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Historischer Abriß der Staatsverschuldung im Vereinigten Königreich

DIE SCHULDENPOLITIK DER KONSERVATIVEN REGIERUNG

I. Historischer Abriß der Staatsverschuldung im Vereinigten Königreich

Abbildung 9 zeigt die historische Entwicklung der Verschuldung des britischen Zentralstaats im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt seit 1700 und somit die Schwankungen der Schuldenquote über fast dreihundert Jahre.

Auffallend ist zunächst, daß eine hohe Verschuldung keine Neuigkeit ist. Bereits im frühen 18. Jh. überschritt die Verschuldungsquote 60% und erreichte damit ein Niveau, das entsprechend den 1991 vereinbarten Maastrichter-Bedingungen für die Aufnahme in die Europäische Währungsunion als Obergrenze gilt. Im Jahre 1764 -kurz vor der Veröffentlichung von Adam Smiths „Wealth of Nations" - erreichte die Schuldenquote sogar 130%.268

268 Die Zahlen gehen auf die Arbeit von Barro (1987) zurück. Die Schätzungen sind vor allem vor 1830 mit großer Unsicherheit behaftet. Grundsätzlich waren die damaligen Erfassungs- und Be-wertungsprobleme für Datensammler und Statistiker noch größer als heute. Die Zahlen zu den Staatsfinanzen wurden jedoch relativ gut dokumentiert. Dagegen geht die Statistik zum nominalen BSP nur bis 1830 zurück. Frühere Werte wurden aus einem Deflator für den Großhändler und ei-ner Schätzung des Trendwachstums für das reale BSP konstruiert. Eine ausführliche

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Abbildung 9: Die Staatsverschuldung im Vereinigten Königreich seit 1700

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Jahre Quellen: Barro (1987), Barro und Grilli (1994)

In den folgenden Jahrzehnten wurden die sogenannten „Klassischen Prinzipien"

der Staatsverschuldung u. a. von Hume (1741), Smith (1776) und Ricardo (1820) entwickelt. Dieser Zeitraum gilt als eine Epoche der fiskalischen Vernunft und ,,Austerity".269 Die Graphik macht deutlich, daß sich dies trotz des damals aktuel-len Interesses der Ökonomie an der Staatsverschuldung nicht in schuldenpoliti-schen Konsequenzen niederschlug. Im Gegenteil: Die durchschnittliche Schulden-quote lag zwischen 1760 und 1860 bei circa 100%.270

Die Zeitreihe verdeutlicht ebenfalls den bekannten Zusammenhang, daß die Staats-verschuldung in Kriegs- oder Rezessionszeiten rapide ansteigt. In Zeiten des Frie-dens und des Wirtschaftswachstums nimmt die Verschuldungsquote wieder ab.271 Besonders deutlich sind die Maxima im Zusammenhang mit hohen Kriegsausga-ben: für den Krieg der Spanischen Nachfolge (1702-13), den Siebenjährigen Krieg

bung der empirischen Vorgehensweise findet sich bei Barro (1987) sowie seiner Originalquelle Mitchell und Deane ( 1962).

269 So beschreiben z. B. Buchanan und Wagner (1977) in „Democracy in Deficit. The Political Le-gacy of Lord Keynes" die Prinzipien und Praxis der Klassischen Verschuldungspolitik vor 1946 im Kapitel 2, ,,The Old-Time Fiscal Religion".

270 Der Mittelwert der Schuldenquote für den Zeitraum 1760-1860 beträgt 106%.

271 Bereits die Klassischen Ökonomen erkannten die zentrale Bedeutung von Großbritanniens fast ununterbrochener Kriegführung für die Staatsfinanzen, siehe z. B. Smith (1776), S. 412. Auf die Schwankungen zwischen Kriegs- und Friedenszeiten macht Pigou (1928) Kap. VI aufmerksam.

Barro (1979) formalisierte diesen Gedanken mit seiner Theorie des „Tax-Smoothing".

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(1756-1763), den Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1775-1783), die Kriege mit Frankreich, einschließlich der Napoleonischen Kriege (1793-1815), sowie die zwei Weltkriege. Nach dem Ersten Weltkrieg (1914-1918) stand die Schuldenquote wieder auf 130%. Nach dem Zweiten Weltkrieg (1939-1945) wurde 1946 der histo-rische Höchststand von 250% erreicht. Ebenfalls deutlich zu erkennen sind die Auswirkungen der Rezessionen von 1920-23 und 1929-1933. Damals stieg die Schuldenquote von 121 % auf l 70%, beziehungsweise von 150% auf 180%.

Die Schuldenquote ist eine Verhältniszahl,272 die sich zusammensetzt aus der ab-soluten Höhe der Staatsschuld (d. h. die finanziellen (Brutto) Verbindlichkeiten des Staatssektors) im Zähler und einem geeigneten Einkommenskonzept im Nenner.

Folglich läßt sich ihre dynamische Entwicklung aus den Bewegungen dieser Be-standteile erklären. Kriegführung führt vor allem zu einer temporären Erhöhung der Staatsausgaben, was den Schuldenstand ansteigen läßt. Wirtschaftliche Rück-gänge wirken sich einerseits negativ auf das Einkommen und andererseits positiv auf die Schuldenaufnahme aus.

Die Abbildung l O fokussiert nun die letzten zwanzig Jahre: Sie zeigt die Ent-wicklung der Schuldenquote, wie sie von der Bank of England (BoE) seit 1975 er-mittelt wird.273 Zum Vergleich sind auch die von der OECD (1995) und von Barro ( 1987) ermittelten Zeitreihen dargestellt.

Die BoE-Zeitreihe (sowie auch diejenige von der OECD) umfaßt neben dem Zen-tralstaat auch die Verschuldung der Gemeinden274 und der staatlichen Unterneh-men. Sie ist auf das Bruttoinlandsprodukt bezogen, das im UK etwas kleiner als das BSP ausfällt. Deshalb wäre zu erwarten, daß diese Quoten höher liegen als Barros Zeitreihe.275 Dies ist auch bis 1980 der Fall. Danach nähern sich die Quoten an, was auf die Konzentration der Verschuldung auf den Zentralstaat zurückzufüh-ren ist.

272 Streng genommen ist sie keine echte Verhältniszahl, hierzu Francke und Kotz (1994) S. 12f.

273 Die im Maastrichter Vertrag vereinbarte Schuldenquote liegt geringfügig höher (circa 1-2%).

274 Die lokalen Gebietskörperschaften im Vereinigten Königreich sind die Districts (ungefähr mit dem deutschen „Kreis" gleichzusetzen) und die Councils (Gemeinde- und Stadträte), welche das Hauptorgan darstellen. Der Einfachheit halber werden diese kommunalen Gebietskörperschaften zusammen als Gemeinden bezeichnet, obwohl dies nicht genau der deutschen Verwendung des Begriffs entspricht.

275 Die Abweichung zwischen OECD- und BoE-Zahlen liegt an unterschiedlichen Erfassungs- und Bewertungsverfahren zwecks internationaler Vergleichbarkeit. Judith Safford - 978-3-631-75199-2

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Abbildung 10: Die Entwicklung der Staatsverschuldung im Vereinigten Königreich seit 1975

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--Brutto Verschuldung (nach BoE) - -Konsolidierter Schuld

(nach Barro) - --.- Brutto Verschuldung

(OECD)

1990

Quellen: BoE, verschiedene Ausgaben, OECD (1995), Barro (1987), Barro und Grilli (1994), eigene Berechnungen

Von 1946 bis 1980 nahm die Schuldenquote regelmäßig ab. 1980 wird dieser Trend unterbrochen. Nach einer anfänglichen Stabilität bis 1985 nimmt die Schul-denquote bis 1990 rapide ab. Nach der Rezession von 1990-91 folgt I 992 erneut ein geringer und nach I 993 ein beträchtlicher Anstieg. Ende März I 995 betrug die britische Staatsverschuldung B42,109 Mrd. und somit 49,4% des BIP. Gemäß OECD-Prognosen wird die Senkung der 80er Jahre bis 1997 rückgängig gemacht werden.276

II. Aktueller geschichtlicher Hintergrund: Die britische Wirtschaft