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Konzeption des Global Governance Ansatzes

Im Dokument Edition Politik (Seite 65-69)

zur UN-Medienberichterstattung

3.2. G LOBAL G OVERNANCE

3.2.1. Konzeption des Global Governance Ansatzes

Als analytisches Konzept, welches eine alternative politik- bzw. sozialwissenschaft-liche Perspektive auf die Strukturen und Prozesse von Weltpolitik in Abgrenzung zum primär nationalstaatlichen Fokus der klassischen Internationalen Beziehungen impliziert, kann das derGlobal Governanceverstanden werden.147Vor dem Hinter-grund der Herausforderung nationalstaatlicher Souveränität kann diese neugewählte Perspektive auf die internationale politische Sphäre als Ergänzung oder Substitut be-trachtet werden, welches sich insbesondere an der zunehmenden Interdependenz und Verflechtung von sub-, inter-, supra- und transnationalen oder intergouvernementalen Beziehungen in global relevanten Entscheidungsprozessen orientiert. Letztere sind ihrerseits vor allem durch den Umstand des regierungsäquivalenten Handelns im in-ternationalen Raum gekennzeichnet, dies in unterschiedlichsten globalen Akteurs-konstellationen bei paralleler Abwesenheit einer formalen Hierarchie oder integrier-ten Weltregierung.148

Aufbauend auf einem komplexitätstheoretischen Verständnis ko-evoluierender und selbstorganisierender Systeme beschreibt Rosenau (1995) den Begriff der Glo-bal Governance mit folgender Formulierung:

147 |Vgl. Dingwerth und Pattberg 2006, S. 189, 198; vgl. auch Rosenau 2004, S. 7. Dieser unterscheidet u.a. aufgrund der staatsdezentrierten Ausrichtung zwischen Globalisierungsstu-dien und Internationalen Beziehungen wenn er festhält: »[. . . ] while it is reasonable to speak of many globalizations, there is essentially only one IR« (ebd., S. 8).

148 |Vgl. Finkelstein 1995, S. 367f.

»[. . . ] global governance refers to more than the formal institutions and organiza-tions through wich the management of international affairs is or is not sustained.

The United Nations system and national governments are surely central the the conduct of global governance, but they are only part of the full picture. [. . . ] global governance is conceived to include systems of rule at all levels of human activity – from the family to the international organization – in which the pursuit of goals through the exercise of control has transnational repercussions«.149

Bedeutung als Governance Entitäten können demnach neben dem System der Verein-ten Nationen und staatlichen Instanzen auch NGOs, INGOs, (transnationale) soziale Bewegungen und (internationale) profit-orientierte Unternehmen erhalten, aber auch Städte, Micro-Regionen, (grenzüberschreitende) Verbrechersyndikate, supranationa-le Institutionen wie die Europäische Union150oder Expertengremien wie beispiels-weise das IPCC.151

Diese Perspektive wird in der Forschungsliteratur auch als analytischer oder de-skriptiver Ansatz von Global Governance behandelt, da er die Gesamtkomplexität grenzüberschreitender Akteurs- und Steuerungskonstellationen zu erfassen versucht und sich nicht als präskriptive politische Programmatik eines normativ anvisierten globalen Integrationsprojektes und damit als Lösungsansatz von Globalisierungsver-werfungen (asymmetrischer Welthandel, Sozialstrukturdisparitäten zwischen globa-lem Norden und Süden, Verschuldungskrise, Degradierung der Ökosysteme) ver-steht.152 Rosenau (2007) betont vielmehr den non-hierarchischen Charakter gegen-wärtiger politischer Formationen und beschreibt die Abwesenheit einer zentral-au-toritativen Instanz in Form einer dominanten Nation oder globalen Institution, dies insbesondere durch die Proliferation unterschiedlichster »spheres of authority«. Als deren Resultat kann eine Heterogenisierung und Multiplizierung von Machtinstan-zen bzw. Autoritätspolen und damit eine »global disaggregation of authority« beob-achtet werden, deren dezentralisierten sowie vernetzt-interagierenden Charakter das Konzept der Global Governance als Koordinationsmechanismus definitorisch zu

fas-149 |Rosenau 1995, S. 13.

150 |Vgl. ebd., S. 20ff.

151 |Vgl. Dingwerth und Pattberg 2006, S. 191.

152 |Vgl. Zürn 2006, S. 126f.; vgl. ebenso Dingwerth und Pattberg 2006, S. 189; vgl. Brun-nengräber und Stock 1999, S. 446, 455. Der präskriptive Zugang wird von letzteren Autoren als

»emphatische Variante« bezeichnet. Darüber hinaus erkennen sie in derpolitisch-strategischen Varianteeine alternative Lesart des Konzeptes seitens der institutionalisierten Linken gegen-über dem dominanten neoliberalen Ökonomie- und Politikmodell.

sen versucht.153Die konzeptionellen Besonderheiten dieser grundsätzlich nicht an-archischen Auslegung des internationalen Raums und die legitimatorischen Anfor-derungen einer notwendigerweise mehrheitlichen Akzeptanz grenztranszendierender Mehrebenenregelsysteme können folgendermaßen umschrieben werden:

»[. . . ] governance is not a synonymous with government. Both refer to purposive behavior, to goal-oriented activities, to systems of rule; but government suggests activities that are backed by formal authority, by police powers to insure the implementation of duly constituted policies, whereas governance refers to acti-vities backed by shared goals that may or may not derive from legal and formally prescribed responsibilities and that do not necessarily rely on police powers to overcome defiance and attain compliance. Governance [. . . ] is a more encom-passing phenomenon than government. It embraces governmental institutions, but it also subsumes informal, non-governmental mechanisms [. . . ]. Governance is thus a system of rule that is as dependent on intersubjective meanings as on formally sanctioned constitutions and charters. [. . . ] governance is a system of rule that works only if it is accepted by the majority [. . . ]«.154

Vor dem Hintergrund systemübergreifender Interdependenz wird Global Governance mit Rosenau (1995) als non-statisches Konstrukt zur Analyse dynamischer, pfadab-hängiger Entwicklungen internationaler Regelsysteme und Steuerungsmechanismen betrachtet, wobei den verflochtenen Mikro-Makro-Prozessen insgesamt eine Entgren-zung im geographischen, sozialen, kulturellen, ökonomischen oder politischen Sinne zugesprochen wird. Die angesprochene legitimatorische Akzeptanz und die daraus resultierende Wirksamkeit von Governance-Mechanismen erwächst dabei am wahr-scheinlichsten und nachhaltigsten durch eine transparente Inklusion der formal In-volvierten und Betroffenen, womit diese bottom-up Perspektive als Basis global-politischer Vergesellschaftungsformationen und -prozesse erscheint.155

153 |Vgl. Rosenau 2007, S. 89ff. Einen Klassifikationsversuch dieser komplexen Governance Konstellationen bietet Koenig-Archibugi 2002, S. 50ff. Entlang der Dimensionen a)Publicness:

Akteursart, Interaktionsmodus; b)Delegation: Scope (legislative, exekutive Delegation oder ju-ristische Schlichtungsinstanz), Autonomie bzw. Unabhängigkeitsgrad und c)Inclusiveness: Zu-gang, Einflussgewichtung lassen sich demnach Governance Architekturen einordnen. Darüber hinaus lässt sich eine exemplarische UN-zentrierte organisational-thematische Kartierung ge-genwärtiger Global Governance Arrangements finden (vgl. ebd., S. 64). (Massen-)Medien als relevante Governance-Akteure finden allerdings in einem umfangreichen Teil der Forschungs-literatur zur Global Governance keine explizite Beachtung.

154 |Rosenau 1992, S. 4.

155 |Vgl. Rosenau 1995, S. 15, 17f.

Dingwerth und Pattberg (2006) haben darauf hingewiesen, dass Massenmedien als relevante Governance-Akteure betrachtet werden können.156Damit lassen sie sich sowohl als Objekte als auch als Subjekte globaler bzw. internationaler Politik begrei-fen und in politischen Prozessen als gestaltete und gestaltende Instanzen von Global Governance konzipieren, dies nicht nur auf den engeren Kontext der Global Media Governance beschränkt, sondern in ihrer Beobachter-, Kritik-, Advokats- oder Ver-mittlerfunktion potentiell alle gesellschaftlichen Bereiche und Vergesellschaftungs-niveaus umfassend. In dieser Verknüpfung der politik- und medien- bzw. kommuni-kationswissenschaftlichen Perspektive können Massenmedien in Abhängigkeit von der jeweiligen theoretischen Einschätzung des zugesprochenen Vermachtungsgrads, der tatsächlichen Wirk- und Einflusspotentiale, des Aufmerksamkeitspektrums bzw.

hinsichtlich eines existenten ideologischen Bias aus analytischer Sicht als Akteure einer möglichen demokratischen Ausgestaltung, Kritik und Legitimation von Global Governance gedacht werden.

Allerdings betont Hafez (2011a), dass insbesondere die Komplexität internatio-naler Ereignis- und Prozesse und die aus der journalistischen Praxis nationalzentrier-ter Relevanzstrukturen resultierenden thematischen Vernachlässigungen allenfalls zu restringierten Auslandsagenden führen. Diese begründen ihrerseits keine global-kon-sensuale Kernagenda und unterliegen selbst bei einer thematischen Minimaldefini-tion einem primär ethnozentrischen Framing.157Um sich den konzeptuellen Über-legungen von Global Governance anzunähern, besteht innerhalb der internationa-len Medienberichterstattung damit zunächst die Notwendigkeit die dichotome Dif-ferenzierung zwischen dem Globalen bzw. Internationalen und Lokalen aufzugeben.

Angestrengt werden sollte eine stärkere Fokussierung auf lokale Kontexte in einem Bewusstsein der grundsätzlichen thematischen Interdependenz und Verflechtung der globalen und lokalen Sphäre sowie eine damit einhergehende journalistisch initiierten Diversifizierung der politischen Agenda über die wenigen global rezipierten Themen hinaus. Andererseits bedarf eine verstärkte Integration oberhalb des Nationalstaates einer konsistenten nationalen bzw. umfänglichen zivilgesellschaftlichen Verankerung jeweiliger (außen-)politischer Belange durch erweiterte öffentliche Diskurse, denn eben in dieser vermehrten Transparenz und Demokratisierung vertikaler nationaler 156 |Vgl. Dingwerth und Pattberg 2006, S. 191.

157 |Doch insbesondere diese Partikularperspektiven innerhalb der internationalen Berichter-stattung besitzen politische und gesellschaftliche Implikationen. Dazu können u.a. die Stabili-sierung des nationalstaatlichen Primats, die Verstärkung internationaler politischer, ökonomi-scher und kultureller Konflikte, aber auch die Forcierung innerstaatlicher interkultureller und ethnischer Konflikte gezählt werden (vgl. Hafez 1999, S. 55f.).

Kommunikationen liegt die Basis effektiver horizontaler Globalkommunikation.158 Die geforderte Lokalisierung von globalen oder extra-nationalen Themenkomplexen kann in national-konstruierten Öffentlichkeiten Denationalisierungseffekte auslösen, die gepaart mit Global Governance Akteuren unterschiedlichsten geographischen Ur-sprungs – als möglichen Kristallisationspunkten – Impulse für horizontale Kommuni-kationsverflechtungen initiieren können. Gleichwohl bleiben diese Öffentlichkeitsar-rangements primär der Meinungsformierung verbunden und sind damit auch im Kon-text aktueller Global Governance Konstellationen von Öffentlichkeitsräumen der Po-sitionsbestimmungundanschließenden konkreten Entscheidungsfällung (»strong pu-blics«) zu differenzieren.159Die Effektivität der politischen (Medien-)Öffentlichkeit ist dabei nicht zuletzt von einer Reihe von situativer Kontextfaktoren abhängig, wel-che die Responsivität des politiswel-chen Systems beeinflussen. Gleichzeitig wird jedoch nochmals der Unterschied zwischen Regierungs- und Governancehandeln deutlich, wenn nicht alle Governance-Akteure mit tatsächlicher Exekutivkraft agieren können, sondern Entscheidungen oftmals einer anschließenden Ratifizierung bedürfen.160 Po-tentiell globale Öffentlichkeiten müssen sich entsprechend an dieser im Vergleich zur nationalen Ebene dezentrierten global-politischen Konstellation ausrichten.

Im Dokument Edition Politik (Seite 65-69)