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Bewertung von § 161 AktG im Licht der

4.4 R ECHTSVERGLEICH MIT VÖLLIGER F REIGABE

4.4.5 Regulierung vs. Nichtregulierung: Bedeutung der

4.4.5.5 Bewertung von § 161 AktG im Licht der

Abgabe einer Entsprechenserklärung, um „gute Corporate Governance“ (das Vor-handensein von Informations- und Schutzmechanismen für Investoren) zu kommuni-zieren. Die Implementierung eines Gesetzes wie § 161 AktG, welches die Erklärung der Nichtanwendung eines bestimmten, im Übrigen freiwilligen Kodex vorschreibt, stellt sich als Eingriff in den Markt für Unternehmensführungsstandards dar.441 Die Folge für die Unternehmen ist, dass die Handlungsvariante der Nichtbefolgung des Kodex erheblich verteuert wird, da sie zur Erzeugung eines negativen Signaling-Effekts gezwungen werden.442 Es entsteht somit ein Druck zur Befolgung eines be-stimmten Kodex, um den aus einem negativen Signaling-Effekt potentiell resultie-renden schlechteren Finanzierungskonditionen zu entgehen. Damit könnte sich mög-licherweise eine suboptimale Lösung durchsetzen, was gegen einen regulatorischen Eingriff in Form einer „befolge-oder erkläre“-Regelung spricht.

§ 161 AktG hat jedoch einen nicht zu unterschätzenden Nebeneffekt gehabt. Die Verabschiedung der „befolge-oder-erkläre“-Regelung im Zusammenhang mit der Initiierung des DCGK durch die Bundesregierung hat zu einer großen Aufmerksam-keit in Wirtschaftskreisen für Corporate Governance geführt.443 In vielen Unterneh-men ist es zu einer „Inventur der Corporate Governance“ gekomUnterneh-men. Ohne § 161 AktG wären Investoren und Unternehmen wohl nicht in diesem Maße auf das Regu-lierungsinstrument Corporate Governance Kodex und die damit

439 Vgl. zum Konzept der Marginalanalyse Homann/Suchanek (2000), S. 71-75.

440 Vgl. Grundfest (1998), S. 413; Easterbrrok/Fischel (1991), S. 280-283.

441 Vgl. Kirchner (2002), S. 115-116.

442 Vgl. oben 3.5.4.

443 Vgl. oben 3.7.1.

den Signaling-Möglichkeiten aufmerksam geworden. Insofern muss festgestellt wer-den, dass zu Beginn der Entwicklung die Vorgabe des rechtlichen Rahmens durch den Gesetzgeber gewisse Vorteile hatte, wenngleich sie mittlerweile möglicherweise nicht mehr erforderlich wäre.

Vorzugswürdig wäre indes eine Regelungsvariante, die den Unternehmen die Wahl zwischen verschiedenen Corporate Governance Kodizes lässt. Dies ließe den Unter-nehmen die Möglichkeit, Branchenspezifika und die jeweiligen UnterUnter-nehmensbe- Unternehmensbe-sonderheiten zu berücksichtigen und passgenaue rechtliche Regelungen zu verwen-den.

5 Verfassungsrechtliche Prüfung und Legitimation des DCGK 5.1 Verfassungsrechtliche Prüfung

Im folgenden Abschnitt wird die Einsetzung der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex und die Verweisung in § 161 AktG auf den DCGK einer verfassungsrechtlichen Prüfung unterzogen.

Die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex unter der Lei-tung von Dr. Gerhard Cromme ist eine private Organisation, die über keinerlei de-mokratische Legitimation verfügt. Ihre Einsetzung und die Begleitung ihrer Arbeit durch die Bundesregierung ohne eine gesetzliche Grundlage könnten gegen den Ge-setzesvorbehalt verstoßen. Außerdem ist zu untersuchen, ob der Verweis auf den DCGK in § 161 AktG gegen das Demokratieprinzip oder – genauer – gegen den Par-lamentsvorbehalt verstößt. In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu prüfen, ob es durch den DCGK zu nicht legitimierten Grundrechtseingriffen gekommen ist.

5.1.1 Verstoß gegen den Gesetzesvorbehalt

Der „Vorbehalt des Gesetzes“ betrifft ein verfassungsrechtliches Kompetenzprob-lem. Er definiert die Abgrenzung der Kompetenzbereiche von Legislative und Exe-kutive.444 Der Gegenstandsbereich, der „dem Gesetz vorbehalten“ ist, ist einer auto-nomen Regelung durch die Verwaltung entzogen. Obwohl der Gesetzesvorbehalt im Grundgesetz nicht ausdrücklich erwähnt ist, ist sein Verfassungsrang unbestritten.445 Im Hinblick auf den DCGK stellt sich die Frage, ob die Bundesregierung bei der Einsetzung der beiden Regierungskommissionen „Corporate Governance“ und

„Deutscher Corporate Governance Kodex“ nicht ohne ein Gesetz hätte handeln dür-fen. Problematisch ist weiterhin, dass die Bundesregierung die Beratungen der Re-gierungskommission durch die Entsendung von Mitarbeitern des Justizministeriums

444 Vgl. nur Maunz/Düring-Herzog, Art. 20 Rn. I 10, II 83 ff. und VI 22 ff., 55 ff.; Isensee/Kirchhof-Böckenförde, Bd. I, 887-910.; Isensee-Krchhof-Ossenbühl Bd. III, S. 320; sowie ausführlich Kloepfer (1984), S. 685-695.

445 In BVerfGE 40, 237 (248); 49, 89 (126) wird er aus Art. 20 Abs.3 GG abgeleitet; nach BVerfGE 45, 400 (417); 47, 46 (78); 58, 257 (278) folgt er aus dem Demokratie- und dem Rechtsstaatsprinzip.

begleitet hat und so möglicherweise einen gewissen Einfluss auf die Ergebnisse nehmen konnte.446

Die Einsetzung von Regierungskommissionen ist grundsätzlich ein normaler Vor-gang, der zum eigentlichen Kernbereich exekutiven Handelns gehört. Problematisch ist lediglich, dass die Regierungskommission „Deutscher Corporate Governance Ko-dex“ ein eigenes Regelwerk erstellt hat, dem später erhebliche faktische Bedeutung zugekommen ist.447 Diese spezifischen Wirkungen sind aber keine direkte Folge der Einsetzung der Regierungskommission, sondern der Verpflichtung zur Abgabe einer Entsprechenserklärung, die aus § 161 AktG – also aus einem Parlamentsgesetz – folgt. Hinsichtlich der Einsetzung und Begleitung der Arbeit der Regierungskommis-sion sind somit keine verfassungsrechtlichen Bedenken geboten.

5.1.2 Verstoß gegen den Parlamentsvorbehalt

Vom Vorbehalt des Gesetzes ist der sog. Parlamentsvorbehalt zu unterscheiden, der sich im Zusammenhang mit der so genannten „Wesentlichkeitstheorie“448 etabliert hat. Dieser erfasst einen Gegenstandsbereich, dessen Regelung ausschließlich dem Parlament vorbehalten ist und der nur durch ein förmliches Gesetz geregelt werden darf.449 Die Gegenstände des Parlamentsvorbehalts sind damit „delegationsfeind-lich“; der Gesetzgeber kann die sie betreffenden grundlegenden Entscheidungen nicht an die Exekutive oder ein privates Regelsetzungsgremium delegieren.450 Als Ausfluss des Parlamentsvorbehaltes ist es für den Gesetzgeber ferner geboten, eine ausreichend hohe Regelungsdichte zu schaffen. Dies bedeutet, dass er in den Berei-chen, in denen der Parlamentsvorbehalt gilt, die wesentlichen Entscheidungen selbst ausreichend detailliert treffen muss. Es ist zu untersuchen, ob im Regelungsbereich des DCGK der Parlamentsvorbehalt gilt.

446 Vgl. Wolf (2002), S. 59-60.

447 Vgl. oben die ökonomische Untersuchung unter 3.6 und 3.7.

448 Vgl. Isensee-Kirchof-Klein, Bd.2, S. 352-355.

449 Vgl. etwa Ossenbühl (1996), S. 321 mwN.

450 Krebs (1975), S. 109.

5.1.2.1 Wesentlichkeitstheorie

Ebenso wie beim Gesetzesvorbehalt wird auch beim Parlamentsvorbehalt451 die vom BVerfG entwickelte so genannte Wesentlichkeitstheorie452 zur Bestimmung von Ab-grenzungskriterien herangezogen. Ihre Kernaussage lautet, dass alle wesentlichen Entscheidungen im Staate dem Parlament vorbehalten sind.453 Parlamentsvorbehalt und Wesentlichkeitstheorie gehören dergestalt zusammen, dass der Parlamentsvor-behalt durch die Wesentlichkeitstheorie substantiiert wird. Aufgrund seines Ent-scheidungsmonopols muss der Gesetzgeber wesentliche Entscheidungen selbst tref-fen und darf sie nicht anderen überlassen. Neben dem Delegationsverbot besteht als Folge des Parlamentsvorbehalts das „Gebot verstärkter Regelungsdichte“.454

Das Problem der Wesentlichkeitstheorie besteht in der konkreten Bestimmung des-sen, was im Einzelfall als „wesentlich“ anzusehen ist. Das BVerfG versucht sich bei der Konkretisierung vor allem am Schutz der Grundrechte zu orientieren, ohne je-doch am klassischen Eingriffsbegriff festzuhalten.455 Danach ist „wesentlich“, was wesentlich für die Grundrechtsverwirklichung ist. Wegen der Schwierigkeit bei der Konkretisierung haben sich im Laufe der Zeit verschiedene Fallgruppen herausgebil-det, die „wesentliche“ Gegenstandsbereiche betreffen.456

451 Zum Verhältnis von Gesetzesvorbehalt zu Parlamentsvorbehalt vgl. Isensee-Kirchhof-Ossenbühl, Bd. III., S. 336-337.

452 Vgl. BVerfGE 34, 165 (192) „Hessische Förderstufe“; 40, 237 (248 ff.) „Rechtsweg im Strafvoll-zug“; 41, 251 (259) „Speyer-Kolleg“; 45, 400 (417) „Hessische Oberstufe“; 47, 46 (78) „Sexualkun-de“; 48, 210 (221) „Steuererlaß“; 49, 89 (126 f.) „Kalkar“ (bestätigt in BVerfGE 53, 30 (56) „Mül-heim-Kärlich“); 57, 295 (326) „Rundfunkurteil“; 58, 257 (268 ff.) „Schulentlassung“; 64, 261 (268)

„Hafturlaub“; vgl. ferner aus dem umfangreichen Schrifttum zur Wesentlichkeitstheorie Böckenförde (1981), S. 391 ff. sowie Kloepfer (1984), S. 689 mwN.

453 Vgl. Kloepfer (1984), S. 689-693; Isensee-Kirchhof-Ossenbühl, Bd. III., S. 337-342.

454 Staupe (1986), S. 30 f., 136 f.

455 Vgl. Ossenbühl (1996), S. 339.

456 Vgl. wiederum BVerfGE 34, 165 (192) „Hessische Förderstufe“; 40, 237 (248 ff.) „Rechtsweg im Strafvollzug“; 41, 251 (259) „Speyer-Kolleg“; 45, 400 (417) „Hessische Oberstufe“; 47, 46 (78) „Se-xualkunde“; 48, 210 (221) „Steuererlaß“; 49, 89 (126 f.) „Kalkar“ (bestätigt in BVerfGE 53, 30 (56)

„Mülheim-Kärlich“); 57, 295 (326) „Rundfunkurteil“; 58, 257 (268 ff.) „Schulentlassung“; 64, 261 (268) „Hafturlaub“.

5.1.2.2 Betroffene Grundrechte

Im Hinblick auf den DCGK stellt sich die Frage, ob es durch die Verweisung in

§ 161 AktG zu nicht legitimierten Grundrechtseingriffen kommt. Zu denken ist an die Grundrechte von Vorstand und Aufsichtsrat, im Hinblick auf die Offenlegungs-verpflichtungen zum Beispiel das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 GG.457 Wenngleich der Schutzbereich der Grundrechte von Vor-stand und Aufsichtsrat ohne weiteres tangiert ist, so ist eine Verletzung dennoch sehr fraglich.458

5.1.2.3 Rechtsetzungsmonopol des Staates?

Wenn die Aufstellung rechtlicher Regeln allein dem Staat vorbehalten wäre – wenn es also ein Rechtsetzungsmonopol des Staates geben würde –, so müsste jegliche Delegation von Rechtsetzungsgewalt an Private verfassungsrechtlich scheitern.459 In der Tat wird ein solches Monopol von manchen behauptet.460 Ein solches Monopol ist in der Verfassung jedoch weder ausdrücklich erwähnt, noch ergibt es sich implizit aus ihren Grundsätzen.461 Vielmehr erkennt das Grundgesetz an verschiedenen Stel-len ausdrücklich von Privaten geschaffene Rechtsnormen an, so z.B. das Gewohn-heitsrecht in Art. 20 Abs. 3 GG oder Tarifverträge, Vereins- und Parteisatzungen in Art. 9 Abs. 1 und 3 GG.

5.1.2.4 Beteiligung Privater an Normsetzungsprozessen

Die Mitwirkung privater Akteure an staatlichen Rechtsetzungsprozessen kann an-hand des Ausmaßes der jeweiligen staatlichen Beteiligung wie folgt differenziert werden:462 Auf der einen Seite des Spektrums stehen rechtliche Regelungen, die vom Staat erstellt und durchgesetzt werden. Auf der anderen Seite gibt es rein private

457 Vgl. Wolf (2002), S. 60.

458 Vgl. grundsätzlich skeptisch zur Anwendung überkommener Grundrechtsdogmatik im Bereich von Staatspraxis mit privaten Elementen Di Fabio (1997), S. 252-254, da die Grundrechtsdogmatik die Bereiche „Staat“ und „Bürger“ als fundamental getrennt behandele.

459 Vgl. Kloepfer/Elsner (1996), S. 968.

460 Vgl. Scholz (1984), S. 697; grundsätzlich auch Maunz/Dürig/Herzog/Scholz-Herzog, Bd IV; Art.

92, Rn. 154.

461 Vgl. nur Kloepfer/Elsner (1996), S. 968 mwN.

462 Vgl. dazu Schwarcz (2002), S. 324-325.

gelungen. Zwischen diesen beiden Extremen sind zwei Mischformen denkbar: von privaten Akteuren erstellte oder konkretisierte Regelungen, die staatlich durchgesetzt werden sowie von privaten Akteuren erstellte und durchgesetzte Regelungen, die auf der Delegation von Staatsgewalt beruhen.463

Die Diskussion über die Beteiligung privater Akteure an Rechtsetzungsprozessen ist in jüngerer Vergangenheit vor allem in zwei Bereichen geführt worden. Zum einen im Bereich der Rechnungslegungsstandards, zum anderen im Wirtschaftsverwal-tungsrecht (vor allem im Umwelt- und Technikrecht), wo neben den umfangreichen Debatten zum Thema Privatisierung öffentlicher Aufgaben immer wieder auch die Beteiligung Privater an Normsetzungsprozessen diskutiert wurde.464

Die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen der Einbeziehung von Beschlüssen und Sachverstand privater Gremien hat sich in den letzten Jahren im Hinblick auf die Entwicklung von Standards für die Konzernrechnungslegung gestellt. Durch § 342 HGB wurden dem DRSC465 als einem vom Bundesjustizministerium durch Vertrag anerkannten privaten Gremium Rechtsetzungsfunktionen übertragen.466

Die §§ 290ff. HGB erfordern ausnahmslos die Aufstellung eines Konzernabschlusses und einen Konzernlagebericht. Es ist jedoch erlaubt, diese entweder nach den Vorga-ben des HGB, der EG-Richtlinie oder nach international anerkannten Rechnungsle-gungsgrundsätzen aufzustellen. Durch die Bezugnahme auf international anerkannte Rechnungslegungsgrundsätze verweist der Gesetzgeber hinsichtlich der inhaltlichen Konkretisierung der von ihm selbst aufgestellten Verpflichtung auf ein fremdes, pri-vates Regelwerk. Eine solche Regelungstechnik wird als dynamische Verweisung bezeichnet.467 Sie ist nur dann zulässig, wenn der Inhalt der sich fortentwickelnden

463 Vgl. grundsätzlich zu den Möglichkeiten und Grenzen privater Rechtsetzung Kirchhof (1987), insbesondere S. 486-530; Röhl (2001), §§ 64-66; Schuppert/Bumke (2000), S. 86-89, 113-123.

464 Vgl. Trute (1996), S. 950-964; Kloepfer/Elsner (1996), S. 964-975; Weiß (2002), S. 1167-1182.

465 Vgl. zum Deutschen Rechnungslegungs Standards Committee Moxter (1998), S. 1425-1428; Baet-ge (1998); Scheffler (2000), S. 1619-1620.

466 Vgl. dazu Ulmer (2002a), S. 161-163; Ulmer (2002b), S. 161-165 mwN; insb. Fn. 46; Schup-pert/Bumke (2000), S. 72-80.

467 Vgl. Kirchhof (2000), S. 685.

Regelung im Wesentlichen feststeht.468 Im Unterschied dazu bezieht sich eine so genannte statische Verweisung auf einen bestimmten Stand eines Regelwerkes zu einem festgesetzten Zeitpunkt.

Auch im Bereich des besonderen Verwaltungsrechts, insbesondere im Bereich des Umwelt- und Technikrechts, ist die Beteiligung privater Standardsetzungsgremien häufig.469 In diesem Zusammenhang ist häufig von „kooperativem Recht“ oder ge-nauer von „kooperativer Rechtsdurchsetzung“, „kooperativer Rechtskonkretisierung“

und „kooperativer Rechtserzeugung“ die Rede.470 Als Vorteile einer solchen Rege-lungstechnik werden Staatsentlastung471, Praktikabilität bei verflochtenen europäi-schen und/oder föderalen Kompetenzen472 und Flexibilität genannt. Dagegen können die mitunter faktische Bindungswirkung473, grundrechtliche Schutzpflichten sowie daraus resultierende staatliche Gewährleistungsverantwortung (Beobachtung und Begleitung) sprechen. So sollen sich bei der „kooperativen Rechtserzeugung“ als Folge der zurückgenommenen Beteiligung des Gesetzgebers für das private Gremi-um bestimmte Verfahrensanforderungen ergeben, Gremi-um rechtsstaatliche Standards zu gewährleisten.474 Damit soll sichergestellt werden, dass sich das private Normset-zungsgremium keinen kollektiven Privatinteressen ausliefert. Außerdem soll das pri-vate Normsetzungsverfahren demokratisch-rechtsstaatliche Mindeststandards wie Transparenz und Publizität (Zugänglichkeit und Begründung von Normungs-Entwürfen; ausgewogene Beteiligung beteiligter Kreise) gewährleisten.

Der Verweis in § 161 AktG auf den DCGK unterscheidet sich grundlegend von den beiden genannten Parallelen, denn § 161 AktG stellt keine Delegation originärer Rechtsetzungsgewalt dar. Durch die Verpflichtung zur Abgabe einer Entsprechens-erklärung (und damit lediglich zur Schaffung von Transparenz) wird keine inhaltli-che Regelungsgewalt delegiert. Trotz der durch § 161 AktG erfolgten Unterstützung

468 Kirchhof (2002), S. 685.

469 Vgl. Kloepfer/Elsner (1996), S. 964-975.

470 Vgl. Schuppert/Bumke (2000), S. 86-87.

471 Vgl. Schmidt-Preuß (1997), S. 203; Di Fabio (1997), S. 239-240

472 Vgl. Di Fabio (1997), S. 238.

473 Vgl. Schmidt-Preuß (1997), S. 203.

474 Vgl. Trute (1996), S. 962.

des Marktmechanismus, der zur Sanktionierung der Nichtbefolgung des DCGK füh-ren kann, bleibt die Einhaltung der Empfehlungen des DCGK freiwillig. Insofern können keine Parallelen zu § 342 HGB oder der Delegierung von Standardsetzungs-befugnissen an Private im Bereich des Umwelt- oder Technikrechts gezogen werden.

5.1.2.5 Stellungnahme

§ 161 AktG ist kein Verweis auf den DCGK, der diesem unmittelbare rechtliche Gel-tung verschaffen würde. Beim DCGK handelt es sich um ein rein privates Regel-werk, dessen Befolgung den Adressaten freisteht. So wie es einzelnen Individuen freisteht, ihre Interaktionen durch gegenseitige Verträge zu regeln und wie es einer Vielzahl von Personen freisteht, sich ihre Verfassung in Form einer Satzung oder eines Gesellschaftsvertrages zu geben, so ist ein Selbstorganisationsrecht auch auf der Verbandsebene anerkannt.475 Dies gilt zumindest so lange, wie das privat gesetz-te Recht nicht mit staatlichem Recht kollidiert. Es ist zu beachgesetz-ten, dass der DCGK durchaus über einen Sanktionsmechanismus verfügt.476 Dieser beruht allerdings nicht auf staatlichem Zwang, sondern auf den Reaktionen anderer privater Akteure. Wie dargestellt können in den jeweiligen Entscheidungssituationen durchaus ökonomi-sche Zwänge entstehen, die restriktiv wirken. Der Gesetzgeber bedient sich mit § 161 AktG einer neuen Regelungstechnik, indem er anstelle eigener Regulierung den Sanktionsmechanismus eines unverbindlichen, privaten Regelwerkes unterstützt. Er kalkuliert gewissermaßen mit den Marktreaktionen von privaten Akteuren, die er durch die Installation eines „Prangereffekts“ provoziert. Die verfassungsrechtliche Beurteilung ist schwierig; mit überkommener Grundrechtsdogmatik lässt sich hier keine Lösung finden, da es an einem klassischen staatlichen „Eingriff“ in Grundrech-te fehlt. Solange die Zwangswirkungen lediglich auf autonomen Entscheidungen privater Akteure beruhen, wirkt der Konsens der Beteiligten als legitimierendes Prin-zip. Dies ist als Ausfluss der Privatautonomie verfassungsrechtlich nicht zu bean-standen.

475 Kirchner (2002), S. 103.

476 Vgl. oben unter 3.6.

Dennoch ist die staatliche Unterstützung des Sanktionsmechanismus des DCGK in Form der Verpflichtung zur Abgabe einer Entsprechenserklärung problematisch. Es werden staatliche Organe aktiv, ohne dass den Regelungsadressaten die Möglichkeit einer Beteiligung am Rechtsetzungsprozess eingeräumt und rechtlicher Schutz gegen den Eingriff in ihre Rechte gewährt wird.477 Aus juristischer Sicht scheint dies nicht wünschenswert.

5.2 Normative Analyse: Die Legitimation von „weichem Recht“

Um unabhängig von der genuin verfassungsrechtlichen Dogmatik weitere Argumen-te für oder gegen die Legitimation der RegulierungsArgumen-technik des § 161 AktG iVm dem DCGK zu entwickeln, wird die dargestellte Problematik in diesem Abschnitt mit dem Instrumentarium der ökonomischen Verfassungstheorie478 (constitutional economics) untersucht. Dabei wird wie folgt vorgegangen: Zunächst werden kurz die drei grundlegenden Legitimationsansätze für rechtliche Regelungen dargestellt, um im Anschluss daran die normative Fundierung rechtlicher Regelungen durch den Ansatz der Konstitutionenökonomik näher zu erläutern. Nach einer Herausarbeitung der zentralen Legitimationskriterien wird die Frage nach einem Rechtsetzungsmono-pol des Staates untersucht und Konzepten und Beispielen für die Beteiligung Privater an Normsetzungsprozessen nachgegangen. Schließlich wird die Regelungstechnik des § 161 AktG iVm dem DCGK unter die gewonnenen Erkenntnisse subsumiert.

5.2.1 Die drei grundlegenden Legitimationsansätze

Die Legitimation rechtlicher Regelungen kann grundsätzlich auf drei verschiedenen Wegen erfolgen: durch Zurückführung auf vorrechtliche Grundwerte (Naturrecht), durch festgelegte Verfahren (Rechtspositivismus) oder durch den Konsens der Rege-lungsadressaten (demokratische Ansätze).479

477 Vgl. Kirchner (2002), S. 111; vgl. auch für die vergleichbare Problematik im Zusammenhang mit dem Übernahmekodex Kirchner/Ehricke (1998), insb. S. 114-115.

478 Die ökonomische Theorie der Verfassung wird auch als Konstitutionenökonomik oder Verfas-sungsökonomik bezeichnet.

479 Vgl. Kirchner/Schwartze (1993), Sp. 877-879.

5.2.1.1 Verfahren/Rechtspositivismus

Der Rechtspositivismus480 trennt klar zwischen Recht und Ethik. Legitimiert ist alles, was „Recht“ ist, auch wenn es nicht unbedingt „rechtens“ ist.481 Rechtsnormen gelten damit unabhängig von ihrer unmittelbaren ethischen Legitimation. Recht wird somit funktional unter dem Aspekt seiner Steuerungswirkung gesehen und ist nicht auf eine wie auch immer geartete moralische Beeinflussung der Normadressaten gerichtet.482 Das Legitimationsmodell des Rechtspositivismus greift als gleichwohl formale Rechtfertigung letztlich auf die jeweilige Kompetenzordnung und das Rechtset-zungsverfahren zurück, die ihrerseits oftmals demokratisch legitimiert sind. Dennoch sieht sich der Rechtspositivismus dem Vorwurf ausgesetzt, dass eine solche formale Legitimation gleichermaßen für „gerechte“ und „ungerechte“ Normen gelten kann.483

5.2.1.2 Naturrecht

Allen naturrechtlichen Legitimationsansätzen ist gemeinsam, dass sie auf vorrechtli-che, objektive Grundwerte rekurrieren, die gegenüber der realen Rechtsordnung vor-rangig sind. Aus diesen Werten (etwa „Gerechtigkeit“ oder religiöse Zielvorstellun-gen) lassen sich Kriterien zur Beurteilung rechtlicher Regelungen ableiten. Individu-elle Freiheit existiert folglich nur im Rahmen der vorgegebenen Werteordnung; sie ist damit der Rechtsordnung nicht vorrangig, sondern deren Produkt. Das Problem des naturrechtlichen Legitimationsansatzes ist, dass der genaue Inhalt der „objekti-ven Werteordnung“ von Akteuren bestimmt werden muss, die einer Kontrolle durch die Normadressaten entzogen sind („Agenten ohne Prinzipal“ im Sinne der Agency-Theorie). Recht wird zum Mittel der Gestaltung der Gesellschaft nach vorgegebenen Zielen, seien dies traditionelle Ziele wie „Gerechtigkeit“ oder moderne, utilitaristi-sche Ziele wie Effizienz. Für das Individuum ist die eigene Freiheit nicht selbst Zweck der Rechtsordnung, sondern wird dem jeweils vorgegeben Ziel untergeordnet.

480 Wichtigste Vertreter des Rechtspositivismus im 20. Jh. sind etwa Hans Kelsen (1881-1973) und H.L.A. Hart (1907-1992); vgl. Hart (1971), Kelsen (1960).

481 Vgl. auch oben 2.1.3.2.

482 Vgl. Kirchner/Schwartze (1993), Sp. 880.

483 Vgl. Kirchner/Schwartze (1993), Sp. 880.

5.2.1.3 Demokratie

Demokratische Ansätze leiten die Legitimation rechtlicher Regelungen aus der Selbstbindung der Individuen ab. Durch diese Selbstbindung soll ein gedeihliches Zusammenleben ermöglicht werden. Das entscheidende Kriterium für Legitimation von Normen ist die freie Zustimmung der Normadressaten selbst. Sinnbild für diese Konzeption ist der Vertrag.484 Eine allgemeingültige rechtliche Regelung muss daher auf dem Konsens aller Normadressaten basieren. Da dieses Einstimmigkeitserforder-nis nicht in allen Bereichen durchgehalten werden kann, ist die größte Herausforde-rung für ein demokratisch legitimiertes Normsetzungsverfahren die ImplementieHerausforde-rung von Mehrheitsentscheiden. Dies wirft zwei Probleme auf: Zum einen müssen über-stimmte Minderheiten geschützt werden, was etwa durch das Erfordernis qualifizier-ter Mehrheiten in besonders sensitiven Bereichen geschehen kann. Ferner muss das Normsetzungsverfahren derart offen gestaltet werden, dass es für zukünftige Genera-tionen möglich bleibt, die Regelungen ihren Vorstellungen entsprechend anzupassen.

5.2.2 Einführung in die Konstitutionenökonomik

Die Konstitutionenökonomik485 basiert auf dem dargestellten demokratischen Legi-timationsansatz. Durch die Nutzbarmachung eines ökonomischen Instrumentariums stellt sie jedoch eine Präzisierung und Weiterentwicklung mit dem Ziel dar, normati-ve Aussagen über konkrete normati-verfassungspolitische Regelungsalternatinormati-ven zu ermögli-chen.

Gegenstand der Konstitutionenökonomik (constitutional economics) ist die Anwen-dung der Methoden und analytischen Techniken der modernen Ökonomik auf die grundlegenden Regeln und Prinzipien (Institutionen), unter denen Gesellschaftsord-nungen (vor allem Staaten) operieren.486 Sie beschäftigt sich insbesondere mit dem Problem der Legitimation von Regelungen. Es geht um Methoden zur Gewinnung

484 Kirchner/Schwartze (1993), Sp. 882.

485 Vgl. zur Methodik und zum Anwendungsfeld der Konstitutionenökonomik Buchanan (1990), S. 1-18; Erlei/Leschke/Sauerland (1999), S. 419-506; Homann/Kirchner (1995), S. 193-195.

486 Vgl. Brennan/Hamlin (1998), S. 401.

von normativen Aussagen487 mit dem Ziel, politische Handlungsanweisungen geben zu können.

Die Entwicklung der Konstitutionenökonomik ist parallel zur Entwicklung der Neu-en InstitutionNeu-enökonomik (NIÖ)488 verlaufen; letztlich geht es bei ihr um eine An-wendung der Methoden und Instrumentarien der NIÖ auf staatliche bzw. das Ge-meinwesen angehende Probleme und Fragestellungen. Sie ist allerdings vom sog.

Public Choice-Ansatz (Neue Politische Ökonomie) zu unterscheiden. Zwar gibt es zwischen den beiden Ansätzen zahlreiche Überschneidungen, der Untersuchungsge-genstand und die Zielsetzung ist aber eine andere. Die Public Choice-Theorie wendet das ökonomische Paradigma auf politische Prozesse an, während die Konstitutione-nökonomik die grundlegenden Regeln eines Gemeinwesens untersucht.489

Die Konstitutionenökonomik geht wie die NIÖ vom methodologischen Individua-lismus, dem Eigennutztheorem sowie der Annahme eingeschränkter Rationalität aus.

Eine weitere wichtige Grundannahme ist, dass Individuen sich mit Hilfe von Verträ-gen einiVerträ-gen. Im Mittelpunkt der UntersuchunVerträ-gen steht die Einigung über diese Ver-träge als Voraussetzung für die Legitimation dieser Regelungen. Zwischen Regeln (Institutionen) und Handlungen wird streng unterschieden. Der Untersuchungs-schwerpunkt liegt zunächst auf der positiven Untersuchung von Regelstrukturen;

normative Aussagen werden erst im Rahmen einer komparativen Betrachtung der Regelungsalternativen getroffen.490

5.2.3 Demokratieprinzip und Konsensgedanke als zentrales Legitimationskriterium Ausgangspunkt jeglicher Legitimationsüberlegungen in der Konstitutionenökonomik ist das Individuum. Das zentrale Kriterium zu Bewertung alternativer

5.2.3 Demokratieprinzip und Konsensgedanke als zentrales Legitimationskriterium Ausgangspunkt jeglicher Legitimationsüberlegungen in der Konstitutionenökonomik ist das Individuum. Das zentrale Kriterium zu Bewertung alternativer