wettbewerb zwischen verschiedenen Standards

4.4 R ECHTSVERGLEICH MIT VÖLLIGER F REIGABE

4.4.4 Wettbewerb zwischen verschiedenen Standards

Zahl anerkannter Corporate Governance Kodizes durchsetzen wird, verringern sich die Unterschiede zu einer Regulierung durch nur einen Corporate Governance Kodex wie im Falle des DCGK. Der wohl wichtigste Unterschied ist, dass die Akteure in der Variante der Nichtregulierung die Wahl zwischen mehreren Corporate

414 Vgl. Kirchner (2002), S. 114-115.

415 Vgl. Kirchner (2002), S. 114-115.

nance Kodizes haben werden. Eine solche Wettbewerbssituation verschiedener Insti-tutionen (regulatory competition) hat möglicherweise eine Reihe von Vorteilen.416

4.4.4.1 Vorteile eines Wettbewerbs zwischen verschiedenen Standards

Die obligatorische Anwendung desselben regulatorischen Regimes für alle börsenno-tierten Unternehmen als Adressaten des Aktien- und Kapitalmarktrechts eines Lan-des kann zwangsläufig nicht allen Bedürfnissen der verschiedenen Unternehmen gerecht werden – „one size does not fit all“. Die Anwendung eines einzigen Regel-sets für ein breites Spektrum von Publikumsgesellschaften ist unrealistisch und be-droht den fairen Zugang zu Kapitalmärkten insbesondere für Unternehmen aus Wachstumsbranchen, die sich in einer kritischen Entwicklungsstufe befinden.417 Ein Wettbewerb verschiedener Standards hat somit zunächst den Vorteil, dass er auf-grund der Möglichkeit der Diversifikation passgenauere Regelungen produziert.

Ein weiterer Vorteil ist die schnelle Korrektur von fehlerhaften Regelungen.418 Die Annahme und Ablehnung verschiedener Kodizes durch die Unternehmen erlaubt den Regelerstellern eine schnelle Rückmeldung zur Beurteilung der Qualität ihrer Re-gelwerke durch diese Unternehmen und ihre Investoren. Beobachtbare Entscheidun-gen von Akteuren lassen Rückschlüsse auf die ansonsten nicht sichtbaren Präferen-zen der Akteure zu. Wenn die Autoren eines Kodex die zurückgehende Akzeptanz ihres Regelwerks beobachten, werden sie möglichst schnell Anpassungen vorneh-men, wobei sie sich vermutlich an erfolgreicheren Konkurrenzprodukten orientieren werden.

Ferner führt ein Wettbewerb der Institutionen wahrscheinlich zu sachlich besseren Regeln. Ein wesentlicher Mechanismus dazu ist die Möglichkeit des Experimentie-rens mit verschiedenen Regelungsvarianten. Erfolgreiche Regelungsvarianten wer-den sich aufgrund der Flexibilität und Geschwindigkeit des Änderungsprozesses von

416 Vgl. zum Konzept des regulatorischen Wettbewerbs Bratton/McCaherty (1997); Breton (1996), Vanberg/Kerber (1995), Kerber (2000).

417 Vgl. Cain (2003), S. 639.

418 Vgl. Romano (2001), S. 393; Pirrong (1998), S. 435.

Corporate Governance Kodizes vermutlich schnell verbreiten und von konkurrieren-den Kodizes übernommen werkonkurrieren-den.419

Ein regulatorisches Regime, das den Unternehmen die Wahl zwischen unterschiedli-chen institutionellen Arrangements lässt, bietet die Chance zu maßgeschneiderten Lösungen, die den spezifischen Bedürfnissen von Unternehmen verschiedener Größe und aus verschiedenen Branchen besser entsprechen. Die Entscheidung darüber, wel-ches Regelset am besten zu den Bedürfnissen des jeweiligen Unternehmens passt, sollte der Unternehmensführung selbst vorbehalten sein; nur sie verfügt über die op-timalen Informationen zum Fällen dieser Entscheidung.420 Die Unternehmensführung hat in dieser Situation die Möglichkeit, unter mehreren auf dem Markt für Corporate Governance Standards befindlichen Kodizes denjenigen auszuwählen, der den Be-dürfnissen des Unternehmens am besten entspricht. Dabei kann sie schnell und flexi-bel auf geänderte Anforderungen von Kapitalmärkten reagieren und dasjenige regu-latorische Regime wählen, das von Investoren bevorzugt wird.421 Im Hinblick auf die zentrale Bedeutung des mit der Anerkennung eines Kodex einhergehenden positiven Signaling ist zu erwarten, dass dieses passgenauer und zielgerichteter auf die Inves-toren ausgerichtet werden kann, die das Unternehmen ansprechen will. Mit der Wahl desjenigen institutionellen Arrangements, das von Investoren bevorzugt wird, kön-nen die Kapitalkosten des Unternehmens gesenkt werden.

In gewisser Hinsicht kann der Wettbewerb der verschiedenen Wertpapierbörsen trotz der starken Regulierung durch das jeweilige nationale Recht als Beispiel für einen Wettbewerb der Institutionen auf dem Feld der Corporate Governance angesehen werden. Wenngleich vor allem für kleinere Unternehmen nach wie vor der nationale Kapitalmarkt die primäre Kapitalquelle ist, so kann doch kein Zweifel daran beste-hen, dass NYSE, LSE und die Deutsche Börse um große Publikumsgesellschaften konkurrieren. Möglicherweise wird im Zuge der Globalisierung das regulatorische Regime einer Nation immer weniger eine verpflichtende Funktion haben, sondern

419 Vgl. Romano (1998), S. 2392; Romano (2001), S. 393-395.

420 Vgl. Romano (1998), S. 2365 sowie grundsätzlich O’Hara/Ribstein (2000).

421 Vgl. Romano (1998), S. 2365-2366.

mehr und mehr zu einem unter mehreren verfügbaren Standards für Aktienregulie-rung werden.422

4.4.4.2 Nachteile eines Wettbewerbs zwischen verschiedenen Standards

Beim Vergleich mit der Regulierung durch nur einen Kodex ist festzustellen, dass ein Nachteil der durch mehrere konkurrierende Kodizes geprägten institutionellen Wett-bewerbssituation die mangelnde Einheitlichkeit und daraus resultierende Unsicher-heit der Akteure ist.423 Wenn es nur einen einzigen (staatlich initiierten) Kodex gibt, bestehen keine Zweifel, unter welchen Regeln gearbeitet wird. Wenn ein Investor zunächst die Spezifika verschiedener Kodizes analysieren muss, erhöhen sich ent-sprechend – wie im Rahmen der Untersuchung unternehmensindividueller Corporate Governance Grundsätze erläutert424 – seine Informationskosten.425 Gerade am An-fang der Entwicklung fällt dieses Argument besonders ins Gewicht, da der Auslese-prozess im Wettbewerb der verschiedenen Kodizes einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Währenddessen ist mit einer Vielzahl von Kodizes zu rechnen. Potentielle In-vestoren müssen daher für die Untersuchung und Bewertung der Kodizes bzw. der von den Unternehmen erklärten Annahmen und Abweichungen davon erhebliche Ressourcen aufwenden.

Als weiteres Argument gegen einen Wettbewerb der Institutionen ist im Zusammen-hang mit der Regulierung von Aktien- und Kapitalmärkten die Gefahr eines „Race to the bottom“ genannt worden.426 So bestehe bei der Wahl zwischen mehreren regula-torischen Regimes ein starker Anreiz für die Unternehmen dasjenige zu wählen, wel-ches über die schwächsten Einschränkungen der Handlungsfreiheit des Managements verfügt und so die breitesten diskretionären Handlungsspielräume eröffnet. Der Wettbewerb tendiere entsprechend zu Regeln mit immer niedrigeren Schutzmecha-nismen. Dieses Argument vermag nicht zu überzeugen. Die Investoren als Marktge-genseite bewerten das institutionelle Regime, unter dem das Unternehmen arbeitet.

422 Vgl. Keeler/Foreman (1998); Romano (2001).

423 Vgl. ABA Special Study Group (2002), Section V. B. 1.

424 Vgl. oben unter 4.4.2.

425 Vgl. Romano (1998), S. 2396-2397.

426 Vgl. z.B. Prentice (2002), insbesondere S. 1434-1448.

Wie dargelegt führen diskretionäre Handlungsspielräume zu entsprechenden Auf-schlägen auf die Kapitalkosten.

Als ein Beispiel kann das US-Gesellschaftsrecht herangezogen werden. In den USA liegt die Gesetzgebungskompetenz für Gesellschaftsrecht bei den 50 Bundesstaaten und dem District of Columbia. Unternehmen haben folglich die Wahl zwischen 51 verschiedenen institutionellen Arrangements. In diesem Zusammenhang wurden ähn-liche Befürchtungen eines „Race to the bottom“ geäußert. Es gibt jedoch viele Hin-weise darauf, dass die Incorporation-Entscheidungen von Firmen effizient sind.427 Es ist zu beobachten, dass sich die verschiedenen Staaten stark an den Regimes der

„Marktführer“ – insbesondere dem kleinen Staat Delaware – orientieren und es trotz des institutionellen Wettbewerbs nur relativ wenige Unterschiede gibt.

4.4.5 Regulierung vs. Nichtregulierung: Bedeutung der