• Keine Ergebnisse gefunden

Deliktische Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB iVm einem

2.6 H AFTUNGSFRAGEN IM Z USAMMENHANG MIT DER

2.6.2 Ersatzansprüche geschädigter Aktionäre oder Anleger

2.6.2.5 Deliktische Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB iVm einem

2.6.2.5.1 § 823 Abs. 2 BGB iVm § 161 AktG

Sowohl hinsichtlich des verletzten Rechtsgutes als auch in Bezug auf die Art des eingetretenen Schadens gewährt § 823 Abs. BGB iVm mit einem Schutzgesetz einen weitergehenden Rechtsschutz als § 823 Abs. 1 BGB. Ein Schutzgesetz iSv § 823 Abs. 2 BGB ist eine Rechtsnorm, die – zumindest auch – den Schutz eines einzelnen oder einzelner Personengruppen vor bestimmten Rechtsgutsverletzungen be-zweckt.180

Es ist fraglich, ob § 161 AktG ein solches Schutzgesetz ist. Die Vorschrift hat zwei-felsohne Rechtsnormqualität. Durch Rückgriff auf die Präambel des DCGK lässt sich auch der zu schützende Personenkreis eindeutig bestimmen. Problematisch ist je-doch, ob der Zweck von § 161 AktG auch den Schutz des Vermögens Einzelner

176 Vgl. Großkommentar zum Aktienrecht-Hopt (1999), § 93, Rn. 470; Berg/Stöcker (2002), S. 1578 mwN; Seibt (2002), S. 255.

177 Vgl. Palandt-Thomas § 823, Rn. 140 ff.

178 A.A. Berg/Stöcker (2002), S. 1578.

179 Vgl. Ettinger/Grützediek (2003), S. 358.

180 Vgl. nur BGH NJW 1992, S. 242; Palandt-Thomas § 823, Rn. 141 mwN.

fasst. Aus dem Wortlaut lässt sich ein solcher Zweck nicht entnehmen. Die Suche nach historischen Argumenten bleibt erfolglos, da die Gesetzesbegründung zu Haf-tungsfragen an dieser Stelle schweigt.181 Aus systematischen Aspekten spricht die Divergenz zu anderen und spezielleren Haftungsgrundlagen gegen einen entspre-chenden Schutzzweck. Insbesondere in Bezug auf §§ 37b, 37c WpHG ist auffällig, dass diese Normen einen Haftungsanspruch erst ab der Schwelle grober Fahrlässig-keit vorsehen. Der – im Übrigen in § 37b Abs. 2 bzw. 37c Abs. 2 WpHG begrenzte – Anspruch richtet sich jedoch nur gegen die Gesellschaft selbst, weshalb diese Norm nicht aus Gründen der Spezialität vorgehen kann. Im Übrigen hat sich die Rechtspre-chung in der Vergangenheit nicht davon abhalten lassen, eine Haftung von Verwal-tungsmitgliedern über § 823 Abs. BGB iVm Einzelbestimmungen anzunehmen, wenngleich das Aktiengesetz in diesem Punkt schweigt.182

Aus teleologischer Sicht ist einzuwenden, dass ein unkontrollierbares Haftungsrisiko für Organmitglieder börsennotierter Aktiengesellschaften einen lähmenden Effekt haben könnte. Wenn die Arbeitsbedingungen für Vorstände und Aufsichtsräte durch hohe Haftungsrisiken verteuert werden, könnte es für die Anteilseigner der Unter-nehmen schwierig werden, internationale Top-Manager zu verpflichten. Dieses Ar-gument wird jedoch dadurch entkräftet, dass Haftungsrisiken mit entsprechenden Versicherungen begegnet werden kann. Für Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte besteht eine ähnliche Haftung, die durch die einschlägigen Pflicht-Berufshaftpflichtversicherungen abgedeckt wird.183

Schwierigkeiten bei der Durchsetzung des Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB iVm

§ 161 AktG dürften in der Praxis jedoch beim Nachweis der Kausalität und bei der Schadensberechnung bestehen, da der Aktienkurs als schadensbestimmende Größe von vielen anderen Faktoren beeinflusst wird, die mit der Abgabe der Entsprechens-erklärung in keinem Zusammenhang stehen.

181 So auch Seibt (2002), S. 256; Berg/Stöcker, S. 1579; Abram (2003), S. 45.

182 Vgl. Abram (2003), S. 46 mwN.

183 Vgl. Abram (2003), S. 46.

2.6.2.5.2 § 823 Abs. 2 BGB iVm § 20a Abs. 1 WpHG

Ein Haftungsanspruch auf der Grundlage von § 823 Abs. 2 BGB iVm § 20 a Abs. 1 WpHG ist wieder nur dann möglich, wenn § 20a Abs. 1 WpHG die erforderliche Schutznormqualität zukommt. Dagegen spricht, dass § 20a Abs. 1 WpHG der Nach-folger des nahezu bedeutungslosen § 88 BörsG ist,184 dem diese Qualität nicht zu-kam.185 Ferner würde es den Wertungen aus §§ 37b Abs. 5, 37c Abs. 5 WpHG wi-dersprechen, wenn über § 823 Abs. 2, 276 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB die lediglich leicht fahrlässige Verletzung des § 20a Abs. 1 WpHG zu einer Haftung von Vorstand oder Aufsichtsrat führen würde (vgl. oben 3.9.2.4). Für die Ahndung eines Verstoßes gegen § 20a Abs. 1 WpHG als Ordnungswidrigkeit gem. § 39 Abs. 1 Nr. 1 WpHG muss zumindest bedingter Vorsatz vorliegen. Dieses gesteigerte Verschuldenserfor-dernis muss demnach auch für eine Deliktshaftung aus § 823 Abs. 2 BGB gelten.186

2.6.2.5.3 § 823 Abs. 2 BGB iVm § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG

Bis zum Inkrafttreten des 4. Finanzmarktförderungsgesetzes kam § 15 Abs. 1 WpHG keine Schutznormqualität. Dies beruhte zum einen auf dem expliziten Haftungsaus-schluss in § 15 Abs. 6 WpHG, zum anderen auf dem Schutzbereich der Vorschrift, der sich auf die Sicherung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes beschränkt.187 Trotz des Wegfalls des Haftungsausschlusses mit dem 4. Finanzmarktförderungsge-setz hat sich der Schutzbereich der Norm nicht geändert. Für den Fall der Verletzung des § 15 Abs. 1 WpHG stehen nunmehr die §§ 37b Abs. 5, 37c Abs. 5 WpHG zur Verfügung (vgl. oben). Damit besteht nach wie vor kein Anlass, § 15 Abs. 1 WpHG als Schutzgesetz iSv § 823 Abs. 2 BGB anzusehen.188

2.6.2.5.4 § 823 Abs. 2 BGB iVm § 331 Nr. 1, 2 HGB

Nach § 331 Nr. 1, 2 HGB ist die vorsätzliche unrichtige oder verschleiernde Darstel-lung der Verhältnisse der Gesellschaft u.a. in deren Jahres- und Konzernabschluss

184 RegE 4. FMFG, BT-Drucks. 14/8017, S. 89.

185 Vgl. OLG München ZIP 2002, S. 1989 (1991) mwN; Groß (2002), S. 484.

186 Vgl. Abram (2003), S. 46.

187 Vgl. OLG München ZIP 2002, 1989 (1994); Rieckers (2002), S. 1214-1215 mwN.

188 Vgl. Abram (2003), S. 46.

mit Strafe bedroht. Die Norm ist ein Schutzgesetz iSv § 823 Abs. 2 BGB. Die Erklä-rung nach § 161 AktG muss jedoch nicht im Jahresabschluss wiederholt werden, nach §§ 285 Nr. 16, 314 Abs. 1 Nr. 8 HGB ist der Hinweis ausreichend, dass die Entsprechenserklärung abgegeben und den Aktionären zugänglich gemacht worden ist. Somit ist die Abgabe einer inhaltlich falschen Entsprechenserklärung von § 331 Nr. 1, 2 HGB nicht erfasst. Da sich die Schutznorm im Übrigen nur auf die „wirt-schaftlichen“, nicht aber auf die tatsächlichen Verhältnisse der Gesellschaft bezieht, kommt eine Schadensersatzpflicht aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 331 Nr. 1, 2 HGB auch dann nicht in Betracht, wenn die Entsprechenserklärung entgegen anders lau-tenden Angaben im Jahresabschluss nicht abgegeben oder den Aktionären nicht zu-gänglich gemacht worden ist.189

2.6.2.5.5 § 823 Abs. 2 BGB iVm § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG

Die Strafbestimmung des § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG ist gegenüber § 331 Nr. 1, 2 HGB subsidiär. Als Schutzgesetz iSv § 823 Abs. 2 BGB stellt sie die vorsätzliche falsche oder verschleierte Präsentation der Verhältnisse der Aktiengesellschaft in Darstel-lungen oder Übersichten über den Vermögensstand sowie in Vorträgen oder Aus-künften in der Hauptversammlung unter Strafe. Zu den „Verhältnissen“ gehören alle Tatsachen, Daten, Vorgänge und Schlussfolgerungen, die für die zukünftige Ent-wicklung der Gesellschaft von Bedeutung sein können.190 Dazu gehört auch, inwie-weit die Gesellschaft den DCGK einhält.

Es ist zu beachten, dass der Verstoß gegen § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG für die Auslö-sung der Haftungsfolge gem. § 823 Abs. 2 BGB, § 15 STGB (zumindest bedingt) vorsätzlich erfolgen muss; der geschädigte Anleger trägt hierfür ebenso die Beweis-last wie für die Ursächlichkeit des Verstoßes für einen bei ihm eingetretenen Scha-den. Aufgrund dieser für den Anleger ungünstigen Beweissituation dürfte die Vor-schrift in der Praxis wenig Bedeutung erlangen.191

189 Vgl. Ihrig/Wagner (2002), S. 792; Berg/Stöcker (2002), S. 1579 f.

190 Großkommentar zum Aktienrecht-Otto, § 400, Rn. 29; Berg/Stöcker (2002), S. 1579.

191 Vgl. Abram (2003), S. 47.

2.6.2.5.6 § 823 Abs. 2 BGB iVm § 264a Abs. 1 StGB

Der Tatbestand des Kapitalanlagebetrugs nach § 264 Abs. 1 StGB hat gewisse Ähn-lichkeit mit dem des § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG. Er verlangt jedoch zusätzlich einen Zusammenhang mit dem Vertrieb von Wertpapieren oder einem Angebot zur Auf-stockung bereits gehaltener Papiere. Die Strafnorm kann also nur ausnahmsweise dann eingreifen, wenn die Entsprechenserklärung nach § 161 AktG im Zusammen-hang mit der Neuemission von Aktien erfolgt. Ferner müssen die in „Prospekten“,

„Darstellungen“ oder „Übersichten“ bereitgestellten Informationen den Eindruck erwecken, für die Anlageentscheidung vollständige Informationen zu liefern; dies ist bei den in der Regel als Ad-hoc-Mitteilung veröffentlichten Erklärungen zum Deut-schen Corporate Governance Kodex in der Regel nicht der Fall.192

2.6.2.5.7 § 823 Abs. 2 BGB iVm § 263 Abs. 1 StGB

Ein Eingreifen von § 263 Abs. 1 StGB scheidet aus, da es am Erfordernis eines un-mittelbar verursachten Vermögensschadens fehlt. Wenn ein Anleger aufgrund einer falschen Entsprechenserklärung Aktien eines Unternehmens kauft, so manifestiert sich der Kursverlust – wenn überhaupt – erst später, wenn die Unrichtigkeit der Ent-sprechenserklärung allgemein bekannt wird. Das Vermögen des Geschädigten ist im Moment des Aktienkaufs nicht – wie von § 263 Abs. 1 StGB gefordert – unmittelbar geringer geworden, weil der Wert der Aktien dem Vermögen mit der Verfügung gleichzeitig zuwächst.193