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2 Evozierte Potentiale

2.2 Evozierte Potentiale nach Lichtstimulation

2.2.2 Visuell evozierte Potentiale - VEP

Visuell evozierte Potentiale (VEP) stellen gemittelte Potentialänderungen dar, die nach Lichtstimulation eines Auges durch subkutan auf dem Schädel über der Area optica platzierte Nadelelektroden abgeleitet werden können (STRAIN et al. 1990b).

Die Abnahme des VEP’s wird bei vielen verschiedenen Tierarten beschrieben. Das VEP konnte unter anderem beim Schaf (GREGORY u. WOTTON 1983, STRAIN et al. 1990c), bei der Katze (SIMS u. LARATTA 1988, UZUKA et al. 1989, SPIESS 1994, STRAIN et al. 1998) und beim Meerschwein (SUZUKI et al. 1991) abgenommen werden. Beim Hund ist das VEP in den letzten Jahrzehnten vielfach untersucht worden (HOWARD u. BREAZILE 1972, MALNATI et al. 1981, BICHSEL et al. 1988, SIMS et al. 1989, STRAIN et al. 1990b, BUSERT 1990, STRAIN et al.

1991, SPIESS 1994). Die verschiedenen Untersuchungen weisen jedoch bezüglich der verwendeten Lichtquelle und der Platzierung der Elektroden ein großes Maß an Variabilität auf.

Die abgeleiteten VEP-Kurven setzen sich aus verschiedenen Gipfeln zusammen, deren Benennung in der Tiermedizin in der Regel in Anlehnung an die Nomenklatur der Humanmedizin erfolgt (HARDING 1974, BUSERT 1990, STRAIN et al. 1990b, 1991, SPIESS 1994). Dabei werden positive Ausschläge mit einem „P“ und negative Ausschläge mit einem „N“ gekennzeichnet (BICHSEL et al. 1988, SIMS et al. 1989, BUSERT 1990, STRAIN et al. 1990b, 1991, SPIESS 1994). Eine nachgeschaltete Zahl bezeichnet entweder die Reihenfolge des Erscheinens (BICHSEL et al. 1988, SIMS et al. 1989, BUSERT 1990, STRAIN et al. 1990b, 1991) oder die durchschnittliche Latenz dieses Gipfels (SPIESS 1994).

Da die visuell evozierten Potentiale neben individuellen Schwankungen einer Reihe von Artefakten ausgesetzt sind, dürfen in die Auswertung nur solche Gipfel eingehen, die wenigstens einmal reproduziert werden können (MÜHLAU 1990, SPIESS 1994).

Aus diesem Grunde muss mindestens eine Doppelbestimmung der Amplituden erfolgen (MÜHLAU 1990).

Die Positionierung der Elektroden, die Art der Lichtquelle und die Narkose bzw.

Sedation ist von Untersucher zu Untersucher verschieden (Tab. 1).

Tabelle 1:

Übersicht über Elektrodenposition, Lichtquelle und Narkose bzw. Sedation, die in der Literatur bei verschiedenen Untersuchern zur Untersuchung des VEP’s beim Hund verwendet werden.

Elektrodenposition der Untersucher

Ableitelektr. Referenzelektr. Lichtquelle Narkose/

Sedation

kontralateral weiß Thiamylal, Halothan

Bei allen Untersuchern erfolgt die Platzierung der Ableitelektrode im Bereich der Area optica. Ein Teil der Untersucher wählt dafür die Position Cz (HOWARD u. BREAZILE 1972, SIMS et al. 1989, BUSERT 1990), der andere Teil die Position Oz (AUNON et al. 1977, BICHSEL et al. 1988, STRAIN et al. 1990b, SPIESS 1994). Eine stärkere Variation findet sich in der Platzierung der Referenzelektrode. Eine vordere Platzierung in der Nähe der Augen wählen STRAIN et al. (1990b) mit der Position Fpz und HOWARD und BREAZILE (1972) am kontralateralen Auge. Eine hintere Platzierung führen MALNATI et al. (1981) und BUSERT (1990) mit dem kontralateralen Ohr und BICHSEL et al. (1988) mit dem kontralateralen Atlasflügel durch. SIMS et al. (1989) platzieren dagegen die Referenzelektrode am Kinn. Die Messung des VEP’s beim Hund erfolgt in der Mehrzahl der Fälle nach Stimulation mit ungemustertem Weißlicht (HOWARD u. BREAZILE 1972, MALNATI et al. 1981, BUSERT 1990, STRAIN et al. 1990b, 1991, SPIESS 1994). Dabei wird die Vermutung geäußert, dass es nach Stimulation mit Weißlicht zu elektroretinographischen Verunreinigungen der VEP-Kurve kommt (MALNATI et al.

1981, STRAIN et al. 1990b).

Als Lichtquelle wird bei der Evozierung von Potentialen beim Hund in der Mehrzahl der Fälle ungemusterte Weißlichtquellen eingesetzt (HOWARD u. BREAZILE 1972, MALNATI et al. 1981, BUSERT 1990, STRAIN et al. 1990b, STRAIN et al. 1991, SPIESS 1994). Ungemustertes Rotlicht wird zur Stimulation von VEP-Kurven von BICHSEL et al. (1988) eingesetzt, während SIMS et al. (1989) eine gemusterte Rotlichtquelle in Form einer LED-Brille einsetzen. In der Humanmedizin werden dagegen visuell evozierte Potentiale in der Regel mit Schachbrettmusterstimulation durchgeführt, da die Reizantworten gut reproduzierbar sind (MÜHLAU 1990). Die nach Blitzlichtstimulation mit ungemustertem Licht evozierten Potentiale zeigen eine deutlich höhere Variabilität. Die Messung erfolgt beim Menschen nur dann mit Blitzlicht, wenn durch eine Trübung der vorgeschalteten Medien eine Musterreizung nicht möglich oder mit fehlender Kooperativität des Patienten zu rechnen ist (MÜHLAU 1990).

Während STRAIN et al. (1990b, 1991) VEP-Kurven im Wachzustand ableiten, erscheint anderen die Ableitung von VEP-Kurven im Wachzustand nicht möglich (BICHSEL et al. 1988, BUSERT 1990). BUSERT (1990) gelingt die Ableitung von VEP-Kurven an mit Proprionylpromazin sedierten Hunden. Im Gegensatz dazu können BICHSEL et al. (1988) an Hunden, die mit Acepromazin, Acepromazin kombiniert mit Oxymorphon und Xylazin sediert sind, keine VEP-Kurven ableiten.

VEP-Kurven in Narkose leiten die Mehrzahl der Untersucher ab (HOWARD u.

BREAZILE 1972, MALNATI et al. 1981, BICHSEL et al. 1988, SIMS et al. 1989, SPIESS 1994). Den Einfluss von Lachgas auf das VEP untersucht SPIESS (1994), der nach einer Beimischung von Lachgas zum Halothan in einem Verhältnis von 1:1 ein völliges Verschwinden der VEP-Kurven nach 7 Minuten beobachtet. BICHSEL et al. (1988) können zeigen, dass verglichen mit dem VEP, das in Chloralhydrat-Narkose abgeleitet wird, kein Unterschied zu denen besteht, die in Halothan- oder Thiopental-Narkosen abgeleitet werden.

Die Mehrzahl der Untersucher stellt vor Beginn der Untersuchung die Pupillen weit, um einen maximalen Lichteinfall zu gewährleisten (HOWARD u. BREAZILE 1972, MALNATI et al. 1981, SIMS et al. 1989, SPIESS 1994). STRAIN et al. (1990) führen die Messungen mit unbeeinflussten Pupillen durch.

Beispielsweise leiten STRAIN et al. (1990b) die in Abbildung 8 dargestellten VEP-Kurven mit der Ableitelektrodenposition Oz und der Referenzelektrodenposition Fpz ab. Als Lichtquelle verwenden sie ungemustertes Weißlicht. Die Hunde dieser Untersuchung sind weder sediert noch narkotisiert, die Pupillenstellung ist medikamentell unbeeinflusst und es wird keine Dunkeladaptation durchgeführt. Es werden die nach Lichtstimulation evozierten Potentiale von 200 Stimuli gemittelt. Die Stimulationsfrequenz liegt bei 1,5/s. Es können 5 Gipfel (P1, N1, P2, N2 und P3) abgeleitet werden. Dabei stellen die Autoren in ihren VEP-Kurven elektroretinographische Komponenten in den vorderen Kurvenabschnitten (P1 und N1) fest. Um diese elektroretinographische Komponente möglichst gering zu halten, empfehlen sie eine Platzierung beider Elektroden auf dem Schädel. Durch die

Subtraktion der abgeleiteten Potentiale durch den Differenzverstärker soll so der Einfluss des Elektroretinogrammes vermindert werden (STRAIN et al. 1990b).

Abbildung 8:

Evozierte Potentiale nach Lichtstimulation mit einer ungemusterten Weißlichtquelle an den Elektrodenpositionen Oz(+) – Fpz(-) aus STRAIN et al. (1990b). Es können fünf positive und negative Gipfel (P1, N1, P2, N2 und P3) abgeleitet werden.

Strecke zwischen zwei Teilstrichen:

X-Achsenabschnitt: 25 ms; Y-Achsenabschnitt: 5 µV

Die Latenzen [ms] und Amplituden [µV] dieser Gipfel sind in der Tabelle 2 zusammengefasst (STRAIN et al. 1990b).

Tabelle 2:

Mittelwerte und Standardabweichungen der Latenzen [ms] und Amplituden [µV] der Gipfel P1, N1, P2, N2 und P3 der nach Lichtstimulation evozierten Potentiale der Untersuchung von STRAIN et al. (1990b).

P1

HOWARD und BREAZILE (1972) leiten mit der Ableitelektrodenposition Cz und der Referenzelektrodenposition über dem kontralateralen, rechten Auge die in Abbildung 9 dargestellten VEP-Kurven ab. Die Stimulation erfolgt mit ungemustertem Weißlicht an narkotisierten Hunden (Prämedikation: Thiamylal, Narkose: Methoxyfluran). Die Hunde befinden sich in einem chirurgischen Narkosestadium. Die Pupillen sind zuvor medikamentell weitgestellt worden. Die Messungen erfolgen am dunkel adaptierten Auge. Es werden 32 Potentiale gemittelt, die mit einer Stimulationsfrequenz von 1/s evoziert werden. Die VEP-Kurve wird von einem Gipfel dominiert, der eine durchschnittliche Latenz von 58,2 (± 11,4) ms mit einer durchschnittlichen Amplitude von 11,2 (± 6,14) µV besitzt. Eine Verunreinigung des VEP’s durch ein Elektroretinogramm wird von den Autoren ausgeschlossen.

Abbildung 9:

Nach Stimulation mit einer ungemusterten Weißlichtquelle an den Elektroden-positionen Cz(+) – Auge-kontralateral(-) abgeleitete evozierte Potentiale aus HOWARD und BREAZILE (1972). Ein Ausschlag nach oben entspricht einer positiven Entladung. Es kann eine Hauptentladung abgeleitet werden, die mit IV gekennzeichnet wird.

MALNATI et al. (1981) untersuchen evozieren Potentiale mit verschiedenen Ableitelektrodenpositionen, die von rostral nach kaudal auf dem Schädel verteilt sind.

Die Referenzelektrode wird bei allen Messungen an der Ohrbasis befestigt. Die Stimulation erfolgt mit einer ungemusterten Weißlichtquelle. Die Hunde werden mit Thiamylal und Halothan narkotisiert und befinden sich in einem leichten Stadium der Narkose. Die Pupillen sind medikamentell weitgestellt und die Messung wird in Dunkeladaptation durchgeführt. Es werden die nach Lichtstimulation evozierten Potentiale von 32 Lichtblitzen mit einer Frequenz von 1 /min gemittelt. Das Elektroretinogramm wird bei diesem Untersuchungsaufbau bis an die Position Cz weitergeleitet. Durch die Abnahme des ERG’s kaudal der Retina kommt es dabei zu einer Umkehr des Potentials, so dass die B-Welle nach unten ausschlägt. Diese Potentiale sind auch nach der Durchtrennung des Sehnerven des stimulierten Auges noch ableitbar, so dass der retinale Ursprung als gesichert erscheint. MALNATI et al.

(1981) machen dafür eine Konduktion des Elektroretinogrammes auf der Schädelkalotte verantwortlich.

BUSERT (1990) fertigt in seiner Untersuchung VEP-Kurven mit verschiedenen ipsi- und kontralateralen Ableitelektrodenpositionen an. Die Referenzelektrode wird an der Ohrbasis platziert. Die Stimulation erfolgt mit ungemustertem Weißlicht. Die Hunde werden zur Ableitung der VEP-Kurven mit einem Phenothiazinderivat (Combelen) sediert. Die Pupillen befinden sich in medikamenteller Mydriasis. Es werden VEP-Kurven sowohl im dunkel als auch hell adaptierten Zustand abgeleitet. Die Lichtintensitätsstufe liegt bei 1 und die Stimulationsfrequenz bei 1,4/s. Es können 5 Gipfel (N2, P2, N3, P3 und N4) abgeleitet werden. Die Abbildung 10 zeigt die nach Lichtstimulation evozierten Potentiale nach Helladaptation. Seine Untersuchungen zeigen, dass die von ihm abgeleiteten VEP-Kurven keine elektroretinographischen Komponenten enthalten. Ihm zu Folge sind im Vergleich zur Stimulation mit Weißlicht nach Stimulation mit ungemustertem Rot- und Blaulicht lediglich deutlich kleinere VEP-Kurven abzuleiten. Eine Ableitung des VEP’s erscheint ihm im Wachzustand nicht möglich.

Abbildung 10:

Nach Stimulation mit einer ungemusterten Weißlichtquelle an den Elektroden-positionen Fz/Cz(+) – Ohrbasis-kontralateral(-) in Helladaptation abgeleitete

evozierte Potentiale aus BUSERT (1990). Ein Ausschlag nach oben entspricht einer negativen Entladung. Es können fünf Entladungen unterschieden werden, die als N2, P2, N3, P3 und N4 bezeichnet werden.

Strecke zwischen zwei Teilstrichen:

X-Achsenabschnitt: 30 ms; Y-Achsenabschnitt: 4,8 µV

Die Latenzen und Amplituden der von BUSERT (1990) abgeleiteten VEP-Kurven nach Stimulation im hell adaptierten Zustand mit der Ableitelektrode kontralateral der Christa sagitalis in der Nähe des Okziputs sind in der Tabelle 3 zusammengefasst.

Tabelle 3:

Mittelwerte und Standardabweichungen der Latenzen [ms] und Amplituden [µV] der Gipfel N2, P2, N3, P3 und P4 des VEP‘s der Untersuchung von BUSERT (1990).

Auge N2

OS 33,6 44,74 2,84 82,8 9,94 145,5 17,04 222,9 Mittel-

wert OD 32,06 41,83 2,79 79,89 9,41 149,8 14,59 214,9 OS 4,67 5,9 1,31 5,01 3,03 8,26 6,96 36,86 Standard-

abw. OD 5,04 4,9 1,49 6,05 4,42 15,47 8,39 48,7

BICHSEL et al. (1988) untersuchen die Ableitung visuell evozierter Potentiale bei verschiedenen Ableitelektrodenpositionen. Die Ableitelektrode wird jeweils an den Positionen Fz, Cz und Oz platziert und die Referenzelektrode am kontralateralen Atlasflügel. Die Stimulation erfolgt mit ungemustertem Rotlicht bei Hunden, die mit unterschiedlichen Medikamenten sediert (Acepromazin, Acepromazin mit Oxymorphon und Xylazin) bzw. narkotisiert (Prämedikation mit Thiopental und Narkose mit Chloralhydrat oder Halothan) werden. Die narkotisierten Hunde befinden sich im Narkosestadium III 2 bis 3. Die Abbildung 11 zeigt in Chloralhydrat-Narkose evozierte VEP-Kurven. Es werden bei unbeeinflussten Pupillen und im hell adaptierten Zustand die nach Lichtstimulation evozierten Potentiale von 200 bis 800 Stimuli gemittelt. Die Latenzen und Amplituden für drei negative Gipfel (N1, N2 und N3) werden bestimmt. Es werden pro Messung jedoch nur je zwei dieser drei Gipfel abgeleitet. N1 wird am häufigsten abgeleitet (85% der Messungen), während N3 in 38% und N2 in 31% der Fälle bestimmt werden kann. Die durchschnittliche Latenz von N1 beträgt bei dieser Narkose 55,9 ms, die von N2 72,0 ms und die von N3 86,3 ms. Die abgeleiteten VEP‘s weisen laut BICHSEL et al. (1988) keine elektroretinographische Komponenten auf. Dies führen die Untersucher auf die Stimulation mit Rotlicht zurück, welches ein kleineres Elektroretinogramm evoziert,

als die Stimulation mit Weißlicht. Nicht möglich ist in dieser Untersuchung die Ableitung von Kurven beim wachen und sedierten Hund. Die Analyse der VEP-Komponenten bei den verschiedenen Narkotika (Chloralhydrat, Thiopental und Halothan) ergibt keine signifikanten Unterschiede.

Abbildung 11:

Nach Stimulation mit einer ungemusterten Rotlichtquelle an den Elektroden-positionen Oz(+) – Auge-kontralateral(-) abgeleitete evozierte Potentiale aus BICHSEL et al. (1988). Ein Ausschlag nach oben entspricht einer negativen Entladung. Die Hunde befinden sich in Chloralhydrat-Narkose. In 85% der Messungen wird der in diesen VEP-Kurven dominierende Gipfel N1 abgeleitet.

SIMS et al. (1989) leiten zur Untersuchung von VEP-Kurven nach Lichtstimulation evozierte Potentiale mit den Ableitelektrodenpositionen Fpz, Fz, Cz, Oz, O1 und O2 nach Stimulation mit einer LED-Brille ab. Die Referenzelektrode wird am Kinn platziert. Die Hunde sind für diese Untersuchung mit Acepromazin prämediziert und Isofluran narkotisiert. Es werden keine Angaben über das Narkosestadium gemacht.

Die Pupillen werden medikamentell weitgestellt. Die Untersuchung wird hell adaptiert durchgeführt. Die Ergebnisse von 256 Stimuli mit einer Frequenz von 1,3/s werden gemittelt. Die Abbildung 12 zeigt die nach Lichtstimulation evozierten Potentiale dieser Untersuchung. An den Ableitelektrodenpositionen Fpz wird die A- und B-Welle des ERG’s abgeleitet, während die Ableitelektrodenposition Fz keine eindeutige Entladung zeigt. An den Ableitelektrodenpositionen Cz und Oz dagegen können regelmäßig drei positive Gipfel (P1, P2 und P3) abgeleitet werden. In der Tabelle 4 finden sich beispielhaft die Werte für die Ableitelektrodenposition Cz. Das mit der Ableitelektrode an der Position Cz abgeleitete VEP war durchschnittlich etwas größer, als das mit der Ableitelektrodenposition Oz. Die bei dieser Untersuchung an den Ableitelektrodenpositionen Cz und Oz evozierten Potentiale besitzen keine elektroretinographische Komponente, da nach dem Durchtrennen des Sehnerven bei erhaltenem ERG kein VEP mehr ableitbar ist. Den Grund dafür sehen SIMS et al.

(1989) in einem im Vergleich zur Weißlichtstimulation kleinerem ERG aufgrund der Rotlichtreizung und der Helladaptation der Netzhaut.

Abbildung 12:

Visuell evozierte Potentiale abgeleitet nach Stimulation mit einer gemusterten Rotlichtquelle mit den Elektrodenpaaren Oz(+) – Ch(-), Cz(+) – Ch(-), Fz(+) – Ch(+) und Fpz(+) – Ch(-) aus SIMS (1989). Ein Ausschlag nach oben entspricht einer positiven Entladung. Es werden pro Elektrodenpaar für jeden der drei Hunde zwei Kurven abgeleitet. Mit den Elektrodenpositionen Oz(+) – Ch(-) und Cz(+) – Ch(-) können drei positive Gipfel abgeleitet werden, die mit P1, P2 und P3 gekennzeichnet werden. Die Ableitung Fz(+) – Ch(-) zeigt keine eindeutige Entladung, während mit der Positionierung Fpz(+) – Ch(-) die A- und B-Welle des ERG’s abgeleitet wird.

Strecke zwischen zwei Teilstrichen:

X-Achsenabschnitt: 25 ms; Y-Achsenabschnitt: 0,6 µV

Tabelle 4:

Mittelwerte und Standardabweichung der Latenzen [ms] der Gipfel P1, P2 und P3 des VEP’s der Untersuchung von SIMS et al. (1989).

P1 [ms]

P2 [ms]

P3 [ms]

Mittelwert 22,6 46,9 66,6

Standard- abweichung

3 3,4 5

SPIESS (1994) leitet VEP-Kurven ab, bei denen die Ableitelektrode an der Position Oz und die Referenzelektrode auf dem Nasenrücken (Nz) platziert ist. Die Stimulation wird mit ungemustertem Weißlicht durchgeführt (Abb. 13). Die Hunde sind für diese Untersuchung mit Acepromazin, Thiamylal und Halothan narkotisiert worden. Die Hunde befinden sich im chirurgischen Narkosestadium. Die Pupillen werden medikamentell weitgetropft. Die Messungen erfolgen im hell adaptierten Zustand. Es werden die nach Lichtstimulation evozierten Potentiale von 128 Stimuli gemittelt. Die Lichtintensität liegt bei 5 und 10 A, wobei die Stimulation mit 10 A bessere Resultate liefert. Das VEP besitzt drei positive und drei negative Gipfel, die vom Autor als P23, N40, P50, N70, P100 und N115 bezeichnet werden. Neben der frühen Komponente P23 ist der Komplex N70-P100-N115 am regelmäßigsten identifizierbar. Die Gipfelzeiten und die Amplituden der Untersuchung von SPIESS (1994) sind aus den Tabellen 5 und 6 ersichtlich.

Abbildung 13:

Visuell evozierte Potentiale nach Stimulation mit einer ungemusterten Weißlichtquelle an den Elektrodenpositionen Oz(+) Nz(-) aus SPIESS (1994). Ein Ausschlag nach oben entspricht einer negativen Entladung. Es können sechs Entladungen

unterschieden werden, die als P23, N40, P50, N70, P100 und N115 bezeichnet werden.

Tabelle 5:

Mittelwerte und Standardabweichungen der Latenzen [ms] der Gipfel P23, N40, P50, N70, P100 und N115 der visuell evozierten Potentiale der Untersuchung von SPIESS (1994).

Tabelle 6:

Mittelwerte und Standardabweichungen der Amplituden [µV] der Gipfel P23, N40, P50, N70, P100 und N115 der visuell evozierten Potentiale der Untersuchung von SPIESS (1994).

Es wird deutlich, dass die Ursache elektroretinographischer Komponenten bei der Ableitung des VEP’s durch keine der vorherigen Untersuchungen abschließend geklärt werden konnte. Die Stimulation mit ungemustertem Weißlicht führt bei einem Teil der Untersucher zu elektroretinographischen Komponenten bei der Ableitung des VEP’s (STRAIN et al. 1990b, MALNATI et al. 1981). Die Verwendung von Rotlicht in ungemusterter (BICHSEL et al. 1988) und gemusterter Form (SIMS et al. 1989) führt zu VEP-Kurven ohne elektroretinographische Komponente, was von diesen Untersuchern auf die Verwendung des Rotlichtes zurückgeführt wird. Da jedoch nach Stimulation mit ungemustertem Weißlicht die Abnahme des VEP’s bei anderen Untersuchern ohne elektroretinographische Komponente möglich ist (HOWARD u.

BREAZILE 1972, BUSERT 1990, SPIESS 1994), kann die Art der Lichtquelle nicht der alleinige Grund für die Evozierung elektroretinographischer Komponenten sein.

Eine erhebliche Variation findet sich bei den verschiedenen Untersuchern auch in der Platzierung der Elektroden (Tab. 1). Daher ist es Ziel dieser Arbeit, die Ursache für elektroretinographische Komponenten bei der Ableitung des VEP’s in Abhängigkeit von der Elektrodenpositionierung und der verwendeten Lichtquelle zu untersuchen, um so die Grundlage für eine Standardisierung der VEP-Messung zu schaffen.

Bei der Interpretation des VEP’s beim Menschen gilt der Grundsatz, dass deren Amplitude ein Maß für die Anzahl leitender Axone darstellt, die Latenzzeit dagegen direkt von der Leitgeschwindigkeit abhängt. Da das VEP beim Menschen die inter- und intraindividuelle Variabilität von Form und Amplitude schon bei Normalpersonen wesentlich ausgeprägter ist als die der Latenzen, ist der Wert der Amplituden in der (Früh-)Diagnostik wesentlich geringerer bzw. unsicherer als der der Latenzen (MÜHLAU 1990). Beim erwachsenen Menschen dienen visuell evozierte Potentiale vor allem der Diagnostik von Erkrankungen des Sehnerven (CAMMAN 1985b).

Mittels des VEP’s gelingt es subklinische Störungen des Sehnerven zu erfassen, da Latenzveränderungen Störungen in der Leitungsgeschwindigkeit verlässlich anzeigen (MÜHLAU 1990). Dabei stehen Demyelinisierungsprozesse des Sehnerven im Vordergrund und aus diesem Grunde hat das VEP eine große Bedeutung bei der Diagnose von Multipler Sklerose (POSER 1980, KJAER 1983, CAMMAN 1985a, RIGOLET et al. 1989, SANCHEZ-CALDERON et al. 1998). In der akuten Phase der Demyelinisierung ist häufig kein VEP mehr abzuleiten, was durch einen hochgradigen Leitungsblock erklärt wird. Mit Erholung des Visus kommt es auch zu einer Erholung der Amplitude mit jetzt aber deutlich verlängerten Latenzzeiten infolge unvollständiger Remyeliniserung mit verlangsamter Leitungsgeschwindigkeit (MÜHLAU 1990). Bei subklinischer Erkrankung ist die Messung des VEP’s sehr sensitiv (POSER 1980, KJAER 1983). Ebenfalls spielt es eine Rolle bei der Feststellung von Neuritiden des Nervus opticus (KJAER 1983, MÜHLAU 1990).

Kompressive Läsionen im Bereich des Chiasma opticum führen auch zu Veränderungen in der VEP-Kurve (BRECELJ 1994). Am häufigsten werden bei diesen kompressiven Läsionen Amplitudenreduktionen gefunden, häufig als alleiniger pathologischer Befund. Latenzverzögerungen finden sich viel seltener und dann von geringer Ausprägung (MÜHLAU 1990). Bei retrochiasmale Störungen ist die Korrelation zwischen Klinik und VEP-Messung jedoch viel weniger konstant. So schließt ein erhaltenes VEP eine organische Ursache einer Blindheit nicht aus (MÜHLAU 1990). Veränderte visuell evozierte Potentiale zeigen an der Alzheimer Krankheit erkrankte Patienten, die sich in einer Latenzverzögerung äußert (POLLOCK et al. 1989). Veränderungen finden sich ebenfalls bei Patienten, die an

der Parkinson Krankheit leiden (BODIS-WOLLNER 1997). Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der Diagnostik von möglichen Seheinschränkungen beim Kleinkind, die durch fehlende Kommunikation auf anderem Wege erschwert ist (FULTON et al. 1989, TAYLOR u. MCCULLOCH 1992, APKARIAN 1994). Eine weitere Nutzung von visuell evozierten Potentialen besteht in toxikologischen Studien (MATSUZAWA et al.

1997). Am besten dokumentiert sind Optikusneuropathien bei folgenden Substanzen:

Ethambutol, Isonyacid, Blei, Methylalkohol, Phenothiazine, Chinin, Thallium, Arsensäure, Tetrachlorkohlenstoff, Chloramphenicol und Digitalis (MÜHLAU 1990).

Beim Tier gibt es nur vereinzelte Berichte über den klinischen Einsatz visuell evozierter Potentiale. Beim Hund berichtet BUSERT (1990) von einer blinden Rottweilerhündin, die an einem Adenokarzinom des exokrinen Pankreas mit Metastasierung unter anderem in die Hirnbasis in die Nähe der Hypophyse litt. Das VEP ist bei erhaltenem ERG beidseitig vollständig ausgelöscht. MILLER (1991) erwähnt ein beidseitig negatives VEP bei erhaltenen, aber reduzierten Elektroretinogrammen bei einem blinden Dackel mit einem Meningiom im Bereich der Hypophyse. STRAIN et al. (1990a) kann Amplitudenreduktionen ohne Latenzveränderungen bei an Polioenzephalomalazie und Listeriose erkrankten Wiederkäuern zeigen. Diese Veränderungen der VEP-Kurven können bei Schafen, bei denen durch Amprolium eine Polioenzephalomalazie induziert wurde, ebenfalls beobachtet werden (STRAIN et al. 1992). Ebenfalls Amplitudenreduktionen zeigen Schafe, die an Scrapie erkrankt sind (STRAIN et al. 1986). Andere Berichte über den Einsatz des VEP’s zur unterstützenden Diagnostik intrakranieller Erkrankungen fehlen in der zugänglichen Literatur. Daher sollen in dieser Untersuchung bei Patienten mit fokalen intrakraniellen Läsionen im Bereich der Sehbahn VEP-Kurven abgeleitet und auf ihre Ausssagekraft beurteilt werden.

III Eigene Untersuchungen