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Vorstudie: Simulation eines Mediationsverfahrens

4. Psychologische Analyse des Mediations Verfahrens

4.4. Vorstudie: Simulation eines Mediationsverfahrens

Aufgrund des unzureichenden sozialwissenschaftlichen Forschungsstandes besteht ein Mangel an (mehr oder weniger) strukturierten psychologischen Erhebungsmethoden zur Analyse von Mediationsverfahren. Wir konstruierten daher - unter Berücksichtigung der einschlägigen Forschungsarbeiten - für unser Forschungsprojekt die in Kap. 5 und 6 genannten Instrumente. Um Anhaltspunkte für das (komplexe) Geschehen in Mediationssitzungen und für die Entwicklung geeigneter Analyseverfahren zu erhalten, entwickelten wir ein Rollenspiel zur Simulation eines Mediationsverfahrens. Insbesondere für die Konstruktion des Beobachtungsverfahrens, teilweise auch im Hinblick auf die Fragebögen, konnten damit Pretest-Funktionen erfüllt werden.

Das simulierte Mediationsverfahren wurde aufgrund unseres Untersuchungsgegenstandes zum Thema der Abfallentsorgung durchgeführt; die im Rollenspiel zu diskutierende Problematik sollte dabei möglichst realitätsnah sein. Um letzteres zu erreichen, wurde der hypothetische Konfliktfall in Anlehnung an ein reales Bürgerbeteiligungsverfahren entwickelt, zu dessen Verlauf und Hintergründe uns ausführliche Informationsmaterialien Vorlagen (das Rollenspielszenario findet sich in Anhang C). In diesem Verfahren ging es um

die Aushandlung von Bedingungen für den Probebetrieb einer Anlage mit einer neuartigen Sonderabfallbehandlungstechnologie. Der Standort für die umstrittene Anlage wurde im Rollenspielszenario nach Berlin "verlegt", um eine für die Probanden vertraute Situation herzustellen sowie an ihr Vorwissen anknüpfen zu können. Die Mitspieler sollten jeweils als Vertreter verschiedener Interessengruppen auftreten, die wir vorab als wichtige Konfliktakteure festgelegt hatten (z.B. Vertreter einer Verwaltungsbehörde, Vertreter einer Bürgerinitiative).

Um eine erste Version der damals fertiggestellten Fragebögen11 vor allem auf ihre Konsistenz und Praktikabilität hin zu überprüfen, wurden die Mitspieler um das Ausfüllen der Fragebögen gebeten: Sowohl die Mediatorin als auch die Teilnehmer erhielten jeweils einen Vorfragebogen vor dem ersten Rollenspieltermin. Dieser enthielt Fragen zu Verhandlungsvorerfahrungen und -zielen, Risikoeinschätzungen sowie Selbst- und Fremdbeurteilungen der beteiligten Gruppen. Nach jeder Sitzung wurden Fragebögen zur Selbst- und Fremdeinschätzung hinsichtlich verschiedener Einstellungs- und Verhaltensmuster während der Sitzung verteilt. Nach dem letzten Rollenspieltermin erhielten die Mitspieler jeweils einen Abschlußfragebogen, der sich zum einen auf die im Eingangsfragebogen erhobenen Risiko- sowie Selbst- und Fremdeinschätzungen, zum anderen auf die Beurteilung des Mediationsverfahrens bzw. des Verhandlungsabschlusses bezog. Die Teilnehmer erhielten dabei die Instruktion, sich beim Beantworten der Fragen bestmöglich in ihre jeweilige Rolle zu versetzen.

Als Rollenspielteilnehmer wirkten studentische Probanden aus technisch­

naturwissenschaftlichen (vier Studenten) und sozialwissenschaftlichen Studiengängen (zwei Studentinnen) mit, die per Aushang geworben wurden und für ihre Teilnahme eine Aufwandsentschädigung erhielten. In einer Vorbesprechung wurde ihnen das WZB- Forschungsprojekt und der hypothetische Konfliktfall überblicksartig vorgestellt sowie die im Spiel vorgesehenen Rollen nach dem Zufallsprinzip verteilt. Weiterhin erhielten die Mitspieler Materialienmappen mit allgemeinen und interessengruppenspezifischen Informationen. Das Rollenspielszenario (s. Anhang C), d.h. die Schilderung des hypothetischen Falles und der Ausgangssituation im Rollenspiel, sowie die auf die jeweiligen Interessengruppen zugeschnittenen Argumentationshilfen (Auflistungen von Argumenten und Forderungen) entwickelten wir selbst in Anlehnung an reale Verfahren.11 12 Weiterhin

11 Die Fragebögen wurden anhand konzeptioneller Überlegungen auf der Basis intensiven Literaturstudiums entwickelt.

Darüberhinaus wurde ein Teil der in den Fragebögen verwendeten Skalen vor ihrem Einsatz im Rollenspiel einem Expertenrating unterzogen, das Elisabeth Wils im Auftrag des WZB durchführte. Frau Wils beteiligte sich außerdem an der Durchführung des Rollenspiels.

12 Das Szenario eignet sich unserer Erfahrung nach auch für die Durchführung von Planspielen im Rahmen von Seminaren mit umweltthematischem Schwerpunkt. Zum einen werden von den Teilnehmern die wichtigsten Prinzipien von Mediationsverfahren unmittelbar erfahren, zum anderen können Moderations- und

enthielten die Mappen diverse Fachaufsätze, die wir aus der einschlägigen Fachliteratur zusammengestellt hatten (z.B. aus den Zeitschriften Abfallwirtschaftsjournal, Müllmagazin, Müll und Abfall sowie Aufsätze aus diversen Fachbüchern). Diese fachlichen Unterlagen bestanden neben relativ "neutralen" Übersichtsreferaten jeweils aus Texten, die tendenziell die Meinung der entsprechenden Interessengruppe widerspiegelten.

Die Rolle der Mediatorin wurde von einer Psychologin wahrgenommen, die jedoch lediglich über geringe Vorerfahrungen auf dem Gebiet der Verhandlungsführung oder Konfliktmittlung verfügte. Zur Vorbereitung standen ihr neben einigen Aufsätzen aus der praxisorientierten Mediationsliteratur eine Art "Handanweisung für Mediatoren" zur Verfügung, die im Rahmen unseres Projektes entwickelt wurde. Zur Einarbeitung in die inhaltliche Thematik erhielt sie zum einen kurze Texte zur Abfallproblematik, zum anderen die für die verschiedenen Interessengruppen erarbeiteten Argumentationshilfen sowie das Rollenspielszenario.

Die Mediationssimulation war auf vier Sitzungen mit durchschnittlich je 1 1/2 Stunden angelegt. Die ersten beiden Sitzungen fanden an zwei aufeinanderfolgenden Tagen statt, die beiden nächsten Sitzungen jeweils in einem Abstand von einer Woche. Aufgrund von Terminschwierigkeiten konnten die Sitzungen erst abends stattfinden, was sich als teilweise sehr anstrengend für die Mitspieler erwies. Das Rollenspiel wurde in einem Gruppenarbeitsraum des WZB durchgeführt und audiovisuell aufgezeichnet.

Die Gestaltung der Mediationssimulation blieb weitgehend der Mediatorin und den beteiligten Akteuren überlassen. Durch die allgemeinen Zielvorgaben der einzelnen Verhandlungsgruppen und das Ziel einer einvernehmlichen Konfliktlösung war lediglich ein grober Rahmen abgesteckt. Die Mediatorin strukturierte in Absprache mit den Teilnehmern die Sitzungen mit Hilfe der Formulierung von Unterzielen und Verhandlungsetappen. Sie sorgte vor allem dafür, die Kommunikation zwischen den Konfliktparteien aufrechtzuerhalten bzw. zu regulieren (z.B. Verbot persönlicher Angriffe).

Im Anschluß an die letzte Verfahrenssitzung fand eine Diskussion mit allen Verfahrensbeteiligten statt, in der wir sowohl inhaltliche als auch formale Aspekte des Rollenspiels erörterten. Dabei wurde deutlich, daß sich die Mitspieler relativ stark mit ihren Rollen identifiziert hatten.

Mediationsfertigkeiten einzelner Teilnehmer bzw. des Seminarleiter geschult werden. Unverändert kann das Szenario allerdings nur dann übernommen werden, wenn die Teilnehmer zumindest allgemeine abfollwirtschaftliche und -politische Kenntnisse aufweisen; in allen anderen Fällen sind Modifikationen bzw. Vereinfachungen der hypothetischen Konfliktsituation zu empfehlen.

Weiterhin baten wir die Rollenspielteilnehmer um Stellungnahmen zur Begleitforschung. Es stellte sich heraus, daß die Teilnehmer die Videoaufnahmen - nach einer kurzen Eingewöhnungszeit - nicht als störend empfanden. An den Fragebögen wurde insbesondere deren Umfang, einige um- oder unverständliche Itemformulierungen und die teilweise unübersichtliche optische Gestaltung kritisiert. Dies habe Ermüdungserscheinungen und Konzentrationsschwächen verstärkt, die nach Beendigung der Sitzungen ohnehin schon vorhanden gewesen seien.

Wir berücksichtigten die genannte Kritik bei der Modifizierung der Fragebögen, da wir davon ausgingen, daß die Rollenspielteilnehmer in dieser Hinsicht am ehesten mit "echten"

Verfahrensteilnehmem zu vergleichen sind. (Bei letzteren sind allerdings eher größere Vorbehalte gegenüber psychologischer Begleitforschung zu vermuten). Wir teilten die umfangreichen Vor- bzw. Abschlußfragebögen in mehrere einzelne Fragebögen zu spezifischen Themen auf. Weiterhin formulierten wir einzelne Fragen um und modifizierten die Art der Itempräsentation, indem wir die verbal bzw. optisch prägnanteste Darstellungsweise zu finden versuchten.

Darüberhinaus zeigte sich in einfachen statistischen Häufigkeits- und Zusammenhangsanalysen, daß teilweise sehr differenzierte und durch die übernommene Rolle unterschiedlich ausgeprägte Beurteilungen Vorlagen, also mit Hilfe der verwendeten Items durchaus spezifische Einstellungsmuster erfaßt werden konnten. Es zeigte sich aber auch, daß ein Teil der Skalen offenbar nicht die von uns angenommenen Phänomene erfassen konnte bzw. die Ergebnisse widersprüchlich und nicht interpretierbar waren. Wir überprüften daraufhin noch einmal unsere diesbezüglichen Forschungsinteressen und -hypothesen.

Entsprechend den Ergebnissen dieses Reflexionsprozesses entschieden wir uns dann entweder für eine andere methodische Zugangsweise (z.B. Beobachtung statt Selbsteinschätzung im Fragebogen), modifizierten die Skalen oder ließen sie zum Teil ganz wegfallen.

Die Simulation war für die Fragebogenentwicklung hilfreich. Wir erhielten viele Anregungen zur Verbesserung dieser Erhebungsinstrumente und gewannen einen Eindruck von der Komplexität des Geschehens in solchen Verfahren.

Darüberhinaus nutzten wir das Rollenspiel für die Konstruktion eines strukturierten Beobachtungsverfahrens (Kategorienschema). Anhand der Videoaufzeichnungen bzw. im Anschluß erstellten Texttranskriptionen der Sitzungen prüften wir wiederholt das sich entwickelnde Kategoriensystem. Weiterhin wurde das Beobachtungsverfahren einem Pretest mit unabhängigen Ratern unterzogen, die die Videoaufzeichnungen der Mediationssimulation mit Hilfe des Kategoriensystems beurteilten (näheres vgl. Kap. 6).