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Die Analyse der Laffer-Kurve

ALLGEMEINER TEIL II: STRATEGIEN ZUR SENKUNG DER STAATSVERSCHULDUNG

II. Strategie I: Der Inflationsmechanimus als Lösung des Schulden- Schulden-problems

1) Die Analyse der Laffer-Kurve

Der Glaube, daß eine Aufkommensgrenze der Besteuerung existiert, hat eine länge-re Tradition in der Finanzwissenschaft. Belänge-reits 1776 schlänge-reibt Adam Smith in „The Wealth ofNations":

„High taxes, sometimes by diminuishing the consumption of the taxed commodities, and sometimes by encouraging smuggling, frequently

158 Juristische Beschränkungen werden im folgenden vernachlässigt. Da in Großbritannien keine kon-stitutionellen oder verfassungsmäßigen Einnahmengesetze existieren, hat die Regierung juristisch eine praktisch unbegrenzte Freiheit bei der Einnahmegestaltung.

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afford a smaller revenue to govemment than what might be drawn from more moderate taxes."159

Nach Smith sind dem maximalen Aufkommen einer Steuer endogene Grenzenge-setzt, weil einer ansteigenden Steuerbelastung mit zunehmenden Substitutions- und Steuer-Ausweichreaktionen begegnet wird, die eine Steuersatzerhöhung überkom-pensieren können.

Diese Überlegungen fanden Ende der 70er Jahre durch die Arbeiten von Laffer und anderer „Supply side" Ökonomen erneute Aufmerksamkeit.160 Die sog. Laffer-Kurve zeigt analytisch, daß eine obere Aufkommensgrenze der Besteuerung exi-stieren muß. Sie ist in Abbildung 6 dargestellt. Bei einem Steuersatz von Null ist das Steueraufkommen Null. Der Spitzensatz einer Steuer mit breiter Bemessungs-grundlage liegt bei 100%. Dann ist auch das Aufkommen gleich Null.161 Gilt für die Aufkommensfunktion T'(0) > 0, 162 dann muß ein Steuersatz 't* existieren, bei dem T'('t) = 0 und das maximale Aufkommen T* erreicht wird. Somit stellt 't* eine Grenze der Besteuerung dar.

16

°

Für eine Darstellung und ausführliche Diskussion der Laffer-Kurve siehe den Sammelband von Meyer (Hrsg.) (1981 ).

161 Einzelne indirekte Steuern auf Einfuhren, Luxusgütern, oder „bads", wie beispielsweise Zigaret-ten und Alkohol, können über 100% des ProduzenZigaret-tenpreises erreichen, so daß sich das Aufkom-men asymptotisch Null annähert. Diese Tatsache ist aber unwichtig für die Grundaussage der Laf-fer-Kurve und wird nicht weiter beachtet.

162 Die Stetigkeit und Differenzierbarkeit der Aufkommensfunktion werden vorausgesetzt.

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Der Verlauf der Kurve, wonach das zusätzliche Steueraufkommen mit steigendem Steuersatz marginal abnimmt, erklärt sich nach dem Laffer' sehen Ansatz aus Sub-stitutionshandlungen der Steuerzahler bei steigendem Grenz- und damit steigendem Durschschnittssteuersatz. Dieser Zusammenhang läßt sich durch ein einfaches Ein-kommenskonzept verdeutlichen. Das gesamte Einkommen (Y) wird aus dem Faktor Arbeit (L) hervorgebracht, welcher zu einem durchschnittlichen Lohn (vor Steuern) w angeboten wird: Y =wL.163 Das gesamte Einkommen wird zu einem konstanten Grenzsteuersatz t besteuert (Proportionalsteuer: Grenz-= Durchschnittssteuersatz).

Die Aufkommensfunktion ist dann

(1) T=t(wL).

Da der Steuersatz sowohl den Lohn (w) als auch die angebotene Menge (L) beein-flußt, hat eine Erhöhung des Steuersatzes t drei Auswirkungen auf das Aufkom-men:

dT t dL t dw

-=wL(l+--+--].

dt L dt w dt

Die erste Komponente ist der reine Budgeteffekt. Sie ergibt das Steueraufkommen, wenn keine Verhaltensreaktionen auf die Steuererhöhung auftreten. Ein Aufkom-mensanstieg erfolgt proportional zum Steuertarif, wenn die Bemessungsgrundlage in keiner Beziehung zum Steuersatz steht. Die zweite Komponente ist die Wirkung der Steuer auf das Arbeitsangebot: Durch die Steuererhöhung sinkt der Nettolohn und löst einen Substitutions- und einen Einkommenseffekt aus. Da Freizeit relativ

„preiswerter" geworden ist, wird Freizeit für Arbeit substituiert. Auf der anderen Seite muß zur Aufrechterhaltung des gegebenen Einkommens mehr gearbeitet wer-den. Es wird angenommen, daß der Substitutionseffekt dominiert. Folglich ist der Gesamteffekt negativ (dL/dt < 0). Die dritte Komponente erfaßt die Wirkung einer Lohnänderung infolge der Steuererhöhung. Die Arbeitnehmer versuchen, den Rückgang des Nettolohns durch eine Erhöhung des Bruttolohns (höhere Lohnfor-derungen) zu kompensieren (dw/dt > 0).

Die Argumentation der Laffer-Kurve und der daraus abgeleitete Steuersatz t* fu-ßen auf Effizienzüberlegungen der Optimalsteuer-Theorie. 164 Die Form der Kurve ergibt sich aus den drei verschiedenen Reaktionen auf den Steuersatz, wobei beim

163 Vgl. für eine ähnliche Vorgehensweise vgl. Fullerton (1982) und Peacock (1989). Cantor, Joines und Laffer (1981) verwenden ein zwei-Faktoren-Modell. Ihre Argumentation ist jedoch ähnlich.

164 In der Abbildung 6 wäre bei jedem Steuersatz t•>t* das gleiche Steueraufkommen mit einem niedrigeren Steuersatz t,<t* zu erreichen. Der höhere Steuersatz t• verursacht höhere Effizienz-verluste und ist deswegen ineffizient. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, daß die Zu-satzlast einer gegebenen Steuer mit dem Grenzsteuersatz im Quadrate wächst, Cullis und Jones

(1992), S. 185. Judith Safford - 978-3-631-75199-2

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Arbeitsangebot der Substitutionseffekt den Einkommenseffekt immer überwiegt.

Dies bedeutet, daß die Arbeitnehmer sich entscheiden, bei steigenden Steuersätzen weniger zu arbeiten.

Unberücksichtigt bei der Laffer' sehen Analyse bleiben beispielsweise die bereits vom Smith (1776) erkannten Steuerausweichungsreaktionen bei steigender Steuer-last. Diese können zwei Formen annehmen. Steuerhinterziehung als Erstes - die vorsätzliche Unterdeklaration von steuerpflichtigen Einkünften - umfaßt die Betä-tigung in der sogenannten Schattenwirtschaft und die ungesetzmäßige Steuer-flucht.165 Sie scheint in den Industrieländern weit verbreitet zu sein, und zumindest bis in die 8Oer Jahre stieg sie an. 166 Steuervermeidung als Zweites ist die legale Ausnutzung von Steuerlücken (absetzbare Kosten, steuerfreie Einkünfte, etc.), Zahlungsaufschub und Arbitragemöglichkeiten zwischen Individuen oder Ein-kommensklassen, um die deklarationspflichtigen Einkünfte zu mindern. 167 Die Tendenz zu Steuervermeidung scheint auch in den letzten Jahren zugenommen zu haben. 168

Steuerhinterziehung und Steuervermeidung sind in vieler Hinsicht Substitute, aber auch möglicherweise Komplemente. 169 Deswegen werden sie in der Literatur oft in den Begriffen „Steueraversion" oder „Steuerwiderstand" zusammengefaßt. 170 Das Ausmaß der Steueraversion gibt Auskunft über die subjektive Beurteilung des Steuersystems durch die Steuerzahler. Wird das Steuersystem als schlecht beurteilt, steigt die Steueraversion und die Effizienz des Steuersystems - im Sinne des ma-ximalen Aufkommens bei gegebener Bemessungsgrundlage - wird sinken. Die wichtigsten Gründe für Steueraversion scheinen erstens der Glaube zu sein, daß die absolute Last der Besteuerung zu hoch liegt und zweitens die Wahrnehmung einer ungerechten relativen Belastung durch die Progression des Systems. 171 Daraus läßt 165 Im obigen Modell äußert sich dies in einem Absinken von L, welches nur die „offizielle" bzw.

,,legale" Arbeitszeit erfaßt.

166 Schätzungen der Schattenwirtschaft in Europa und Nordamerika geben einen Anteil der wirt-schaftlichen Aktivität von circa 10%, die sich einer steuerlichen Erfassung entzieht. Siehe der kurze Überblick bei Blankart (1994), S. 230ff sowie Pyle (1989) Kap. 2-4.

167 Stiglitz (1986), S. 3.

168 Siehe Pyle (1993), S. 60f. und die dort zitierte Literatur.

169 Bei der Entscheidung für Steuervermeidung und -hinterziehung müssen sich die jeweiligen Grenzerträge ausgleichen. Eine Erhöhung des Grenzertrags der Steuerhinterziehung senkt den re-lativen Ertrag der Steuervermeidung. Engagiert zwecks Steuervermeidung gibt ein Steuerberater möglicherweise Informationen (bewußt oder unbewußt) über Möglichkeiten der Steuerhinterzie-hung weiter. Cross und Shaw (1982), S. 36.

170 Siehe z.B. Cross und Shaw (1982) und Waud (1986, 1988).

171 Weniger wichtig, aber auch zu erwähnen ist die Kritik an der Effizienz oder den Kosten der öf-fentlichen Verwaltung, die als X-Ineffizienz oft in der „Public Choice" Literatur betont wird, vgl.

z.B. Bös (1982). Einen Überblick der empirischen Studien gibt Pyle (1989) Kap. 6. Judith Safford - 978-3-631-75199-2 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 07:12:45AM

sich schließen, daß die Bereitschaft Steuern zu zahlen, in erster Linie vom durch-schnittlichen bzw. marginalen Steuersatz abhängt.

Der Steuerstaat steht selbstverständlich nicht ohne Mittel gegen eine steigende Steueraversion dar. Er kann und wird versuchen, Gegenmaßnahmen zu ergreifen (etwa durch erhöhte Kontrollen und Strafen sowie die Schließung von „Steuerlük-ken") und somit seine Einnahmeverluste senken. Solche Maßnahmen haben jedoch mit steigenden Steuersätzen sinkende Grenzerträge.172 Die Erkenntnis, daß sehr hohe Steuersätze unergiebig sind, weil sie trotz Kontrollen und Strafen weitgehend vermieden oder hinterzogen werden, ist ein Grund für Steuerreformen in bei-spielsweise den USA, dem Vereinigten Königreich oder Australien gewesen.

Verschiedene Autoren haben versucht, diese Überlegungen in der Analyse der Laf-fer-Kurve einzuarbeiten.173 Eine „Public Choice" Erweiterung des Laffer-Ansatzes zeigt Parallelen zu den neueren Ansätzen der Optimalsteuer-Theorie, welche die Verteilungsgerechtigkeit und die administrativen Kosten des Steuersystems zu be-rücksichtigen versuchen.174 Neben der allokativen Effizienz erwägt die erweiterte Laffer-Kurve die subjektive - d. h. vor allem die verteilungspolitische - Akzeptanz des Steuersystems. In einem Steuersystem, das subjektiv als zu belastend oder un-gerecht empfunden wird, steigt die Steueraversion. Die Reaktion der Steuerbehörde auf zunehmende Steueraversion läßt sich auch berücksichtigen: Zusätzliche Auf-wendungen (Steuerreform, größere Überwachungs- und Kontrolltechniken, u. ä.) zur Durchsetzung des Systems erhöhen ihre Effizienz und somit das Steuerauf-kommen bei gegebenem Steuersatz.

Unter der Annahme, daß aufgrund von Verlusten durch Steueraversion de facto nur ein Anteil [a(i:)] des Volkseinkommens tatsächlich deklariert wird, läßt sich die Steueraufkommensfunktion formulieren als

(2) T = i:[a(i:)]Y.

Eine Erhöhung des Steuersatzes ergibt

Die erste Komponente ist wieder der direkte Budgeteffekt bezogen auf das dekla-rierte Einkommen. Die dritte Komponente umfaßt die Anreizeffekte, welche die

172 Das optimale Ausmaß von Durchsetzungsmaßnahmen wird modelltheoretisch als herkömmliches Optimierungsproblem bei Unsicherheit behandelt. Siehe z.B. Pyle (1993), S. 89f.

173 Siehe z.B. Waud (1986, 1988), Peacock (1989), Pyle (1989) Kap. 5.

174 Siehe z. B. Slemrod (1990).

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herkömmliche Laffer-Kurve beschreibt (dY/d-c<0). Neu verglichen zu (1) ist der A versionseffekt, der entsprechend der obigen Argumentation negativ ausfällt (8a/8-c<0). Ohne Spezifikation der Funktion a(-c) ist es nicht möglich,,.* zu ermit-teln. Es ist jedoch klar, daß '• *<-c* und das Aufkommen T. *<T* ist. Die Abbildung 7 zeigt die zwei Kurven im Vergleich.

Abbildung 7: Die Laffer-Kurve und die Effizienz des Steuerstaates T[a(-c)]

T*

---==----,·--Ziel der Analyse war es, die Elastizität der Steuereinnahmen zu untersuchen, um den Spielraum für eine Aufkommenserhöhung festzustellen. Die erweiterte Laffer-Kurve zeigt, daß eine endogene Grenze der Besteuerung existiert, oberhalb derer das Steueraufkommen sich nicht erhöhen läßt. Die Fragen, wie die Kurven für die wichtigsten Steuern in der Realität aussehen und ob Aufkommenserhöhungen mög-lich sind, ist jedoch schwierig zu beantworten. Eine Analyse der kritischen Werte für die relevanten Elastizitäten der einfachen Laffer-Kurve zeigt, daß wenn ein hö-herer Steuersatz zu einer Bruttolohnerhöhung führt (dw/dt>0), dann muß das Ar-beitsangebot sehr elastisch reagieren (-c/L•dL/d-c<-1), wenn das Steuersystem sich auf dem absteigenden Ast der Laffer-Kurve befinden soll. Nach den meisten Unter-suchungen treten hierfür ausreichende Substitutionseffekte erst bei sehr hohen -c-W erten auf. 175 W aud ( 1986) überprüft eine Aufkommensfunktion, welche die Steu-eraversion (modelliert als kubische Kostenfunktion) berücksichtigt und ermittelt eine theoretische Aufkommensgrenze der Besteuerung bereits bei '• * = 0,33.176

175 Für einen Wert von t* = 0,5 müssen bei der einfachen Laffer-Kurve die Elastizitäten sehr hoch sein: so ist beispielsweise für T), = 1 Tld = -oo, für T), = 2 Tld = -4 und für T), = 3 Tld = -3. Für alle Werte von Tl, < 1 liegt der Steuersatz bei unrealistisch hohen Werten; selbst bei Tl• = -oo müßte der Steuersatz bei 67% liegen. Siehe hierzu auch Blinder (1981) S. 87, Fullerton (1982) S. 15 und Pe-acock (1989) S. 33.

176 Waud (1986), S. 223.

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Dieses Ergebnis findet aber weder in der Erfahrung in den U.S.A.177 noch in empi-rischen Arbeiten über das Vereinigte Königreich Unterstützung. Ökonometrische Untersuchungen finden signifikante Anreizeffekte der Steuersatzsenkungen der 80er Jahre lediglich bei verheirateten Frauen. Steuersenkungen für diese Bevölke-rungsgruppe erbringen jedoch keine wesentliche Zusatzeinnahmen.178