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Wachsender Druck zu Mehrausgaben

KONSEQUENZEN UND PERSPEKTIVEN DER KONSOLIDIERUNGSPOLITIK IM VEREINIGTEN

II. Die Entwicklung der Staatsausgaben

1) Wachsender Druck zu Mehrausgaben

Das letzte Kapitel zeigt den Anstieg der Ausgabenquote unter der Konservativen Regierung auf, und wie die Ausgaben die Entwicklung der Staatsfinanzen ent-scheidend bestimmen. Der Ausgabenanstieg betraf nur bestimmte Ausgabenkatego-rien, und es ist anzunehmen, daß der Aufwärtstrend in diesen Bereichen in den nächsten Jahren fortbesteht.419

- Ein wesentlicher Teil der Einsparungen bei den Ausgaben in den 80er Jahren be-traf die Investitionen. Allerdings wurde bereits nach 1976 bei den Investitionen gespart. Infolgedessen hat sich ein Investitionsbedarf angehäuft, welchem durch höhere Investitionsausgaben in der nächsten Zukunft entsprochen werden muß.420 Verzögerungen bei Instandhaltung, Reparatur- und Sanierungsarbeiten haben zu einer Verschlechterung des öffentlichen Kapitalstocks geführt (vgl. viertes Kapitel, Abschnitt IIl.2.a) und die Kosten der Instandsetzung ansteigen lassen, was die Ausgaben in der Zukunft zusätzlich belasten wird.421

- Eine mutmaßliche Zunahme der Kriminalität sowie eine härtere öffentliche Ein-stellung gegenüber Rechtsbrechern übt einen fortlaufenden Druck auf die

Ausga-418 Vgl. hierzu The Independent, 2.9.96, S. 13, Economist, 23.11.96, S. 20.

419 So die Ansicht des britischen Schatzamts, siehe dazu Hibberd (1993a), S. 31. Siehe auch Dilnot (1995), S. 5 und Webb (1995), S. 12.

420 Hibberd (1993b), S. 74.

421 Siehe hierzu NEDC (1985). Beim Straßenunterhalt beispielsweise führt eine Unterlassung der minimalen Wartungsarbeiten alle vier bis acht Jahre zu einer Verzehnfachung des Kostenanstiegs, wenn aufgrund unterlassener Wartung der gesamte Belag erneuert werden muß. Wird auch die Erneuerung nicht rechtzeitig unternommen und das Fundament der Straße geschädigt, steigen die Kosten um das Fünfzigfache. Eine Befragung der Gemeinden 1984 im Rahmen der NEDC Studie ergab, daß eine minimale Wartung der Hauptstraßen durchschnittlich alle zehn bis zwölf Jahre stattfand, S. 6f.

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ben für die innere Sicherheit aus.422 So werden beispielsweise der Bau von neuen Gefängnissen und die Aufstockung der Polizei zusätzliche Ausgaben erfordern.

- Bei sinkenden Schülerzahlen ist der Ausgabenanteil am BIP für den Bildungs-sektor im Untersuchungszeitraum relativ konstant geblieben. Trotzdem werden die Bildungsausgaben von den Wählern als unzureichend empfunden.423 Die Anforde-rungen an das Gut Bildung nehmen mit steigendem Einkommen überproportional zu, was einen fortlaufenden Druck auf die Bildungsausgaben erwarten läßt.

- Die Gesundheitsausgaben sind ebenfalls einem starken Aufwärtsdruck ausgesetzt.

Die Überalterung der Bevölkerung sowie technischer Fortschritt im Gesundheits-wesen, welcher zu kostenspieligeren Behandlungsmethoden führt, sind zwei Grün-de für steigenGrün-de Kosten. ZuGrün-dem wollen die Haushalte mit steigenGrün-dem Einkommen auch relativ mehr Gesundheitsgüter und -leistungen konsumieren.

- Aus sozialen und demographischen Gründen wird in den nächsten Jahren eine steigende Anzahl von Empfängern staatlicher Unterstützung erwartet. Dadurch be-steht ein starker Druck auf die Ausgaben für die soziale Sicherung. Die einzelnen Unterstützungszahlungen sind bereits auf ein sehr tiefes Niveau gedrückt wor-den, 424 was weitere Einsparungen politisch kaum durchsetzbar macht.

Der im ersten Absatz dargestellte Investitionsbedarf entstand wohl deshalb, weil Einsparungen bei den Investitionen politisch am einfachsten durchzusetzen sind.425 Die sonstige Entwicklung scheint die Wagnersche Hypothese des Strukturwandels zu unterstützen (2. Kapitel, Abschnitt IV.2.a). Gesellschaftliche Veränderungen haben die Nachfrage nach den Einrichtungen des Mindeststaates und den Vorsor-geleistungen des Wohlfahrtsstaats erhöht. Dazu kommt eine steigende Nachfrage nach einkommensabhängigen Gütern und Dienstleistungen.

Die zweite W agnersche Hypothese findet in der Entwicklung aber auch Unterstüt-zung (2. Kapitel, Abschnitt IV.2.b). Dieser zufolge widmet sich der Wohlfahrts-staat vermehrt Umverteilungsaufgaben. Die höchsten Zuwachsraten erfuhren die Bereiche der sozialen Sicherung, der Gesundheit und - unter Berücksichtigung sin-kender Anzahl von Schülern - der Bildung. Diese drei Ausgabenkategorien mach-ten 1979 50% der Gesamtausgaben aus. 1994 ist der Anteil auf 62% angestiegen.

422 Hierzu Brook und Cape (1995), insbesondere S. 204f.

423 Skidelsky (1995), S. 61.

424 1991 bebug beispielsweise das durchschnittliche Arbeitslosengeld 15,4% vom durchschnittlichen Lohn zuzüglich Arbeitgeberversicherungsbeiträge. Zum Vergleich liegt der Anteil in Deutschland bei 34,3% und im OECD Durchschnitt bei 32,8%, OECD (1993d), S. 44.

425 Mullard ( 1987), S. 173.

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Allen drei Kategorien ist gemeinsam, daß sie in erster Linie Verteilungscharakter haben.426

Die Analyse im 2. Kapitel über die Nachfrage nach Umverteilungsaufgaben zeigt, daß hinter einem Anstieg der Staatsausgaben mit Verteilungscharakter Interessen-gruppen stehen könnten (Abschnitt IV.2.c). Auch wenn dies in einzelnen Fällen vorgekommen sein mag, ist das staatliche Angebot in den Bildungs- und Gesund-heitssektoren gerade dadurch gekennzeichnet, daß es im Lebenszyklus Nutzen für alle stiftet und nicht ausgesprochene Vorteile für spezielle Gruppen bietet. Dies gilt ebenso für die bedeutendsten Transferzahlungen. Die staatlichen Pensionszahlun-gen und das Kindergeld sind PauschalzahlunPensionszahlun-gen, welche in einem bestimmten Le-bensabschnitt allen gleichermaßen zustehen. Die anderen wichtigen Transferzah-lungen sind diejenigen für die Vor- und Fürsorgeleistungen des Staates, welche ei-ne Art Versicherung für den einzelei-nen gegen die finanziellen Folgen von unvorher-sehbaren Ereignissen, wie z. B. Krankheit, Unfall oder Erwerbslosigkeit, bietet.427 Diese Ausgaben für Transferzahlungen scheinen nicht eine Folge starker Interes-sengruppen zu sein, sondern ergeben sich aus der sozialen Verpflichtung des Staa-tes, ein Existenzminimum für seine Bürger zu gewährleisten.

Die Analyse im zweiten Kapitel betont auch, daß die Ursache von steigenden Staatsausgaben auch beim Angebot liegen kann. Ein „relativer Preiseffekt" kann z.

B. durch nutzenmaximierende Bürokraten oder X-Ineffizienzen entstehen (Vgl. 4.

Kapitel, Abschnitt IV.3). Die Konservative Regierung hat den relativen Preiseffekt als einen wichtigen Bestimmungsgrund für die Höhe der Ausgaben betrachtet. Der Abbau des öffentlichen Dienstes und wettbewerbsstärkende Maßnahmen haben ei-nen Beitrag dazu geleistet, die Kosten des öffentlichen Angebots zu senken.428 Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß der Anstieg der Staatsausgaben im wesentlichen Güter und Dienstleistungen betraf, welche erstens Verteilungscha-rakter hatten und zweitens der Allgemeinheit zugute kamen. Bei den Transferzah-lungen waren es entweder ebenfalls Überweisungen mit universalem Nutzen oder nach Bedürftigkeit zur Sicherung des Existenzminimums erteilte Transfers. Nach den Überlegungen des zweiten Kapitels kann für derartige Ausgaben die Streuung der Einkommensverteilung eine wichtige Rolle spielen (Abschnitt IV.2.b). Um dies

426 Es gibt auch Effizienzargumente für die Bereitstellung von Bildung und Gesundheit, sowie die Zahlung von Transfers, welche durch Marktversagen begründet wird. Diese können aber das Ausmaß des Wohlfahrtsstaates nicht erklären, Dilnot (1995), S. 3f.

427 Ein Teil dieser Risiken kann und wird im Vereinigten Königreich privat versichert. Allerdings versagt vor allem für Individuen, welche als hohe Risiken eingestuft werden, der Markt, Disney und Webb (1989), S. 55.

428 OECD (1989), S. 63ff. Judith Safford - 978-3-631-75199-2 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 07:12:45AM

zu untersuchen, bedarf es einiger ausholender Erläuterungen, die im Exkurs des nächsten Abschnittes dargelegt werden.

2) Exkurs: Der Einfluß der Einkommensverteilung auf die Ausgaben