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Human- und tiermedizinisches Gefahrenpotenzial

Im Dokument 25 02 (Seite 124-128)

8.2 Gefahrenpotenzial von Neozoen

8.2.2. Human- und tiermedizinisches Gefahrenpotenzial

Die medizinisch bedeutsamen Erreger (Zoonosen) oder Überträger (Vektoren) unter den Neozoen gehören zu unterschiedlichen Fallgruppen, die nachstehend grob charakterisiert werden (OXER 1972, STEWART 1991, CDC 1994, BRYAN 1998, DASZAK 2000, ELDRIDGE & EDMAN 2000).

Eingeschleppte Virosen, Bakteriosen:

Eingeschleppt werden fortwährend Viren, Bakterien und Pilze, vielfach Erreger von Tropenkrankheiten. Sie gehören nicht zur Tierwelt und damit auch nicht zu den Neozoen, bedienen sich jedoch unspezifisch ggf. aller verfrachteter Tierarten als Transportmittel. Eine Einführung von eingeschleppten Infektionen und die Entstehung von dauerhaften Infektionsherden wird nach Möglichkeit verhindert (vgl. Tropenmedizinische Institute). Für die Diagnose ist eine der wichtigsten klassischen Fragen des Arztes charakteristisch: Unde venis? – Heute: Woher bist du eingereist, wo hast du Deinen Urlaub verbracht?

Einheimische Vektoren für eingeschleppte Krankheiten:

Wie die Haus- und Spieltiere können auch wildlebende einheimische Tiere Reservoire oder Vektoren für eingeschleppte Bakteriosen oder Virosen werden. Die einheimische Zecke (Ixodes ricinus) überträgt ein sich von Südosteuropa her ausbreitendes Bakterium (Borrelia burgdorferi), den Erreger der Lyme-Borreliose; weiterhin eine Virus-Enzephalitis. Blattläuse verteilen neu eingebrachte Virosen auf Nutzpflanzen. Einheimische Vögel sind potenzielle Überträger, z. B. für Psittakosen und andere Grippeviren, für Salmonellen-Stämme, für Botulismus. Einheimische Stechmücken (Culicidae) können als Überträger der künstlich eingebrachten Virose Myxomatose des Wildkaninchens (Oryctolagus cuniculus) dienen (HAVELKA 2000).

Neozoen als Vektoren für die Einschleppung von Krankheiten:

Infektiöse Pilze, Bakterien und Viren wurden und werden auch vom Menschen selbst interkontinental verschleppt. Sie besiedeln in seinem Umfeld Mäuse und Haustiere; so sind u. a. Hund, Katze und Meerschweinchen Reservoire für infektiöse Pathogene. Sie können jederzeit auf den Menschen übergehen und erhebliche Schäden verursachen. Sie sind um so virulenter, je weiter entfernt von ihrer angestammten Wirtspopulation sie Zielwirte befallen können; hier fehlt die ggf. co-evolutiv erworbene Immunabwehr.

Neozoen unter den Vögeln und Säugern sind prinzipiell alle verdächtig, neue Parasiten, Viren, Bakterien und Pilze einzutragen. Besonders diskutiert werden die Typen der „Vogelgrippe“ und die

zunehmenden Mykosen. In Halsbandsittichen (Psittacula krameri) aus Indien, bestimmt zum Verkauf, wurden in Japan Viren des Typs von Hühnergrippe gefunden, der in Hongkong und China 1999 Todesopfer forderte und die Vernichtung riesiger Hühnerbestände veranlasste (J. Virology 75: 3490).

Schmutz- und Schmier-Infektionen mit Bakterien übertragen in unmittelbarer menschlicher Nähe lebende Neozoen, z. B. im Nahrungsmittelgewerbe. Dazu gehören Vorratsschädlinge unter den Insekten, Schaben, die Wanderratte, verwilderte Haustauben. In Krankenhäusern hat die Pharaoameise (Monomorium pharaonis) Verbände von Kranken besetzt und den Heilungsprozess gestört.

Dramatische Folgen hatte in historischer Zeit in Europa die Einschleppung des neozoischen Biosystems Hausratte (Rattus rattus), vielleicht unerkannt bereits die Wanderratte (Rattus norvegicus), Pestfloh (Xenopsylla cheopis) und Pestbakterium (Yersinia pestis) besonders während der großen europäischen Pestepidemie 1348-1352, aber auch bei späteren, geringfügigeren Wieder-Ausbrüchen.

Einmal durch die Ratten in Südeuropa eingebracht konnte sich die Krankheit dem Vektor vorauseilend auch allein durch den Floh bzw. durch Kontaktinfektion verbreiten.

Neozoen als Erreger von Krankheiten:

Typische durch Tiere (mit)bedingte Tropenkrankheiten, etwa zwei Dutzend Krankheitsbilder, werden durch zunehmende Geschäftsreisen, Kurzbesuche und durch den Massentourismus immer häufiger nach Deutschland eingeschleppt. Die Situation solcher (noch) nicht reproduzierender Neozoen im Bereich der Pathogene ist vergleichbar der häufig wiederholten Einschleppung bei Rotwangenschildkröte, Regenbogenforelle und Graskarpfen in das hiesige Ökosystem, wo sie sich bisher (noch) nicht aus eigener Kraft weiter vermehren können.

Normalerweise harmlose Tiere können ggf. Allergien hervorrufen. Im Jahre 1989 starben in den USA mindestens 32 Bürger durch allergische Reaktionen, hervorgerufen durch eingeschleppte Feuerameisen (Solenopis invicta); 20.000 Personen mussten sich in Krankenhäuser behandeln lassen (GISP 1999). Harmlosere Allergien durch die fremdbürtigen Hauskatzen, Wanderratten, Goldhamster, Meerschweinchen und andere Pelztiere sind weit verbreitet.

Fallweise werden direkt pathogene Neozoen durch Tropenreisende eingeschleppt, überwiegend Einzeller (Protoctista). Sie können sich jedoch i.d.R. nicht etablieren, ihren Zyklus vollenden oder Reservoire bilden, z. B. Amöbenruhr (Entamoeba histolytica) und Leishmaniosen (Leishmania spp.).

Ursprünglich einheimisch und weit verbreitet, erst seit den 1930er Jahren in Deutschland ausgerottet, ist Malaria tertiana (Plasmodium malariae). Sie wird jedoch häufig von Fall zu Fall im Vektor oder im Wirt wieder eingeschleppt.

• Gelangt der Erreger (Plasmodium malariae) im Blut eines Patienten nach Mitteleuropa, so könnte er von einheimischen Überträgern (Anopheles maculipennis) mit dem Stich aufgenommen und weiter verbreitet werden. Die Krankheit wäre wieder eingeführt. Bisher hat

die erhebliche Reduzierung der Bestände der Fiebermücke dies verhindert. Solche Fälle wurden aus Israel beschrieben, wo durch infizierte Einwanderer der Erreger wieder in lokale, autochthone Mückenpopulationen eingebracht wurde. - Im Falle anderer Plasmodium-Arten fehlen hier die geeigneten Überträger unter den Mücken. Die Einschleppung bleibt auf einen Patienten beschränkt.

• Malariamücken und mit ihnen, in Darm und Speicheldrüse, alle Malaria-Formen (Tertiana, Quartana, Tropica) gelangen regelmäßig mit dem Flugverkehr nach Europa und infizieren in Flughafennähe Menschen (Flughafenmalaria).

Jederzeit könnten neue Malaria- bzw. Gelbfieber-Überträger (z. B. Aedes aegypti, Aedes tigrinus) eingebracht werden und stehen, wenn sie Fuß fassen, als Vektor-Potenzial bereit.

Weiterhin werden regelmäßig vielzellige Parasiten von Touristen eingebracht, z. B. die Erreger der Bilharziose-Formen (Schistosoma spp.), Leberegel der Gattung Clonorchis sp.; der Hautmaulwurf (Larva-migrans-Symptom, Diptera) (LANG 1994). Erfolgreich in Deutschland eingeschleppt, allerdings begrenzt auf bestimmte künstliche Lebensräume, wurde der nur in Bergwerken seit dem Mittelalter, vereinzelt bis in das 20. Jh. auftretende Haken- oder Grubenwurm (Ancylostoma spp.) aus südlichen Ländern. Er ruft chronisches Siechtum als Berufskrankheit der Bergleute hervor.

Eingeschleppte Gifttiere:

Eingeschleppte Gifttiere wie Schlangen, Skorpione, Spinnen gefährden Menschen. Fatale Fälle, meist im Umfeld der Aquaristik und Terraristik, sind noch relativ selten.

Zu Stichverletzungen bei Menschen kommt es im Bereich der Tierhaltung durch eingeschleppte Milben. Die Schlangenmilbe (Ophionyssus natricis) tritt in Zoos, Tierhandlungen usw. auf Menschen über. Die tropische Rattenmilbe (Ornithonyssus bacoti; synomym: Lipinyssus bacoti, Bdellonyssus bacoti) hat als Überträger von Rickettsien in Hamburg, Bremen, Lübeck und verschiedenen Laboratorien Stiche verursacht, die zu Papeln bis 2 cm Durchmesser und Beinträchtigung des Allgemeinbefindens führten.

Parasiten und Krankheiten der Neozoen selbst:

Den Neozoen können ihre Parasiten und Krankheiten folgen, z. B. dem Waschbär (Procyon lotor) die Tollwut bzw. der Waschbärspulwurm (Baylisascaris procyonis). Übertragung auf den Menschen mit Todesfällen ist aus den USA bekannt, in Europa ist noch nicht nachgewiesen. Die aus dem Mittelmeergebiet stammende Stadttaube (Columba livia) hat von dort ihren spezifischen Floh (Ceratophyllus columbae) mitgebracht.

Unklare Herkunft:

Bei vielen Parasiten oder Krankheitserregern des Menschen und seiner Haustiere ist nicht bekannt, wann und wo der Kontakt zustande kam, ob z. B. Menschenfloh (Pulex irritans), Kopflaus (Pediculus humanus) oder Kleiderlaus (Phthirius pubis) schon den Neandertaler besiedelten oder erst von späteren Menschengruppen mitgebracht wurden. Sie können gefährliche Krankheiten übertragen (z. B.

Fleckfieber). In geringem Maße kann auch der wahrscheinlich mit der Hauskatze in der Römerzeit eingeschleppte (Haus-) Katzenfloh (Ctenocephalus felis) Infektionen übertragen.

Tiermedizin:

Neozoen bringen z T. ihre angestammten Parasiten und Epöken mit, vgl. Bisam (Fiber zibethicus) (GRABDA 1954), Waschbär (Procyon lotor) (s. o.). Die Dreiecksmuschel (Dreissena polymorpha) wird von zahlreichen spezifischen Wimpertierchen (Ciliata) parasitiert bzw. epökisch besiedelt, welche mit ihr verschleppt werden und auf einheimische Arten übergreifen können. Gleiches gilt für alle anderen Arten der Süßwassertiere.

Haustierbestände werden ebenfalls von eingeschleppten Krankheiten und Parasiten befallen.

Die zeitweise auch in Mitteleuropa weit verbreitete Seidenraupenzucht zog ihre spezifischen Krankheiten Pebrine und Trypanosomiasis mit sich. Die Varroa-Milbe der Biene, die zeitweise die Bienenhaltung in Deutschland fast zum Erliegen brachte, ist ebenfalls eine invasive Art. Eingeschleppt wurden Bienenlaus (Braula caeca) und Bienenseuche (Nosema apis), in Amerika der Bienenkäfer, alle starke Schädiger der Honigbienen (BAILEY & BALL 1991). Vom Japanischen Aal wurde der Schwimmblasenwurm (Anguillicola crassus) auf den intensiv genutzten Europäischen Aal (Anguilla anguilla) übertragen und ist mittlerweile weit verbreitet. Er verursacht verminderten Zuwachs und damit Ertragseinbussen. Die Krebspest (Aphanomyces sp.), ein Bakterium, welches mit dem Nordamerikanischen Flusskrebs (Orconectes limosus) eingeschleppt wurde, hat in ganz Europa die Bestände einheimischer Flusskrebs-Arten erheblich geschädigt (SCHÄPERCLAUS 1935). Noch in jüngster Zeit ist der erfolgreiche Export von Pontastacus leptodactylus aus der Türkei durch Ausgreifen der Infektion nach Anatolien völlig zum Erliegen gekommen.

In wildlebenden Nutztierbeständen in den USA fanden DASZAK, CUNNINGHAM & HYATT (2000) eine Vielzahl von Virosen, Bakteriosen, Protozoonosen. Übertragung erfolgt, abgesehen von ungeklärten Fällen, von Haustier auf Wildtier sowie durch Verschleppung entweder der Krankheit oder der Wildtiere durch den Menschen. Die Erkrankungen werden als große, wachsende Gefahr für Mensch und Haustiere sowie für die Wildtiere selbst beschrieben und damit für Naturschutz und Biodiversität.

Es zeigt sich, dass das Phänomen „Neozoen / Invasive Tiere“ nicht losgelöst von anderen Bereichen der Dynamik der Biodiversität betrachtet werden darf. Westlich der Elbe hat sich ein in Etappen im Laufe von etwa 100 Jahren eingeschlepptes Biosystem aus Osteuropa wieder etabliert. Zunächst war seit 1844 die Dreiecksmuschel (Dreissena polymorpha) eingeschleppt worden, seit 1888 wurde der

Zander (Stizostedion lucioperca) gezielt ausgesetzt und schließlich trat seit 1950 der zwischen den beiden Wirten wechselnde Parasit (Polymorphus polycephalus) auf.

Medizinische Schäden bedeuten gleichzeitig ökonomische Schäden durch Arbeitsausfall bzw.

präventiven oder kurativen Aufwand. Sie setzen gleichzeitig soziale Schäden, indem sie die Patienten und ihr Umfeld erheblich beeinträchtigen können.

Das Gefahrenpotenzial im medizinischen wie tiermedizinischen Bereich wird sichtbar an Beispielen aus neuerer Zeit:

• Der Überträger von Ebola ist wahrscheinlich ein noch unbekanntes Wildtier in Afrika.

• AIDS entstammt einem tierischen Reservoir.

• In New York wird die Bevölkerung beunruhigt durch seit 2000 zunehmend eingeschleppte Moskitos und Infektionen (schon früher: CRAVEN et al. 1988).

• Zu Versuchszwecken importierte Affen brachten das Marburg-Virus nach Deutschland.

• BSE wurde nicht zuletzt durch Tiertransporte oder Transporte von infizierten Futtermitteln über weite Strecken zu der verbreiteten Bedrohung.

Die Forschung sollte intensiviert werden. Prävention ist angebracht. Dazu gehört auch Einschränkung des absichtlichen und unbeabsichtigten Ferntransports von Tieren aller Art.

Im Dokument 25 02 (Seite 124-128)