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Kritik deliberativer Argumentationsprinzipien

Im Dokument Edition Politik (Seite 105-109)

zur UN-Medienberichterstattung

E VALUATIONSDIMENSIONEN GLOBALER

3.4.3. Kritik deliberativer Argumentationsprinzipien

Die Prinzipien (normativer) deliberativer Demokratievorstellungen stoßen bei einer Reihe von Autoren, trotz unterschiedlicher Argumentationen im Detail, auf eine ab-lehnende bzw. verweigernde Haltung, wenn sie auf einen »[. . . ] realistischen Ansatz zur politischen Philosophie«279 bzw. einen demokratietheoretischen Realismus in-sistieren und die idealistisch-optimistische Perspektive der deliberativen Thesen im Hinblick auf den vorherrschenden Modus demokratischer Politik kritisieren.280 277 |Vgl. Czerwick 1990, S. 181ff.

278 |Vgl. ebd., S. 184, 190f.

279 |Geuss 2011, S. 36.

280 |Geuss beanstandet insbesondere die zeitgenössische Prävalenz der (neo-)kantianischen Perspektive, wenn er – entgegen dem Primat ethisch-prinzipieller Überlegungen – als Aus-gangspunkt aller politischer Analysen Aspekte akteursspezifischer Handlungsfähigkeit, Macht, Interessen und deren Beziehungen zueinander in den Vordergrund rückt bzw. formelhaft fragt:

»Wer ›tut‹ wem was zu wessen Nutzen?« (ebd., S. 41). Als problematisch wird die ethisch-normativ zentrierte Denkart von Politik betrachtet und damit die a) Verabsolutierung univer-saler Prinzipien (Rationalität (vgl. dem konträr v.a. die tendenzielle Inkonsequenz menschli-chen Handelns, die Inkonsistenz des Werte- bzw. Präferenzsystems, die allg. Wissensdefizite, die faktische Unbestimmtheit von Argumenten und Überzeugungen oder das Primat der

Ei-Somit stellen auch für Shapiro (1999) Interessensdifferenzen und Machtdispro-portionalitäten die tiefer liegenden Konstanten für moralischen Dissens in der Poli-tik dar, da sie in ihrer Grundsätzlichkeit den deliberativen Prozess beeinflussen und sich als implizite oder explizite Intentionen und/oder ökonomisch-finanzielle Macht unmittelbar in der Formierung öffentlich-deliberativer Debatten niederschlagen.281 Shapiro (2003) weist zudem darauf hin, dass die rechtliche und institutionelle Ver-ankerung von deliberativen Prozeduren insofern auch ein Risiko darstellt, da sie die Möglichkeit der Verstetigung bestehender Machtrelationen fördern bzw. deren Ega-lisierung retardieren oder aber simple Verhandlungsmechanismen evozieren kann.282 Ein adäquater Weg die endemischen Macht- und Hierarchiestrukturen zu limitieren (Ideal der »nondomination«), liegt demnach eher in der grundlegenden Stärkung der Opposition als in einem rationalen, a priori ausbalancierten Deliberationsprozess.283

Mit Dunn (2000), für den Politik in dem Moment emergiert, in dem fundamen-tale menschliche Interessen tiefgreifend und dauerhaft konfligieren, ist eine mediati-sierende Interessenstransformation äußerst kritisch zu betrachten, da »judgments of interest depend upon extraordinarily complicated and hazardous causal judgments, they are ineliminably controversial«284 und entziehen sich somit einer allein argu-mentbasierten, tatsächlich tief-konsensualen Entscheidung. Damit bleibt neben der Permanenz inhaltlicher Diskrepanzen der konfliktäre Charakter von strukturell be-dingten Interessenskollisionen aufgrund einer kaum zu umgehenden Parteilichkeit und Voreingenommenheit im Urteilsvermögen latent vorhanden.285 Das zwanghaf-te parzwanghaf-teiische Handeln als Basis von Individual- oder Gruppenentscheidungen zeigt sich demnach im öffentlichen politischen Diskurs durch eine weithin beobachtbare Selbstbezogenheit und insbesondere dann, wenn Politik im Modus von Nervosität, Reaktivität, Kurzsichtigkeit und Voreingenommenheit agiert.286

geninteressen usw.)); b) die fehlende Reflexion dieser Prinzipien in ihrer historischen Vari-anz und c) die ausbleibende Inbezugsetzung dieser Prinzipien zu historischen, soziologischen oder ökonomischen Diskursen (vgl. ebd., S. 12, 19). Ein theoretischer Ansatz, der faktische Macht(disparitäten) konzeptionell ausschließt oder unterbelichtet, ist mit Geuss »nicht bloß gravierend unzulänglich, sondern schadet aktiv, weil er mystifizierend wirkt« (ebd., S. 128).

281 |Vgl. Shapiro 1999, S. 29, 31f., 34.

282 |Vgl. Shapiro 2003, S. 43-49.

283 |Vgl. Shapiro 2011, S. 251, 271.

284 |Dunn 2000, S. 25.

285 |Vgl. ebd., S. 24, 26ff., 34.

286 |Vgl. ebd., S. 338.

Insbesondere im Kontext der symbiotischen und oft disparitätischen Beziehun-gen traditioneller RegierunBeziehun-gen und Systemen privater Governance bzw. internatio-nal agierender Unternehmen erkennen Autoren wie Wolin (2008) Tendenzen eines

»inverted totalitarianism«. Dieser reduziert unter Ausbeutung der Autorität und Res-sourcen des Staates, Demokratie allein auf eine rhetorische Funktion, indem er den Bürgern sein konsumptorisches Postulat oktroyiert, eine tendenzielle politische Pas-sivität und Marginalisierung der Bürger implizit intendiert und eine vor allem durch die Eliten beeinflusste »managed democracy« forciert, die den basalen Anforderun-gen deliberationstheoretischer ÜberlegunAnforderun-gen zuwiderläuft.287

Aus kommunitaristischer, nach eigener Intention explizit realitätsorientierter und kritisch-wohlwollender Perspektive, argumentiert Walzer (2004) hinsichtlich vieler Punkte in vergleichbarer Weise und sieht dabei die idealistische Vision von vernunft-begründeten Deliberationsprozessen oft mit Aspekten wie (politischer) Leidenschaft, ideologischer Bindung, Solidarität, Mut, aber auch simplem Konkurrenzdenken kon-frontiert.288Ergänzend erscheinen in der Kritik vier weitere Argumente als wichtig.

Als zwingend wird somit einerseits die Notwendigkeit der Anerkennung fundamen-taler Differenzen begriffen, die die deliberationstheoretische Vorbedingung der An-erkennung des Anderen als rational agierenden Gegenüber als obsolet betrachtet, um einen am politischen Status quo ausgerichteten modus vivendi anstelle eines prospek-tiven Verständigungsideals zu etablieren.289 Andererseits wird trotz des egalitären Impetus deliberationstheoretischer Überlegungen das Faktum gesellschaftlicher Un-gleichheit kaum durch deliberative Prozesse an sich remediert, denn eben erst diese Gleichheit kann als basale Voraussetzung egalitärer, im Verfahren der Deliberation getroffener, Entscheidungen angesehen werden.290Somit werden nicht nur die Uni-versalität eines Interessens- und Statusgrenzen überwindenden rationalen Argumen-tes in Frage gestellt, sondern vor allem auch räumliche und zeitliche Restriktionen betont. Walzer konstatiert »[. . . ] the central problem of deliberative democracy: de-liberation in itself is not an activity for the demos«291 – dies nicht aufgrund ange-zweifelter intellektueller Kapazitäten, sondern angesichts der im Kontext benannter Einschränkungen erfolgenden tendenziellen Exklusion aktiv bzw. passiv marginali-sierter Gruppierungen.292Letztlich betont Walzer zudem die Bedeutungslosigkeit der 287 |Vgl. Wolin 2008, S. xiii, xvi, 131, 151ff.

288 |Vgl. Walzer 2004, S. 91f.

289 |Vgl. ebd., S. 104.

290 |Vgl. ebd., S. 105.

291 |Ebd., S. 109.

292 |Vgl. ebd., S. 105, 107.

dichotomen Trennung von leidenschaftlichem Engagement (passion) und prinzipien-getreuer Rationalität, denn in negativer wie positiver Ausgestaltung kann allein das leidenschaftliche Engagement anti-hierarchischer Politik die strukturellen Bedingun-gen gesellschaftlicher Realitäten reformulieren. Dies allerdings nur »unless it arouses the affiliative and combative passions of the people at the lower end of the hierar-chies«,293was in politischen Auseinandersetzungen selten allein durch das bessere bzw. rationale Argument erfolgt.

Auch Connolly (2005) versteht ein allein vernunftbasiertes argumentatives Ethik-system bzw. die Trennung ethischer Prinzipien von der emotionalen Ebene als defi-zitär, wenn er festhält: »To cultivate an ethical disposition of connectedness across difference is to refine our capacities of feeling«.294 Aus einem zutiefst pluralisti-schen Verständnis der Diversität global-anthropologischer Beziehungen heraus un-terstreicht Connolly u.a. die Irreduzibilität von Moralität auf die alleinige Dedukti-on vDedukti-on Leitlinien auf Basis universal-abstrakter Prinzipien sowie das Fehlen eines global-konsensualen Weltwissens, wobei er die Etablierung bzw. Verteidigung eines tiefen multidimensionalen Pluralismus (»bicameral orientation«) als Garant für die Dauerhaftigkeit von Demokratie begreift.295

Fundamental für das Verständnis zeitgenössischer Demokratie ist mit Runciman (2008) zudem die Anerkennung einer kontinuierlichen Divergenz zwischen bean-spruchten moralischen Prinzipien oder Standards und dem eigentlichen politischen Handeln und Agieren, was ihn von einer strukturellen »hypocrisy in (world) politics«

sprechen lässt, die sich in ihrer Unvermeidlichkeit und Immanenz296als inkonform bzw. schwer vereinbar mit den vorgestellten normativen Referenzpunkten deliberati-ver Politik oder Öffentlichkeit erweist.

In seiner politiktheoretischen Auseinandersetzung verfolgt Philp (2007) inner-halb dieser »realistischen« Demokratieperspektive einen »induktiven« Ansatz, wenn er das Verhältnis von Moralphilosophie und Politik nicht als hierarchische Beziehung zugunsten ersterer deutet, sondern den politischen Prozess in seiner Autonomie und Identität als distinkte Instanz sui generis interpretiert. In dieser werden abstrakte Wer-te bzw. Standards vielmehr durch die konWer-textabhängigen InWer-terpretationen, Implemen-tierungen und das jeweilige politische Agieren geprägt und entsprechende normative Horizonte, politische Realitätsentwürfe und institutionelle Arrangements ausgebildet.

In diesem Kontext gewinnen dann politische Tugenden und Qualitäten der agierenden 293 |Ebd., S. 130.

294 |Connolly 2005, S. 91f.

295 |Vgl. ebd., S. 4, 69, 92, 161.

296 |Vgl. Runciman 2008, S. 12, 14.

Akteure an Bedeutung und verweisen auf die eigentliche Komplexität von Politik, die nunmehr vom deliberativen Verständnis abweichend, zum Teil benannte Aspekte wie die menschlicher Leidenschaft, Ambitionen, politischer und persönlicher Loyalität oder Integrität sowie die historischer Erinnerungen und Streitigkeiten als substanti-elle, nicht zu eliminierende Elemente politischen Geschehens einschließt. Die Stan-dards politischen und öffentlichen Handelns sind damit in großem Umfang im jewei-ligen historischen Umfeld zu kontextualisieren, was das Bewusstsein für die Fragilität und zeitgeschichtliche Exzeptionalität politischer Institutionen einschließt. Die Maß-stäbe politischen Agierens, die für etablierte, zumeist konsensual validierte politische Ordnungen gelten, können nicht simplifizierend als universell-normative Imperative für jede politische Ordnung gelten, wenn damit einflussreiche Umgebungsrestriktio-nen ausgeblendet werden.297Zusammenfassend sollten diese Inkongruenzen gegen-über idealtypischen Vorstellungen deliberativer Demokratie bzw. Politik mit Philp nicht vereinfachend als menschliche Defizite verstanden werden, sondern vielmehr als »a function of the conflicts and irrationalities inherent in acting to set the pattern of action for others against a history of previous attempts and their intended and un-intended consequences«.298Neben generellen Prinzipien müssen auch situative mo-tivationale Kontexte gelebten (gesellschafts-)politischen Handelns konzeptionalisiert werden.299

Obige Überlegungen spiegeln sich auch in der kommunikationswissenschaftli-chen Arbeit von Cottle und Rai (2008) wider, wenn diese medialvermittelten deli-berativen Prozessen politischer Kommunikation jeweils gleichbedeutende Kommu-nikationsmodi (»Display«: Rhetorik, Performance, Image, Affekt; »Deliberation«:

Argumentation, Begründung, Analyse) zuordnen und damit eine über die rein ratio-nalistische Interpretationsweise hinausreichende Perspektive auf internationale Kom-munikation anzuregen suchen.300

Im Dokument Edition Politik (Seite 105-109)