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2 VEP bei Patienten mit ausgewählten intrakraniellen Erkrankungen

2.2 Patienten mit Seheinschränkungen

Bei dem ersten Patienten (# 98 242) handelte es sich um einen männlichen Cocker Spaniel, der zum Zeitpunkt der Vorstellung acht Jahre alt war. Dem Besitzer waren seit etwa vier Wochen Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule aufgefallen. Die Verabreichung von Kortikosteroiden brachte keine Besserung der Symptome.

Zusätzlich erhielt der Hund L-Thyroxin, da eine Hypothyreose festgestellt worden war.

Bei der Allgemeinuntersuchung war auffällig, dass der Hund nur mit gesenktem Kopf lauffähig war. Bei Manipulationen am Kopf und Halsbereich erwies er sich als hgr.

schmerzhaft. Bei der Untersuchung der Kopfnerven zeigte sich, dass der linke Drohreflex negativ war. Die Pupille dieses Auges war nicht reaktiv in Mittelstellung.

Der Drohreflex des rechten Auges war positiv und die Pupille reaktiv.

Die VEP-Kurven beider Augen zeigt die Abbildung 40. Die VEP-Kurven des linken und des rechten Auges zeigten eine hgr. Latenzverzögerung der Punkte N2 und P2, die auf der linken Seite deutlich stärker war. Während auf der rechten Seite die Latenz des Punktes N1 im Referenzbereich lag, war die Latenzverzögerung von N1 des rechten Auges hgr. verzögert. Die Amplituden nach Stimulation des linken Auges waren im Vergleich zur rechten Seite reduziert. Diese Reduktion lag bei durchschnittlich 30%. Die Werte für die Latenzen und Amplituden finden sich in der Tabelle 10. Aufgrund der Erfahrungen aus der Humanmedizin war davon auszugehen, dass die Amplitudenreduktion auf eine Abnahme der leitenden Axone der peripheren Sehbahn des linken Auges zurückzuführen war. Die Latenzverzögerungen deuteten jedoch ebenfalls an, dass die Reizleitung im Bereich der Axone beider Sehnerven herabgesetzt war.

a) b)

Abbildung 40:

Drei nacheinander abgeleitete VEP-Kurven nach Stimulation des linken (a) bzw. des rechten (b) Auges des Patienten (# 98 242). Bei beiden Augen war nach

Lichtstimulation eine Latenzverzögerung feststellbar. Die Latenzverzögerungen für N2 und P2 waren für beide Augen hgr.. Während jedoch nach Stimulation des rechten Auges die Latenz von N1 im Referenzbereich lag, war N1 des linken Auges hgr. verzögert. Die Amplitude P1N2 nach Stimulation des linken Auges war im Vergleich zur rechten Seite um 30% kleiner.

Tabelle 10:

Latenzen- und Amplitudenwerte für die VEP-Kurven des Patienten # 98 242 mit einem Meningiom im Bereich der Fossa hypophysealis.

OS OD Patient

# 98 242

Einzelwerte Mittelwert Bewertung Einzelwerte Mittelwert Bewertung

N1 64,0/62,4/64,0 63,5 ↑↑↑ 43,2/43,2/45,2 43,9 O P1 70,0/70,8/68,8 69,9 ↑↑ 61,6/63,6/65,2 63,5 ↑ N2 111,6/116,8/110 112,8 ↑↑↑ 106/108/110,8 108,3 ↑↑↑

Latenz [ms] P2 174,8/166/173,2 171,3 ↑↑↑ 168,4/177,6/175 173,7 ↑↑↑

N1P1 1,87/2,11/1,72 1,9 0,65/1,28/1,04 1

Amplitude [µV]

P1N2 8,44/7,94/7,89 8,1 13,46/12,89/12,7 13 O – Latenz im Referenzbereich

↑ – ggr. Latenzverzögerung

↑↑ – mgr. Latenzverzögerung

↑↑↑ – hgr. Latenzverzögerung

Die Computertomographie des Schädels zeigte eine Anreicherung von Kontrastmittel im Bereich der Hypophyse, die deutlich linksbetont war (Abb. 41). Aufgrund der schlechten Prognose wurde das Tier auf Wunsch der Besitzer euthanasiert und dem Institut für Pathologie zugeführt.

Abbildung 41:

Cocker Spaniel Rüde, acht Jahre (# 98 242): Computertomographisches Bild,

Transversalschnitt im Weichteilfenster nach Kontrastmittelapplikation. Im Bereich der Fossa hypophysealis (Pfeil) ist eine hyperdense Umfangsvermehrung zu erkennen, die eine deutliche Linksbetonung zeigte. „L“ kennzeichnet die linke Seite des

Schädels.

Die pathohistologische Untersuchung ergab ein größtenteils expansiv wachsendes, aber auch das Neuropil insbesondere perivaskulär infiltrierendes, fibromatöses Meningiom. Auch in beiden Sehnerven fanden sich Infiltrationen von Tumorzellen. Im Bereich des Chiasma opticum war eine vereinzelte Schwellung von Axonen festzustellen. Im Bereich des Neuropils waren histologisch Sphaeroide erkennbar.

Aufgrund der vorliegenden Befunde wurde die Diagnose eines fibromatösen Meningioms in direkter Nachbarschaft der Hypophyse gestellt.

Durch die Messung des VEP’s konnte also neben der deutlichen Linksbetonung der Läsion, die in der Computertomographie deutlich wurde, auch eine direkte Beeinflussung der Leitungsgeschwindigkeit der Axone vermutet werden, die die pathohistologgische Untersuchung mit der Axonschwellung im Bereich des Chiasma opticums bestätigte.

Der zweite Patient (# 12 758), ein dreijähriger Mischlingsrüde wurde wegen massiver Seheinschränkungen vorgestellt. Der Rüde lief gegen Gegenstände, er erschien dem Besitzer jedoch nicht vollständig erblindet. Diese Veränderungen lagen seit sechs Monaten vor.

Die Allgemeinuntersuchung war unauffällig. Bei der neurologischen Untersuchung fiel ein ventrolateraler Strabismus auf der rechten Seite auf. Der Drohreflex des rechten Auges war negativ, die Pupillen befanden sich in Mydriasis und waren direkt und indirekt nicht reaktiv. Der Drohreflex des linken Auges war hgr. reduziert und der direkte und indirekte Pupillarreflex nur ggr. vorhanden.

Die VEP-Kurven dieses Patienten zeigt die Abbildung 42. Nach Stimulation des rechten Auges war das VEP ausgelöscht. Die kleinen VEP-Kurven des linken Auges zeigten eine mgr. Latenzverkürzung für den Punkt P1, während die Latenzen von P1 und N2 im Normbereich lagen. Die Latenz von P2 war mgr. verzögert. Die Werte der Latenzen und Amplituden finden sich in der Tabelle 11. Bei diesem Patienten war von einem Leitungsblock im Bereich der Sehbahn des rechten Augen auszugehen, da keine VEP-Kurven abzuleiten waren. Die kleinen VEP-Kurven nach Stimulation des linken Auges ließen in Anlehnung an die Humanmedizin eine Kompression im Bereich der Sehbahn des rechten Auges vermuten. Sollte dieser Patient eine fokale

Läsion besitzen, so war diese im Bereich des Chiasma opticum, dem Kreuzungspunkt der Sehbahnen beider Augen, zu vermuten und eine Rechtsbetonung zu erwarten.

a) b)

Abbildung 42:

Drei nacheinander abgeleitete VEP-Kurven nach Stimulation des linken (a) bzw. des rechten (b) Auges des Patienten (# 12 758). Am linken Auge war nach

Lichtstimulation ein kleines positives Restpotential abzuleiten, das eine

durchschnittliche Latenz von 37,3 ms mit einer Amplitude bei 5,2 µV aufwies. Nach Stimulation des rechten Auges waren keine visuell evozierten Potentiale ableitbar.

Bei diesem Patienten wurde mit Hilfe der Computertomographie eine Umfangsvermehrung im Bereich der Hypophyse festgestellt.

Tabelle 11:

Latenzen- und Amplitudenwerte für die VEP-Kurven des Patienten # 12 758 mit einer kontrastmittelanreichernden Struktur im Bereich der Hypophyse.

OS OD Patient

# 12 758

Einzelwerte Mittelwert Bewertung Einzelwerte Mittelwert Bewertung

N1 20,4/21,2/24,4 22 ↑↑

P1 34,4/41,6/36,0 37,3 O N2 89,2/96,4/80,8 88,8 O

Latenz [ms] P2 147,2/140/123,6 136,9 ↓↓

N1P1 3,56/5,2/6,95 5,2

Amplitude [µV]

P1N2 6,09/7,05/7,32 6,8

Auslöschung

O – Latenz im Referenzbereich

↓↓ – mgr. Latenzverkürzung

↑↑ – mgr. Latenzverzögerung

Die Computertomographie des Schädels zeigte eine ca. 1,3 x 1,0 cm große hgr.

kontrastmittelanreichernde rundliche Struktur (Dichte ca. 85 HU) im Bereich der Hypophyse (Abb. 43). Die pathohistologische Untersuchung einer Biopsie aus diesem Bereich ergab Hinweise auf einen malignen Tumor, der Ähnlichkeiten mit einem Meningiom aufwies. Die vorliegenden Untersuchungen ermöglichten die Diagnosestellung eines malignen Tumors im Bereich der rostralen Fossa, bei dem es sich wahrscheinlich um ein Meningiom handelte.

Wie die Auswertung der VEP-Kurven vermuten ließen, wurde bei diesem Patienten eine fokale Läsion im Bereich des Chiasma opticums festgestellt, die ebenfalls eine leichte Rechtsbetonung aufwies.

Abbildung 43:

Mischlingsrüde, drei Jahre (# 12 758): Computertomographisches Bild,

Transversalschnitt im Weichteilfenster nach Kontrastmittelapplikation. Im Bereich der Fossa cranii media ist eine hyperdense Umfangsvermehrung zu erkennen. „L“

kennzeichnet die linke Seite des Schädels.

Bei dem dritten Patienten (# 93 553) handelte es sich um einen sieben Jahre alten Hovawart. Dem Besitzer war aufgefallen, dass der Rüde schlechter sah. Zum Teil hatte er große Gegenstände nicht mehr wahrgenommen und konnte den Ball nicht verfolgen.

Die Allgemeinuntersuchung war unauffällig. Die Drohreflexe beider Augen waren negativ. Die direkten und indirekten Pupillarreflexe beider Augen waren negativ, die Pupillen befanden sich in Mydriasis.

Die VEP-Kurven dieses Patienten zeigt die Abbildung 44. Die VEP-Kurven des linken Auges waren hgr. verändert, es war lediglich ein kleines positives Restpotential erhalten, der zweite negative Gipfel fehlte fast vollständig. Die Latenz von N1 war mgr. und die Latenz von P1 ggr. verkürzt. Die Latenz von N2 war ggr. verzögert. Die VEP-Kurven nach Stimulation des rechten Auges waren vollständig ausgelöscht. Die Werte der Latenzen und Amplituden finden sich in der Tabelle 12. Die Amplitudenreduktion nach Stimulation der linken Seite lassen wie bei dem vorherigen Patienten eine Kompression im Bereich der Sehbahn vermuten. Aufgrund der vollständig ausgelöschten VEP-Kurven nach Stimulation des rechten Auges war von einem vollständigen Leitungsblock der Sehbahn dieses Auges auszugehen.

Zusammenfassend war also erneut eine rechtsbetonte Läsion im Bereich des Chiasma opticums zu vermuten.

a) b)

Abbildung 44:

Drei nacheinander abgeleitete VEP-Kurven nach Stimulation des linken (a) bzw. des rechten (b) Auges des Patienten (# 93 553). Am linken Auge war nach

Lichtstimulation ein kleines positives Restpotential abzuleiten, das eine

durchschnittliche Latenz von 34,1 ms mit einer Amplitude bei 3,8 µV aufwies. Nach Stimulation des rechten Auges waren nach Lichtstimulation keine visuell evozierten Potentiale ableitbar. Bei diesem Patienten wurde mit Hilfe der Computertomographie ebenfalls eine Umfangsvermehrung im Bereich der Hypophyse festgestellt.

Tabelle 12:

Latenzen- und Amplitudenwerte für die VEP-Kurven des Patienten # 93 553 mit einer hyperdensen Struktur im Bereich der Hypophyse.

OS OD Patient

# 93 553

Einzelwerte Mittelwert Bewertung Einzelwerte Mittelwert Bewertung

N1 16/14,4/20,4 16,9 ↓↓

P1 35,2/33,2/34 34,1 ↓ N2 95,6/101,6/104,8 100,7 ↑↑↑

Latenz [ms] P2 n.i. n.i. n.i.

N1P1 3,125/4,45/3,7 3,8

Amplitude [µV]

P1N2 5,44/5,34/6,28 5,7

Auslöschung

O – Latenz im Referenzbereich

↓↓ – mgr. Latenzverkürzung

↑↑↑ – hgr. Latenzverzögerung n.i. – nicht identifiziert

Die Computertomographie des Schädels zeigte eine hyperdense Struktur im Bereich der Hypophyse, die hgr. Kontrastmittel anreicherte. Sie war etwa 2 x 2 cm groß und zeigte eine hgr. Seitenbetonung nach rechts (Abb. 45). Aufgrund der vorliegenden Befunde konnte die Verdachtsdiagnose eines tumorösen Prozesses im Bereich der Hypophyse gestellt werden.

Die Befunde der computertomographischen Untersuchung des Schädels bestätigte die prospektiv vermutete Läsion im Bereich des Chiasma opticum. Ebenfalls bestätigen ließ sich die Seitenbetonung, da die Läsion eine deutlichere Ausprägung nach rechts aufwies.

a) b)

Abbildung 45:

Hovawartrüde, sieben Jahre (# 93 553): Computertomographisches Bild, im Weichteilfenster nach Kontrastmittelapplikation, a) Transversalschnitt, b) Dorsalschnitt. Im Bereich der Fossa cranii media ist eine hyperdense,

kontrastmittelanreichernde Umfangsvermehrung erkennbar. Diese Struktur zeigt ein deutlich größeres Ausmaß auf der rechten Seite. „L“ kennzeichnet die linke Seite des Schädels.

Der vierte Patient (# 103 229) wurde vorgestellt, da fünf Tage zuvor eine große Pupille auf der linken Seite aufgefallen war. Der sechsjährige, männliche Retrievermischling stolperte über Bordsteine und lief in Gegenstände, die sich auf der linken Seite befanden.

Bei der Allgemeinuntersuchung konnte eine hgr. Bradykardie festgestellt werden, alle übrigen Befunde waren unauffällig. Bei der neurologischen Untersuchung fiel eine Hyperästhesie des Schädels auf. Die Drohreflexe beider Augen waren negativ. Die Pupille des rechten Auges war direkt unvollständig reaktiv, ein indirekter Pupillarreflex konnte nicht festgestellt werden. Die Pupille des linken Auges befand sich in fast vollständiger Mydriasis und war direkt wie indirekt nicht reaktiv. Die Papillen beider Augen zeigten eine deutliche Vorwölbung.

Die VEP-Kurven beider Augen finden sich in der Abbildung 46. Die VEP-Kurven des linken Auges zeigten ein kleines positives Restpotential. Die Latenzen des Punktes N1 waren mgr. verkürzt, während die Latenzen der übrigen Punkte im Normbereich lagen. Die VEP-Kurven des rechten Auges waren vollständig ausgelöscht. Die Werte der Latenzen und Amplituden finden sich in der Tabelle 13. Neben einem vollständigen Leitungsblock nach Stimulation des rechten Auges, löste die Stimulation des linken Auges hgr. reduzierte VEP-Kurven aus. Dies deutete auf eine deutliche Reduktion der leitenden Axone hin. Da nach Stimulation der linken Seite weiterhin Potentiale auszulösen waren, konnte eine Kompression im Bereich des Chiasma opticum mit Seitenbetonung nach rechts vermutet werden.

a) b)

Abbildung 46:

Drei nacheinander abgeleitete VEP-Kurven nach Stimulation des linken (a) bzw. des rechten (b) Auges des Patienten (# 103 229). Nach Stimulation des linken Auges konnte ein kleines positives Restpotential abgeleitet werden, dessen

durchschnittliche Latenz bei 33,6 ms mit einer Amplitude von 1,8 µV lag. Nach Stimulation des rechten Auges waren nach Lichtstimulation keine visuell evozierten Potentiale ableitbar. Bei diesem Patienten wurde mit Hilfe der Computertomographie eine Umfangsvermehrung im Bereich der Hypophyse festgestellt.

Tabelle 13:

Latenzen- und Amplitudenwerte für die VEP-Kurven des Patienten # 103 229 mit einer hyperdensen Struktur im Bereich der Hypophyse

OS OD Patient

# 103 229

Einzelwerte Mittelwert Bewertung Einzelwerte Mittelwert Bewertung

N1 13,2/14,8/11,6 13,2 ↓↓↓

P1 34,0/34,0/32,8 33,6 O N2 72,4/82,4/85,2 80 O

Latenz [ms] P2 121,2/121,2/112 118,1 O

N1P1 1,04/1,8/2,55 1,8

Amplitude [µV]

P1N2 1,92/3,57/0,81 2,1

Auslöschung

O – Latenz im Referenzbereich

↓↓↓ – mgr. Latenzverkürzung

Die Computertomographie des Schädels zeigte eine etwa 2,5 x 3,0 große hyperdense Struktur im Bereich der Hypophyse, die hgr. Kontrastmittel angereichert hat (Abb. 47). Aufgrund der vorliegenden Befunde konnte die Verdachtsdiagnose eines tumorösen Prozesses im Bereich der Hypophyse gestellt werden.

Diese Befunde ließen sich mit den zuvor vermuteten Veränderungen in Einklang bringen. Die Läsion befand sich wie vermutet im Bereich des Chiasma opticum, die ebenfalls die angesprochene Seitenbetonung besaß.

Abbildung 47:

Mischlingsrüde, sechs Jahre (# 103 229): Computertomographisches Bild,

Transversalschnitt im Weichteilfenster nach Kontrastmittelapplikation. Im Bereich der Fossa hypophysealis ist nach Kontrastmittelapplikation eine hyperdense

Umfangsvermehrung zu erkennen. Der Tumor zeigte eine deutlich Rechtsbetonung.

„L“ kennzeichnet die linke Seite des Schädels.

Verglich man die Befunde der letzten vier Patienten, so wurde deutlich, dass wie bei den erblindeten Patienten eine Läsion im Bereich des Kreuzungspunktes der peripheren und zentralen Sehbahn die Ursache für die Seheinschränkungen darstellten. Im Gegensatz zu den vollständig erblindeten Patienten wurden bei den letzten drei Patienten mit massiven Seheinschränkungen jedoch Restpotentiale abgeleitet. Diese Restpotentiale waren als Ausdruck des Restsehvermögens dieser Patienten anzusehen und ließen sich in allen vier Fällen mit der unterschiedlichen Seitenbetonung der Läsionen in Einklang bringen.

Bei dem fünften Patienten (# 105 299) handelte es sich um einen männlichen Retriever, der vier Jahre alt war. Der Hund wurde vorgestellt, da er seit einigen Tagen neurologische Ausfälle zeigte. Er zeigte rechtseitig ein Schleifen der Vorder- und Hinterpfoten, eine Kopfschiefhaltung nach rechts und eine veränderte Pupillenstellung. Rückblickend hatte der Hund bereits ein Jahr zuvor ähnliche Symptome, kombiniert mit Orientierungslosigkeit und Sehbeschwerden, gezeigt, die sich nach der symptomatischen Therapie des Haustierarztes innerhalb von drei bis vier Wochen deutlich gebessert hatten. Während des folgenden Jahres hatte er unregelmäßig ein Nachziehen der rechten Vorder- und Hinterpfote gezeigt.

Die Allgemeinuntersuchung zeigte keinen besonderen Befund. Bei der neurologischen Untersuchung fiel eine Kopfschiefhaltung nach rechts auf, der Kopf wurde nach unten gehalten. Bei Bewegung zeigte er eine vestibuläre Ataxie mit Hypermetrie und z. T. auch Kreisbewegungen nach rechts. Die Gliedmaßen der rechten Seite wurden nachgeschliffen. Zusätzlich lagen rechtsseitig propriozeptive Defizite vor. Das rechte Auge zeigte einen Strabismus nach ventro-medial und einen vertikalen Nystagmus. Der Drohreflex des rechten Auges war negativ. Die Pupille dieses Auges befand sich in Miose. Bei Dunkeladaptation war keine Weitstellung zu erreichen. Der Drohreflex des linken Auges war im temporalen Bereich erhalten, im nasalen Gesichtsfeld jedoch negativ. Die Pupille dieses Auges war mydriatisch und zeigte keine Reaktion auf Lichteinfall. Bei Raumlicht war eine hgr. Anisokorie festzustellen, die sich auch bei Dunkeladaptation nicht veränderte.

Die nur partiell erhaltenen VEP-Kurven beider Augen zeigt die Abbildung 48.

Während die Latenzen beider Augen für N1 im Normbereich lagen, waren die Latenzen für P1 ggr. reduziert. Die VEP-Kurven des rechten Auges ließen keinen negativen Gipfel N2 erkennen. Die Latenzen von N2 und P2 des linken Auges lagen im Normbereich. Die Werte für die Latenzen und Amplituden finden sich in der Tabelle 14. Die Veränderungen der VEP-Kurrven beider Augen ließen vermuten, dass die Sehbahnen beider Augen durch die Läsion beeinträchtigt waren. Da die vorderen Kurvenabschnitte jedoch rechts nur ggr. und links keine Latenzveränderungen aufwiesen, war lediglich eine ggr. Verzögerung der Reizleitung zu vermuten. Die rechtsseitig fehlenden und linksseitg nur teilweise erhaltenen hinteren Kurvenanteile legten eine kompressive Läsion nahe, die im Bereich der rechten Sehbahn deutlicher ausgeprägt sein mußte.

a) b)

Abbildung 48:

Drei nacheinander abgeleitete VEP-Kurven nach Stimulation des linken (a) bzw. des rechten (b) Auges des Patienten (# 105 299). Nach Stimulation des linken Auges wurden VEP-Kurven abgeleitet, bei denen die Latenzen von P1 ggr. verzögert waren. Der negative Gipfel N2 ist hgr. reduziert, aber noch identifizierbar. Nach Stimulation des rechten Auges waren die Latenzen von P1 ggr. reduziert und der negative Gipfel N2 nicht mehr abzuleiten.

Tabelle 14:

Latenzen- und Amplitudenwerte für die VEP-Kurven des Patienten # 105 299 mit hyperdenser Struktur im Bereich des Hirnstammes dorsal der Hypophyse

OS OD Patient

# 105 299

Einzelwerte Mittelwert Bewertung Einzelwerte Mittelwert Bewertung

N1 37,6/42,0/37,2 38,9 O 44,8/42,4/45,2 45,5 O P1 60/63,6/58,4 60,6 ↑ 62/58,8/62 60,9 ↑

N2 86,8/77,2/85,6 81,5 O n.i. n.i. n.i.

Latenz [ms] P2 124,4/125,2/126,8 125,5 O n.i. n.i. n.i.

N1P1 9,48/7,99/7,94 8,5 4,5/6,33/5,52

Amplitude [µV]

P1N2 3,34/5,13/5,08 4,5 n.i.

O – Latenz im Referenzbereich n.i. – nicht identifizierbar

↑ – ggr. Latenzverzögerung

Bei der Computertomographie wurde noch im Nativscan eine ca. 1 x 1 cm große, hyperdense Struktur mit hypodensem Zentrum festgestellt, die sich kranial der Bulla tympanica im Bereich des Hirnstammes befand. Sie zeigte eine Linksbetonung. Nach Kontrastmittelapplikation reicherte sich diese Struktur homogen hyperdens an (Abb.

49). Aufgrund dieser Befunde konnte die Verdachtsdiagnose eines tumorösen Prozesses im Bereich des Hirnstammes gestellt werden.

Diese Ergebnisse zeigten, dass die Kompression, die sich im Hirnstamm befand, eine Linksbetonung aufwies. Da die hyperdense Umfangsvermehrung kaudodorsal der Hypophyse lag, war von keiner Beeinträchtigung des kranial der Hypophyse liegenden Chiasma opticum auszugehen. Aufgrund der Sehnervenkreuzung war die Linksbetonung der Läsion mit den verstärkt pathologisch veränderten VEP-Befunden nach Stimulation des rechten Auges in Einklang zu bringen, da der Großteil der Sehnervenfasern des rechten Auges nach der Sehnervenkreuzung kontralateral verlaufen.

Abbildung 49:

Retrieverrüde, vier Jahre (# 105 299): Computertomographisches Bild, Transversalschnitt im Weichteilfenster nach Kontrastmittelapplikation.

Im Bereich dorsal der Hypophyse im Mittelhirn ist eine hyperdense,

kontrastmittelanreichernde Umfangsvermehrung deutlich, die nach kaudal zieht. „L“

kennzeichnet die linke Seite des Schädels.

Bei dem sechsten Patienten (# 98 762) handelte es sich um eine zwölf Jahre alte, weibliche Mischlingshündin. Dem Besitzer war aufgefallen, dass ihr Visus eingeschränkt war. Diese Verschlechterung des Sehvermögens war über mehrere Jahre progredient fortschreitend.

Die Allgemeinuntersuchung war ohne besonderen Befund. Der Drohreflex des rechten Auges war reduziert, der des linken Auges positiv. Die Pupillen beider Augen waren direkt und indirekt reaktiv. Im Swinging Light Test zeigte sich eine deutliche Anisokorie, wobei die Pupille des linken Auges größer als die des rechten Auges war.

Die Kurven nach Stimulation beider Augen zeigt die Abbildung 50. Die VEP-Kurven des linken Auges waren nur ggr. verändert. Die Latenzen der vorderen drei Punkte waren im Normbereich. Die Latenz von N2 war ggr. verzögert. Bei den VEP-Kurven des rechten Auges fiel auf, dass es im Vergleich zur linken Seite zu einer deutlichen Vergrößerung des ersten positiven Gipfels kam. Die Werte für die Latenzen aller vier Punkte waren im Normbereich. Die Werte für die Latenzen und Amplituden finden sich in der Tabelle 15. Da nach Stimulation des rechten Auges jedoch hgr. Kurvenformveränderungen auffielen, ohne dass Latenzverzögerungen vorlagen, waren keine Störungen der Reizleitung der Sehbahn dieser Seite zu vermuten. Die lediglich ggr. Veränderung der VEP-Kurven des linken Auges ließen vermuten, dass die Sehbahn dieses Auges durch die Läsion nur wenig beeinträchtigt war. Aus diesem Grunde war davon auszugehen, dass die Läsion im wesentlichen die Sehbahn des rechten Auges in Mitleidenschaft zog. Fasste man diese Befunde zusammen und berücksichtigte die Sehnervenkreuzung im Chiasma opticums, so war eine Läsion im Bereich der linken Hirnhälfte zu vermuten.

a) b)

Abbildung 50:

Drei nacheinander abgeleitete VEP-Kurven nach Stimulation des linken (a) bzw. des rechten (b) Auges des Patienten (# 98 762). Nach Stimulation des linken Auges konnte eine normale VEP-Kurve abgeleitet werden. Nach Stimulation des rechten Auges waren nach Lichtstimulation VEP-Kurven abgeleitet, bei denen der erste positive Gipfel (N1) dominierte. Bei diesem Patienten konnte mit Hilfe der

Computertomographie eine Kontrastmittelanreicherung ventral des linken lateralen Seitenventrikels dargestellt werden.

Tabelle 15:

Latenzen- und Amplitudenwerte für die VEP-Kurven des Patienten # 98 762 mit hyperdenser Struktur ventral des linken lateralen Seitenventrikels

OS OD Patient

# 98 762

Einzelwerte Mittelwert Bewertung Einzelwerte Mittelwert Bewertung

N1 46,8/44,8/46,0 45,9 O 41,2/38,8/34,4 38,1 O P1 56,8/61,2/60,8 59,6 O 56,8/59,2/63,6 59,9 O N2 86,8/88,8/89,6 88,2 O 88,8/88,4/86,0 87,7 O

Latenz [ms] P2 132,4/136,8/136,4 135,2 ↑ 124,4/120/135,2 126,5 O

N1P1 3,44/3,91/6,48 4,6 11,82/11,35/11,48 11,6

Amplitude [µV]

P1N2 16,14/14,66/12,21 14,3 16,84/12,55/11,07 13,5 O – Latenz im Referenzbereich

↑ – ggr. Latenzverzögerung

Bei der Computertomographie des Schädels zeigte sich, dass der linke laterale Gehirnventrikel nicht ausgebildet war. Nach Kontrastmittelapplikation kam es zu einer diffusen Anreicherung ventral des linken Seitenventrikels (Abb. 51). Aufgrund dieser Befunde konnte die Verdachtsdiagnose eines raumfordernden Prozesses ventral des linken lateralen Ventrikels gestellt werden, der den Ventrikel vollständig komprimierte.

In der computertomographischen Untersuchung des Schädels konnte die aufgrund der VEP-Kurven vermutete Läsion im Bereich der linken Hirnhälfte bestätigt werden.

Abbildung 51:

Mischlingshündin, zwölf Jahre (# 98 762): Computertomographisches, transversales Schnittbild, Transversalschnitt im Weichteilfenster nach Kontrastmittelapplikation.

Mischlingshündin, zwölf Jahre (# 98 762): Computertomographisches, transversales Schnittbild, Transversalschnitt im Weichteilfenster nach Kontrastmittelapplikation.