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Verwendung von menschlichen Embryonen

Im Dokument Band 42 LV (Seite 42-58)

D. Rechtlicher Rahmen der Patentierbarkeit

V. Ausschluss der Patentierbarkeit

3. Verwendung von menschlichen Embryonen

Für die Forschung mit ES-Zellen ist vor allem der Ausschluss nach

§ 2 II 1 Nr. 3 PatG und Art. 6 II lit. c BiotechnologieRL relevant.311 Danach werden insbesondere für die Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken keine Patente erteilt. Der EuGH hat in seiner Brüstle-Entscheidung vom 18.10.2011 dieses Regelbeispiel näher konkretisiert.312

a. Verfahrensgang des Brüstle-Verfahrens

Der deutsche Stammzellforscher Oliver Brüstle hatte am 19.12.1997 ein deutsches Patent angemeldet, das isolierte und gereinigte Vorläuferzellen, Verfahren zu ihrer Herstellung aus embryonalen Stammzellen und ihre Verwendung zur Therapie von neuralen Defekten betrifft.313 Die Besonderheit des Patents besteht darin, dass die Erfindung nicht unmittelbar auf Embryonen zurückgreift, sondern auf pluripotente embryonale Stammzelllinien im Rahmen eines mehrstufigen Herstellungsprozes-ses.314 Lediglich zur Etablierung der Stammzelllinien mussten Embryonen verbraucht werden.

Gegen dieses Patent erhob Greenpeace e.V. eine Nichtigkeitsklage nach

§ 81 I 1 Var. 1 PatG vor dem BPatG (§ 65 I PatG).315 Das BPatG erklärte das Patent mit Verweis auf §§ 22 I Alt. 1, 21, 2 II 1 Nr. 3 PatG für nichtig, soweit es Vorläuferzel-len, die aus menschlichen embryonalen Stammzellen gewonnen werden, und die Verfahren zu ihrer Herstellung umfasst.316

Auf die Berufung zum BGH317 legte dieser dem EuGH drei Vorlagefragen zur Vor-abentscheidung nach Art. 267 AEUV vor.318 Dabei ging es vor allem um die Ausle-gung von Art. 6 II lit. c BiotechnologieRL. Der Begriff „menschlicher Embryo“ wird in der Richtlinie nicht definiert. Auch was unter dem Begriff „Verwendung von menschli-chen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken“ zu verstehen ist, war unklar. Schließlich fragte der BGH, ob eine technische Lehre auch dann nach

311 Dem entspricht Art. 53 lit. a EPÜ i.V.m. R 28 lit. c AO EPÜ.

312 EuGH, GRUR 2011, 1104 – Brüstle/Greenpeace.

313 Patent DE 19756864 C1.

314 Patent DE 19756864 C1, S. 4 Zeilen 33–36 definiert die embryonalen Stammzellen als totipotent, meint aber damit Pluripotenz im hier verwendeten Sinne. Es handelt sich lediglich um eine falsa demonstratio, Dederer, GRUR 2007, 1054 (1055).

315 Da es sich bei der Nichtigkeitsklage um eine sog. Popularklage handelt, arg. e contrario aus § 81 III PatG, war Greenpeace auch klagebefugt.

316 BPatG, GRUR 2007, 1049 – Neurale Vorläuferzellen; dazu krit. Dederer, GRUR 2007, 1054.

317 Der BGH ist bei Nichtigkeitsverfahren nach § 110 I PatG als Berufungsinstanz zuständig.

318 BGH, GRUR 2010, 212 – Neurale Vorläuferzellen.

Art. 6 II lit. c BiotechnologieRL von der Patentierung ausgeschlossen ist, wenn die Verwendung menschlicher Embryonen nicht zu der mit dem Patent beanspruchten technischen Lehre gehört, aber notwendige Voraussetzung für die Anwendung dieser Lehre ist. Der EuGH319 folgte weitgehend den Schlussanträgen des Generalanwalts Bot320 und entschied in einer „extrem patentfeindlichen Weise“.321

b. Der Begriff des menschlichen Embryos

Um den Begriff des menschlichen Embryos zu definieren, muss erst geklärt wer-den, ob es sich dabei um einen autonomen Begriff des Unionsrechts handelt und wenn ja, ob dieser Begriff eng oder weit auszulegen ist.

aa. Autonomer Begriff des Unionsrechts?

Da der Begriff des menschlichen Embryos in der BiotechnologieRL nicht definiert wird, gingen die Mitgliedstaaten in ihren Länderstellungnahmen davon aus, dass die Definition den Mitgliedstaaten überlassen werden sollte.322 Dies sei deswegen gebo-ten, da es innerhalb der Mitgliedstaagebo-ten, vereinfacht betrachtet, zwei Gruppen gibt, wobei die erste Gruppe der Auffassung ist, dass der menschliche Embryo von der Befruchtung an existiert (z.B. Estland, Deutschland, Vereinigtes Königreich), während die zweite Gruppe davon ausgeht, dass er erst ab der Nidation vorliegt (z.B. Spanien, Schweden).323 Mangels eines unionsweiten bioethischen Konsenses soll der Begriff des Embryos gerade nicht autonom ausgelegt werden.324 Auch der EGMR hält sich mangels Konsens in dieser Frage sehr zurück und lässt den Mitgliedstaaten insoweit ein Ermessen.325

Der EuGH befürwortet dennoch eine autonome Auslegung des Embryo-Begriffs, der damit im gesamten Gebiet der Union einheitlich auszulegen sei.326 Begründet wird dies mit dem Zweck der BiotechnologieRL, wie er aus den Erwägungsgründen

319 EuGH, GRUR 2011, 1104 – Brüstle/Greenpeace.

320 Generalanwalt Bot, Schlussanträge vom 10.03.2011, Rs. C-34/10.

321 So Taupitz, GRUR 2012, 1.

322 Generalanwalt Bot, Schlussanträge vom 10.03.2011, Rs. C-34/10, Tz. 51.

323 Generalanwalt Bot, Schlussanträge vom 10.03.2011, Rs. C-34/10, Tz. 67 - 69.

324 Laimböck/Dederer, GRUR Int 2011, 661 (663).

325 EGMR, NJW 2005, 727 (730 f.) - Vo/Frankreich; EuGRZ 2006, 389 (393) –Evans/Vereinigtes Kö-nigreich.

326 EuGH, GRUR 2011, 1104 (Tz. 26) – Brüstle/Greenpeace; zustimmend Taupitz, GRUR 2012, 1;

Groh, EuZW 2011, 910 (911); so bereits Müller, Patentfähigkeit von Arzneimitteln, 316; Sattler de Sousa e Brito, GRUR Int 2007, 759; dies., GRUR Int 2011, 466 (466 f.).

(3) und (5)-(7) hervorgehe.327 Es solle ein wirksamer und harmonisierter Patentschutz in allen Mitgliedstaaten herbeigeführt werden, damit Investitionen in die Biotechnolo-gie weiter fortgeführt und gefördert werden. Ohne einheitliche, unionsweite Definition des menschlichen Embryos würde das reibungslose Funktionieren des Binnenmark-tes beeinträchtigt.328 Denn es bestünde die Gefahr, dass die Patentierung in demje-nigen Mitgliedstaat beantragt würde, welcher die engste Konzeption des Begriffs des menschlichen Embryos hat und somit in Bezug auf die Möglichkeiten der Patentie-rung am großzügigsten ist, während die PatentiePatentie-rung dieser Erfindungen in den an-deren Mitgliedstaaten ausgeschlossen wäre.329 Anders als Art. 6 I BiotechnologieRL lasse Art. 6 II BiotechnologieRL den Mitgliedstaaten keinen Spielraum für die dort angeführten Patentausschlüsse, weil diese Bestimmung gerade darauf abziele, die im ersten Absatz vorgesehenen Ausnahmen einzugrenzen.330

Angesichts der Zielrichtung ist dem EuGH zuzustimmen. Eine autonome Ausle-gung des Begriffs „menschlicher Embryo“ ist im Rahmen der BiotechnologieRL gebo-ten. Die BiotechnologieRL verweist in Erwägungsgrund (39) S. 1 auf die in den Mit-gliedstaaten anerkannten ethischen und moralischen Grundsätze, deren Beachtung vor allem auf dem Gebiet der Biotechnologie wegen der potentiellen Tragweite der Erfindungen in diesem Gebiet und deren inhärenter Beziehung zur lebenden Materie erforderlich ist. Damit wird ein gesamteuropäischer Ordre public beschrieben.331 Da-für spricht auch Erwägungsgrund (40) BiotechnologieRL, da dort ein europäischer Konsens deklariert wird. Ein derartiger Ordre public muss durch Rückgriff auf die ge-meinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten und die Europäische Menschenrechtskonvention332 konkretisiert werden.333 Die Biomedizinkonvention des

327 EuGH, GRUR 2011, 1104 (Tz. 27) – Brüstle/Greenpeace.

328 EuGH, GRUR 2011, 1104 (Tz. 28) – Brüstle/Greenpeace.

329 EuGH, GRUR 2011, 1104 (Tz. 28) – Brüstle/Greenpeace; so auch Generalanwalt Bot, Schlussan-träge vom 10.03.2011, Rs. C-34/10, Tz. 56.

330 EuGH, Rs. C-56/03, Slg 2005, I-5335 (5386, Tz. 78) - Kommission/Italien; EuGH, GRUR Int 2001, 1043 (1045, Tz. 37 – 39) - Biotechnologie-Richtlinie.

331 Herdegen, GRUR Int 2000, 859 (860); Barton, Der "Ordre public" als Grenze, 222 f.

332 Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten in der Fassung der Bekanntma-chung vom 22.10.2010, BGBl II, 1198, im Folgenden: EMRK.

333 Herdegen, GRUR Int 2000, 859 (860); Moufang, GRUR Int 1993, 439 (445).

Europarates334 wird jedoch erst zu berücksichtigen sein, wenn sie von allen EU-Mitgliedstaaten (u.a. Deutschland) ratifiziert wurde.335

Die Vereinbarkeit von § 2 II 2 PatG, welcher auf das ESchG verweist, mit der Bio-technologieRL hängt davon ab, ob die Embryonenbegriffe des ESchG und der RL gleich sind.336

bb. Enge oder weite Auslegung?

Der EuGH gelangt anschließend zum Ergebnis, dass der Begriff „menschlicher Embryo“ weit auszulegen sei.337 Jede menschliche Eizelle sei vom Stadium ihrer Be-fruchtung an als „menschlicher Embryo“ i.S.d. Art. 6 II lit. c BiotechnologieRL anzu-sehen, da die Befruchtung geeignet sei, den Prozess der Entwicklung eines Men-schen in Gang zu setzen.338 Dies gelte zudem auch für die unbefruchtete menschli-che Eizelle, in die ein Zellkern aus einer ausgereiften menschlimenschli-chen Zelle transplan-tiert wird (sog. „Dolly-Methode“) oder die durch Parthenogenese339 zur Teilung und Weiterentwicklung angeregt worden ist.340 Auch diese Verfahren seien geeignet den Prozess der Entwicklung eines Menschen in Gang zu setzen.341 Der EuGH verwen-det damit die denkbar extensivste Definition des menschlichen Embryos.

Der EuGH betont einleitend, dass er sich der Sensibilität des Themas bewusst sei und dass er sich nicht berufen fühle, auf Fragen medizinischer oder ethischer Natur einzugehen.342 Er beschränkt sich ausdrücklich darauf, die Vorschriften der Biotech-nologieRL auszulegen.343

334 Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin: Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin (Bi-omedizinkonvention des Europarates) vom 04.04.1997, im Folgenden: Bi(Bi-omedizinkonvention.

335 Dann könnte vor allem Art. 18 Biomedizinkonvention, der die Forschung an Embryonen in vitro betrifft, Relevanz erhalten. Allerdings ist nach Art. 18 II Biomedizinkonvention die Erzeugung menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken verboten. Nach Art. 18 I Biomedizinkonvention ist ein angemessener Schutz des Embryos zu gewährleisten, sofern die Forschung an Embryonen in vitro zugelassen ist.

336 Ähnlich bereits BGH, GRUR 2010, 212 (215, Tz. 32) – Neurale Vorläuferzellen.

337 EuGH, GRUR 2011, 1104 (Tz. 34) – Brüstle/Greenpeace. So bereits Generalanwalt Bot, Schluss-anträge vom 10.03.2011, Rs. C-34/10, Tz. 119 (erster Spiegelstrich).

338 EuGH, GRUR 2011, 1104 (Tz. 35) – Brüstle/Greenpeace.

339 Die Parthenogenese wird auch als sog. „Jungfernzeugung“ bezeichnet und ist eine Form der ein-geschlechtlichen Fortpflanzung, vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort: Parthenoge-nese, S. 1557.

340 EuGH, GRUR 2011, 1104 (Tz. 36) – Brüstle/Greenpeace.

341 EuGH, GRUR 2011, 1104 (Tz. 36) – Brüstle/Greenpeace.

342 EuGH, GRUR 2011, 1104 (Tz. 30) – Brüstle/Greenpeace.

343 EuGH, GRUR 2011, 1104 (Tz. 30) – Brüstle/Greenpeace mit dem Verweis auf EuGH, EuZW 2008, 216 (218, Tz. 38) - Sabine Mayr.

Diese Beschränkung des EuGH ist aus mehreren Gründen zweifelhaft. Der Emb-ryo-Begriff des EuGH lässt sich nicht ohne Rückgriff auf biologische und medizini-sche Zusammenhänge bestimmen, da sonst kaum nachvollziehbar die Embryonen erklärbar sind, die ohne Befruchtung entstehen können.344

Die Interpretation von öffentlicher Ordnung und guten Sitten ist zwar eine Rechts-frage, kann aber nicht ohne Rückgriff auf die in den Mitgliedstaaten anerkannten ethischen und moralischen Grundsätze beantwortet werden.345 Auch Erwägungs-grund (40) BiotechnologieRL verdeutlicht, dass bei den Patentverboten eine in der Union bestehende ethische Übereinstimmung kodifiziert werden soll. Auch auf die Stellungnahme der Europäischen Gruppe für Ethik und Naturwissenschaften ist der EuGH nicht eingegangen,346 obwohl dies die einzige europäische Instanz mit Ethik-kompetenz ist.347 Auch durch die Erwägungsgründe (16) und (43) Biotechnolo-gieRL348 fließen ethische Überlegungen in die Auslegung der Richtlinie ein.349 Ein Verstoß gegen die europäische öffentliche Ordnung und die guten Sitten kann daher auch nur mit in allen Mitgliedstaaten bestehenden allgemein anerkannten ethischen Grundsätzen begründet werden. Diese fehlen aber bei der Definition des Embryos durch den EuGH weitgehend.350 Wie gering der Minimalkonsens bezüglich der Bio-technologie in Europa ist, zeigt sich bereits daran, dass die in diesem Bereich beson-ders intensiv forschenden Länder, wie z.B. das Vereinigte Königreich und Deutsch-land, bis heute nicht einmal die Biomedizinkonvention ratifiziert haben.351 Berücksich-tigt man daher den europäischen Minimalkonsens zu dieser Frage, so ist eine restrik-tive Auslegung des Embryo-Begriffs geboten.

Dafür sprechen außerdem auch die ethischen Grundsätze der europäischen For-schungsförderung (2007 bis 2013).352 Die Züchtung menschlicher Embryonen

344 So auch Starck, JZ 2012, 145; Stieper, MedR 2012, 314 (315).

345 Vgl. Erwägungsgrund (39) BiotechnologieRL; Groh, EuZW 2011, 910 (911).

346 EGE, Opinion Nr. 16; kritisch zur Stellungnahme bei D.III.4.

347 Straus, GRUR Int 2011, 1048 (1049).

348 Der noch in Erwägungsgrund (43) BiotechnologieRL herangezogene Art. F Abs. II des Vertrages über die Europäische Union entspricht heute Art. 6 EUV und den Artt. 1, 2 EU-Grundrechte-Charta.

349 Starck, JZ 2012, 145 (145 f.).

350 Vgl. Generalanwalt Bot, Schlussanträge vom 10.03.2011, Rs. C-34/10, Tz. 67 – 70. So auch BGH, GRUR 2010, 212 (216, Tz. 41) – Neurale Vorläuferzellen; Taupitz, GRUR 2012, 1 (2); Stieper, MedR 2012, 314 (315).

351 Lilie, in: FS Schreiber, 729 (732).

352 Art. 6 I Beschluss Nr. 1982/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. De-zember 2006 über das Siebte Rahmenprogramm der Europäischen Gemeinschaft für Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration (2007 bis 2013), ABl. L 412 vom 30.12.2006, 1 ff.;

im Folgenden: Beschluss Nr. 1982/2006/EG.

schließlich zu Forschungszwecken oder zur Gewinnung von Stammzellen wird da-nach zwar nicht gefördert.353 Allerdings kann die Forschung an embryonalen Stamm-zellen gefördert werden.354 Dabei kommt es sowohl auf den Inhalt des wissenschaftli-chen Vorschlags als auch auf die rechtliwissenschaftli-chen Rahmenbedingungen des jeweiligen Mitgliedstaats an.355 Bei der Gewinnung menschlicher embryonaler Stammzellen un-terliegen die Institutionen, Organisationen und Forscher strengen Genehmigungs- und Kontrollvorschriften gemäß den rechtlichen Rahmenbedingungen des jeweiligen Mitgliedstaats.356 Auch das Folgeprogramm („Horizont 2020“) wird daran, soweit er-sichtlich, nichts ändern.357 Dieser Aspekt wird vom EuGH nicht einmal erwähnt.

Die sehr weite Auslegung des Embryo-Begriffs begründet der EuGH mit systema-tischen und teleologischen Argumenten. Zunächst wird auf Erwägungsgrund (16) Bio-technologieRL verwiesen, woraus folge, dass bei der Ausübung des Patentrechts die Menschenwürde gewährleistet werden müsse.358 Aus dem systematischen Zusam-menhang der Artt. 5 I, 6 I, II BiotechnologieRL sowie Erwägungsgrund (38) Biotech-nologieRL wird geschlussfolgert, dass es das Ziel der Richtlinie sei, jede Möglichkeit der Patentierung auszuschließen, sobald die der Menschenwürde geschuldete Ach-tung durch die Patentierung beeinträchtigt werden „könnte“.359

Mit der Aussage, dass die Achtung der Menschenwürde beeinträchtigt werden

„könnte“,360 wird lediglich ein Scheinargument geliefert. Mit der böswilligen Interpreta-tion, dass der Patentanmelder die Würde nicht achten möchte, kann jedes beliebige Ergebnis begründet werden.361 Ob Embryonen Träger der Menschenwürde (im uni-onsrechtlichen Sinne) sein können, wird dabei aber offengelassen, so dass der Sub-sumtionsschluss letztendlich ins Leere geht. Da der EuGH die oben ausgeführten

353 Art. 6 II 3. Spiegelstrich Beschluss Nr. 1982/2006/EG.

354 Art. 6 III UAbs. 1 Beschluss Nr. 1982/2006/EG.

355 Art. 6 III UAbs. 1 Beschluss Nr. 1982/2006/EG.

356 Art. 6 III UAbs. 3 Beschluss Nr. 1982/2006/EG.

357 So ausdrücklich die Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission an das Europäische Par-lament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Re-gionen - Horizont 2020 - das Rahmenprogramm für Forschung und Innovation, KOM(2011) 808 endgültig vom 30.11.2011, S. 7; sowie der dem Beschluss Nr. 1982/2006/EG entsprechende Vor-schlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Rahmenprogramm für Forschung und Innovation „Horizont 2020“ (2014-2020), KOM(2011) 809 endgültig vom 30.11.2011.

358 EuGH, GRUR 2011, 1104 (Tz. 32) – Brüstle/Greenpeace.

359 EuGH, GRUR 2011, 1104 (Tz. 33 f.) – Brüstle/Greenpeace.

360 EuGH, GRUR 2011, 1104 (Tz. 34) – Brüstle/Greenpeace.

361 Taupitz, GRUR 2012, 1 (2).

verschiedenen ethischen Erwägungen ohne nähere Begründung ausblendet,362 ist seine Argumentation in diesem entscheidenden Punkt nicht nachvollziehbar. Der In-halt der Menschenwürde wird weder im Ansatz konkretisiert noch wird die Frage erör-tert, ob es sinnvoll und möglich ist, den Inhalt der Menschenwürde im konkreten Kon-text biotechnologischer Erfindungen für alle Mitgliedstaaten einheitlich zu bestim-men.363 Schließlich hatte der EuGH in der Omega-Entscheidung betont, dass der primärrechtliche Begriff der öffentlichen Ordnung eng zu verstehen sei und nur her-angezogen werden könne, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefähr-dung vorliege, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre.364 Die Union muss daher einen Kernbereich kultureller und historischer Eigenarten der Mitgliedstaaten offenhalten, wozu auch die bioethischen Wertentscheidungen gehören.365

Aber auch dogmatisch vermögen die Argumente des EuGH nicht zu überzeugen.

Art. 27 II TRIPS lässt einen Patentausschluss nur dann zu, wenn die Verhinderung der gewerblichen Verwertung der Erfindung zum Schutz der öffentlichen Ordnung oder guten Sitten „notwendig“ ist.366 Der Tatbestand von Art. 6 II lit. c Biotechnolo-gieRL muss daher TRIPS-konform restriktiv ausgelegt werden, so dass es nur in den notwendigen Fällen zum Patentausschluss kommt.367 Auch ist Zurückhaltung gebo-ten, da eine wegen des Verstoßes gegen den Ordre public abgelehnte Patentanmel-dung nicht mehr rückwirkend geheilt werden kann.368 Die gesellschaftliche Akzeptanz bestimmter Technologien ist einem ständigen Wandel unterworfen, so dass nie ganz ausgeschlossen werden kann, dass eine Erfindung, die heute als Ordre public-widrig angesehen wird, in Zukunft nicht doch anders bewertet wird.369

362 Siehe dazu oben C.

363 Groh, EuZW 2011, 910 (911).

364 EuGH, NVwZ 2004, 1471 (Tz. 30) – Omega.

365 Gärditz, in: Recht und Medizin, 11 (31); Taupitz, GRUR 2012, 1 (4).

366 Koenig/Müller, EuZW 1999, 681 (684); Hartmann, GRUR Int 2006, 195 (199); Laimböck/Dederer, GRUR Int 2011, 661 (663). Dazu bereits oben D. III. 2.

367 Koenig/Müller, EuZW 1999, 681 (684); Hartmann, GRUR Int 2006, 195 (199); Laimböck/Dederer, GRUR Int 2011, 661 (663).

368 Straus, Jhb. für Wissenschaft und Ethik 2004, 111 (116); Laimböck/Dederer, GRUR Int 2011, 661 (663).

369 Straus, Jhb. für Wissenschaft und Ethik 2004, 111 (116); Laimböck/Dederer, GRUR Int 2011, 661 (663). So auch die Comments by the President of the European Patent Office on G 2/06, S. 21.

cc. Zusammenfassung

Eine restriktive Auslegung von Art. 6 II lit. c BiotechnologieRL ist somit „zwecks Bewahrung interessengerechter Flexibilität“370 erforderlich. Da entgegen dem EuGH auch die ethischen Grundüberzeugungen der Mitgliedstaaten zu berücksichtigen sind, erscheint die oben vertretene Anknüpfung an die Nidation371 als ein sinnvoller Minimalkonsens, der ferner der gebotenen Zurückhaltung entspricht.

An der Auffassung des EuGH ist zudem die Zurückverweisung irritierend, wonach die nationalen Gerichte entscheiden sollen, ob Stammzellen, die aus menschlichen Blastozysten gewonnen werden, unter den Begriff des menschlichen Embryos fal-len.372 Zum einen wird damit die Vorlagefrage 1 lit. c) des BGH nicht beantwortet.373 Zum anderen wird das mühsam begründete Dogma der autonomen Auslegung ohne weitere Begründung insoweit aufgegeben.374 Diese Passage sorgt für weitere Unge-wissheiten bei der Patentierbarkeit menschlicher Stammzellen. Da das Blastozysten-stadium zeitlich der Befruchtung folgt, müsste auch dieses Stadium konsequent der Embryo-Definition des EuGH unterfallen.375 Folgt man dagegen der hier vertretenen Auffassung, so kann den nationalen Gerichten kein Auslegungsspielraum verbleiben.

Auch die Blastozyste ist dann ein Embryo i.S.v. Art. 6 II BiotechnologieRL, der zur Gewinnung von Stammzellen zerstört wird. Die dadurch gewonnenen pluripotenten Stammzellen sind hingegen keine Embryonen in diesem Sinne, da nur totipotente Stammzellen geeignet sind, den „Prozess der Entwicklung eines Menschen in Gang zu setzen“.376

c. Verwendung menschlicher Embryonen

Auch die Auslegung von „Verwendung zu industriellen und kommerziellen Zwe-cken“ ist problematisch. Zum einen ist unklar, ob der Patentausschluss auch die Ver-wendung zu Zwecken der wissenschaftlichen Forschung umfasst. Zum anderen stell-te sich im Brüstle-Verfahren die Frage, ob eine Erfindung, die selbst nicht die Ver-wendung menschlicher Embryonen zum Gegenstand hat, von der Patentierung

370 Straus, Jhb. für Wissenschaft und Ethik 2004, 111 (117).

371 Oben unter C. III.

372 EuGH, GRUR 2011, 1104 (Tz. 37) – Brüstle/Greenpeace.

373 Die Vorlagefrage 1 lit. c) lautet: „Sind auch Stammzellen umfasst, die aus menschlichen Embryo-nen im Blastozystenstadium gewonEmbryo-nen worden sind?“

374 Taupitz, GRUR 2012, 1 (2).

375 Uhrich, Jura 2012, 172 (174).

376 Dies scheint für den EuGH, GRUR 2011, 1104 (Tz. 35) – Brüstle/Greenpeace das maßgebende Kriterium zu sein.

geschlossen ist, weil sie ein Erzeugnis betrifft, dessen Herstellung die vorhergehende Zerstörung menschlicher Embryonen erfordert. Hintergrund dieser Fragestellung ist die Unterscheidung von Ursprungshandlung und Verwertungshandlung, wie sie in Deutschland praktiziert wird.377 Diese Differenzierung ist auch in der europäischen Forschungsförderung bekannt.378

aa. Verwendung zu Zwecken der wissenschaftlichen Forschung

In seinem Vorlagebeschluss hielt der BGH eine enge Auslegung für möglich, die das Verbot auf Erfindungen beschränke, mit deren Benutzung ein Handeltreiben mit menschlichen Embryonen oder deren industrielle Verwertung einherginge, die nach allgemeiner europäischer Rechtsüberzeugung moralisch verwerfliche Handlungen darstellen.379 Der EuGH ging auf diese Erwägung nicht ein und antwortete auf die zweite Frage erneut mit einer denkbar weiten Auslegung: Der Patentausschluss be-ziehe sich auch auf die Verwendung zu Zwecken der wissenschaftlichen For-schung.380 Die weite Auslegung des Patentausschlusses wird zum einen damit be-gründet, dass sich aus den Rechten an einem Patent auch grundsätzlich die industri-elle oder kommerziindustri-elle Verwertung der patentierten Erfindung ergebe.381 Zum ande-ren lasse sich das Verwertungsrecht nicht von den mit der wissenschaftlichen For-schung verfolgten Zwecken trennen.382

Dabei verkennt der EuGH jedoch Inhalt und Grenzen des Patents, indem er den zitierten Erwägungsgrund (14) missversteht.383 Danach ist der Patentinhaber gerade nicht positiv zur Anwendung und wirtschaftlichen Verwertung der Erfindung, sondern lediglich negativ dazu berechtigt, Dritte von der Verwertung der Erfindung auszu-schließen. Da das Patent den Inhaber also nicht von Beschränkungen der

377 Taupitz, GRUR 2012, 1 (2): „Diese Unterscheidung ist die ethische Legitimation der Rechtslage in Deutschland, wonach (gemäß Embryonenschutzgesetz) zwar der inländische Verbrauch von Emb-ryonen für Forschungszwecke (und – verkürzt gesagt – der Verbrauch von EmbEmb-ryonen im Ausland

„unter deutscher Beteiligung”) verboten ist, die aus einem Embryonenverbrauch im Ausland gemäß dortiger Rechtslage früher einmal gewonnenen embryonalen Stammzellen aber gemäß Stamm-zellgesetz (nach staatlicher Genehmigung) sehr wohl in das Inland importiert und hier für For-schungszwecke verwendet werden dürfen.“

378 Art. 6 II, III Beschluss Nr. 1982/2006/EG.

379 BGH, GRUR 2010, 212 (Tz. 48) – Neurale Vorläuferzellen.

380 380 EuGH, GRUR 2011, 1104 (Tz. 46) - Brüstle/Greenpeace.

381 EuGH, GRUR 2011, 1104 (Tz. 42) – Brüstle/Greenpeace mit Verweis auf Erwägungsgrund (14) BiotechnologieRL.

382 EuGH, GRUR 2011, 1104 (Tz. 43) – Brüstle/Greenpeace.

383 Groh, EuZW 2011, 910 (911); so auch schon zum BPatG Trips-Herbert/Grund, PharmR 2007, 397 (403).

schung, Anwendung und Vermarktung befreit, geht das Argument des EuGH fehl.

Zudem hatte bereits der BGH in seinem Vorlagebeschluss darauf hingewiesen, dass Patente ausschließlich für gewerblich anwendbare Erfindungen erteilt werden, so dass unklar ist, ob „zu industriellen und gewerblichen Zwecken“ das Verwendungs-verbot für Embryonen überhaupt einschränken sollte.384 Durch Vergleich der einzel-nen Sprachfassungen von Erwägungsgrund (14) und Art. 6 BiotechnologieRL wird dies verdeutlicht. In den meisten Fassungen werden dort dieselben Begriffe verwen-det.385 Lediglich in der deutschen Fassung weicht der Wortlaut voneinander ab.386 Der EuGH ist darauf jedoch nicht eingegangen.

Eine Ausnahme wird aber gemacht, wenn die Erfindung therapeutischen oder di-agnostischen Zwecken dient und zum Nutzen des menschlichen Embryos angewandt werden kann.387 Dieser Passus wurde so aufgefasst, dass nicht der beforschte Emb-ryo selbst gemeint sei, sondern die menschlichen EmbEmb-ryonen als Gruppe, so dass ein Verbrauch von Embryonen zu Forschungszwecken gruppennützig erlaubt sei.388 Diese Interpretation der EuGH-Entscheidung ist aber nicht zwingend. Man kann the-rapeutische und diagnostische Zwecke etwa im Verfahren der Präimplantationsdiag-nostik oder jedenfalls in medizinischen Verfahren zugunsten des Embryos, z.B. durch eine Gentherapie am Embryo, sehen. Eine derartige Ausnahme vom Patentaus-schluss dürfte jedoch ins Leere laufen, da medizinische Verfahren nach

§ 2a I Nr. 2 PatG, Art. 53 lit. c EPÜ nicht patentierbar sind.389 In Verbindung mit § 1a I PatG muss man wohl auch den (totipotenten) Embryo als menschlichen Körper i.S.d.

§ 2a I Nr. 2 PatG ansehen.

Die vom EuGH beanstandete Zweckbündelung von Forschungs- und Verwer-tungsinteressen wirft weitere Fragen auf. Auch die Forschung zugunsten der Embry-onen erfolgt nicht aus rein altruistischen Motiven heraus, sondern zumindest auch

384 BGH, GRUR 2010, 212 (Tz. 47) – Neurale Vorläuferzellen.

385 Englisch: „industrial and commercial purposes”; französisch: „des fins industrielles ou commercia-les”; italienisch: „fini industriali o commerciali”; niederländisch: „industriële of commerciële doelein-den”.

386 Erwägungsgrund (14): „Verwertung zu industriellen und gewerblichen Zwecken”; Art. 6 I: „gewerbli-che Verwertung”, Artikel 6 Absatz II lit. c: „Verwendung … zu industriellen oder kommerziellen Zwecken”.

387 EuGH, GRUR 2011, 1104 (Tz. 44 - 46) – Brüstle/Greenpeace mit Verweis auf Erwägungsgrund (42) S. 2 BiotechnologieRL und EPA, ABl. EPA 2009, 306 (Tz. 25-27) – Verwendung von Embryo-nen/WARF.

388 Starck, JZ 2012, 145 (147).

389 So auch BGH, GRUR 2010, 212 (Tz. 48) – Neurale Vorläuferzellen; Faltus, Handbuch Stammzel-lenrecht, Rn. 143; Stieper, MedR 2012, 314 (315, Fn. 8).

dazu, die erheblichen Investitionskosten durch eine kommerzielle Verwertung auszu-gleichen.390 Außerdem folgt aus dem Erwägungsgrund (42), dass „auf keinen Fall“

der Patentausschluss für dem Gruppennutzen der Embryonen dienende Erfindungen gelten soll. Damit wird deutlich, dass es sich nur um ein extremes Beispiel handelt.391 Es bleibt gerade unklar, ob auch Patentschutz für die Anwendung der Erfindung für Forschungszwecke möglich ist.392 Es besteht also ein gewisser Spielraum um auch die Wissenschaftsfreiheit393 zu berücksichtigen.

bb. Erfordernis der vorherigen Zerstörung menschlicher Embryonen

Der EuGH beantwortete die dritte Frage dahingehend, dass eine Erfindung von der Patentierung ausgeschlossen sei, wenn die Verwertung der Erfindung die Zerstö-rung menschlicher Embryonen erfordere.394 Dies soll selbst dann gelten, wenn die Herstellung der embryonalen Stammzellen vor der Verwertung der Erfindung liegt.395 Wenn die Herstellung embryonaler Stammzelllinien die Zerstörung menschlicher Embryonen erfordere, so könne eine Erfindung, die sich auf die Verwertung dieser Stammzelllinien bezieht, nicht patentiert werden.

Dass sich die Auslegung des EuGH mit der WARF-Entscheidung des EPA deckt, ist jedoch kein Argument,396 da der EuGH in keiner Weise an sie gebunden ist.397 Da der EuGH nicht zwischen der Verwendung von menschlichen Embryonen und der späteren Erfindung, die diese Verwendung voraussetzt, unterscheidet, werden Asso-ziationen zur US-amerikanischen „Fruit-of-the-poisenous-Tree-Doctrine“ geweckt.398 Entscheidend ist aber, ob sich das ethische Unwerturteil, welches aus der Gewin-nung embryonaler Stammzellen aus menschlichen Embryonen folgt, auch auf die Folgehandlungen erstreckt.399 Der EuGH hat selbst eine Möglichkeit der Verwertung

390 Groh, EuZW 2011, 910 (911); Barton, Der "Ordre public" als Grenze, 237.

391 Ohly, LMK 2011, 326137.

392 BGH, GRUR 2010, 212 (216, Tz. 48) – Neurale Vorläuferzellen.

393 Art. 13 EU-Grundrechte-Charta. Die Wissenschaftsfreiheit gehört zum gemeineuropäischen Grund-rechtsstandard, Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 13 EU-GRCharta Rn. 1 (m.w.N. in Fn.

394 EuGH, GRUR 2011, 1104 (Tz. 49) – Brüstle/Greenpeace. Ähnlich bereits EPA, ABl. EPA 2009, 306 2).

(Tz. 22) – Verwendung von Embryonen/WARF.

395 EuGH, GRUR 2011, 1104 (Tz. 49) – Brüstle/Greenpeace.

396 So aber scheinbar der EuGH, GRUR 2011, 1104 (Tz. 45) – Brüstle/Greenpeace.

397 Ohly, LMK 2011, 326137.

398 So BGH, GRUR 2010, 212 (217, Tz. 59) – Neurale Vorläuferzellen; Trips-Herbert/Grund, PharmR 2007, 397 (406); Ohly, LMK 2011, 326137.

399 BGH, GRUR 2010, 212 (Tz. 60) – Neurale Vorläuferzellen.

Im Dokument Band 42 LV (Seite 42-58)