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Ist „Soft Law“ Recht?

2.1.3.1 Was ist Recht?

Um die Frage nach der rechtlichen Qualität von Soft Law beantworten zu können, muss zunächst geklärt werden, was „Recht“ ist. Der Rechtswissenschaft ist es aller-dings in den überschaubaren 2500 Jahren ihres Bestehens nicht gelungen, einen ein-deutigen und allgemein akzeptierten Rechtsbegriff zu entwickeln. Eine der ältesten Definitionen stammt von Celsus (1./2. Jh., Rom): „Jus est ars boni et aequi“, Recht sei die Kunst, ein gutes und gerechtes Ergebnis zu finden. Diese Definition ist auch in die Digesten des Kaisers Justinian (482-565) eingegangen.17 1700 Jahre später stellt Kant in seiner Kritik der reinen Vernunft fest: „Noch suchen die Juristen eine Definition zu ihrem Begriff von Recht“. Gleichwohl schlägt er einen eigenen Begriff von Recht vor: „Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann“.18 Nicht mehr das gerechte Ergebnis, sondern die generelle Abgrenzung von Freiheitssphären steht jetzt im Vordergrund.

14 Vgl. Ballreich (1989), S. 383f.

15 Vgl. Bernhardt (2000), Band IV, S. 452.

16 Vgl. Ehricke (1989), S. 1907.

17 D. 1.1.1. pr. (=Digesten, 1.Buch, 1. Titel, 1. Abschnit, vor § 1).

18 Kant (1797/1990), Einleitung in die Rechtslehre, § B, S. XXXIII.<

Als berühmtes Beispiel sei der Streit zwischen den Naturrechtslehren und dem Rechtspositivismus erwähnt. Erstere verstehen Recht (zumindest den Kernbereich der „obersten Grundsätze“) als unmittelbar aus der Natur, dem Wesen des Menschen oder der „Schöpfungsordnung“ folgend. Dies führt zu der Annahme, dass Recht dem staatlichen Gesetzgeber entzogen ist und unabhängig von ihm gilt. Im Gegensatz dazu steht der rechtspositivistische Begriff, nach dem Recht nur das ist, was die nach der Verfassung zuständigen Organe als Recht setzen. Die moralische Legitimation wird in den parlamentarischen Demokratien auf einen Mehrheitsentscheid zurückge-führt.19 Auch das deutsche Grundgesetz scheint widersprüchlich zu sein: In Art. 20 Abs. 3 GG wir die Bindung aller staatlichen Gewalt an „Recht und Gesetz“ postu-liert, was auf eine Unterscheidung hindeutet. Andererseits sind die Richter nach Art.

97 Abs. 1 GG nur dem Gesetz unterworfen.20

2.1.3.2 Rechtsbegriff des staatsrechtlichen Positivismus

Die grundsätzliche Frage „Was ist Recht?“ kann an dieser Stelle nicht vertieft wer-den. Als Arbeitshypothese wird daher der Begriff von „Recht als Summe der in ei-nem Staate geltenden und angewendeten Rechtsnormen, die zueinander in einer ge-stuften Ordnung stehen und menschliches Verhalten anleiten oder beeinflussen“21, gewählt. Daneben steht der Begriff des subjektiven Rechts (Anspruch), der für einen Berechtigten aus dem objektiven Recht erwächst. Auf die Schwächen dieses Rechts-begriffs des staatsrechtlichen Positivismus im Zusammenhang mit der Frage nach dem Zusammenhang des „Rechts“ mit der „Gerechtigkeit“ und der Legitimation von Recht wird später zurückzukommen sein. Zentrales Kriterium ist die Geltung von Recht. Zu unterscheiden sind dabei juristische („soll“-), faktische („ist“-) und morali-sche Geltung (Akzeptanz).22 Entgegen der infolge der Lehre Montesquieus lange Zeit herrschenden Meinung ist diese keineswegs auf staatliche Gesetze beschränkt. Auch Akte privater Rechtsetzung können Geltung beanspruchen, wenn sie im

19 Wichtigste Vertreter des Rechtspositivismus im 20. Jh. sind u.a. Hans Kelsen (1881-1973) und H.L.A. Hart (1907-1992).

20 Vgl. Rüthers (1999), S. 35 Rn. 50f.

21 Rüthers, S. 36, Rn. 51; Weinberger (1988), S. 13.

22 Vgl. Rüthers (1999), S. 190, Rn. 334f.

spiel mit staatlichen Normen tatsächlich durchsetzbar sind.23 Solange eine solche Verzahnung mit „hartem“ Recht nicht besteht, ist Soft Law nach der Rechtsdefinition des staatsrechtlichen Positivismus als Nicht-Recht zu qualifizieren: es fehlt an der auf der Androhung und Anwendung eines staatlich organisierten Zwangsverfahrens basierenden imperativ-rechtlichen Geltung.

2.1.3.3 Legal Realism und New Haven Approach

Dagegen lässt sich einwenden, dass die Differenzierung von Recht und Nicht-Recht durch den Begriff der Geltung bloß ein juristischer Formalismus ist. Entscheidende Bedeutung wäre dann vielmehr der Frage beizumessen, ob die in Rede stehenden Rechtssätze geeignet sind, das Handeln ihrer Adressaten tatsächlich zu beeinflussen.

Denn tatsächlich gibt es gerade im Völkerrecht „Soft Law“, das in der Realität viel gravierendere Auswirkungen zeitigt als ein ähnliche Inhalte kodifizierender „harter“

völkerrechtlicher Vertrag.24 Die Belanglosigkeit von juristischen Qualifizierungen hat insbesondere der aus dem amerikanischen „Legal Realism“ hervorgegangene

„New Haven Approach“25 hervorgehoben. Tatsächlich wird in der Praxis meistens zunächst nach dem Inhalt und erst dann nach der rechtlichen Qualifizierung gefragt.

Der New Haven Approach untersucht daher primär den tatsächlichen Einfluss von Normen auf die handelnden Akteure anstelle einer dogmatischen, juristischen Quali-fizierung. Damit sieht er sich insbesondere in Kontinentaleuropa starker Kritik aus-gesetzt,26 die vor allem eine Verwässerung des Rechtsbegriffs befürchtet.

2.1.3.4 Ökonomische Perspektive

Die rechtliche Qualifizierung von Soft Law ist schwierig. Ob Soft Law Recht oder Nicht-Recht ist, ist für die ökonomische Untersuchung allerdings vollkommen gleichgültig. Ökonomisch ausgedrückt ist Recht „die Summe der Regelungen, die an bestimmte Betätigungen eine reale Folge knüpfen, welche von den Akteuren als

23 Vgl. Rüthers (1999), S. 40, Rn. 59

24 Vgl. Thürer (1985), S. 440.

25 Einführung und Überblick bei Schreuer (1979), S. 63-85.

26 Vgl. Schreuer (1979), S. 84f.

lohnung oder Abschreckung gesehen werden“.27 Die gleiche ökonomische Funktion kann auch eine Regel erfüllen, deren Durchsetzung nicht auf staatlichem Zwang, sondern auf (befürchteten) Sanktionen anderer Akteure beruht (etwa Erhöhung der Kapitalkosten durch Kapitalgeber, Verlust von Kunden oder wichtigen Mitarbeitern).

Jede Regel, ob sie Recht ist oder nicht, kann eine das Handlungsfeld beeinflussende Restriktion darstellen. Entscheidend ist dabei letztlich die jeweilige institutionelle Ausgestaltung des Instrumentariums zur Durchsetzung dieser Regel.