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3 Weber-Question, Needham-Puzzle und Great Divergence -

3.3 Zentrale Paradigmen

3.3.2 Die hydraulische Gesellschaft

Karl August Wittfogel,23 Weberstudent, Ökonom und Sinologe, ge-hört sicherlich zu den ersten westlichen Wissenschaftlern, die die öko-nomische Entwicklung Chinas systematisch und umfassend wirt-schaftstheoretisch zu deuten suchten (Wittfogel 1931). Er folgte der marx’schen Methode, die politischen und sozialen Verhältnisse (Pro-duktionsverhältnisse) aus der vorherrschenden technologischen und sozialen Organisation des Wirtschaftens (Produktionsweise) abzulei-ten. Ausgangspunkt seiner Betrachtung war dabei die marx’sche Kate-gorie der „asiatischen Produktionsweise“ oder „asiatischen Despotie“.

Bei Marx eher knapp gehalten, versuchte Wittfogel, diese Kategorien am Beispiel China zu entwickeln. In den Arbeiten von Marx, wie auch in denen anderer Klassiker, ist China eher ein Nebenschauplatz des ökonomischen Interesses. Was für China und andere Teile Asiens fest-gestellt wird, ist vor allem die Persistenz bestimmter ökonomischer Strukturen, Stagnation, die weitgehende ökonomische Isolierung von der Außenwelt und ein absolutistisches Herrschaftssystem. Marx stellt die „asiatische Produktionsweise“ neben die „antike“, „feudale“ und

„moderne bürgerliche Produktionsweise“ (Marx, 1961a, S. 9); es hat den Anschein, dass Marx hier eine eigene historische Formation mit Beharrungsvermögen sieht. Gerade in einigen früheren Artikeln zum Opium-Krieg, der Taiping-Rebellion und der britischen Herrschaft in Indien, weist er dem britischen Kolonialismus „die doppelte Mission“

zu, die alten asiatischen Verhältnisse zu zerbrechen und die westliche, moderne Zivilisation einzuführen, die letztlich über den Kapitalismus zur proletarischen Revolution führe (Marx, 1960c, S. 220-221). Für den Marx dieser Phase ist China ein Hort der Reaktion,24 dessen Struk-turen durch die gewaltsame Öffnung einem Zerfall ausgesetzt sein

23 Siehe auch Abschnitt 3.2.1

24 „Österreich, das deutsche China“ Marx, 1960a, S. 97. Zu dieser Zeit war das Österreich Metternichs, 5 Jahre nach 1848, für Marx der Inbegriff der politischen Reaktion.

würden, wie bei einer „hermetisch eingeschlossenen Mumie bei der Berührung mit Luft“ (Marx, 1960a, S. 97). Die Produkte der westli-chen Industrie würden die alte Hausindustrie zerbrewestli-chen, englische Dampfkraft und Wissenschaft die alte, für die „asiatische Produkti-onsweise“ typische Verbindung zwischen Ackerbau und Handwerk zerstören (Marx, 1960b, S.130). In den Artikeln zum zweiten Opium-krieg kann man gewisse Modifikationen der Position Marx zu China feststellen: Die traditionelle Wirtschaftsordnung erschien widerstands-fähiger, als Marx einige Jahre zuvor prognostiziert hatte (1961b, 1961c).

Genau das Beharrungsvermögen des landwirtschaftlichen Famili-enbetriebes mit angeschlossener Hausindustrie gegenüber moderner, fabrikgestützter Produktionsorganisation bildet einen zentralen Fokus in Wittfogels (1931) Analyse. Zunächst beschreibt er die ‚natürlichen Produktivkräfte‘ und deren determinierende Rolle für die landwirt-schaftliche Produktionsweise: Rohstoffvorkommen, Flüsse, Klima und das Wechselspiel zwischen Be- und Entwässerungen der Felder sowie das Düngen in Abhängigkeit von der Bodenbeschaffenheit; insbeson-dere betont er die Notwendigkeit des Bewässerns der Löß- und Lößal-luvialböden (S.8-93) Nord-Ostchinas.25 Wittfogel geht davon aus, dass 25-33% (S. 291 ff.) der landwirtschaftlichen Flächen künstlich bewäs-sert wurden. Dies habe dazu geführt, dass sich die Siedlungsschwer-punkte der chinesischen Gesellschaft in unmittelbarer Nähe der gro-ßen, stark sedimentführenden Wasserläufe26 gebildet haben, was wie-derum massive Eindeichungsarbeiten, wegen der hohen Überflutungs-gefahr, nach sich zog27: „Nur planmäßig ineinandergreifende Massen-Arbeit, Kooperation, konnten die Grundlage für den agrikolen Arbeits-prozess in den chinesischen Flussgebieten herstellen“ (S. 125 f.). Auf dieser Basis habe sich eine Symbiose aus einer arbeitsintensiven, sach-kapitalarmen Hortikultur und einer bürokratisch organisierten Zentral-gewalt gebildet, die in der Lage war, die Wasserbauarbeiten zu bewäl-tigen. Die ökonomische Beziehung zwischen den selbständigen bäuer-lichen Eigentums- oder Pachtbetrieben, mit angeschlossener

25 Es geht hier um die Regionen 1 und 2 in Abbildung 2.

26 Siehe Abschnitt 3.1

27 Siehe Abschnitt 3.1, insbesondere Abbildung 4.

dustrie, die steuer- und fronpflichtig waren, und der Zentrale durfte nicht von anderen sozialen Gruppen, wie Feudaladel oder städtischem Bürgertum, gestört werden, so dass diese politisch marginalisiert wur-den. Anders als in Europa, seien die Städte Chinas Verwaltungssitze geblieben und wurden nicht Ausgangspunkte ökonomisch und poli-tisch aufsteigender sozialer Schichten (S. 509 ff.). Der Staat war stär-ker als die Gesellschaft (1962, S. 79 f.). Die kaiserliche Politik sei darauf ausgerichtet gewesen, insbesondere den landwirtschaftlichen Kleinbetrieb als Besteuerungsbasis zu erhalten (1931, S. 346-410).

Dieses System sei über 2000 Jahre hinweg weitgehend stabil geblie-ben. Bis in das frühe 20. Jahrhundert konnte der patriarchale chinesi-sche Kleinbetrieb ─ wegen seine Subsistenzlohnstruktur ─ endogenen und exogenen Modernisierungsimpulsen wiederstehen: „Was der kleinbäuerliche Betrieb in der Sphäre der Agrikultur tat, das wiederholt in der industriellen der hausindustrielle Zwergbetrieb: er unterhungert den Großbetrieb, und, wo er ihn schon nicht niederkonkurrieren kann, da erweist er sich doch neben ihm und gegen ihn als ein äußerst wider-standsfähiger (Schmutz-) Konkurrent“ (S. 670).

Das Frühwerk Wittfogels bietet eine detailreiche Rekonstruktion der chinesischen Wirtschaftsweise und deren Probleme zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Auch wenn nur wenige Autoren, wie zum Beispiel Joseph Needham28, sich ausdrücklich auf das Frühwerk Wittfogels beziehen, hat diese Arbeit die Positionen der Chinaforschung bis heute beeinflusst. Gerade das Bild einer homöostatischen Gesellschaft und einer despotischen, übermächtigen Zentralregierung hat das westliche Chinabild lange dominiert und findet sich als Grundton in vielen Ar-beiten (beispielhaft North 1993, Franke; Trauzettel 1993).

Kritisch ist Wittfogels Methode zu sehen ─ ähnlich wie die bei Weber ─ die beobachtete Realität des späten 19. und frühen 20. Jahr-hunderts anhand der klassischen ‚konfuzianischen‘ Schriften und der offiziellen kaiserlichen Historiographie bis in die Antike und weiter zurück zu spekulieren, so dass das Bild einer ungebrochenen Kontinui-tät entsteht. Die politische Struktur des (späten) Kaiserreiches leitet Wittfogel unmittelbar aus der Notwendigkeit des Wasserbaus ab und weist diesem damit die wesentliche strukturbildende Funktion zu, was in der Aussage mündet: „Yü leitete die Hsia-Dynastie durch kolossale

28 Siehe Abschnitt 3.3.3

Wasserbauten ein (…)“ (1931, S. 419).29 Bei Wolfram Eberhard (1980) hingegen werden die ‚kolossalen Wasserbauten‘ zu einem ‚ma-gischen Bärentanz‘ mit dem Yü eine große Flut des Gelben Flusses abwendete.30

Der strickte Konnex zwischen Wasserbau, Ökonomie, Kultur und Politik, den Wittfogel in seinem Spätwerk (1962) zum universellen Konzept der ‚Hydraulische Gesellschaft (Orientalische Despotie)‘ aus-baut, das das vorantike Sumer, das Ägypten der Pharaonen, das Peru der Inkas, das osmanische Reich, Ostasien, Indien sowie die stalinisti-sche Sowjetunion und die maoististalinisti-sche Volksrepublik in ein Modell drängt, hat ihm harsche Kritik eingetragen. Insbesondere wird ihm ein problematischer Umgang mit Fakten zugunsten seiner Theorie vorge-worfen: „His thinking made theory the ultimate truth. Abstractions were the basic facts.“ (Fairbank in Huang, Ray 1999, S. 111, des Weiteren siehe Needham 2008a, Franke; Trauzettel 1993, Keightley 1990, Osterhammel 1989). William Rowe (1988) bedauert dann auch, dass Wittfogels massive Überbetonung des hydraulischen Faktors dazu beigetragen habe, dass die evidente Bedeutung des Wasserbaus für die Analyse der chinesischen Wirtschaftsgeschichte nicht die nötige Wür-digung durch die westliche ‚scientific community‘ erfahren habe (siehe auch McFarlane; Cooper; Jacsic 2005a, 2005b).