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von der zukünftigen Landesregierung erwartet

b&w: Die Landesregierung hat viel Geld in den Ausbau der Kitas gesteckt. Vor allem für Kinder unter drei Jahren wur-den viele neue Plätze geschaffen. Ist die GEW damit zufrieden?

Doro Moritz: Es war ein klarer Schritt nach vorne, dass die Landesregierung zu Beginn der Wahlperiode die Grund-erwerbssteuer erhöhte und so dazu bei-getragen hat, dass die Kommunen den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz einlösen konnten. Baden-Württemberg hat in den Kitas zwar bundesweit den besten Personalschlüssel, wir dürfen uns aber damit nicht zufrieden geben. Nir-gends spielt die Qualität der Arbeit, die Beziehung und die Bindung zu den Kin-dern eine so wichtige Rolle wie bei den Kleinsten.

Für die GEW ist die Beitragsfreiheit für Kitas erst der dritte Schritt. Wir fordern, zunächst die Qualität weiter auszubauen und vor allem den Erzieher/innenberuf aufzuwerten. Dazu brauchen die Erzie-her/innen ein höheres Einkommen und die Träger die nötigen Mittel.

Mit den zurückgehenden Schülerzahlen war es notwendig, dass im Rahmen der regionalen Schulentwicklungsplanung auch Hauptschulen geschlossen wur-den. Was muss für die Lehrkräfte dieser Schulart getan werden?

Es ist schmerzlich, dass die Lehrkräfte dieser weiterführenden Schulart, die in den letzten Jahrzehnten am innovativs-ten gearbeitet haben, ihre Heimat ver-lieren. Das liegt am Schulwahlverhalten der Eltern. Eine Gewerkschaft hat auch die Aufgabe, pädagogische Notwen-digkeiten anzuerkennen und daraus die notwendigen Forderungen für die Beschäftigten abzuleiten. Die Haupt-schullehrkräfte brauchen neue Auf-gaben z.B. an einer Realschule, einer Gemeinschaftsschule oder an einem Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrum (SBBZ). Dafür müs-sen sie qualifiziert werden. Da wir einen ganz großen Mangel an Sonderpäda-gog/innen haben, sollten sich erfahrene Lehrkräfte über einen Aufbaustudien-gang mit bezahlter Freistellung zu Son-derpädagog/innen ausbilden lassen kön-nen. Ganz wichtig ist für uns, dass die Hauptschullehrkräfte wie alle Lehrkräfte an den weiterführenden Schulen nach A13 befördert werden.

Die GEW fordert auch eine Beförderung nach A13 für die Lehrkräfte, die an den noch bestehenden Haupt-/Werkrealschu-len bleiben. Warum ist dir das wichtig?

Die Arbeit in der Sekundstufe ist nicht unterschiedlich viel wert. Es darf nicht passieren, dass die, die bis zum Schluss

an einer Haupt- oder Werkrealschule bei ihren Schüler/innen bleiben, benachtei-ligt werden.

Was brauchen die Kolleg/innen an den Grundschulen?

Mit der Bildungsplanreform erweitert sich die Kontingentstundentafel der Grundschulen um vier Stunden. Damit haben unsere Grundschüler/innen fast so viel Lernzeit wie in Bayern und Sachsen. Allerdings fehlen den Grund-schulen weiterhin Poolstunden in der Pflichtzuweisung. Eine Grundschule kann nicht verlässlich über Jahre För-derkonzepte planen, weil sie nicht weiß, ob sie die Stunden dafür bekommt. Im nächsten Schritt müssen deshalb den Grundschulen Poolstunden zugesi-chert werden. Verbesserungen brauchen auch die Schulleitung. Ganz besonders schlecht sind die Arbeitsbedingungen der Leitungen kleiner Grundschulen.

Grün/rot hat das Wahlversprechen, Ethik ab Klasse 1 einzuführen, nicht eingelöst. Das war für mich eine große Enttäuschung. Das muss in der neuen Wahlperiode auf jeden Fall kommen.

Grundschulen können jetzt Ganztags-schulen werden. Ist mit dem Gesetz alles gut geregelt?

Dass wir den Ganztag Jahrzehnte lang nur

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als Modellversuch hatten, ist unglaub-lich. Jetzt endlich wurde er gesetzlich verankert. Allerdings ist die GEW mit der Ausstattung unzufrieden. Wenn die Ganztagsgrundschule dazu beitra-gen soll, dass sich die Abhängigkeit der Bildungschancen von der sozialen Her-kunft verringert, dann reichen kulturel-le, musische oder sportliche Angebote von Ehrenamtlichen nicht. Wir müssen die Kinder auch in den Kernkompe-tenzen wie Deutsch und Mathe fördern können und dafür braucht es Profis. Und eine gute Ganztagesschule braucht auch ein Konzept, in dem sozialpädagogische Fachkräfte ein fester Bestandteil sind.

Gegner der Gemeinschaftsschulen kritisie-ren, dass die Schulen für die Entwicklung ihres Lernkonzepts und die individuelle Förderung der Schüler/innen zu viele Stun-den bekommen. Ist die Kritik berechtigt?

Für den Neuaufbau bekommen die Gemeinschaftsschulen sechs Depu-tatsstunden über drei Jahre. Wenn man sich vorstellt, welche komple-xen Pionieraufgaben dahinter ste-cken und dass gleichzeitig der Ganz-tag aufgebaut werden muss, sind die Stunden völlig unzureichend.

Es wird immer wieder behauptet, die Gemeinschaftsschulen würden gegen-über anderen Schularten bevorzugt, weil sie Poolstunden für die individuelle För-derung bekommen. Die Schulen müssen mit diesen Stunden die Begleitung, das Coaching und das eigenverantwortli-che Lernen in Lerngruppen

organisie-ren. Von der Materialerstellung ganz zu schweigen. Dafür sind die diese Stunden überhaupt nicht zu viel. Im Gegenteil.

Viele Lehrkräfte an Gemeinschaftsschu-len sind an ihrer Belastungsgrenze und darüber.

Was ist mit den anderen Schularten, an denen die Klassen auch heterogener werden?

Die Realschulen haben eine noch hete-rogenere Schülerschaft als die Gemein-schaftsschulen. Die Landesregierung hat inzwischen sechs und im nächs-ten Schuljahr acht Poolstunden für die Realschulen geschaffen. Das finde ich eindrucksvoll. Zugesagt wurde, dass die Poolstunden auf das Niveau der Werk- realschulen ausgebaut werden. Das ist konsequent, weil die Schüler/innen aus den früheren Haupt- und Werkreal-schulen heute die RealWerkreal-schulen besuchen.

Allerdings unterscheidet sich die Real-schule weiterhin grundlegend von der Gemeinschaftsschule. In den Realschu-len lernen die Schüler/innen weiterhin im Klassenverband, es gibt kein Coa-ching und sie vergibt Noten und hat keine aufwändigen alternativen Leistungsfest-stellungen. Die Ausstattung von Schulen muss sich an ihren Aufgaben orientieren Die Realschulen müssen aber zusätzliche Stunden für die aufwändige Entwicklung des neuen Konzepts bekommen.

Gibt es auch Unterschiede, was die Inklu-sion anbelangt?

Seit diesem Schuljahr sind alle

Schu-len verpflichtet, inklusiv zu arbeiten.

Die Gemeinschaftsschulen setzen die-sen Anspruch von Anfang an konse-quent um. Sie haben mehr als 13 Pro-zent Schüler/innen mit Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungs-angebot. An den Realschulen und Gymnasien startet der Prozess erst.

Die Inklusion ist eine große Herausfor-derung für alle Bildungsbereiche und die ganze Gesellschaft. Auch hier hat die grün/rote Landesregierung eine Reform angepackt, die die frühere Landesregie-rung verschleppt hat. Durch die Ratifi-zierung der UN-Behindertenrechtskon-vention musste aber spätestens seit 2009 etwas getan werden. Im Schulbereich wurde das Schulgesetz geändert und die Landesregierung hat erste zusätzliche Stellen geschaffen. Jetzt brauchen die Schulen Zeit und Konzepte, um inklusi-ve Bildungsangebote mit der erforderli-chen Qualität zu entwickeln. Dafür muss die nächste Landesregierung noch viele Stellen schaffen.

Warum plädiert die GEW für G8, obwohl die neuen G9-Gymasien bei Eltern und teilweise auch bei Lehrkräften sehr beliebt sind?

Wenn das G9 gewählt werden kann, trauen sich sehr viel mehr Schüler/innen zu, das Abitur auf dem allgemeinbilden-den Gymnasium zu machen. Realschu-len verlieren damit viele starke Schüler/

innen. Leistungsstarke Schüler/innen fehlen dann auch in den beruflichen Gymnasien und an

Gemeinschaftsschu-Doro Moritz

Foto: Ulrike Bär

Titelthema

len. Außerdem nimmt die seit Jahren beklagte Heterogenität an G9-Gymna-sien zu. Keine Schulart hat folglich ein Interesse an der Wahlfreiheit von G8/G9.

Die GEW plädiert dafür, stattdessen das G8 in der nächsten Wahlperiode zu ver-bessern. Dazu bietet das Papier „Gymna-sium 2020“ eine gute Grundlage.

Viele Lehrkräfte klagen über zusätzliche Belastungen. Auch finanzielle Kürzun-gen ärgern viele Kolleg/innen. Wofür setzt sich die GEW ein?

Die Landesregierung hat in dieser Wahl-periode viele wichtige Bildungsreformen angepackt, aber versäumt, die Lehrkräfte mitzunehmen. Ihre Arbeitsbedingungen haben sich sogar verschlechtert. Das ist für die GEW völlig indiskutabel. Man kann nicht sagen: „Wir erwarten von euch, dass ihr neue Aufgaben bewältigt, aber wir kürzen euch die Stunden aus dem allgemeinen Entlastungskontin-gent und die Altersermäßigung.“ Damit hat die Landesregierung bei der GEW und den Beschäftigten viel Motivation zerstört und auch Vertrauen verloren.

All das passierte 2012, als die Stellen-streichungen verkündet wurden. Sie sind jetzt weitgehend vom Tisch. Wir erwarten, dass keine Stellen bis 2020 gestrichen werden. Bei den finanziel-len Kürzungen hat die Regierung das Vorgehen der CDU einfach fortgesetzt.

Zum 27. Mal wurde der Tarifabschluss nicht eins zu eins auf die Beamt/innen übertragen. Das muss sich ändern.

Wegkommen müssen wir auch von der großen Zahl der befristet beschäftigten Lehrkräfte. Da wird uns hoffentlich hel-fen, dass das Kultusministerium keine Lehrkräfte für die befristeten Verträge mehr findet, weil der Arbeitsmarkt all-mählich leergefegt ist.

Da passt überhaupt nicht dazu, dass die Eingangsbesoldung der jungen Lehr-kräfte abgesenkt wurde.

Dass diese Kolleg/innen inzwischen eine abgesenkte Besoldung von acht Prozent und sogar die Fachlehrer/

innen eine Absenkung von vier Pro-zent hinnehmen müssen, ist überhaupt nicht nachvollziehbar. Ich frage Vertre-ter/innen der Landesregierung regel-mäßig: Wollen Sie erfolgreich sein?

Wollen Sie motivierte Beschäftigte?

Warum demotivieren Sie sie dann mit Kürzungen?

Wie siehst du die Situation an den beruf-lichen Schulen?

Die beruflichen Schulen haben in dieser Wahlperiode ihre Situation verbessern können. Das begrüßen wir ausdrück-lich. Sie haben zusätzliche Lehrerstellen bekommen, um das strukturelle Defizit abzubauen. Durch Umstrukturierung wurden im Übergangssystem innova-tive Weiterentwicklungen auf den Weg gebracht und Maßnahmen ergriffen, die den Berufseinstieg der jungen Leute deutlich verbessern können.

Seit diesem Wintersemester studieren künftige Lehrer/innen in neu eingeführ-ten Bachelor- / Masterstudiengängen.

Das Studium für das Lehramt Grund-schule dauert im Gegensatz zu allen anderen Lehramtsstudiengängen nur acht Semester. Was muss die neue Lan-desregierung an der Lehrerbildung ver-bessern?

Die GEW akzeptiert nicht, dass die Lan-desregierung bei der Reform der Leh-rerbildung die Grundschule abgehängt hat. Für die Arbeit an der Grundschu-le wird keine geringere Qualifikation und damit auch keine kürzere Studi-enzeit benötigt als in weiterführenden Schulen. Das hat eine Expertenkom-mission, die das Wissenschafts- und Kultusministerium eingesetzt hatte, klar herausgestellt. Ich bin sicher, der einzige Grund für eine kürzere Studi-endauer ist die fehlende Bereitschaft, den Grundschullehrkräften das glei-che Gehalt zu bezahlen wie den Lehr-kräften der Sekundarstufe. Die Arbeit mit jüngeren Kindern bekommt nicht die Anerkennung, die sie verdient. Das sehen wir auch an der Ausstattung der Grundschulen. Die Benachteiligung der Arbeit mit Kindern beginnt aber schon in der frühen Bildung in den Kitas.

In der Grundschule und in den Kitas arbeiten überwiegend Frauen. Wenn dort die Gehälter niedriger sind, ist das natürlich eine strukturelle Benachtei-ligung von Frauen. Auch das kritisiert die GEW.

Die Landesregierung hat einen Hoch-schulfinanzierungsvertrag verabschie-det. Dazu gehört auch eine Selbstver-pflichtung für gute Arbeitsplätze mit weniger Befristungen. Brauchen wir eine Evaluations-Agentur, damit es eine Kon-trolle gibt?

Wichtig ist, dass es vorwärts geht. 80 Pro-zent der wissenschaftlichen Mitarbeiter/

innen an Universitäten sind momentan befristet beschäftigt. Die vielen befris-teten Verträge müssen zumindest der Laufzeit der Projekte entsprechen und dürfen nicht Jahr für Jahr auf der Kippe stehen. Mit dem Hochschulpakt können die befristeten Verträge immerhin in kleinen Schritten abgebaut werden. Da bleibt noch viel zu tun. Allerdings glau-be ich nicht, dass wir dazu eine Evalua-tions-Agentur brauchen.

Welche Weichenstellungen müssen jetzt in Kita und Schule gestellt werden, dass geflüchtete Kinder und Jugendliche gut bei uns integriert werden können.

Wir leiden leider unter den Versäum-nissen der Vorgängerregierung. Es wur-den viel zu wenige Lehrer/innen für Deutsch als Zweitsprache qualifiziert.

Die lassen sich jetzt nicht von heute auf morgen herzaubern. Die Quali-fizierungen werden jetzt nachgeholt.

Mich hat beeindruckt, in welchem Umfang die Landesregierung bereit war, Lehrerstellen für die Flüchtlinge zu schaffen. Der Unterricht für Flücht-linge darf nicht zulasten des übrigen Unterrichts gehen. Klar ist, dass viel improvisiert werden muss. Ich finde es eindrucksvoll, wie die Schulen und die Lehrkräfte die Aufgabe bewältigen.

Eindrucksvoll ist auch, wie viele GEW-Mitglieder ehrenamtlich tätig sind.

Ich sehe noch nicht, dass in der frühen Bildung im gleichen Umfang Angebote für Flüchtlinge geschaffen werden. Da besteht beträchtlicher Nachholbedarf.

Es ist unbestritten wertvoll, wenn die geflüchteten Kinder schon in den Kitas Deutsch lernen. Das geht nicht neben-her. Dazu braucht es zusätzliches Per-sonal und fachliche Unterstützung.

Das Interview führte Maria Jeggle

Foto: Ulrike Bär

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BILDUNGSINVESTITIONEN

Landesregierung hat viel Geld