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Von Zirkulation und Mobilisierung: Geographisch- Geographisch-gouvernementalistische Mobilitätsforschung

Im Dokument Kultur und soziale Praxis (Seite 76-81)

Im Jahr 2006 proklamieren Sheller und Urry durch die zunehmende Globalisie-rung und damit einhergehende gesteigerte Mobilität ein neues Mobilitätsparadig-ma in den Sozialwissenschaften, mit dem sie sich von statischen Paradigmen der Forschung abwenden und den Einbezug systematischer Bewegung fordern (Shel-ler/Urry 2006: 208). Mobilität kann in ihrem Verständnis als das Ausmaß der Mög-lichkeit betrachtet werden, sich möglichst ungehindert durch und innerhalb von Raumeinheiten zu bewegen. Sie ist demnach sowohl Grundlage als auch Resultat sozialräumlicher Beziehungen, die von Machtbeziehungen durchzogen sind (vgl.

Bærenholdt 2013: 21). Da Machtverhältnisse ebenso wie sozialräumliche Beziehun-gen relational sind (vgl. Füller/Michel 2012: 12), drücken sie sich ebenfalls in den räumlichen Beziehungen der Akteur*innen zueinander aus. Diese Beziehungen entfalten sich in einem Spannungsverhältnis zwischen der Möglichkeit, sich selbst in eine bestimmte Position zu bewegen, und bewegt zu werden, also in sozialer In-teraktion einen bestimmten Grad an Mobilität innezuhaben (vgl. Bærenholdt 2013:

27). Somit kann Mobilität nicht als Ausmaß an (erzwungener) Bewegung gesehen

werden, sondern vielmehr als die Fähigkeit, möglichst frei über die eigenen Bewe-gungen und Positionierungen zu verfügen (vgl. Sheller/Urry 2006: 213).

Mit Fokus auf das Ausmaß ungehinderter Mobilität wird sowohl in den Securi-ty Studies als auch in der geographischen Mobilitätsforschung der Begriff der Zir-kulation eingeführt. Dieser beschreibt ein im zirkulären Austausch mit anderen Systemen stehender Fluss1 von Personen, Gütern und Kapital innerhalb globaler bis lokaler Systeme (vgl. Forman 2018: 232). Die Zirkulation unterliegt allerdings dem Bestreben verschiedener – und im transnationalen Kontext oft staatlicher – Akteur*innen, sie möglichst in ihrem Sinne auszugestalten. Hierbei kann von der Regierung der Zirkulation gesprochen werden, wobei Regierung auf intersubjek-tiver Ebene Handlungen in Bezug auf die Handlungen Anderer innerhalb eines Machtverhältnisses beschreibt. Auf gesellschaftlicher Ebene meint sie die Anord-nung von Dingen, Ressourcen und Subjekten zur Beeinflussung übergeordneter gesellschaftlicher Dynamiken (vgl. Foucault 2017: 146). Es geht bei der Regierung der Zirkulation also um eine Relationierung mobiler und immobiler Güter, Infor-mationen und Personen und damit nicht nur um die Erzeugung von Mobilität, sondern ebenfalls gezielter Immobilität (vgl. Salter 2013: 8). Aus den unterschied-lich gelagerten Interessen und den Machtverhältnissen zwischen den Akteur*in-nen sowie dem Interessensgegenstand der Regierung konzipieren sich Systeme der Zirkulation.

Im Anschluss daran sollte der wissenschaftliche Fokus vom systemischen Blick-winkel der Zirkulation auf sozialräumliche Beziehungen zwischen mehreren Sub-jekten und räumlichen Elementen wie z.B. Infrastrukturen erweitert werden. Die-se formen gegenüber den Systemen der Zirkulation die Mobilität im Konkreten, stehen aber mit jenen im reziproken Verhältnis (vgl. ebd.: 9). Deshalb macht es Sinn, die Ebene der konkreten sozialräumlichen Beziehungen von jener der Sys-teme der Zirkulation analytisch abzugrenzen, allerdings auf sie zu beziehen (vgl.

Tazzioli 2019: 4). Dafür halte ich den Begriff der Mobilisierung für angebracht, der sich als die konkrete Platzierung von Körpern durch das Subjekt selbst oder Andere in sozialräumlichen Praktiken fassen lässt (vgl. Kreichauf 2017: 419). Dabei geht es also nicht nur um die RegierungvonMobilität, wie er im Modus der Zirkulation

1 In Assoziation mit der Rhetorik derFlüchtlingswelleund anderen dehumanisierenden Dis-kurselementen kann dieser Begriff als problematisch erachtet werden, spiegelt jedoch die theoretische Diskussion umflowsals systematische, möglichst ungehinderte und übergeord-net regulierte Bewegung in Abgrenzung zur gezielten Bewegung einzelner Subjekte wider (siehe weiter unten).

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vorherrschend ist, sondern um die RegierungdurchMobilität auf lokaler Ebene2 (vgl. Bærenholdt 2013: 20).

An dieser Schnittstelle der Regierung von und durch Mobilität lässt sich durch die Synthese der geographischen Mobilitätsforschung und der geographischen Gouvernementalitätsforschung der analytische Blick schärfen. In seiner Vorlesung Sicherheit, Territorium, Bevölkerung. Geschichte der Gouvernementalität Izeichnet Michel Foucault die Entwicklung des Regierungsmodus der Gouvernementalität als Folge des westfälischen Friedens und der Konstitution einer Bevölkerung mit Bezug zum Souverän nach (vgl. Foucault 2017: 428). Dieser Modus richtete sich auf ein Gleichgewicht der Zusammensetzung der Bevölkerung in Bezug auf Merkmale wie Produktivität, Alter, Gesundheit etc., das vor allem durch die möglichst un-gehinderte Zirkulation von Gütern, Kapital und Personen bewerkstelligt werden sollte (vgl. Aradau 2016: 567). Dabei werden konkrete Strukturen benötigt, die gewünschte Zirkulation befördern und unerwünschte Zirkulation verhindern (vgl.

Amicelle et al. 2017: 172; Salter 2013: 9). Foucault spricht hierbei selbst von einer Normierung der Zirkulation(Foucault 2017: 100). Die aus diesem Spannungsfeld von erwünschter und unerwünschter Zirkulation entstehenden Sicherheitspraktiken produzieren durch die Normierung der Zirkulation ungleiche Mobilität: »The contemporary production of ›uneven mobilities‹ […] continues to be mediated through security practices, which make possible distinction between dangerous and non-dangerous, risky and non-risky bodies.« (Aradau 2016: 565) Mit Verweis auf die weiter oben ausgeführten, jedoch von Foucault etwas vernachlässigten Zusammenhänge von übergeordneten Systemen der Zirkulation und intersub-jektiven Praktiken der Mobilisierung (vgl. ebd.: 567), erscheint es auf der konkret mikrophysischen (vgl. Foucault 1976: 32f.) Handlungsebene sinnvoll, raumtheo-retische Überlegungen zur Konzeption der Mobilisierung anzustellen. Geht man davon aus, dass die Herstellung von Beziehung durch die Relationierung – durch bewegen und bewegt werden – sichergestellt werden kann, lässt diese sich nur über soziale Handlungen innerhalb spezifisch räumlicher Kontexte gewährleisten (vgl. Füller/Michel 2012: 12). Obwohl Foucault eine gewisse theoretische Unterbe-lichtung der Kategorie Raum bei Regierungstechniken nachgesagt wird (vgl. Thrift 2007: 55), lassen sich doch seine impliziten Ausführungen heranziehen, um ein stringentes Konzept von Raum zu zeichnen: So können Raumproduktionen als relationale Gefüge betrachtet werden, die im reziproken Verhältnis zu Machtbe-ziehungen und -strategien stehen (vgl. Kreichauf 2017: 414). Besonders prägnant

2 An dieser Stelle sei nochmal explizit darauf hingewiesen, dass sich die beiden Techniken nicht voneinander trennen lassen, da die Regierung durch Mobilität auch eine Beeinflussung von Mobilität der betreffenden Subjekte darstellt bzw. auf der Mobilität der beteiligten Sub-jekte basiert.

wird die Disziplinierung von Subjekten (vgl. Foucault 2016) über die Hierarchisie-rung und RelationieHierarchisie-rung von Körpern im und mit dem Raum sichergestellt (vgl.

Kreichauf 2017: 419). Auch in Bezug auf die Regierung der Zirkulation lassen sich räumliche Bezüge feststellen (vgl. Foucault 2017: 27).

Mit diesem Zusammenhang zwischen eben jenen Regierungstechniken und Raumproduktionen haben sich zahlreiche Geograph*innen beschäftigt. So machen Füller und Michel mit ihrer Beschreibung vom »Raum als Machttechnik« noch einmal grundlegend deutlich, dass der Raum nicht als Hintergrund von Hand-lungen konzeptualisiert werden kann, sondern selbst als fundamentaler Teil von sozialen Handlungen und gesellschaftlichen Strukturierungen anzuerkennen ist (Füller/Michel 2012: 12). Hier lassen sich drei grundlegende Elemente des Raums als Machttechnik mit dem Modus der Gouvernementalität verknüpfen: Erstens ermöglichen und behindern bzw. erleichtern und erschweren Materialitäten be-stimmte aufeinander bezogene Handlungen und damit auch Machtverhältnisse und -mechanismen. Das Hauptaugenmerk der Kontrolle von Abläufen und Be-völkerung und damit der reziproken Produktion von Wissen über die Bevölke-rung liegt beispielsweise auf deren LokalisieBevölke-rung – ein inhärent räumlicher Be-griff – sowie auf der räumlichen Relationierung zur besseren Lokalisierung, also zum Zweck der Sicht- und Beobachtbarkeit (vgl. Huxley 2008: 1646). Dies können konkret überwachte Durchgänge, Wachtürme oder Ähnliches sein. Sozialräumli-che Verhältnisse und Materialitäten rahmen dementspreSozialräumli-chend die Techniken und Praktiken, mit denen Überwachung und Kontrolle von Räumen und Durchgängen sichergestellt werden (vgl. Klauser 2017: 27). Ebenfalls lassen sich Raumstrategien und -produktionen dazu nutzen, diese Techniken der Kontrolle zu unterlaufen und zu transformieren, sodass das Wechselverhältnis zwischen Kontrolle und Umgang mit der Kontrolle in der Beforschung dieser Raumproduktionen sichtbar bleibt (vgl.

Gilliom 2005). Zweitens lässt sich die Zirkulation als grundlegendes Motiv des Si-cherheitsdispositivs ebenfalls nur durch räumlich-materielle Techniken und Struk-turen sicherstellen. Über die Veränderung der räumlichen Komponenten oder – im Foucaultschen Duktus – durch die Stellschrauben der Zirkulation lassen sich Begebenheiten und Handlungen wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher ma-chen (vgl. Marquardt/Schreiber 2012: 41). Mit Rückgriff auf die vorausgegangenen Ausführungen muss dieser Punkt zusätzlich um die Techniken der Mobilisierung ergänzt werden, also die RegierungdurchMobilität, die mit Blick auf die geogra-phische Forschung zu Modi der gouvernementalen Regierung bislang weitgehend unbeachtet bleibt. Diese auf Mobilität gerichteten Regierungsmodi betreffen al-so nicht nur die Möglichkeit, durch räumliche Arrangements bessere Kontrolle über Durchgangsräume wie z.B. Grenzposten, aber auch Tore oder Ähnliches zu erlangen, sondern gezielt sozial-räumliche Beziehungen den Regierungsrationali-täten folgend zu beeinflussen. Als drittes Element des Raumes als Machttechnik, das sich in der geographischen Forschung zu gouvernementalen

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niken produktiv machen lässt, ist die Einbindung von Raumproduktionen in die Reziprozität von Macht und Wissen zu nennen. Dabei stehen Räumlichkeiten im Wechselverhältnis zwischen materiellen und symbolischen Ordnungen, die einen bestimmten Ausschnitt an Handlungs- und Subjektivierungsweisen eröffnen (vgl.

Marquardt/Schreiber 2012 43).

Vor dem Hintergrund der theoretischen Vorüberlegungen lässt sich nun nach konkreten Formen des Bestrebens, durch den Raum zu regieren, Ausschau halten.

Um Modi der Zirkulation und Mobilisierung im Speziellen zu analysieren, bie-ten sich physisch-räumliche Elemente an, konkret die im Weiteren thematisierte Barriere. DasSpektrum Lexikon der Geographiebeschreibt eine Barriere allgemein

»als materielles begrenzendes Objekt oder begrenzender Faktor« (Spektrum 2020:

o.S.). Da diese Definition in Bezug auf Barrieren als Regierungstechnologie nur bedingt hilfreich ist und Belina zufolge die »tatsächliche jeweilige Relevanz des Räumlichen der sozialen Praxis […] nur aus konkreten sozialen Praxen und Pro-zessen abstrahiert werden« kann (Belina 2017: 24), macht es Sinn, die Eigenschaf-ten von Barrieren im konkreEigenschaf-ten Interessengebiet näher zu betrachEigenschaf-ten. Analog zur Grenze können Barrieren zuerst einmal als Mittel identifiziert werden, um Popu-lationen voneinander zu trennen (vgl. Rijke 2020: 4). Für Rosière und Jones dienen undurchlässige Barrieren hingegen nicht nur der Trennung, sondern der substan-tiellen Einschränkung der Bewegungsfreiheit bestimmter Bevölkerungsteile (Ro-sière/Jones 2012: 219). Pallister-Wilkins konstatiert hingegen, dass Barrieren nicht nur der Blockade dienen und plädiert dafür, Barrieren und deren Funktionswei-sen in den jeweiligen politischen und sozialräumlichen Kontext einzubetten (vgl.

Pallister-Wilkins 2016: 2f.). So fungieren Barrieren ihrer Meinung nach als Regie-rungselemente im biopolitischen Sinne und erlauben die Regierung von Population durch die Normierung von Zirkulation (vgl. ebd.: 4). Durch Barrieren wie offenge-lassene Durchgänge kann Bewegung kontrolliert und so trotzdem Zirkulation si-chergestellt werden (vgl. ebd.: 7). Geht man jedoch davon aus, dass es eben nicht nur um die freie Zirkulation geht, sondern auch um die Überwachung und teilwei-se Unterbrechung und Verlangsamung von Zirkulation durch konkrete Platzierung und Relationierung von Körpern und räumlichen Elementen, so scheint der Begriff der Mobilisierung als Mittel der Ermöglichung von erwünschter Zirkulation ange-brachter. So haben Zäune laut Aradau in der Grenzpolitik die Aufgabe, die frei be-wegliche und nicht in die Rationalitäten der normierten Zirkulation einzubindende Masse zu regieren (Aradau 2016: 569). Durch die Abschottung der Kanäle möglichst ungehinderter Zirkulation und deren Verbindung mit weiteren Kontrolltechniken werden besagte Kanäle mehr oder weniger adäquat vor nicht erwünschter Zirku-lation geschützt.

Doch wie wirken diese Techniken der Mobilisierung durch und mit Barrieren in Geflüchtetenlagern, also einem ganz bestimmten sozialräumlichen Ensemble, das dazu dient, die unerwünschte Zirkulation derer, denen kein Anspruch auf Asyl

zugesprochen wird, zu unterbinden? Wie werden hingegen diejenigen, denen Asyl gewährt wird, auf eine bestimmte Weise in die allgemeine Zirkulation bei vor-heriger Prüfung eingebunden? Wie dieser Ordnungsmechanismus auf konkreter räumlicher Ebene zusammengesetzt ist, möchte ich im Folgenden auf Grundlage empirischer Untersuchungen näher beleuchten. Mein Hauptaugenmerk gilt da-bei der Rolle von Barrieren innerhalb des Lagers und wie diese in Beziehung zur Gesamtheit des Lagers und zu den damit verbundenen Regierungsrationalitäten stehen. Mein Ziel ist es, einen konzeptionellen Beitrag zu Barrieren als Element der Mobilisierung zu leisten und den Forschungsstand um diese bislang eher ver-nachlässigten Zusammenhänge zu erweitern.

Barrieren als Mittel der Mobilisierung? Empirische Zugänge am

Im Dokument Kultur und soziale Praxis (Seite 76-81)