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Vorbemerkungen

Im Dokument 25 02 (Seite 19-24)

Für die einheimische Fauna war für lange Zeit angenommen worden, dass sie sich, nach den Einschnitten durch die pleistozänen Kaltzeiten, im Holozän natürlicherweise überhaupt nicht, nur ganz unwesentlich oder nur im Verlauf langer Zeiträume verändert habe.

Natürliche Veränderungen:

Erst am Beispiel von Waldrapp und Rothuhn (LAUTERBORN 1912, 1928) und besonders des Girlitz (MAYR 1926) wurde eine sich über nur wenige Jahrhunderte erstreckende Dynamik entdeckt. Aufgrund der neueren Entwicklung des Areals einiger weiterer Vogelarten wie Türkentaube (Streptopelia decaocto), Beutelmeise (Remiz pendulinus), Sperbergrasmücke (Sylvia nisoria) (STRESEMANN &

NOWAK 1958, KASPAREK 1996, 1997, KINZELBACH & MARTENS 1964, KINZELBACH & SPRINGER 1999) wurde eine schon innerhalb von Jahrzehnten fassbare natürliche Arealdynamik allgemein akzeptiert.

Dies gilt auch für bekannte Wirbellose wie Wespenspinne (Argyope bruennichii) (GUTTMANN 1979), Gottesanbeterin (Mantis religiosa) (BRECHTEL et al. 1996), Wanderheuschrecke (Locusta migratoria) (WEIDNER 1953). In jüngster Zeit werden im Gefolge der globalen Erwärmung (gleichgültig ob sie vom Menschen mit verursacht ist oder nicht) immer mehr Arten von immer rascheren Veränderungen erfasst (s. u.). Publiziert sind bisher nur zahlreiche Einzelbeispiele, zusammenfassende Übersichten sind noch kam möglich (z. B. PETERS & DARLING 1985; PETERS & LOVEJOY 1992; DOBSON et al. 1989;

FRANCOUR et al. 1994; BAIRLEIN & WINKEL und KINZELBACH in LOZÁN et al. 1998).

Anthropogene Veränderungen:

Der Mensch verursachte seit dem Pleistozän eine wachsende Anzahl von Veränderungen in Flora und Fauna. Er setzte mit seiner wachsenden Populationsdichte und Aktivität eine erhöhte Anpassungsdynamik im Rest der Natur in Gang.

• Ein Teil der Organismen zählte zu den Verlierern. Es sind die ausgerotteten oder infolge anthropogener Habitatveränderungen (lokal oder global) ausgestorbenen Arten.

• Für einen anderen, vermutlich nur kleinen Teil war die Tätigkeit des Menschen unerheblich. Ihre Bestände blieben weitgehend unverändert.

• Ein großer Teil der Organismen zählt zu den Gewinnern. Sie sind Teil des menschlichen Organismenkomplexes oder nahmen Vorteil von anthropogenen Habitatveränderungen (Kulturfolger, Opportunisten). Eine Teilgruppe der Opportunisten sind die Organismen, die durch menschliche Hilfe, und nur durch menschliche Hilfe aus ihren angestammten Verbreitungsgebieten in neue gelangten und sich dort ggf. halten und ausbreiten konnten.

Diese anthropogenen Bereicherungen der Fauna in Deutschland, werden schon seit längerer Zeit, wenn auch nur bruchstückhaft, von vielen Autoren beschrieben. Dabei lag allerdings das Augenmerk – ohne Rücksicht auf ihre Häufigkeit oder ökologische Bedeutung – ganz überwiegend auf den Wirbeltieren.

Notwendigkeit einer Terminologie:

Da im Deutschen, auch nicht in der Fachsprache, noch kein allgemein akzeptierter Sammelbegriff für Tierarten existiert, die erst unter Mitwirkung des Menschen in ein bestimmtes Gebiet gelangt sind, wird seit dem Aufkommen eines Problembewusstseins eine Vielzahl von Begriffen benutzt, die z. T. auch noch unterschiedlich verwendet werden (Tab. 1). Dies erschwert eine zusammenfassende Darstellung der Problematik. Viele Einzelbeiträge zur Nomenklatur erbrachten neue Gesichtspunkte, jedoch keine eindeutige und bündige Terminologie (HENGEVELD & VAN DEN BRINK 1998, SCHURIG 1996).

Die weit älteren, sehr genau differenzierenden Begriffe aus der Botanik, die dem Problem der Neophyten bzw. Agriophyten schon lange wissenschaftliche Aufmerksamkeit zukommen ließ (vgl.

LOHMEYER & SUKOPP 1992, KOWARIK & SCHEPKER 1998, KOWARIK 1999), sind auf die komplexeren Verhältnisse der Tiere nicht vollständig übertragbar.

Auch im angelsächsischen Sprachraum existiert noch kein allgemein anerkannter Begriff. Es werden sehr verschiedene Bezeichnungen verwendet, z. B. exotics, invaders, aliens, newcomers und non-indigenous species.

Anforderungen an die Terminologie:

Die Unterscheidung zwischen natürlichen und anthropogenen Ursachen für das Auftreten einer Art in einem neuen Verbreitungsgebiet muss in der Terminologie erhalten bleiben bzw. besonders deutlich werden. Gründe dafür sind:

• Wissenschaftliche Bedeutung für die Zoogeographie, da derzeit viele, seit Millionen von Jahren bestehende natürliche Verbreitungsschranken in kürzester Zeit durch Mitwirkung des Menschen fallen. Für tropische Nutzpflanzen, einige Tropenkrankheiten, aber auch für weit verbreitete

Süßwasserorganismen wie die Süßwassermeduse (Craspedacusta sowerbyi) oder für die Mediterrane Mützenschnecke (Ferrissia wautieri) ist das Herkunftsgebiet nicht mehr ohne großen Aufwand (großflächige genetische Analyse) eindeutig zu ermitteln, weil dem Sachverhalt zunächst keine Aufmerksamkeit geschenkt wurde.

• Wissenschaftliche Bedeutung für die Systematik (Phylogenetik und Taxonomie). Mit der Herkunft wird die Verwandtschaft und damit die korrekte Identität der Organismen verunklart.

• Praktische Bedeutung für den Naturschutz, wenn das Anliegen „Schutz der einheimischen Tierwelt“ weiterhin Geltung haben soll. Unabhängig vom weiteren Vorgehen muss identifizierbar bleiben, welche Organismen autochthon, welche selbständig eingewandert und welche vom Menschen eingebracht oder verschleppt wurden.

Die Terminologie sollte sich an Zeitmarken orientieren, da Fauna und das sie einschließende Ökosystem von Natur aus dynamisch sind und sich mit Etappen der menschlichen Aktivität korrelieren lassen. Auch scheinbar neutrale Begriffe wie allochthon (Gegensatz: autochthon) bedürfen einer – bisher nicht erfolgten – zeitlichen Festlegung: Wann beginnt der Zustand der Allochthonie? Im Tertiär, im Atlantikum, im Jahre 1453? Historisch deutlich fassbare Einschnitte durch anthropogene Faunenveränderung bieten sich zur Orientierung an (s.u. Archäozoen, Neozoen).

Der Begriff sollte nicht emotionalisierend wirken und politisch korrekt sein. Bezeichnungen wie Invasor oder Eindringling sind infolge ihrer Herkunft aus dem militärisch-aggressiven Sprachgebrauch nicht wertneutral und sollten deshalb vermieden werden; ebenso wie Begriffe, die in Verbindung mit Vorurteilen auch für bestimmte Gruppen von Menschen verwendet werden (z. B. Exoten, Fremdlinge, Fremde).

Der Begriff sollte umfassend sein und nicht nur Teilmengen einschließen. Dies gilt für die ggf.

erforderlichen Unterkategorien von (willkürlich) eingebürgerten, akklimatisierten, angesiedelten und von (ungewollt) eingeschleppten Arten.

Bei dem Terminus „nichteinheimische Arten“ wird keine Aussage über die tatsächliche Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet gemacht. Außerdem ist die Verwendung problematisch, da der Begriff

"heimisch" in § 20 a (4) BNatSchG festgelegt ist. Als "heimisch" gilt danach eine wildlebende Tierart auch, wenn sich verwilderte oder durch menschlichen Einfluss eingebürgerte Tiere der betreffenden Art im Geltungsbereich des Gesetzes in freier Natur und ohne menschliche Hilfe über mehrere Generationen als Population erhalten. Damit sind Bisam (Ondatra zibethicus) oder Sonnenbarsch (Lepomis gibbosus) heimische Tierarten. Eine Trennung zu den „eigentlich“ oder

„ursprünglich“ heimischen (autochthonen) Arten im Sinne der Systematik oder Biogeographie (s. o.) findet hier nicht statt. Diese etablierten, „einheimisch gewordenen“ Tierarten („Agriozoen“, s.u.) genießen den selben Schutz wie die “ursprünglich heimischen” Arten.

Vorteilhaft ist ein für alle Organismen homogen definierter Begriff, der mit dem in der Botanik etablierten Begriff “Neophyten” übereinstimmt und ggf. auf weitere Organismengruppen (Pilze,

Protoctisten, Bakterien) ausgedehnt werden kann. Im weiteren Forschungsprozess ist zu klären, inwieweit die in der Botanik bereits bestehenden, weiter differenzierenden Unterbegriffe übertragbar sind auf andere Taxa.

Schließlich müssen die allgemeinen Kriterien einer wissenschaftlichen Definitionen erfüllt sein (GELLERT, KÄSTNER & NEUBER 1981): (a) Eliminierbarkeit: Die Definition muss kontextunabhängig sein.

Das heißt, das Umfeld, in dem die Definition verwendet wird, darf keinen Einfluss auf den Inhalt der Definition haben. (b) Nichtkreativität: In der Definition dürfen keine neuen Begriffe oder Widersprüche enthalten sein. (c) Zirkelfreiheit: Der zu definierende Begriff darf nicht - offen oder versteckt - im Definiens vorkommen.

Außerdem sollte der Begriff noch nicht in einem anderen Zusammenhang verwendet werden. Die bestehenden Überschneidungen sind unerheblich: Neophyten = Neubekehrte, in der Theologie;

Neozoen = historischer zoosystematischer Begriff.

Es mag verwundern, dass so viel Aufwand getrieben wird, um eine ziemlich heterogene Menge von Tierarten zu charakterisieren und unter einem Begriff zusammenzufassen. Dies erscheint jedoch erforderlich im Hinblick auf eine praktische Bewertung des Auftretens dieser Arten, wie immer sie ausfallen mag. Eine Vereinheitlichung im Sprachgebrauch ist vor allem wichtig in Hinblick auf die Vergleichbarkeit von Untersuchungen zu diesem Thema und zur allgemeinen Einbeziehung der entsprechenden Arten in die Gesetzgebung (z. B. Naturschutzgesetz, Fischerei- und Jagdgesetze).

Tab. 1. Begriffsfeld Neozoen.

Adventivtiere

Parallelbegriff zu Adventivpflanzen, keine Aussage zu Mitteln, Wegen, Zweck der Ankunft Agriozoen

Erfolgreich im Zielgebiet etablierte Neozoen; Parallelbegriff zu Agriophyten Akklimatisierte

Zu Nutzzwecken absichtlich und erfolgreich eingebrachte Arten Aliens

Populär durch den Bereich der Einwanderungsbehörden und Science Fiction: Extraterrestrische, Extraterritoriale, Außerirdische

Allochthone

Zoogeographie: Begriff für nicht-autochthone Arten; Evolutionszentrum und derzeitiges, betrachtetes Areal stimmen nicht überein

Angesiedelte, Ausgesiedelte

Vgl. Akklimatisierte, nur ist der erwünschte Erfolg sie einheimisch zu machen noch nicht erreicht Ankömmlinge

Eindeutschung für Adventivtiere

Exoten

Herkunft aus fernen, fremden Ländern, deren verbleibende Fauna jedoch ebenfalls als exotisch bezeichnet wird; engl. exotics

Gebietsfremde

Für ein bestimmtes Gebiet nicht autochthon Invasive Arten

Arten nicht definierter Herkunft, die in kurzer Zeit große Gebiete in auffallender Individuenzahl besiedeln, Schadensvermutung

Invasionsarten

Zoogeographie: Arten, die unregelmäßig ihr Areal verlassen und in fernen Gebieten auftreten; engl.

invasive species; vgl. Invasionsbiologie Invasoren

Stärker für Invasive Arten; engl. invaders Eindringlinge

Vgl. Invasoren; engl. intruders Eingebürgerte

Eingeschleppte oder absichtlich ausgesetzte Arten, die Fuß gefasst haben und als integriert gelten Eingeschleppte

Unabsichtlich eingebrachte Arten im Gegensatz zu Angesiedelten Einwanderer

Neu ankommende, sich integrierende Arten, keine Aussage zu Mitteln, Wegen, Zweck der Ankunft Faunenverfälschung

Subjektiv, widerspricht der „Agriozoen“-Regel im Naturschutz Freisetzung

Überwiegend beabsichtigt; engl. Deliberate release Fremde, Fremdlinge

Gegensatz zu Einheimischen, Autochthonen Kolonisten

Engl. colonizing species Naturalisierte

Eingebürgerte Organismen, aus dem franz. Sprachgebrauch; international für eingebürgerte Menschen

Neozoen

Vgl. nachstehende Definition (KINZELBACH 1978) Neuankömmling

In jüngster Zeit eingewanderte oder eingebrachte Art Neubürger

In jüngster Zeit aufgetretene eingewanderte Art, bereits einheimisch geworden Nichteinheimisch

Gegensatz zu einheimisch, vgl. autochthon-allochthon Verschleppte

Passiv eingeschleppte, stärker; dislozierte Arten; engl. „displaced“, auch auf Menschen bezogen Xenozoen

Wie Neozoen (LEPPÄKOSKI 2001)

Es werden zwei Fallgruppen unterschieden, verbunden durch eine gewisse Schnittmenge: Neozoen und Invasive Arten.

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