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Transitzentrum oder: Über die (Un-)Durchlässigkeit von (Lager-)Grenzen

Im Dokument Kultur und soziale Praxis (Seite 98-101)

Lea Gelardi

Zusammenfassung

Der Beitrag stützt sich auf Erkenntnisse einer empirischen Forschungsarbeit und fokussiert restriktive Zugangspraktiken eines bayerischen Transitzentrums (jetzt:

Ankerzentrum). Transitzentren wurden 2017 als Unterbringungsform für sog.

Asylbewerber*innen mit geringer Bleibeperspektive eröffnet und 2018 in Anker-zentren umgewandelt. Offizielle Ziele sind die Beschleunigung der Verfahren sowie die Ermöglichung zeitnaher Rückführungen. Die Ergebnisse der Forschung zeigen Mechanismen von Exklusion, Isolation, Regulierung und Kontrolle, die mit theoretischen Ansätzen der traditionellen Lagerforschung in Beziehung gesetzt werden. Es wird ersichtlich, wie besondere Raumspezifika, Zutrittsbeschränkun-gen und -verbote für Unterstützer*innengruppen und (andere) bürgerschaftlich Engagierte sowie diverse (Kommunikations-)Kontrollpraktiken charakteristisch für das Transitzentrum sind. Diese tragen zur Abschottung und Distanzierung der Bewohner*innen bei, welche sich durch das ›Festsetzen‹, der Immobilisierung der Bewohner*innen in der Unterkunft, verstärkt. Der Zugang zur Außenwelt ist zudem aufgrund rechtlicher und organisationaler Hürden eingeschränkt.

Trotz einiger Gemeinsamkeiten zeigen sich im bayerischen Transitzentrum auch Abweichungen von ›totalen‹ Formen der Kasernierung bzw. des Lagers. Vor allem aufgrund der vielen beteiligten Akteur*innen und deren fortlaufenden (politi-schen) Kämpfe und Aushandlungen ist die Durchlässigkeit der (Lager-)Grenzen zu betonen. Das ›Lager‹ und damit verbundene Grenzen bzw. Grenzziehungen sind nicht total, sondern durchlässig und veränderbar, was sich insbesondere anhand der divergierenden Interessen und unterschiedlich genutzten Hand-lungsspielräume der Akteur*innen in Kommunen, Wohlfahrtsverbänden und der Zivilgesellschaft zeigt. Es handelt sich bei den beschriebenen exklusiven und restriktiven Praktiken somit nicht um ›totale‹ Ausschlusspraktiken, sondern um dynamische und veränderbare Grenzziehungsprozesse, die unterschiedliche (Aus-)Handlungsfelder des täglichen Lebens betreffen, fortlaufend hervorge-bracht werden und immer umkämpft sind.

 

Summary

This article is based on findings of empirical research and focuses on restrictive access practices in a Bavarian transit centre (now: Anker centre). Transit centres were opened in 2017 as a form of accommodation for so-called asylum seekers with few prospects of staying in Germany and were converted into Anker centres in 2018. The official goals are to speed up procedures and to enable prompt deportations. Results of the research project show mechanisms of exclusion, isolation, regulation and control that are put in relation to theoretical approaches of traditional camp research. It becomes apparent how particular spatial condi-tions, access restrictions and prohibitions for supporter groups and (other) civic engagement as well as diverse (communication) control practices are character-istic of the transit centre. These contribute to the isolation and distancing of the residents, an effect that is intensified by the ›fixation‹, the immobilisation of the residents in the accommodation. Access to the outside world is also restricted due to legal and organisational barriers. Despite some common features, the characteristics of the Bavarian transit centre also deviate from ›total‹ forms of barracking or camps. The permeability of (camp) borders should in particular be emphasised in view of the many actors involved and their ongoing (political) battles and negotiations. The camp and the borders and demarcations associated with it are not total, but permeable and changeable, which is particularly evident in the diverging interests and scope for action of the actors in municipalities, welfare associations and civil society that is used in different ways. Thus, the exclusive and restrictive practices described are not ›total‹ exclusionary practices, but dynamic and changeable processes of bordering that affect different fields of action (and negotiation) in daily life, and that are produced on a continuous basis and are always contested.

Einleitung

Immer wieder rückt die Unterbringung von Geflüchteten in Lagern in den öffent-lichen Diskurs. Zuletzt im Frühjahr 2020 hat sich deutlich gezeigt, dass Sammel-unterkünfte die dort untergebrachten Menschen einem hohen Gesundheitsrisi-ko durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 aussetzen. Im Jahr 2018 wurde die Ein-richtung von Ankerzentren als zentralisierte Sammelunterkünfte öffentlich disku-tiert. Dabei geraten regelmäßig die Kontinuitäten und Brüche der Unterbringung von Geflüchteten aus dem Blick. In diesem Beitrag werden daher die bayerischen Transitzentren diskutiert, die nur wenig öffentliche sowie wissenschaftliche Auf-merksamkeit erhielten. Das Konzept der Transitzentren hatte nur kurz Bestand; es wirft gleichwohl einen erkenntnisreichen Blick auf Begründungszusammenhänge der 2018 eingeführten Ankerzentren: »[W]ir knüpfen an bestehende

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gen und die erfolgreichen Konzepte unserer bayerischen Transitzentren an« (Baye-rische Staatskanzlei 2018: 3), verkündete die baye(Baye-rische Staatsregierung und ließ damit implizit wissen, dass die Verkündung der Einführung von Ankerzentren im Koalitionsvertrag der Bundesregierung 2018 eine bayerische Handschrift trägt.

Es gab drei Transitzentren, je eines in Manching/Ingolstadt, Regensburg und Deggendorf. Diese wurden 2018 (mit den weiteren bayerischen Aufnahmeein-richtungen Bamberg, Zirndorf, Schweinfurt und Donauwörth) in Ankerzentren umgewandelt (vgl. BStMI 2018). Statt einer bayernweiten Verteilung der Asyl-bewerber*innen auf die Kommunen sollten jene mit vermeintlich »geringer Bleibeperspektive« nun zentralisiert untergebracht werden. Damit sollten Verfah-ren beschleunigt und zeitnahe Rückführungen erreicht werden (vgl. Bayerische Staatskanzlei 2017: 7). Bei Transitzentren handelte es sich umbesondere Aufnah-meeinrichtungen im Sinne des Asylgesetzes. Dort sollten Asylbewerber*innen untergebracht werden, um sie einem beschleunigten Asylverfahren zu unter-ziehen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) unterhielt dafür Außenstellen in den Transitzentren. Die Pflicht zum Aufenthalt in Aufnahmeein-richtungen betrug in der Regel maximal sechs Monate. Diese Beschränkung galt jedoch nicht für Personen aus »sicheren Herkunftsstaaten«, welche überwiegend in Transitzentren untergebracht wurden.1

Der vorliegende Beitrag basiert auf einem 2018 von mir durchgeführten ethno-grafischen Forschungsprojekt, in dem ich Regulierungs- und Kontrollpraktiken in einem Transitzentrum untersucht habe.2Anhand des empirischen Materials wer-den die Zugänge im Kontext des Transitzentrums analysiert. Die leitenwer-den For-schungsfragen lauteten: Auf welche Weise wird der Zutritt zur Einrichtung für bestimmte Personen (insbesondere bürgerschaftlich Engagierte) reguliert? Welche Rolle spielen hierbei auch materielle und symbolische Dinge und Artefakte? Inwie-fern wird den Bewohner*innen räumliche und soziale Mobilität in Form von gesell-schaftlicher Teilhabe ermöglicht oder verwehrt? Welche Rolle spielt der (Nicht-)Zu-gang zu Informationen v.a. für Mitarbeitende der dort tätigen Wohlfahrtsverbände und bürgerschaftlich Engagierte, verknüpft mit einer Kommunikationskontrolle bei Mitarbeitenden der Kommune, Regierung und Betreiberfirma?

Anhand der Beobachtungen und vor dem Hintergrund einer kritischen Grenz-und Migrationsforschung zeigen sich nicht allein exkludierende Praktiken, son-dern ebenso Praktiken, die auf eine Durchlässigkeit der Lagergrenzen schließen

1 Personen aus sicheren Herkunftsstaaten wurden für die gesamte Dauer des Asylverfahrens dort untergebracht, alle anderen höchstens zwei Jahre (vgl. § 47 Abs. 1a und 1b AsylG). Seit dem 21.08.2019 gilt die Sechsmonatsregelung in Aufnahmeeinrichtungen nur noch für Kin-der, deren Eltern bzw. Sorgeberechtigte und Geschwister.

2 Aus Anonymisierungsstrategien wird weder der Name des Transitzentrums noch der Depen-dancen genannt.

lassen. Mit der Sichtbarmachung der Permeabilität der Lagergrenzen werden La-gertheorien infrage gestellt, die auf die Totalität von Lagergrenzen verweisen. Zu-dem wird gezeigt, inwiefern die Aushandlungen der Zugänge als Grenzziehungs-prozesse zu konzeptualisieren sind.

Im Dokument Kultur und soziale Praxis (Seite 98-101)