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Weltöffentlichkeit und Verflechtungsgeschichte

Im Dokument Edition Politik (Seite 109-112)

zur UN-Medienberichterstattung

E VALUATIONSDIMENSIONEN GLOBALER

3.4.4. Weltöffentlichkeit und Verflechtungsgeschichte

Den Ausgangspunkt für die vorliegende Untersuchung zur Transnationalisierung bzw. Globalisierung von Öffentlichkeiten stellt die Öffentlichkeitskonzeption nach Habermas und die mit ihr verbundenen normativen Ansprüche an öffentlicher Kom-munikation dar. Für das hier zugrunde gelegte Öffentlichkeitsverständnis soll zudem

297 |Vgl. Philp 2007, S. 3f., 240f.

298 |Ebd., S. 214.

299 |Vgl. ebd., S. 15.

300 |Vgl. Cottle und Rai 2008, S. 166.

auf die geschichts- bzw. kulturwissenschaftlichen Überlegungen von Shalini Rande-ria und auf das von ihr geprägte Konzept derentangled histories301eingegangen wer-den, welches komplementär verwendet wird und um das der Terminus Öffentlichkeit vervollständigt werden soll. Öffentlichkeit ist, wie es Habermas (1965) in seiner Stu-die gezeigt hat, in einen geschichtlichen Konstitutionsprozess eingebettet, kann damit als historische Entität begriffen werden. Der expliziten Fokussierung der, durch die postkolonialen Studien302 inspirierten, Konzeption auf historisch fortwährende ge-sellschaftliche bzw. zivilisatorische Interaktions- und Austauschbeziehungen entspre-chend, wird Geschichte von Randeria alsentanglement, als Verflechtungsgeschichte, verstanden. Dabei sind nicht nur die in Relation stehenden gesellschaftlichen Enti-täten in Teilen Resultate eben dieser Beziehungen, sondern auch die Verflechtungen an sich weisen einen rekursiven Charakter auf. Die zahlreichen verwobenen Struk-turen (Entitäten, Verflechtungen) erscheinen somit als Basis eines transnationalen Geschichtsverständnisses, wobei die, in ihren Ausprägungen und Entwicklungspfa-den ausdifferenzierte, moderne Welt in ihrer Vernetzung und Zusammengehörigkeit als »geteilte« bzw. »gemeinsame« Geschichte303 gelesen werden kann und die ko-loniale Moderne als Element europäischer Modernisierungsprozesse zeitgleich als Bedingung und Konsequenz dieser verstanden wird.304

In seiner inhärenten Dialektik verweist das Konzept ebenso auf die ambivalen-ten Eigenschafambivalen-ten historischer Interaktionszusammenhänge, indem es einerseits den Entwicklungsprozess der modernen Welt durch den Austausch unterschiedlicher Kul-turen und Gesellschaften als historisch gemeinsam (shared) konstituiert versteht und andererseits den Aspekt interaktionsbedingter Separations- bzw. Distanzierungsten-denzen (divided) als Antipol impliziert. Erstere Perspektive fokussiert in der Beto-nung der Gemeinsamkeiten und Interaktionen die Bedeutung eben dieser Relationen

301 |Vgl. Randeria 2001, S. 292.

302 |Die postkoloniale Forschungsperspektive versteht den Kolonialismus als konstitutiv für die europäische Moderne sowie als wesentliche Erklärungskomponente der globalen Geschich-te, ihrer Machtverhältnisse und Wirkpotentiale auf die gegenwärtige soziale Realität. Insge-samt soll dieser Zugang, der durch eine relationale und plurale Sichtweise gekennzeichnet ist und sich gegenüber Verflechtungen und Hybridität tolerant zeigt, einem essentialistischen Ver-ständnis von Identität, einer Konzeption autarker nationalstaatlicher Gesellschaften sowie ei-nem durch Uniliniarität gekennzeichneten Geschichtsverlauf alternativ gegenüberstehen (vgl.

Randeria 1999b, S. 377).

303 |Vgl. Randeria 1999a, S. 90; vgl. Randeria 1999b, S. 376ff. vgl. auch im Kontext von Globalisierung Eckert und Randeria 2009, S. 11.

304 |Vgl. Conrad und Randeria 2002, S. 17, 22; vgl. Randeria 1999b, S. 378.

für die Konstitution von und die Entwicklung in historisch-gesellschaftlichen Enti-täten, wie beispielsweise Nationalstaaten oder Regionen. Allerdings determiniert die Basalkategorie der Interaktion nicht den Modus dieses Interagierens, so dass sich die Beziehungen nicht zwangsläufig durch ein macht- bzw. interessenneutrales Äquilibri-um auszeichnen müssen, sondern oft als hierarchisch oder repressiv angelegte Disba-lancen in Erscheinung treten. Das Spektrum möglicher Verflechtungsmodi zwischen den sozio-historischen Entitäten reicht damit von einer (un)bewußten Ausblendung, einer einseitig aufoktroyierten Inkorporation oder freiwilligen Assimilation bis hin zu einer umfassenden reziproken Einflussnahme.305Grundsätzlich sind die betrachteten Entitäten in diesem Verständnis jeweils historische Konstrukte, die in ihrer themati-schen, kontextuellen oder zeitlichen Spezifität einen unterschiedlichen Verflechtungs-bzw. Interaktionsgrad aufweisen und dementsprechend auf einem lokalen, nationa-len, internationalen oder aber transnationalen Niveau korrespondierende Erklärungs-momente finden können. Randeria sieht in ihrem interaktionsorientierten Verflech-tungsansatz eine adäquate Möglichkeit zur Beschreibung der modernen Welt in ihrer Heterogenität, wobei neben dem Aspekt einer gemeinsam konstituierten Geschichte im Austausch zwischen Europa und der außereuropäischen Welt der Blick auch auf die Antagonismen und Ungleichheiten zwischen den Nationalstaaten gelenkt werden kann. Diese Verflechtungsperspektive ermöglicht oder verlangt somit eine Relativie-rung oder gar NegieRelativie-rung tradierter, oft als absolut und exklusiv wahrgenommener hemisphärischer Grenzziehungen sowie eine erhöhte Aufmerksamkeit gegenüber in-ternationalen Disparitäten. Diese Aspekte erscheinen auch im Rahmen der hier zu hinterfragenden Konzeption von Globalisierung von Interesse, die mit Eckert und Randeria (2009) immer einer geographischen und historisch-temporalen Kontextua-lisierung und Rückbindung bedarf und aus Perspektive dieser Komplexität keine uni-versell verbindliche Beschreibung aller gesellschaftlichen Prozesse beinhalten kann, wie sie aktuell vielfach unter dem Begriff der Globalisierung subsummiert werden.306 Dieser Entwurf erscheint damit sowohl auf den Begriff von Öffentlichkeit als auch auf die Instanzen der zur Diskussion stehenden transnationalen oder globalen Öf-fentlichkeiten übertragbar, die dann als relational-konstituierte und sozio-historische Entitäten zu verstehen wären. Dieseentangled public sphereswären somit nicht als autarke Öffentlichkeiten sui generis zu verstehen, sondern stets im Kontext ihrer spe-zifischen Interaktions- bzw. Verflechtungsverhältnisse zu betrachten, in denen Öf-fentlichkeiten sich in einem verflochtenen Konstitutionsprozess sowohl organisato-305 |Eine vergleichbare Argumentation, welche durch eine Vielzahl illustrativer Beispiele ge-stützt wird, lässt sich auch bei Trojanow und Hoskoté (2007) finden.

306 |Vgl. Conrad und Randeria 2002, S. 17ff.; vgl. Eckert und Randeria 2009, S. 9, 11f.

risch als auch thematisch etablieren. Den Überlegungen Randerias folgend, oszillie-ren die dann aus der grundsätzlichen Perspektive der Verflechtung wahrgenomme-nengeteiltenbzw.gemeinsamen Öffentlichkeitenzwischen den Polen tendenzieller Gemeinsamkeiten bzw. Ähnlichkeiten einerseits und möglichen austauschbedingten Differenzierungsbestrebungen andererseits, wobei jedoch der basale Verknüpfungs-charakter nicht zur Disposition steht. Vergleichbar zur Variabilität des jeweiligen Interaktions- bzw. Austauschmodus (omissiv, hierarchisch, reziprok) ist auch die In-tensität der Vernetzungsrelationen zeitlich und kontextuell gebunden und bedingt da-mit das jeweilige Öffentlichkeitsniveau (lokal, national, international, transnational, global), welches zur Beschreibung und Erklärung einbezogen werden kann. Zusam-menfassend betrachtet erscheint auf Grundlage der obigen Ausführungen die Vorstel-lung einer singulären und universalen Weltöffentlichkeit als ein nicht adäquater Be-schreibungsrahmen. Insbesondere die notwendige und unvermeidbare Rückbindung von Öffentlichkeit an einen konkreten geographischen und damit einen politischen bzw. gesellschaftlichen Referenzrahmen begründet die Annahme einer Vielzahl spe-zifischer Öffentlichkeiten, die in ihren gegenseitig konstitutiven Bezugnahmen gege-benenfalls auf Globalisierungstendenzen verweisen können – dies jeweils unter den Bedingungen einer durch tendenzielle Ungleichheit gekennzeichneten Konstellation der Moderne.

Um der Frage der Verflechtungsmodi von Weltöffentlichkeiten in einer theore-tisch fundierten Vorgehensweise nachzugehen, werden nachfolgend eine Reihe von Dimensionen und ihnen zugeordneter Indikatoren vorgestellt, die eine detaillierte Evaluation vorliegender Globalisierungs- bzw. Transnationalisierungsformationen – auf Ebene der Medieninhalte – ermöglichen sollen.

Im Dokument Edition Politik (Seite 109-112)