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3 Weber-Question, Needham-Puzzle und Great Divergence -

3.3 Zentrale Paradigmen

3.3.1 Weber-Question

Max Webers Paradigma begreift moderne wirtschaftliche Entwick-lung als Folge der Rationalisierung von Lebensführungs- und Sinnstif-tungskonzepten der handelnden Akteure und bezieht damit kulturelle Aspekte in die wirtschafts- beziehungsweise sozialwissenschaftliche Analyse mit ein. Die ‚Weber-Frage‘ lautet: Warum China keinen ‘rati-onalen Kapitalismus’, wie er in Nord-West Europa ausgebildet wurde, endogen entwickelt hat (Weber, 1968, S. 351)? Weber ging dabei der Frage nach, welchen Einfluss die religiöse Einstellung der Akteure bei der neuzeitlichen Rationalisierung der Welt ausübte und welche Ein-stellungen das wirtschaftliche Handeln in welcher Weise geprägt ha-ben. Er ging davon aus, dass der Protestantismus vor allem der purita-nischen und calvinistischen Prägung, zu einer rationalen Lebensfüh-rung anregte. Erfolgreiches wirtschaftliches Handeln wird zu einem göttlichen Gnadenbeweis. Lebensführung in alltäglichen Belangen – und nicht Prädestination – wird zum Schlüssel für die individuelle Seligkeit. Der sorgsame Umgang mit Gottes Gaben spielt dabei eine herausgehobene Rolle. Sparsame Lebensführung (‚innerweltliche As-kese‘) und rationales Wirtschaften tragen auf diese Weise zur Ausbil-dung eines ‚rationalen Kapitalismus‘ bei.22 Rationaler Kapitalismus

22 Vielleicht lässt sich mit diesem Konzept Webers auch eine Frage beleuch-ten, die Hagen Krämer (2015) unlängst in seiner Kritik an Thomas Piketty aufgeworfen hat. Es geht um die Bedeutung der Höhe der Sparquoten für die Entwicklung von Ungleichheit. Je höher die Sparquote der Vermögen-den, desto schneller wächst im Piketty-Modell (Kapitalrendite > Wirt-schaftswachstum) die Ungleichheit. Das Konzept der ‚innerweltlichen As-kese‘ bietet in diesem Zusammenhang eine Facette der neuzeitlichen Ver-mögensakkumulation: „Der typische Puritaner verdiente viel, verbrauchte wenig und legte seinen Erwerb, zufolge des asketischen Sparzwangs,

wie-bedeutet bei Weber, die Trennung von Betrieb und Haushalt sowie rationale Unternehmensführung; zur letzteren gehören Rechenhaf-tigkeit (Buchführung, Kalkulation), die systematische Verfolgung von Gewinnzielen und überhaupt die Anwendung wissenschaftlicher Me-thoden in Produktion und Betriebsführung. Die bürgerliche Kauf-mannsschicht trägt als soziale Gruppe merklich zur Rationalisierung weiterer gesellschaftlicher Bereiche bei, besonders zu solchen, die die ökonomische Sphäre berühren, wie das Rechtssystem oder die Wirt-schaftspolitik (Weber, 1968).

Von den anderen großen Weltreligionen sei, nach Weber, kein vergleichbarer Impuls zur Beeinflussung der Wirtschaftstätigkeit aus-gegangen. Katholizismus, Hinduismus, Islam und Daoismus regten nicht zu einer rationalen Lebensführung an, weil Prädestination und Magie als grundlegender für die jenseitige Perspektive des Menschen begriffen wurde, anstatt Lebensführung (die Welt als ‚Zaubergarten‘);

andere Religionen, wie manche Strömungen im Buddhismus hielten ihre Anhänger zur systematischen Weltabwendung an. Die Ausbildung eines ‚ökonomischen Rationalismus‘ durch eine ‚praktisch-rationale Lebensführung‘ stieß auf ‚Hemmungen seelischer Art‘, die zu ‚schwe-ren inne‚schwe-ren Widerständen‘ gegen einen solchen Prozess führten, sobald die Anforderungen einer ökonomischen Rationalität in Widerspruch zu den durch ‚Glaube an magische und religiöse Mächte‘ und den von ihnen gebotenen ‚ethischen Pflichtvorstellungen‘ gerieten (Weber, 1968). Allein dem Konfuzianismus, dem ethisch-rationalem Kodex der chinesischen Literatenbeamtenschaft, billigte Max Weber ein ähnliches Rationalisierungspotential zu, wie dem Protestantismus.

Max Weber, wie auch dem europäischen Betrachter des beginnen-den 20. Jahrhunderts im Allgemeinen, erschien China als imperialer Einheitsstaat mit einem Kaiser an der Spitze und einer großen Masse, in relativ autonomen Dorfgemeinschaften wirtschaftender, Kleinbau-ern, die Steuern und Frondienste zu entrichten hatten. Kaufleute und Militärs standen in der Sozialhierarchie unter den Bauern (Weber, 1991). Verwaltet wurde das Reich durch eine Schicht von Beamten, die aus einer Gruppe von Kandidaten rekrutiert wurde, deren

der werbend als Kapital in rationalen kapitalistischen Betrieben an.“ (We-ber 1991, S. 207)

rige sich durch die Absolvierung von schriftlichen Examina für den Staatsdienst zu qualifizieren hatten. Den Angehörigen dieser Literaten-schicht (Gentry) stand eine Reihe von Privilegien wie Befreiungen von Bodensteuern zu. Tätige Magistrate konnten als ‚Amtspfründnerschaft‘

am Steueraufkommen partizipieren, was ein starkes Eigeninteresse an einer Perpetuierung des Status Quo erzeugte (Weber, 1991, S. 75-76, S. 126). Da die relative Zahl der aktiven Beamten zur Gesamtbevölke-rung gering war, wurde die BevölkeGesamtbevölke-rung eher symbolisch, als durch direkte staatliche Intervention regiert. Der charismatische Kaiser (Himmelssohn), als Träger des ‚Mandats des Himmels‘, symbolisierte dabei die unverbrüchliche und zeitlose Harmonie zwischen kosmischer und irdischer Ordnung. Ausweis des Charismas, das an einer ethischen Lebensführung hing, war dabei das Wohl des Volkes (Weber, 1991, 47-51). Als Bindeglied zur Gesellschaft fungierten dabei der ‚Glaube an die Macht der Ahnengeister und ihr Kult‘ sowie die Pietät als ihr weltliches Subordinationsdiktum, als die einzig vorgeschriebene Laienreligiösität für alle Reichseinwohner. Die sonstige Volksreligiösi-tät ─ Geomantik, Ying und Yang-Lehre, Lamaismus sowie den Daoismus ─ tolerierte der offizielle Staat, sofern sich aus ihr kein her-ausforderndes Potential entwickelte (Weber, 1991, S. 137).

In der praktischen Verwaltung kooperierten die Kreis- und Stadt-magistrate als unterste Einheit des offiziellen Staates mit lokalen Eli-ten, wie den Führern von Tempelgilden, Dorfältesten oder eben nicht-beamteten Literaten. Das funktionierte auf der Basis gemeinsamer Werthaltungen und der Pietät. Eine Herausforderung der magischen Volksreligiösität durch Rationalisierungforderungen seitens der staatli-chen Elite hätte sowohl den Verwaltungsablauf gestört, als auch den Eigeninteressen der Amtspfründnerschaft geschadet, daher resümiert Weber: „Die Erhaltung des Zaubergartens gehörte aber zu den intims-ten Tendenzen der konfuzianischen Ethik“ (Weber, 1991, S. 193).

Genau diese Tendenz charakterisiert ‚den konfuzianischen Rationalis-mus als rationale Anpassung an die Welt‘ während der ‚puritanische Rationalismus rationale Beherrschung der Welt‘ bedeute (Weber 1991, S. 207).

Obwohl die Hauptschrift zu China ‚Konfuzianismus und Taois-mus‘ schon vor einhundert Jahren von Max Weber vorgelegt wurde, ist ihr Einfluss gerade unter deutschsprachigen Chinaforschern heute noch spürbar (z. B. Herrmann-Pillath 2015, 1990, Rühle 2012). Die Wahl

kultureller Differenzen, hier die individuellen religiösen Dispositionen, als Erklärungsansatz für ökonomische Divergenzen hat eine For-schungsrichtung eröffnet, die bis heute wichtige Beiträge zum Ver-ständnis des chinesischen Entwicklungspfades liefert.