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(1)

Die Patentierbarkeit von menschlichen

embryonalen Stammzellen

Robert Briske, M.mel.

Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Interdisziplinäres Zentrum

Medizin-Ethik-Recht

Herausgegeben von

Prof. Dr. Hans Lilie

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Prof. Dr. Hans Lilie (Hrsg.), Schriftenreihe Medizin-Ethik-Recht, Band 42, 2012

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: ISSN 1862-1619

ISBN 978-3-86829-502-3

Schutzgebühr Euro 5

Interdisziplinäres Zentrum Medizin-Ethik-Recht (MER) Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Universitätsplatz 5 D- 06108 Halle (Saale) mer@jura.uni-halle.de www.mer.jura.uni-halle.de Tel. ++ 49(0)345-55 23 142

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Gliederung

A. Einleitung ... 3 

B. Naturwissenschaftliche Grundlagen ... 5 

I. Embryonalentwicklung ... 5 

II. Grundlagen der Stammzellforschung ... 8 

1. Der Begriff „Stammzelle“ ... 8 

2. Das Potenzial von Stammzellen ... 9 

3. Einteilung nach der Herkunft ... 11 

4. Alternative Methoden zur Gewinnung embryonaler Stammzellen ... 13 

C. Ethische Beurteilung der Gewinnung von embryonalen Stammzellen ... 15 

I. Diskussion hinsichtlich des Schutzes des Embryos ... 15 

1. Das Argument der Spezieszugehörigkeit ... 16 

2. Das Kontinuitätsargument ... 17 

3. Das Identitätsargument ... 18 

4. Das Potentialitätsargument ... 19 

5. Konsequenzen und Fazit ... 21 

II. Diskussion mit Interessen der Gesellschaft ... 23 

III. Zusammenfassung ... 25 

D. Rechtlicher Rahmen der Patentierbarkeit ... 25 

I. Der rechtliche Umgang mit Stammzellen... 26 

1. Gewinnung embryonaler Stammzellen ... 26 

2. Import embryonaler Stammzellen ... 28 

3. Verwendung embryonaler Stammzellen ... 28 

II. Grundlagen des Patentschutzes ... 28 

III. Die relevanten Rechtsakte ... 29 

1. Die Biotechnologierichtlinie ... 29 

2. Das TRIPS-Übereinkommen ... 30 

(4)

IV. Voraussetzungen der Patentierbarkeit ... 33 

1. Erfindung und Entdeckung ... 33 

2. Neuheit ... 35 

3. Erfinderische Tätigkeit... 36 

4. Gewerbliche Anwendung ... 36 

V. Ausschluss der Patentierbarkeit ... 37 

1. Der ordre public-Vorbehalt als ethische Generalklausel ... 38 

2. Regelbeispiele ... 39 

3. Verwendung von menschlichen Embryonen ... 40 

a. Verfahrensgang des Brüstle-Verfahrens ... 40 

b. Der Begriff des menschlichen Embryos ... 41 

aa. Autonomer Begriff des Unionsrechts? ... 41 

bb. Enge oder weite Auslegung? ... 43 

cc. Zusammenfassung ... 47 

c. Verwendung menschlicher Embryonen ... 47 

aa. Verwendung zu Zwecken der wissenschaftlichen Forschung ... 48 

bb. Erfordernis der vorherigen Zerstörung menschlicher Embryonen ... 50 

d. Auswirkungen der Brüstle-Entscheidung ... 53 

E. Fazit ... 56 

(5)

A. Einleitung

Die Hoffnungen, Erwartungen, aber auch die ethischen Bedenken hinsichtlich der Biotechnologie im Allgemeinen und der Stammzellforschung im Besonderen sind enorm. Es handelt sich um das vermutlich vielversprechendste Forschungsgebiet der Gegenwart. Durch die Grundlagenforschung an embryonalen Stammzellen erhofft man sich Erkenntnisse sowie therapeutische Perspektiven über bisher unheilbare Krankheiten. Dabei muss der Nutzen für die therapeutische Anwendung zwar erst noch erwiesen werden. Die Erwartungshaltung geht aber dahin, dass sich etwa Ner-venzellen züchten lassen, um Alzheimer- oder Parkinson-Patienten Linderung und Heilung zu verschaffen.1 Auch die Ursachen von Unfruchtbarkeit, Entwicklungsstö-rungen bei Embryonen, Spontanaborten und angeborenen Schädigungen sollen ge-klärt werden.2 Sogar die Züchtung ganzer Organe wird für möglich gehalten.3

Ein extremes Beispiel für die Hoffnungen aber auch Illusionen in diesem Techno-logiebereich ist der Fall Hwang Woo-suk.4 Der südkoreanische Wissenschaftler veröf-fentlichte 2004 und 2005 Arbeiten, in denen die technische Hürde für „therapeuti-sches Klonen“ beim Menschen genommen wurde. Hwang Woo-suk wurde dermaßen mit Auszeichnungen und Privilegien überschüttet, dass aus diesem Anlass sogar eine Briefmarke herausgegeben wurde.5 Ende 2005 stellte sich heraus, dass die gesamte Forschungsarbeit erfunden und gefälscht wurde.6

Die Stammzellforschung hatte in den 1960er und 1970er Jahren ihren großen Durchbruch, als das Potential von Knochenmarkstransplantationen aufgrund der dort enthaltenen adulten Stammzellen erkannt wurde.7 Die Forschung mit embryonalen Stammzellen ist wesentlich jünger. Seit 1998 die bahnbrechende Arbeit des US-amerikanischen Stammzellforschers Thomson zur Gewinnung und Etablierung

1 BT-Drs. 14/7546, 16 (16 f.); Rosenau, in: FS Schreiber, 761 (763). 2 BT-Drs. 14/7546, 16.

3 BT-Drs. 14/7546, 16 (16 f.); Rosenau, in: FS Schreiber, 761 (763). 4 Dazu Kempermann, Neue Zellen, 208 ff.

5 Die Briefmarke ist abgedruckt bei Kempermann, Neue Zellen, 14.

6 Kempermann, Neue Zellen, 209 f. Dabei stellte sich auch heraus, dass nicht 400 sondern 2000

Eizellen zur Herstellung der Zelllinien verbraucht wurden, die Hwang Woo-suk bekam, indem er Druck auf seine eigenen Labormitarbeiterinnen ausübte.

7 Für die „Einführung der Methode der Übertragung von Geweben und Organen als klinische

Be-handlungspraxis in die Humanmedizin“ erhielt der Pionier der Knochenmarkstransplantation Edward Donnal Thomas gemeinsam mit dem Chirurgen Joseph Edward Murray 1990 den Nobel-preis für Physiologie und Medizin.

(6)

ryonaler Stammzellen aus den Blastozysten menschlicher Embryonen erschien,8

entwickelte sich die Forschung an embryonalen Stammzellen zu einem eigenständi-gen Fachgebiet,9 welches mittlerweile erste Erfolge zu verzeichnen hat. Im Juni 2012 gelang es japanischen Wissenschaftlern, aus embryonalen Stammzellen Vorläufer-zellen des menschlichen Auges zu züchten.10 Damit verbunden ist die Hoffnung mit diesen gezüchteten Netzhautzellen neue Behandlungsformen für Blinde und Patien-ten mit schlechter Sehkraft oder Augenverletzungen zu schaffen.

Embryonale Stammzellen haben gegenüber adulten Stammzellen den wirtschaftli-chen Vorteil, dass die Zellen unbegrenzt vermehrbar sind und damit zu einem Pro-dukt werden können.11 Daher sind sie Gegenstand von weitreichenden Patentan-sprüchen. Beispielsweise wurden die wissenschaftlichen Ergebnisse von Thomson bereits 1996 durch mehrere Patente abgesichert.12 Das am 13.03.2001 erteilte US-Patent 6,200,806 umfasst das Verfahren zur Herstellung humaner embryonaler Stammzellen und bildet damit das (strategische) Basispatent für den gesamten For-schungsbereich.13

Im Zusammenhang mit den rasanten Fortschritten in der Stammzellforschung und Gentechnik wurde auch die Forderung „kein Patent auf Leben“ immer lauter.14 Durch

die Biotechnologie wurden ganz neue, ethisch strittige Probleme geschaffen. Daher ergab sich ein Bedarf an einer vereinheitlichten europäischen Patentgesetzgebung. Dies mündete 1998 in der Verabschiedung der Biotechnologie-Richtlinie15. Dort heißt es in Erwägungsgrund (1), dass die Biotechnologie in verschiedenen Industriezwei-gen eine immer wichtigere Rolle spielt und daher dem Schutz biotechnologischer Er-findungen eine grundlegende Bedeutung für die industrielle Entwicklung der Union zukommt. Die Richtlinie hat die nationalen deutschen Patentvorschriften maßgeblich beeinflusst.

8 Thomson et al., Science 282 (1998), 1145. 9 Heinemann/Kersten, Stammzellforschung, 15.

10 Cyranoski, Nature v. 15.06.2012,

http://www.nature.com/news/biologists-grow-human-eye-precursor-from-stem-cells-1.10835.

11 Kempermann, in: Geyer, Biopolitik, 286 (291).

12 Dazu Schneider, in: Stammzellenforschung und therapeutisches Klonen, 211 (213 ff.). 13 Schneider, in: Stammzellenforschung und therapeutisches Klonen, 211 (214).

14 Vgl. etwa www.keinpatent.de und www.greenpeace.de/themen/patente/patente_auf_leben, zuletzt

abgerufen am 15.09.2012.

15 Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 über den

recht-lichen Schutz biotechnologischer Erfindungen vom 06.07.1998, ABl. L 213 vom 30.07.1998, 13, im Folgenden: BiotechnologieRL.

(7)

Die vorliegende Arbeit wird sich mit den Auslegungsproblemen der Biotechnolo-gieRL hinsichtlich der Patentierbarkeit menschlicher embryonaler Stammzellen be-schäftigen. Dazu ist es zunächst nötig sich die naturwissenschaftlichen Grundlagen der Embryonalentwicklung und Stammzellforschung zu verdeutlichen. Anschließend werden die ethischen Probleme um die Gewinnung embryonaler Stammzellen disku-tiert. Nachdem der biologische und ethische Rahmen abgesteckt ist, wird sich der Hauptteil der Arbeit auf das Normendickicht konzentrieren, welches sich um die Pa-tentierbarkeit von embryonalen Stammzellen gebildet hat. Besonders die sog. Brüst-le-Entscheidung des EuGH vom 18.10.2011 und ihre Auswirkungen werden dabei untersucht.16

B. Naturwissenschaftliche Grundlagen

Als Grundlage der juristischen und ethischen Überlegungen ist es erforderlich, die naturwissenschaftlichen Grundbegriffe rund um die Stammzellforschung zu klären. Dazu wird zunächst zum besseren Verständnis die Embryonalentwicklung in vivo er-örtert.

I. Embryonalentwicklung

Die Embryonalentwicklung beginnt mit Befruchtung der Eizelle durch ein Spermi-um. Durch das Eindringen des Spermiums in die Eizelle (sog. Imprägnation) entsteht ein neues Zellgebilde (sog. Zygote).17 Die Zygote enthält nun zunächst den haploiden Chromosomensatz des Vaters und den haploiden Chromosomensatz (sowie die DNS der Mitochondrien) der Mutter.18 Aus beiden Chromosomensätzen bildet sich jeweils ein Vorkern. Nachdem sich das in diesen beiden Vorkernen enthaltene Material ver-doppelt hat, bewegen sich die Vorkerne aufeinander zu, um sich schließlich zu diploi-den Chromosomensätzen zu vereinigen (sog. Konjugation).19 Durch die erste ge-meinsame Teilung (Furchung) entsteht so ein zweizelliger Embryo, dessen beide Zel-len einen diploiden Chromosomensatz aufweisen.20 Damit endet die Befruchtung

16 EuGH, GRUR 2011, 1104 – Brüstle/Greenpeace. Dazu unten D. IV. 3. a. – d. 17 Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG, A Rn. 36; Wisser, in: Status des Embryos, 26 (27).

18 Ein Chromosomensatz ist haploid, wenn er in einer Zelle nur einfach vorhanden ist, d.h. die Zelle

von allen verschiedenen Chromosomentypen nur jeweils einen enthält (also insgesamt 23 Chro-mosomen). Diploid meint hingegen, dass ein zweifacher Chromosomensatz enthalten ist, wobei ei-ner von der Eizelle und eiei-ner vom Spermium stammt.

19 Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG, A Rn. 36; Weschka, Status und Schutz des menschlichen

Embry-os, 181.

(8)

nach ca. 24 Stunden.21 Dann enthält die Zygote die volle art- und individualspezifi-sche Erbinformation.22

Eine echte Kernverschmelzung von Ei- und Samenzelle (etwa im wörtlichen Sinne des § 8 I ESchG) findet nicht statt, d.h. es gibt zu keinem Zeitpunkt einen einzelligen Embryo mit einem einzigen Kern.23 „Kernverschmelzung“ kann daher nur das Zu-sammenfinden der beiden haploiden Chromosomensätze der Vorkerne zur Zelltei-lung meinen, d.h. der Moment, in dem die Zygote ein neues, sich teilendes diploides Genom erhält.24 Das erste Stadium, in dem väterliche und mütterliche Chromosomen gemeinsam in einem Zellkern vorkommen, ist somit das Zwei-Zell-Stadium.25

In den folgenden 6 bis 7 Tagen wandert die befruchtete Eizelle durch Kontraktio-nen des Eileiters und durch Flimmerhaare auf dessen Oberfläche in den Uterus.26 Dabei findet ein Stoffaustausch zwischen umgebenden Geweben und der Eizelle in beide Richtungen statt.27 Während dieser Wanderung teilen sich die embryonalen Zellen ungefähr alle 12 bis 36 Stunden in Tochterzellen (sog. Blastomeren) und wan-deln sich so zur Morula (ab 16-Zell-Stadium).28 Dabei kommt es zwischen dem

4-Zell- und dem 8-4-Zell-Stadium zu einem Wechsel der genetischen Steuerung der Zel-len: die Gene des Embryos übernehmen von den mütterlichen Genen der Eizelle die weitere Regulation der Zell- und Organentwicklung.29 Im 8-Zell-Stadium ist das

emb-ryonale Genom voll aktiviert.30 Bis zum 8-Zellstadium (ca. am 2. Tag) sind die Zellen zudem totipotent, d.h. sie haben die Fähigkeit, sich jeweils unter gegebenen Umstän-den zu vollständigen und selbstständigen Individuen zu entwickeln.31 Theoretisch denkbar ist es, dass sich eine einzelne, dem Embryo entnommene Zelle, unter

21 Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG, A Rn. 36, 38.

22 Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG, A Rn. 37; Wisser, in: Status des Embryos, 26 (28).

23 Deutscher Ethikrat, PID, 11 (Fn. 8); Nationaler Ethikrat, Genetische Diagnostik, 12;

Gün-ther/Taupitz/Kaiser, ESchG, A Rn. 37; Wormer, Stammzellen, 30 (mit Abbildungen auf S. 32 f.).

24 Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG, A Rn. 37; Taupitz, Jhb. Für Wissenschaft und Ethik 2008, 107

(121).

25 Nationaler Ethikrat, Genetische Diagnostik, 12. 26 Nationaler Ethikrat, Genetische Diagnostik, 13.

27 Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG, A Rn. 38; Weschka, Status und Schutz des menschlichen

Embry-os, 182.

28 Deutscher Ethikrat, PID, 11; Nationaler Ethikrat, Genetische Diagnostik, 13;

Gün-ther/Taupitz/Kaiser, ESchG, A Rn. 39; Wisser, in: Status des Embryos, 26 (28).

29 Wisser, in: Status des Embryos, 26 (28).

30 Plachot, Human Reproduction 15 (2000), 49; Wisser, in: Status des Embryos, 26 (28). 31 Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG, A Rn. 39; Bioethikkommission, Forschung an heS, 10.

(9)

eigneten Umständen als eigener, genetisch identischer Embryo weiterentwickeln kann.32

In der weiteren Entwicklung vergrößern sich die extrazellulären Räume und füllen sich mit Flüssigkeit, so dass aus der Morula nach ca. 4 Tagen eine Blastozyste (100 bis 200 Zellen) entsteht.33 In der Blastozyste ist deutlich die sog. innere Zellmasse (Embryoblast) von den umgebenden Zellen (Trophoblast) zu unterscheiden.34 Der Embryoblast entwickelt sich später zum Embryo und der Trophoblast ist die Vorstufe zur späteren Plazenta.35 Der Embryoblast hat noch die Fähigkeit, sich zu mehreren individuellen Embryonen zu entwickeln.36 Wegen der umfassenden Differenzierungs-fähigkeit der inneren Zellmasse nennt man diese Zellen auch embryonale Stammzel-len, die sich in alle Zellen eines Organismus entwickeln können.37

Am 7. Tag hat die Blastozyste den ersten Kontakt zur Gebärmutterschleimhaut aufgenommen (sog. Nidation).38 Damit beginnt die 7 Tage andauernde Implantati-onsphase, die zur Einbettung der gesamten Keimanlage in die Gebärmutterschleim-haut führt.39 Aufgrund verschiedener zellulärer Austauschprozesse zwischen dem

mütterlichen Uterus und den embryonalen Trophoblastzellen ist zumindest von einer mittelbaren Abhängigkeit der Embryogenese von der Mutter auszugehen.40 Erst nach

der Nidation wächst der Embryo und es finden die gestaltgebenden Prozesse statt.41

Nach der Implantation in die Gebärmutter findet zu Beginn der dritten Woche die Ausbildung des Primitivstreifens statt, durch den die Körperachsen des Embryos (Kopf-Rumpf und Rücken-Bauch) sowie die drei Keimblätter (Ektoderm, Entoderm und Mesoderm) gebildet werden.42 Aus den Keimblättern leiten sich die Zellen aller somatischen Gewebe und Organe eines Organismus ab.43 Der Blastozyste selbst

32 Deutscher Ethikrat, PID, 11.

33 BT-Drs. 14/7546, 8; Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG, A Rn. 40; Junqueira/Carneiro/ Gratzl,

Histolo-gie, 402.

34 Deutscher Ethikrat, PID, 12; Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG, A Rn. 40.

35 Deutscher Ethikrat, PID, 12; Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG, A Rn. 40; Bioethikkommission,

For-schung an heS, 10.

36 Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG, A Rn. 40; Schroth, JZ 2002, 170 (175).

37 Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG, A Rn. 40; Rohwedel, in: Hauskeller, Humane Stammzellen, 18

(20). Dazu ausführlicher unter B. II. 2.

38 Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG, A Rn. 40; Müller-Götzmann, Artifizielle Reproduktion, 219. 39 Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG, A Rn. 41; Müller-Götzmann, Artifizielle Reproduktion, 219. 40 Kummer, in: Biomedizin und Menschenrechte, 59 (70); Herzog, in: Status des Embryos, 34 (35). 41 Wallner, Moralischer Dissens, 11.

42 Nationaler Ethikrat, Genetische Diagnostik, 14; Bioethikkommission, Forschung an heS, 10. 43 Rohwedel, in: Hauskeller, Humane Stammzellen, 18 (20).

(10)

fehlen die erforderlichen Positionssignale zur Herausbildung der Körperachsen.44 Nicht eingepflanzte Blastozysten können sich daher nicht weiterentwickeln und gehen zu Grunde.45 Mit dem Abschluss der Implantation und der Ausbildung des Primitiv-streifens endet auch die Möglichkeit der Mehrlingsbildung.46 Der Embryo ist erst jetzt ein Individuum.

Mit Beginn der Implantation ist die Phase der sog. Blastogenese abgeschlossen und es folgt die Gastrulation (Bildung der Keimblätter), durch die die Organogenese beginnt (ab der 4. Woche).47 In der Organogenese erfolgt die Differenzierung einzel-ner Zellen zu den späteren Organanlagen.48 Damit ist die eigentliche Embryogenese abgeschlossen und es folgt mit der Fetogenese die Reifung aller Organe bis zum En-de En-der Schwangerschaft.49

II. Grundlagen der Stammzellforschung

Viele Zellen haben nur eine kurze Lebensdauer und müssen ersetzt werden. Infol-ge der Zelldifferenzierung verlieren die meisten Zellen ihre Teilungsfähigkeit.50 Für

Wachstum und Erneuerung abgestorbener Zellen sind die sog. Stammzellen zustän-dig.

1. Der Begriff „Stammzelle“

Stammzellen sind vereinfacht gesagt Zellen, von denen andere Zellen „abstam-men“.51 Zellen vermehren sich durch Zellteilung. Die Besonderheit von Stammzellen besteht darin, dass eine Tochterzelle verschieden von der Mutterzelle sein kann. Die Tochterzelle differenziert52 sich weiter in den jeweiligen Zelltyp, während die (Toch-ter-)Stammzelle in einem undifferenzierten Zustand (mit gleichem Entwicklungspo-tenzial) bleibt.53 Dies wird auch als asymmetrische Teilung bezeichnet.54

44 Kummer, in: Biomedizin und Menschenrechte, 59 (72 f.). 45 Kummer, in: Biomedizin und Menschenrechte, 59 (73).

46 Nationaler Ethikrat, Genetische Diagnostik, 14; Schroth, JZ 2002, 170 (175); Knoepffler, in:

Men-schenwürde und medizinethische Konfliktfälle, 55 (57).

47 Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG, A Rn. 42; Wallner, Moralischer Dissens, 11; Müller-Götzmann,

Artifizielle Reproduktion, 219.

48 Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG, A Rn. 42; Müller-Götzmann, Artifizielle Reproduktion, 219. 49 Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG, A Rn. 42; Müller-Götzmann, Artifizielle Reproduktion, 219. 50 Müller/Hassel, Entwicklungsbiologie, 19.1.1.

51 Kempermann, Neue Zellen, 131.

52 Der Begriff kommt von differe = sich unterscheiden und bezeichnet eine Entwicklung, bei der sich

die Zellen immer weiter spezialisieren, Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG, A Rn. 219.

53 Heinemann/Kersten, Stammzellforschung, 24. 54 Müller/Hassel, Entwicklungsbiologie, 19.1.1.

(11)

In der Regel gibt es mehrere Differenzierungswege für unterschiedliche Zelltypen. Diese verschiedenen Möglichkeiten werden als das „Potenzial“ der Stammzelle be-zeichnet. Meist spricht man in diesem Zusammenhang von „Multipotenz“, da die Stammzelle viele Entwicklungsmöglichkeiten hat.55 Damit lautet die klassische Stammzelldefinition: „Selbsterneuerung plus Multipotenz“.56 Etwas genauer gefasst geht man von drei Eigenschaften der Stammzellen aus: Sie können sich über lange Zeit selbst erneuern (proliferieren, vermehren), sie sind selbst nicht spezialisiert (un-differenziert) und sie haben die Fähigkeit, spezialisierte Zellen hervorzubringen.57

2. Das Potenzial von Stammzellen

Da sich Stammzellen sowohl qualitativ als auch quantitativ in ihrem Potenzial un-terscheiden, können sie anhand dessen auch charakterisiert werden.58 Daraus folgt ein stark vereinfachtes Modell einer Abstammungslinie von Zellen.59

Die oberste Hierarchieebene besteht aus totipotenten Stammzellen. Der Begriff der Totipotenz kann auf die Einzelzelle oder Gewebeverbände bezogen werden.60

Der Begriff der Totipotenz wird uneinheitlich verwendet: zum einen beschreibt er die Fähigkeit, alle Zell- bzw. Gewebetypen bilden zu können, zum anderen wird er als weiteres Merkmal die Fähigkeit zur Selbstorganisation i.S.d. Bildung eines lebensfä-higen Individuums verwendet.61 Es erscheint sinnvoll für die Fähigkeit, alle Zellarten des Körpers zu bilden (ohne die Fähigkeit zur Selbstorganisation), den Begriff der Omnipotenz (omnia = alle) zu verwenden.62 Der Begriff Totipotenz (totus = ganz) im engeren Sinne wird dann für Omnipotenz verbunden mit der Fähigkeit zur Bildung eines ganzen Individuums verwendet.63 Als Beispiel für totipotente Stammzellen wird meist die befruchtete Eizelle angeführt, denn aus ihr geht ein ganzer Organismus hervor. Dennoch passt die klassische Stammzelldefinition nicht ganz, denn es fehlt

55 Teilweise wird der Begriff Multipotenz aber noch im Zusammenhang mit Toti- und Pluripotenz

ver-wendet. Dort bezeichnet Multipotenz, die am weitesten eingeschränkte Klasse der Stammzellen.

56 Watt/Hogan, Science 287 (2000), 1427; Kempermann, Neue Zellen, 133. 57 Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG, A Rn. 219.

58 Kempermann, Neue Zellen, 133.

59 Heinemann/Kersten, Stammzellforschung, 25.

60 Denker, in: Stammzellenforschung und therapeutisches Klonen, 19 (22 f.); Beier, in:

Stammzellen-forschung und therapeutisches Klonen, 36 (39).

61 Denker, in: Stammzellenforschung und therapeutisches Klonen, 19 (21); Schütze, Embryonale

Humanstammzellen, 6.

62 Denker, in: Stammzellenforschung und therapeutisches Klonen, 19 (25); so auch

Bioethikkommis-sion, Forschung an heS, 9. Bei Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort: Stammzellen, S. 1961 wird der Begriff der Omnipotenz synonym für Totipotenz verwendet.

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die Fähigkeit zur Selbsterneuerung: spätestens, wenn sie das 16-Zell-Stadium er-reicht, hat sie die Fähigkeit zur Totipotenz eingebüßt.64 Nach aktuellen Erkenntnissen sind die Zellen des Embryos jedenfalls bis zum 8-Zell-Stadium totipotent.65 Daher werden diese Zellen durch § 8 I Hs. 2 ESchG dem Embryo gleichgesetzt.

Aus den totipotenten Stammzellen gehen durch Zellteilungen und den dabei statt-findenden Differenzierungsvorgängen pluripotente Stammzellen hervor.66 Unter Pluripotenz (plures = mehrere) versteht man die Fähigkeit, viele verschiedene, aber nicht alle Zelltypen zu bilden.67 Die Zellen der am 5. Tag erkennbaren inneren Zell-masse der Blastozyste können sich zwar zu allen Organgeweben differenzieren.68 Ein vollständiges, lebensfähiges Individuum im Sinne eines Zwillings können diese Zellen aber nur noch hervorbringen, wenn sie die Plazenta des anderen Zwillings während der Embryo-Fetal-Phase mitbenutzen können.69 Die Zellen der Blastozyste sind daher „nur“ pluripotent.70 Wenn man heute von embryonalen Stammzellen spricht, dann sind diese pluripotenten Zellen der Blastozyste gemeint.71

Pluripotente Stammzellen erzeugen multipotente Stammzellen, die man wiederum in Langzeit- und Kurzzeit-Stammzellen aufteilen kann.72 Langzeit-Stammzellen sind

entweder ruhend oder haben eine niedrige Teilungsfrequenz, bei der als Tochterzel-len die Kurzzeit-StammzelTochterzel-len entstehen können.73 Diese haben eine höhere

Tei-lungsfrequenz und bringen sog. Progenitor-Zellen (progenitor = Vorläufer) hervor, deren Differenzierungspotential festgelegt ist.74 Die Progenitor-Zellen teilen sich symmetrisch in zwei Zellen mit gleicher Differenzierung.75 Da sie meist die unmittel-baren Vorläuferzellen von ausdifferenzierten Zellen sind, werden sie auch als Precur-sor-Zellen bezeichnet (precursor = Vorläufer).76 Man vermutet, dass die Stammzellen

64 Kempermann, Neue Zellen, 134.

65 Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG, A Rn. 220. 66 Heinemann/Kersten, Stammzellforschung, 25.

67 Denker, in: Stammzellenforschung und therapeutisches Klonen, 19 (21); Beier, in:

Stammzellenfor-schung und therapeutisches Klonen, 36 (45).

68 Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG, A Rn. 221. 69 Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG, A Rn. 221. 70 Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG, A Rn. 221. 71 Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG, A Rn. 221. 72 Heinemann/Kersten, Stammzellforschung, 25. 73 Heinemann/Kersten, Stammzellforschung, 25.

74 Heinemann/Kersten, Stammzellforschung, 25; Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG, A Rn. 223. 75 Heinemann/Kersten, Stammzellforschung, 25.

(13)

eine „Backup“-Funktion haben, wohingegen die Vorläuferzellen auf Grund der hohen Teilungsfrequenz auf Verbrauch ausgelegt sind.77

Die sog. unipotenten Stammzellen können nur einen Zelltypen hervorbringen. Uni-potente Stammzellen gibt es z.B. in der Haut und den Muskeln.78

3. Einteilung nach der Herkunft

Man kann je nach der Herkunft zwischen adulten Stammzellen (AS-Zellen), emb-ryonalen Keimzellstammzellen (EG-Zellen) und embemb-ryonalen Stammzellen (ES-Zellen) unterscheiden.

Adulte Stammzellen79 werden aus dem bereits voll entwickelten Organismus ge-wonnen. Sehr praxisrelevant sind die AS-Zellen im Knochenmark, welche alle Blut-körperchen produzieren (sog. hämatopoetische Stammzellen).80 In jedem regenerati-onsfähigen Gewebe des Körpers befinden sich Stammzellen.81 Wenn man die ent-sprechenden Marker kennen würde, könnte man diese Stammzellen gegebenenfalls ebenso gut gewinnen wie die Stammzellen des Knochenmarks.82 Die AS-Zellen sind

jedoch immer gewebespezifische Stammzellen und unterscheiden sich daher in ih-rem Differenzierungspotential und in ihrer Teilungsfähigkeit von EG- und ES-Zellen.83

Da sie die Funktion haben das jeweilige Gewebe oder Organ frisch zu halten, sind sie je nach Aufgabe unipotent oder multipotent.84 Nur ES-Zellen sind in vitro (unter be-stimmten Kulturbedingungen) unbegrenzt teilbar.85 Möglicherweise können derartige Kulturbedingungen aber auch für adulte Stammzellen gefunden werden.86 Der größte Vorteil der adulten Stammzellen ist, dass man ohne Immunreaktionen autolog87 transplantieren kann.88

77 Kempermann, Neue Zellen, 139.

78 Müller/Hassel, Entwicklungsbiologie, 19.2.1. Die Bioethikkommission, Forschung an heS, 9 nennt

diese Stammzellen „multipotente (gewebespezifische) Zellen.

79 Auch gewebespezifische, somatische oder Körperstammzellen genannt, Günther/Taupitz/Kaiser,

ESchG, A Rn. 223; Rohwedel, in: Hauskeller, Humane Stammzellen, 18 (28).

80 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort: Stammzellen, hämatopoetische, S. 1961.

81 Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG, A Rn. 223; Hauskeller, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 27/2001,

7 (10).

82 Hauskeller, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 27/2001, 7 (10). 83 Hauskeller, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 27/2001, 7 (10). 84 Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG, A Rn. 223.

85 Rohwedel, in: Hauskeller, Humane Stammzellen, 18 (28). 86 Rohwedel, in: Hauskeller, Humane Stammzellen, 18 (28).

87 D.h. die eingesetzten Stammzellen stammen vom Patienten selbst, Pschyrembel, Klinisches

Wör-terbuch, Stichwort: Stammzelltransplantation, S. 1962.

(14)

EG-Zellen werden durch die Isolierung von primordialen89 Keimzellen aus frühge-burtlichen oder abgetriebenen Feten (zwischen der fünften bis neunten Schwanger-schaftswoche) gewonnen.90 Die primordialen Keimzellen wandern während der Emb-ryonalentwicklung entlang des Darms in die Gonaden.91 Wenn die Zellen in den auch Genitalleisten genannten Anlagen angekommen sind, können sie isoliert und ähnlich wie ES-Zellen in Kultur genommen werden.92 Die Gewinnung dieser Zellen ist mit den ethischen Problemen um den Schwangerschaftsabbruch belastet. Versuche aber zeigen, dass sich diese Methode weniger gut zur Gewinnung humaner Stammzellen eignet als die anderen Verfahren.93

Der Begriff der fetalen Stammzellen wird in diesem Zusammenhang uneinheitlich benutzt. Als fetale Stammzellen im engeren Sinne werden die primordialen Keimzel-len des Fetus, aus denen sich über die KeimzelKeimzel-len die späteren Gonaden entwickeln, bezeichnet.94 Dies entspricht dem Begriff der EG-Zellen.95 Im weiteren Sinne werden mit diesem Begriff Stammzellen fetaler Organe und Stammzellen aus Nabel-schnurblut gefasst, die im Wesentlichen mit adulten Stammzellen gleichzusetzen sind.96 Die aus den embryonalen Keimzellen von Feten gewonnenen Stammzellen

sind vielleicht omnipotent, sicher aber pluripotent.97

ES-Zellen98 können aus frühen Embryonalstadien, typischerweise aus

Blastozys-ten am 4. oder 5. Tag nach einer extrakorporalen Befruchtung, entnommen werden, wobei die verbleibende innere Zellmasse nicht mehr entwicklungsfähig ist.99 Meist handelt es sich bei den dazu benutzten Embryonen um überzählige Embryonen nach

89 Primordial kommt von lat. Primordium = Uranfang, Ursprung und steht für ursprünglich, von Anfang

an, Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort: primordial, S. 1675.

90 Hauskeller, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 27/2001, 7 (9). Gonaden sind die Geschlechtsdrüsen

(Keimdrüsen); Eierstöcke (Ovarien) und Hoden (Testes), Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort: Gonaden, S. 784.

91 Rohwedel, in: Hauskeller, Humane Stammzellen, 18 (21). 92 Rohwedel, in: Hauskeller, Humane Stammzellen, 18 (21 f.). 93 Hauskeller, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 27/2001, 7 (9 f.). 94 Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG, A Rn. 222.

95 Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG, A Rn. 222. 96 Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG, A Rn. 222 f. 97 Bioethikkommission, Forschung an heS, 10.

98 Der Begriff leitet sich aus dem englischen „human embryonic stem-cell“ ab und wird daher auch

synonym mit „hes-cells“ abgekürzt, Schütze, Embryonale Humanstammzellen, 9 f.

99 Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG, A Rn. 226; Rohwedel, in: Hauskeller, Humane Stammzellen, 18

(20). Wege zur Gewinnung embryonaler Stammzellen sind bei BT-Drs. 14/7546, 9 (Abbildung 1) il-lustriert.

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einer durchgeführten In-vitro-Fertilisation zu therapeutischen Zwecken.100 In den USA sollen im Jahr 2004 ca. 400.000,101 in Deutschland im Jahr 2000 zwischen 60 und 70 verwaiste Embryonen vorrätig gewesen sein.102 Nach einer Lagerung von ca. 5 Jah-ren sollen die verwaisten Embryonen grundsätzlich fortpflanzungsmedizinisch nicht mehr geeignet sein, da das Risiko von Fehlbildungen zu groß sei.103

Unter bestimmten Bedingungen bleiben die so gewonnenen ES-Zellen in vitro pluripotent. Diese so etablierten permanenten Zelllinien können theoretisch unbe-grenzt vermehrt werden.104 Die Blastozyste wird bei der Gewinnung embryonaler Stammzellen zerstört. Es ist aber zumindest denkbar, dass es in Zukunft Techniken geben wird, durch die ES-Zelllinien etabliert werden können und der Embryo lebens-fähig bleibt.105 Bei Maus-Embryonen ist dies bereits gelungen.106

4. Alternative Methoden zur Gewinnung embryonaler Stammzellen

Zur Etablierung menschlicher ES-Zellen werden alternative Methoden erforscht, damit die Zerstörung von Embryonen vermieden werden kann.107 Zwei Beispiele

da-für sind die Induktion von Pluripotenz somatischer Zellen und die Reprogrammierung somatischer Zellen in ein embryonales Stadium durch Fusion mit embryonalen Stammzellen.108

Es gelang japanischen Forschern im Jahr 2006, Zellen aus der Schwanzspitze ei-ner Maus durch vier definierte Faktoren in induzierte pluripotente Stammzellen (sog. iPS-Zellen) zu verwandeln.109 Die iPS-Zellen haben die gleichen Eigenschaften wie ES-Zellen.110 Im November 2007 gelang es schließlich mehreren Forschern mensch-liche Hautzellen in pluripotente Stammzellen umzuwandeln.111 Dennoch müssen die

100 Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG, A Rn. 226; Hauskeller, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 27/2001,

7 (9).

101 Kreß, Medizinische Ethik, 130.

102 Möller/Thaele, Reproduktionsmedizin 18 (2002), 136. 103 Kreß, Medizinische Ethik, 130.

104 Rohwedel, in: Hauskeller, Humane Stammzellen, 18 (20). 105 BT-Drs. 14/7546, 10.

106 BT-Drs. 14/7546, 10 mit Verweis auf Amit et al., Developmental Biology 227 (2000), 271. 107 Überblick bei Bioethikkommission, Forschung an heS, 11 – 13.

108 Dazu Wobus, Naturwissenschaftliche Rundschau 2008, 221 m.w.N.; DFG, Stammzellforschung, 37

ff.; Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG, A Rn. 227 ff.; Heinemann/Kersten, Stammzellforschung, 65 f.

109 Grotewold, Naturwissenschaftliche Rundschau 2008, 27 f. m.w.N.; Faltus, MedR 2008, 544 (545). 110 Grotewold, Naturwissenschaftliche Rundschau 2008, 27; Wobus, Naturwissenschaftliche

Rund-schau 2008, 221; Heinemann/Kersten, Stammzellforschung, 65.

111 Grotewold, Naturwissenschaftliche Rundschau 2008, 27 f. m.w.N.; Wobus, Naturwissenschaftliche

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Unterschiede zwischen den iPS-Zellen und den unveränderten embryonalen Stamm-zellen noch erforscht werden.112

Eine weitere Methode ist der Zellkerntransfer („Somatic Cell Nuclear Transfer, SCNT) eines adulten Zellkerns in eine zuvor entkernte Eizelle.113 Das verbleibende Plasma der Eizelle besitzt die Kräfte, die eingeschränkte Potenz des adulten Zell-kerns wieder zur vollen Potenz einer Zygote zu reaktivieren.114 Damit kann sich die Eizelle zur Blastozyste mit einer inneren Zellmasse, den embryonalen Stammzellen, entwickeln.115 Mit Ausnahme der mitochondrialen DNS sind die so entstandenen Stammzellen mit dem Zellkern-Spender genetisch identisch.116 Wegen des hohen Verbrauchs von Eizellen und der brisanten Nähe zum therapeutischen Klonen ist die SCNT-Technik ethisch strittig und wird durch die neueren Ergebnisse zur induzierten Pluripotenz in ihrer Bedeutung zurücktreten.117 Die Reprogrammierung von Körper-zellen wird demgegenüber als „Königsweg“ angestrebt.118

Die Befunde zur Reprogrammierung und induzierter Pluripotenz zeigen, dass das Entwicklungsprogramm von Zellen des Menschen keine Einbahnstraße ist, sondern dass es auch in umgekehrter Richtung experimentell gesteuert werden kann.119

Die-se Technologie bietet die Chance zur Gewinnung individueller, patientengeeigneter Spenderzellen für Zelltherapien und die Möglichkeit, die Entstehungsmechanismen von Krankheiten auf neue Weise zu erforschen.120

Dennoch wird angemahnt, dass die besten iPS-Zellen nicht an die Vorteile von embryonalen Stammzellen herankommen können, da sie aus dem Körper entnom-men werden und daher genomisch dessen Alter hätten.121 Wenn zum Beispiel eine Haut- oder Blutzelle eines 50 Jahre alten Patienten reprogrammiert wird, trägt die gewonnene iPS-Zelle alle Mutationen, die sich im Laufe des natürlichen Alterungs-prozesses während der 50 Jahre angehäuft haben.122 Es bestehe daher ein erhöhtes

112 Bioethikkommission, Forschung an heS, 12. 113 Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG, A Rn. 227. 114 Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG, A Rn. 227. 115 Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG, A Rn. 227. 116 Bioethikkommission, Forschung an heS, 11.

117 Wobus, Naturwissenschaftliche Rundschau 2008, 221 (222). 118 Faltus, MedR 2008, 544 (545).

119 Wobus, Naturwissenschaftliche Rundschau 2008, 221 (223). 120 Wobus, Naturwissenschaftliche Rundschau 2008, 221 (224).

121 So Brüstle wiedergegeben bei Klimpel, Welt Online vom 25.04.2012. 122 So Brüstle wiedergegeben bei Klimpel, Welt Online vom 25.04.2012.

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Krebsrisiko.123 Weitere Grundlagenforschung sowohl an embryonalen als auch an adulten Stammzellen ist daher nötig.

C. Ethische Beurteilung der Gewinnung von embryonalen Stammzellen

Hinsichtlich der Gewinnung von Stammzellen aus Embryonen zu Forschungszwe-cken werden in der ethischen Beurteilung zwei Argumentationslinien verfolgt: Zum einen sei ein Verbot erforderlich, um den Embryo zu schützen, und zum anderen we-gen eines dahingehenden Allgemeininteresses.124 Es geht letztendlich um den mora-lischen Status von Embryonen, da diese zur Stammzellgewinnung in einem Frühsta-dium zerstört werden.125 Welche Schutzwürdigkeit kann frühen menschlichen Embry-onen zugesprochen werden?

I. Diskussion hinsichtlich des Schutzes des Embryos

Es ist fraglich, ob dem Embryo in vitro bereits Menschenwürdeschutz zukommt. Die Diskussion lässt sich (vereinfacht) in zwei Positionen unterteilen:126 Die erste Po-sition127 geht davon aus, dass dem menschlichen Embryo mit abgeschlossener

Be-fruchtung absoluter Würdeschutz zukommt, wohingegen die zweite Position128 von

einem abgestuften Würdeschutz, entsprechend dem Erwerb bestimmter Eigenschaf-ten in den unterschiedlichen Entwicklungsstadien, ausgeht. Dabei wird oft auf die

123 So Brüstle wiedergegeben bei Klimpel, Welt Online vom 25.04.2012.

124 Einteilung nach Schroth, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann, Einführung, § 14.5.4. (S. 472) und

Merkel, in: Bockenheimer-Lucius, Forschung an embryonalen Stammzellen, 41.

125 Sehr anschaulich und systematisch ist die Diskussion um den ethischen Status humaner

Embryo-nen bei Klar/Kunze/Zahradnik, Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie 1/2007, 21 aufgearbeitet und zusammengefasst.

126 Systematisierung nach Heinemann/Kersten, Stammzellforschung, 201 (auch mit weiteren

Untertei-lungen) und Bioethikkommission, Forschung an heS, 18. Andere Unterteilungen finden sich z.B. bei Hoerster, JuS 2003, 529: „Es gibt im Wesentlichen vier unterschiedliche Positionen, die in der ge-genwärtigen Diskussion als Antworten auf die Frage vertreten werden. Antwort 1: Das Lebensrecht beginnt mit der Befruchtung. Antwort 2: Das Lebensrecht beginnt mit der Geburt. Antwort 3: Das Lebensrecht beginnt mit der Befruchtung; es steht dem Embryo aber - anders als dem geborenen Menschen - nur in einer abgeschwächten Form zu. Antwort 4: Das Lebensrecht beginnt zu einem Zeitpunkt, der zwischen Befruchtung und Geburt liegt“ und bei Knoepffler, Angewandte Ethik, 79, der drei Positionen unterscheidet: Menschenwürde ab Befruchtung, ab Ausbildung des Primitiv-streifens und zu einem späteren Zeitpunkt, spätestens aber ab der Geburt.

127 Starck, JZ 2002, 1065 (1067); Eibach, in: Stammzellenforschung und therapeutisches Klonen,170

(185); dazu gehören auch u.a. der Philosoph Jürgen Habermas, der ehemalige Präsident der DFG Wolfgang Frühwald, die ehemaligen Bundesjustizminister Herta Däubler Gmelin und Hans-Jochen Vogel und der ehemalige Bundespräsident Johannes Rau sowie der mittlerweile verstorbene Prä-sident der Bundesärztekammer Jörg-Dietrich Hoppe, vgl. Kreß, Medizinische Ethik, 16 f., 146 f.

128 Statt vieler Herdegen, JZ 2001, 773 (774 ff.); Scholz, in: FS Baur, 673 (674 ff.); ähnlich Schroth, in:

(18)

dation als entscheidende biologische Zäsur abgestellt.129 Nach der zweiten Position ist eine Güterabwägung unter bestimmten Bedingungen möglich.

In dieser Diskussion werden oft die auf dem christlichen Menschenbild beruhende Gottesebenbildlichkeit des Menschen und dessen unsterbliche Seele angeführt.130 Aus der Heiligkeit des menschlichen Lebens werden Menschenwürde und Lebens-schutz der Embryonen abgeleitet. Für diejenigen, die nicht an die Existenz eines (christlichen) Gottes glauben oder einer anderen Religion angehören131, aber auch für den weltanschaulich neutralen Staat, ist diese theologische Argumentation jedoch nicht verbindlich.132 Dieser Ansatz kann zwar der Begründung einer entsprechenden Moral dienen, er taugt jedoch nicht zur Begründung (strafbewehrter) Rechte und Pflichten in einem säkularen Staat.133 Sie bleibt daher im Folgenden außer Betracht.

Die Würde und Schutzwürdigkeit der Embryonen wird im Wesentlichen mit Hilfe der sog. SKIP-Argumente begründet: Spezies, Kontinuität, Identität und Potentialität.

1. Das Argument der Spezieszugehörigkeit

Nach dem Speziesargument hat jedes Mitglied der Spezies Mensch Würde und da jeder menschliche Embryo zur Spezies Mensch gehört, steht ihm damit Würde zu.134

Gestützt wird dies auf den Gleichbehandlungsgrundsatz.135 Dagegen lassen sich

mehrere Argumente anführen.

Zum einen muss nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz nur wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich behandelt werden.136 Es ist aber gerade die zu entscheidende Frage, ob Embryonen in frühen Entwicklungsstadien dem

129 So statt vieler Irrgang, Einführung in die Bioethik, 64; Heun, JZ 2002, 517 (522); Schroth, JZ 2002,

170 (177); Taupitz, Jhb. für Wissenschaft und Ethik 2008, 107 (122 m.w.N. in Fn. 93).

130 Die Positionen der katholischen und evangelischen Kirchen werden referiert von Knoepffler, in:

Menschenwürde und medizinethische Konfliktfälle, 55 (61 – 63). Dazu auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Lehmann, Das Recht, ein Mensch zu sein, Eröffnungsreferat bei der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda 24. September 2001.

131 Im Islam, Judentum und den ostasiatischen Kulturen wird die Forschung mit embryonalen

Stamm-zellen wesentlich liberaler als in der katholischen Kirche gesehen, dazu instruktiv Kreß, Medizini-sche Ethik, 150 – 157.

132 Fenner, Angewandte Ethik, 2.3., S. 83; Kreß, Medizinische Ethik, 159; Seelmann,

Rechtsphiloso-phie, § 12 Rn. 17; ähnlich auch BVerfGE 88, 203 (252) zum Lebensrecht des Ungeborenen: „es gilt unabhängig von bestimmten religiösen oder philosophischen Überzeugungen, über die der Rechtsordnung eines religiös-weltanschaulich neutralen Staates kein Urteil zusteht.“

133 Joerden, JuS 2003, 1051.

134 Wiedergegeben bei: Irrgang, Einführung in die Bioethik, 55; Knoepffler, Angewandte Ethik, 79 f. Für

das Speziesargument ist etwa Schockenhoff, in: Damschen/Schönecker, Der moralische Status menschlicher Embryonen, 11 ff.

135 So wiedergegeben bei Merkel, Forschungsobjekt Embryo, 131. 136 BVerfGE 1, 14 (52); 98, 365 (385);121, 317 (369).

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borenen Menschen gleichgestellt werden sollen. Der Gleichbehandlungsgrundsatz kann daher mangels Vergleichsbasis nicht angewandt werden. Diese muss vielmehr zunächst normativ begründet werden.137 Da die Gleichstellung von geborenen Men-schen und Embryonen zur Begründung der Gleichstellung herangezogen wird, han-delt es sich um einen Zirkelschluss (sog. petitio principii).138

Die Privilegierung der eigenen Gattung wird nach Singer als Speziesismus be-zeichnet, der ebenso wie Rassismus abzulehnen sei.139 Danach kann die Gattungs-zugehörigkeit weder eine notwendige noch hinreichende Bedingung für einen absolu-ten Würdeschutz und moralischen Sonderstatus des Menschen (im Vergleich zu Tie-ren) leisten. Um dieses Ziel erreichen zu können, müssten sich spezifische, ethisch relevante Eigenschaften oder Fähigkeiten angeben lassen, die für jeden Mensch und in jedem Entwicklungsstadium typisch sind. Biologische Eigenschaften, wie ein spezi-fischer Chromosomensatz, können eine derartige Begründung nicht leisten.140 Aus der biologischen Beschreibung einer Spezieszugehörigkeit, also einer wertfreien em-pirischen Behauptung, soll ein normatives Werturteil geschlussfolgert werden.141 Es

handelt sich um einen sog. „Sein-Sollen-Fehlschluss“142, d.h. die Behauptung kann

nicht allein durch diesen Schluss begründet werden. Im Gegensatz zu feststellbaren Tatsachenaussagen müssen normative Aussagen erst begründet werden.143 Das

Speziesargument als solches allein kann dies nicht leisten.

2. Das Kontinuitätsargument

Die Prämisse des Kontinuitätsarguments ist, dass jedem Menschen Würde zu-steht.144 Da die Entwicklung von der Zygote bis zum erwachsenen Menschen unter normalen Bedingungen als kontinuierlicher Prozess abläuft, bei dem keine moralisch

137 Steigleder, in: Schulz/Steigleder, 316 (326); Merkel, Forschungsobjekt Embryo, 131.

138 Zum Zirkelschluss vgl. Puppe, Kleine Schule des juristische Denkens, 145: „Der Zirkel, also der

logische Fehler, entsteht nun dadurch, dass die Konsequenz der Ausgangsthese wieder als deren Begründung verwendet wird.“

139 Singer, Praktische Ethik, 82 ff. Speziesisten sind nach Singer, a.a.O., S. 85 f. mit Rassisten

ver-gleichbar, indem sie bei Interessenkollisionen ihrer Interessen mit denen von Angehörigen einer anderen Spezies, den Interessen der eigenen Spezies größeres Gewicht einräumen.

140 Steigleder, in: Schulz/Steigleder, 316 (326); Merkel, Forschungsobjekt Embryo, 132 f.; Seelmann,

Rechtsphilosophie, § 12 Rn. 19.

141 Merkel, Forschungsobjekt Embryo, 131; Kempermann, Neue Zellen, 109.

142 Auch naturalistischen Fehlschluss oder Humes Gesetz genannt, vgl. Quante, Allgemeine Ethik,

122: aus rein deskriptiven Ist-Aussagen sind keine Soll-Aussagen ableitbar. Dazu auch Fenner, Angewandte Ethik, 17.

143 Fenner, Angewandte Ethik, 17 und 83 f. 144 Dem entspricht Art. 1 I GG.

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relevanten Zäsuren erkennbar seien, stehe daher jedem menschlichen Embryo Wür-de zu.145 Ein konkreter Zeitpunkt, an dem sich etwa die Empfindungsfähigkeit ent-wickle oder die Vernunftfähigkeit ergebe, lasse sich nicht willkürfrei festlegen. Zudem sei das Programm des Menschen bereits mit der „Kernverschmelzung“ vollständig beendet.

Ob mit Kernverschmelzung wirklich das Programm des Menschen bereits voll-ständig ist, muss bezweifelt werden.146 Zwar enthält die Zygote nach der Furchung die vollständige Erbinformation. Aber ohne den Stoffaustausch und die Signale von der Mutter während der Wanderung in den Uterus würde das Entwicklungsprogramm enden. Die Regulation der Zell- und Organentwicklung übernimmt der Embryo zudem erst ab dem 8-Zell-Stadium nach Aktivierung der Gene. Bis zur Nidation besteht hin-sichtlich der Embryogenese ein Abhängigkeitsverhältnis zur Mutter. Daher wird davon ausgegangen, dass das menschliche Programm erst mit der Nidation abgeschlossen ist.147 Die Nidation wird daher als bedeutsamer Einschnitt in der Entwicklung (in vivo) angesehen.148 Schließlich lässt sich eine kontinuierliche Entwicklung des Embryos in

vitro zum geborenen Menschen nicht ohne die entscheidende Zäsur des Implantati-onsaktes annehmen.149 Es ist auch gerade die Frage, ob es für die moralische

Be-wertung relevante Einschnitte gibt. Das Kontinuitätsargument setzt also das voraus, was es erst noch beweisen müsste und ist damit ebenfalls ein Zirkelschluss.150

3. Das Identitätsargument

Das Identitätsargument lautet: Jedes Wesen, das aktuell Person ist, hat Würde, viele Erwachsene sind mit Embryonen in moralrelevanter Weise identisch, also

145 Wiedergegeben bei: Irrgang, Einführung in die Bioethik, 55; Knoepffler, Angewandte Ethik, 80. Für

das Kontinuitätsargument ist etwa Honnefelder, in: Damschen/Schönecker, Der moralische Status menschlicher Embryonen, 61 ff. Auch bei BVerfGE 39, 1 (37) wird auf das Kontinuitätsargument abgestellt. Das BVerfG beschreibt diesen Prozess aber erst ab dem 14. Tag nach der Empfängnis, da „jedenfalls“ ab diesem Zeitpunkt nach gesicherter biologisch-physiologischer Erkenntnis dem Embryo ein Recht auf Leben i.S.v. Art. 2 II 1 GG zusteht.

146 In diese Richtung argumentiert Starck, JZ 2002, 1065 (1068).

147 Kummer, in: Biomedizin und Menschenrechte, 59 (72); Taupitz, Jhb. Für Wissenschaft und Ethik

2008, 107 (122 m.w.N. in Fn. 93).

148 So etwa Weschka, Status und Schutz des menschlichen Embryos, 194; Taupitz, NJW 2001, 3433

(3438); ders. Jhb. Für Wissenschaft und Ethik 2008, 107 (122). Auch BVerfGE 88, 203 (251 f.) geht davon aus, dass jedenfalls ab Nidation „individuelles, in seiner genetischen Identität und damit in seiner Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit bereits fest gelegtes, nicht mehr teilbares Leben, das im Prozeß des Wachsens und Sich-Entfaltens sich nicht erst zum Menschen, sondern als Mensch entwickelt“, existiert.

149 Ipsen, JZ 2001, 989 (994).

150 Kempermann, Neue Zellen, 110; Klar/Kunze/Zahradnik, Journal für Reproduktionsmedizin und

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ben die Embryonen, mit denen sie identisch sind, Würde.151 Wenn aber irgendein Embryo Würde hat, dann habe jeder Embryo Würde.152

Nimmt man das Identitätsargument wörtlich, dann ist es jedoch erst ab dem Be-ginn der Nidation haltbar, da vorher noch die Möglichkeit der Mehrlingsbildung be-steht und die wesentlichen Strukturierungen noch nicht stattgefunden haben.153 Das menschliche Individuum erschöpft sich nicht in der Festlegung seiner Gene, da auch eineiige Zwillinge ab der Nidation verschiedene Individuen sind.154 Gegen das Zwil-lingsargument wird vorgebracht, dass durch Verbrauch des Embryos nicht nur ein potentieller Mensch, sondern gleich zwei getötet werden.155 Da dies voraussetzt, dass den vermeintlichen Zwillingen vor der Nidation Würde zukommt, läuft die Kritik auf einen Zirkelschluss hinaus. Zudem wird auch beim Identitätsargument aus der genetischen Identität, einem biologischen Fakt, eine normative Schlussfolgerung ge-zogen. Es fehlt an besonderen normativen Anknüpfungspunkten in Form von menschlichen Eigenschaften, um aus dem Identitätsargument den Menschenwürde-schutz von Embryonen abzuleiten.156 Der „Sein-Sollen-Fehlschluss“ liegt damit auf

der Hand. Schließlich kann allein der Verweis auf eine Identität nicht für die Begrün-dung von Würde genügen, da dem Embryo nicht wegen seiner genetischen Identität mit dem geborenen Menschen Würde zukommen kann, sondern nur, weil er selbst würdebegründende Eigenschaften haben könnte.157

4. Das Potentialitätsargument

Nach dem Potentialitätsargument hat jedes Wesen, das potentielle Person ist, Würde und da der Embryo ein Wesen sei, das potentiell Person sei, hat jeder Embryo

151 Wiedergegeben bei: Irrgang, Einführung in die Bioethik, 55 f; Knoepffler, Angewandte Ethik, 80. Für

das Identitätsargument ist etwa Enskat, in: Damschen/Schönecker, Der moralische Status mensch-licher Embryonen, 101 ff.

152 Irrgang, Einführung in die Bioethik, 56.

153 Kempermann, Neue Zellen, 110; Knoepffler, Angewandte Ethik, 81; Rosenau, in: FS Schreiber,

761 (768); Irrgang, Einführung in die Bioethik, 64.

154 Heun, JZ 2002, 517 (521); Rosenau, in: FS Schreiber, 761 (769); Nationaler Ethikrat, Import

menschlicher embryonaler Stammzellen, 18.

155 Starck, JZ 2002, 1065 (1069).

156 Weschka, Status und Schutz des menschlichen Embryos, 200; Merkel, Forschungsobjekt Embryo,

179; Klar/Kunze/Zahradnik, Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie 1/2007, 21 (24).

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Würde.158 Dem Embryo wird der Grundrechtsschutz zugeschrieben, der ihm auch als geborener Mensch unstreitig zustehen würde.159

Auch dieses Argument ist gewichtigen Einwänden ausgesetzt.160 Das Potentiali-tätsargument lässt sich noch über die Kernverschmelzung hinaus in die Vergangen-heit ausdehnen, denn das Potential, sich zu einem vollständigen Menschen zu entwi-ckeln, haben bereits Spermium und Eizelle.161 Die Fähigkeit, ein vollständiges Leben zu bilden, besteht auch bereits mit dem Eindringen des Spermiums in die Eizelle. Dennoch wird dieses Stadium nicht geschützt. Den ca. 30.000 in Deutschland kryo-konservierten Zellen im Vorkernstadium kommt kein Grundrechtsschutz nach dem Potentialitätsargument zu.162 Bei diesen Zellen ist das Spermium bereits in die be-fruchtungsfähige Eizelle eingedrungen, es fehlt lediglich an der „Verschmelzung“. Bei ungestörter Entwicklung hätte sich ohne weiteres ein Embryo gebildet, so dass nicht von einer verstärkten Potentialität allein aufgrund der Kernverschmelzung ausgegan-gen werden kann.163 Schließlich sollte auch berücksichtigt werden, dass durch die Möglichkeit eines SCNT164 die Entwicklungsfähigkeit des menschlichen Lebens

ma-nipulierbar geworden ist.165 Damit ist die Potentialität als Abgrenzungskriterium

un-scharf geworden.166

Das Potentialitätsargument kann auch die Schutzbedürftigkeit von verwaisten Embryonen kaum begründen, da diese in Deutschland nicht auf andere Frauen über-tragen werden dürfen, um gespaltene Mutterschaften zu vermeiden.167 Diese Poten-tialität wird vom Gesetzgeber nicht geschützt.168

Man muss auch berücksichtigen, dass nicht jede befruchtete Eizelle das „Potenti-al“ besitzt, geboren zu werden. Auch ohne Abtreibung entwickeln sich ca. 70 % der

158 Wiedergegeben bei: Irrgang, Einführung in die Bioethik, 56. Für das Potentialitätsargument ist etwa

Wieland, in: Damschen/Schönecker, Der moralische Status menschlicher Embryonen, 149 ff. Aus-führlich und kritisch zu diesem Argument Kreß, Medizinische Ethik, 165 ff.

159 Rosenau, in: FS Schreiber, 761 (768). Auch BVerfGE 39, 1 (41): „Die von Anfang an im

menschli-chen Sein angelegten potentiellen Fähigkeiten genügen, um die Mensmenschli-chenwürde zu begründen.“

160 Logische Einwände gegen die aktive Potenz vom Embryonen erhebt Kummer, in:

Stammzellenfor-schung und therapeutisches Klonen, 148 (151 – 153).

161 Schroth, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann, Einführung, § 14.5.4.1 (S. 473); Kempermann, Neue

Zellen, 110; Heun, JZ 2002,517 (520).

162 Rosenau, in: FS Schreiber, 761 (768).

163 Rosenau, in: FS Schreiber, 761 (768); Heun, JZ 2002, 517 (520). 164 Dazu oben unter B. II. 4.

165 Kreß, Medizinische Ethik, 166 f. 166 Kreß, Medizinische Ethik, 167. 167 Vgl. § 1 I Nr. 1 ESchG.

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Embryonen169 nicht richtig weiter und werden mit der Regelblutung ausge-schwemmt.170 Selbst bei 15 % der eingenisteten Embryonen kommt es zu Fehlgebur-ten.171 Die Potentialität bleibt rein fiktiv, wenn nicht weitere, gewichtige Umstände hinzutreten. Dies zeigt sich auch bei Embryonen in vitro bzw. in Zellkulturen, denn diese Embryonen können die ihnen zugeschriebene Potentialität nicht ohne Implanta-tion in den Uterus erfüllen.172 Erst mit der Nidation kann die Fiktion zu einer relativ gesicherten Prognose und zu einem realen Potential mit wirklichen Lebenschancen werden.173

5. Konsequenzen und Fazit

Wie gerade dargelegt, sind die SKIP-Argumente gewichtiger Kritik ausgesetzt und vermögen nicht zu überzeugen. Dennoch wird teilweise vertreten, dass die wenig überzeugenden SKIP-Argumente als Kriterien des Menschseins herangezogen wer-den können, da sie kumulativ ein so hohes Maß an Plausibilität vermittelten, dass vernünftige Zweifel ausgeschlossen seien.174 Die Kumulation nicht überzeugender

Argumente kann jedoch nicht durch eine Gesamtschau zu einer überzeugenden Be-gründung werden. Wie Plausibilität aus unplausiblen Argumenten gewonnen werden kann, bleibt unklar.

Wer für einen absoluten Lebensschutz ab der Befruchtung ist, der muss sich auch den entsprechenden Konsequenzen stellen. Konsequent muss man dann strikt ge-gen eine liberale Abtreibungsregelung, die künstliche Befruchtung mit der Notwen-digkeit der „Verwerfung“ von Embryonen, die Präimplantationsdiagnostik, den Einsatz von nidationshemmenden Mitteln und den Import von embryonalen Stammzelllinien sein. Diese Konsequenzen dürften allerdings nicht auf große gesellschaftliche Akzep-tanz stoßen.175 Auch das BVerfG hat die Regelung des § 218 I 2 StGB und damit

169 Nach Eibach, in: Stammzellenforschung und therapeutisches Klonen,170 (186) nisten sich etwa 40

% der Embryonen aufgrund von Fehlregulationen innerhalb des Embryos und fehlender Vorausset-zungen der Mutter nicht ein.

170 Irrgang, Einführung in die Bioethik, 52; Bioethikkommission, Forschung an heS, 20; Rosenau, in:

FS Schreiber, 761 (771); Kummer, in: Stammzellenforschung und therapeutisches Klonen, 148 (149).

171 Eibach, in: Stammzellenforschung und therapeutisches Klonen,170 (186).

172 Rosenau, in: FS Schreiber, 761 (768); Ipsen, JZ 2001, 989 (994); Kreß, Medizinische Ethik, 166. 173 Rosenau, in: FS Schreiber, 761 (768).

174 So Beckmann, in: Status des Embryos, 170 (196 f.), der selbst davon ausgeht, dass keines der

SKIP-Argumente einzeln vollständig überzeugen kann.

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auch den Einsatz von nidationshemmenden Mitteln gebilligt.176 Die pränidative Phase der ersten 10 bis 12 Tage der Embryonalentwicklung ist damit rechtlich quasi unge-schützt.177

Aus einem absoluten Würdeschutz müsste man konsequent auch einen "Anspruch auf Nidation des Embryos" begründen, da sich das werdende Leben ohne einen sol-chen Anspruch nicht weiter entwickeln könne und ihm so seine absolut geschützte Würde gleich wieder entzogen würde.178 Ein solcher Anspruch würde auf eine "Zwangsnidation" für die Frau hinauslaufen und damit ihre eigene Menschenwürde verletzen.179

Man kann die Diskussion um den Schutz von Embryonen mit dem Aufeinandertref-fen zweier diametraler Auffassungen zusammenfassen: „in dubio pro libertate“ und „in dubio pro embryone“.180 Der erste Zweifelssatz beruht auf dem Wertepluralismus eines modernen Staates, der seinen Bürgern eine größtmögliche Selbstbestimmung ermöglicht. Der zweite Zweifelssatz (oder auch Vorsichtsargument) entstammt der Moraltheorie und besagt, dass bei bleibenden moralischen Zweifeln der mögliche Nutzen in keinem Verhältnis zum möglichen moralischen Schaden steht. Da die SKIP-Argumente stark umstritten und teilweise wenig überzeugend sind, müssen die verbleibenden moralischen Zweifel hinter dem Zweifelssatz „in dubio pro libertate“ zurückstehen. Das bedeutet jedoch nicht, dass Embryonen wie Sachen zu behandeln oder schutzlos sind. Zwar geht ein absoluter Schutz ab der Befruchtung zu weit, aber es ist dennoch angemessen von einem Sonderstatus des pränidativen Embryos aus-zugehen.181 Es spricht damit viel für eine graduelle Abstufung des moralischen Status und dem damit verbundenen Schutz des Embryos, dessen Schutzanspruch sich im Laufe der Embryonalentwicklung stetig intensiviert. Dem frühen Embryo kommt ein niedrigerer Schutz zu, der im Laufe der Schwangerschaft, vor allem ab Nidation und mit dem Erwerb von Bewusstsein und Empfindungsfähigkeit, zunimmt. Eine Abwä-gung mit dem Recht auf Forschungsfreiheit und dem Recht auf Gesundheit der durch die möglichen Heilungschancen begünstigten schwer kranken Menschen, muss

176 BVerfGE 88, 203 (251).

177 So auch Dreier, JZ 2007, 261 (268); ders., 2008, 297 (298). 178 Ähnlich Scholz, in: FS Baur, 673 (676).

179 Scholz, in: FS Baur, 673 (676).

180 Klar/Kunze/Zahradnik, Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie 1/2007, 21 (25). 181 So auch Kreß, Medizinische Ethik, 169 ff.; Beier, Reproduktionsmedizin 16 (2000), 332 (341).

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lich sein. Dass dies im deutschen Recht nicht kohärent berücksichtigt wird, ändert jedoch nichts an der ethischen Beurteilung.182

II. Diskussion mit Interessen der Gesellschaft

Aber auch wenn man Embryonen keinen absoluten Würdeschutz zuschreibt, wird mit Allgemeininteressen bzw. dem Schutz der Gesellschaft argumentiert. Zum einen könne es zu einem Werteverfall in der Gesellschaft kommen. Die Gesellschaft müsse vor unerwünschten abschüssigen Entwicklungen jedweder Art geschützt werden.183 Eine erlaubte Forschung an embryonalen Stammzellen würde die Heiligkeit des Le-bens in Frage stellen.184 Zum anderen verstoße die Stammzellforschung gegen das Selbstverständnis des Menschen, nicht einem bestimmten Zweck untergeordnet zu werden.185

Zunächst sei darauf hingewiesen, dass die Rechtsordnung nicht von einer Heilig-keit des menschlichen Lebens ausgeht. Das Lebensrecht wird, wie sich etwa aus Art. 2 II 3 GG ergibt, gerade nicht uneingeschränkt gewährleistet.186 Auch der

Vor-wurf, es würde zu einer abschüssigen gesellschaftlichen Entwicklung in Form eines Werteverfalls kommen, muss bezweifelt werden. Zum einen ist eine derartige Ent-wicklung durch die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs, des Einsatzes ni-dationshemmender Mittel und der Präimplantationsdiagnostik187 nicht eingetreten. Zum anderen ist die Forschung an embryonalen Stammzellen seit 2002 einge-schränkt durch das StZG erlaubt und auch insoweit ist kein Werteverfall zu beobach-ten. Der beschworene Dammbruch blieb damit in den letzten Jahrzehnten aus und ist aufgrund der restriktiven Regelungen auch nicht zu befürchten.

Gegen die Gewinnung und Forschung mit embryonalen Stammzellen wird schließ-lich noch vorgebracht, dass es zum moralischen Selbstverständnis des Menschen im

182 Zu Inkohärenzen und denkbaren Lösungsansätzen Kreß, Medizinische Ethik, 169 ff, 212 ff. 183 Sog. Dammbruch-Argument oder auch „slippery slope“.

184 So etwa Johannes Paul II., Enzyklika Evangelium vitae über den Wert und die Unantastbarkeit des

menschlichen Lebens, Tz. 63.

185 So wiedergegeben bei Schroth, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann, Einführung, § 14.5.4.2

(S. 475).

186 Schroth, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann, Einführung, § 14.5.4.2 (S. 475); ähnlich auch Kreß,

Medizinische Ethik, 172 ff.

187 Die PID ist nach dem neuen § 3a I ESchG grundsätzlich verboten, aber nach § 3a II, III ESchG

ausnahmsweise erlaubt. Dazu etwa Czerner, MedR 2011, 783 und Hübner/Pühler, MedR 2011, 789.

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Sinne einer Gattungssolidarität gehört, nicht einem bestimmten Zweck untergeordnet zu werden.188 Dabei wird auf Kant und Hegel zurückgegriffen:

„Die Menschheit selbst ist eine Würde; denn der Mensch kann von keinem Men-schen (weder von anderen noch so gar von sich selbst) bloß als Mittel, sondern muß jederzeit zugleich als Zweck gebraucht werden und darin besteht eben seine Würde (die Persönlichkeit), dadurch er sich über alle andere Weltwesen, die nicht Menschen sind, und doch gebraucht werden können, mithin über alle Sachen erhebt.“189

„Die Persönlichkeit enthält überhaupt die Rechtsfähigkeit und macht den Begriff und die selbst abstrakte Grundlage des abstrakten und daher formellen Rechtes aus. Das Rechtsgebot ist daher: sei eine Person und respektiere die anderen als Perso-nen.“190

Diese Aspekte wurden von Dürig in seiner berühmten Objektformel zusammenge-fasst: „Die Menschenwürde als solche ist betroffen, wenn der konkrete Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt wird.“191 Je-dem Menschen steht daher voraussetzungslos die Solidarität aller Menschen im Sin-ne eiSin-ner Gattungssolidarität zu.192

Auch die menschlichen Embryonen sollen als selbstzweckliche Mitglieder der menschlichen Gesellschaft geachtet werden.193 Dagegen wird wiederrum

vorge-bracht, dass die Embryonen in unserer Gesellschaft auf unterschiedliche Weise in-strumentalisiert werden.194 Zum Beispiel wird durch das Verbot einer gespaltenen Mutterschaft der Embryo instrumentalisiert, da es untersagt wird, verwaiste Embryo-nen auf eine andere Frau zu übertragen.195 Das Verbot der gespaltenen Mutterschaft wird damit für höherrangiger als der Schutz des Embryos erachtet.196 Aus der Tatsa-che, dass eine solche Instrumentalisierung stattfindet, kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass sie auch zulässig ist. Das berechtigte Interesse, nicht instrumentalisiert zu werden, muss aber der Abwägung auch der Gegeninteressen zugänglich sein.197

188 Wiedergegeben bei Schroth, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann, Einführung, § 14.5.4.2 (S. 475). 189 Kant, Metaphysik der Sitten, 600 f.

190 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, 95. 191 Dürig, AöR 81 (1956), 117 (127).

192 Vossenkuhl, in: Stammzellenforschung und therapeutisches Klonen,163 (164 f.). 193 Wiedergegeben bei Fenner, Angewandte Ethik, 207.

194 Schroth, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann, Einführung, § 14.5.4.2 (S. 475). 195 Schroth, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann, Einführung, § 14.5.4.2 (S. 475). 196 Schroth, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann, Einführung, § 14.5.4.2 (S. 475). 197 Schroth, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann, Einführung, § 14.5.4.2 (S. 475 f.).

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Nach dem oben vertretenen Ansatz198 kommt dem frühen Embryo kein absoluter, aber ein gradueller Schutz zu. Eine Abwägung ist daher möglich.

Von manchen Autoren wird bezweifelt, ob die Nutzlosigkeit im Sterben (des Emb-ryos) zum Selbstverständnis des Menschen gehöre.199 Dem ist entgegenzuhalten, dass zu diesem Selbstverständnis auch das Interesse schwer kranker Menschen ge-heilt zu werden gehört, wodurch wiederum (Grundlagen-)Forschung notwendig wird.200 Diese Heilungschancen sind höher zu gewichten als die Interessen verwais-ter Embryonen, die faktisch dem Tod durch Verwerfung geweiht sind.201 Die (Grund-lagen-)Forschung an embryonalen Stammzellen kann möglicherweise eine derartige Heilungschance für viele Menschen bedeuten.

III. Zusammenfassung

Dem frühen Embryo kommt danach kein absoluter Menschenwürdeschutz zu. Die Nidation im Uterus der Frau ist der entscheidende biologische Einschnitt in der Emb-ryonalentwicklung. Geht man (wie hier vertreten) von einer graduellen Abstufung des Lebensschutzes von Embryonen aus, so ist eine Abwägung mit dem Recht auf For-schungsfreiheit und dem Recht auf Gesundheit schwerkranker Menschen möglich. Vor allem die Forschung und Gewinnung von embryonalen Stammzellen aus ver-waisten Embryonen erscheint ethisch legitim, wenn damit hochrangigen Forschungs-zielen gedient wird.202

Aber selbst wenn man der hier vertretenen Meinung nicht folgt, so kann man nicht behaupten, dass es einen gesellschaftsübergreifenden Konsens in dieser Frage gibt. Vielmehr ist der Dissens die Regel geworden.203

D. Rechtlicher Rahmen der Patentierbarkeit

Im Folgenden wird der rechtliche Umgang mit Stammzellen in Deutschland im Überblick dargestellt, um die nationalen Wertentscheidungen bezüglich der Stamm-zellforschung zu verdeutlichen und um zu klären, inwieweit die Forschung an

198 Unter C. I. 5.

199 Schroth, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann, Einführung, § 14.5.4.2 (S. 478). 200 Schroth, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann, Einführung, § 14.5.4.2 (S. 476). 201 Schroth, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann, Einführung, § 14.5.4.2 (S. 476).

202 Ähnlich auch Vossenkuhl, in: Stammzellenforschung und therapeutisches Klonen, 163 (169): „Es

ist eine solide ethische Grundlage für Forschungen mit embryonalen Zellen, die allein dem Ziel die-nen, künftigen Menschen und jetzt lebenden Kranken die Möglichkeit zu geben, ein gutes und menschenwürdiges Leben zu führen.“ Dazu auch Kreß, Medizinische Ethik, 170 ff.

203 So auch allgemein Weber-Hassemer, Bundesgesundheitsblatt 51 (2008), 895 (898): „Jedenfalls in

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onalen Stammzellen erlaubt ist. Anschließend wird der Frage nachgegangen, inwie-weit die Ergebnisse der rechtlich zulässigen Forschung an embryonalen Stammzellen patentierbar sind, wenn diese Forschung zu konkreten Erfindungen führt.

I. Der rechtliche Umgang mit Stammzellen

Ein einheitliches Gesetz für das gesamte Gebiet der Biotechnologie bzw. der re-generativen Biologie und Medizin existiert nicht.204 Der Schutz von Embryonen und embryonalen Stammzellen ist Gegenstand des Gesetzes zum Schutz von Embryo-nen (EschG) und des Gesetzes zur Sicherstellung des EmbryoEmbryo-nenschutzes im Zu-sammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen (StZG).205 Zweck der Gesetze soll der Schutz der Menschenwürde und des Lebens-rechts der Embryonen sein.206 Sie verfolgen jedoch auch Zwecke, die nicht dem Schutz von Embryonen dienen, sondern dem sogar entgegenstehen.207 Daher wird auch vertreten, dass diese Normen nicht das Leben des Embryos, sondern allein dessen Würde schützen.208

ESchG und StZG enthalten verschiedene Embryodefinitionen.209 Embryonale

Stammzellen sind nicht totipotent i.e.S., da sie sich nicht zu einem vollständigen Indi-viduum entwickeln können. Sie sind pluripotent und sind damit weder ein Embryo noch eine totipotente Zelle i.S.d. § 8 I ESchG und § 3 Nr. 4 StZG. Die unterschiedli-chen Embryo-Definitionen wirken sich insoweit nicht aus.

Die Gewinnung und Verwendung von EG-Zellen, adulten Stammzellen, neonata-len Stammzelneonata-len (aus Nabelschnurblut) sowie von iPS-Zelneonata-len werden weder durch das StZG noch durch das ESchG verboten.210

1. Gewinnung embryonaler Stammzellen

Die Gewinnung embryonaler Stammzellen ist in Deutschland hingegen nach § 2 I ESchG, welcher die missbräuchliche Verwendung von Embryonen regelt,

204 Ausführlich zu den verschiedenen normativen Grundlagen Faltus, Handbuch Stammzellenrecht,

Rn. 69 ff., der treffend von einem „Normendschungel“ spricht.

205 Dazu Faltus, Handbuch Stammzellenrecht, Rn. 91 ff.; Schütze, Embryonale Humanstammzellen,

298 ff. Kritisch zum StZG Taupitz, JZ 2007, 113 ff.

206 Vgl. § 1 StZG.

207 Deutsch/Spickhoff, MedizinR, Rn. 778 verweisen in diesem Zusammenhang auf die §§ 2 I, 1 I Nr. 6

ESchG und §§ 6 II, 7 II Nr. 1 lit. a ESchG. Letztere könne man als gesetzgeberisches Tötungsdelikt deuten.

208 Hoyer, in: Igl/Welti, GesundheitsR, Rn. 1303 m.w.N. 209 Dazu Faltus, Handbuch Stammzellenrecht, Rn. 103 – 114. 210 Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 2 StZG Rn. 2.

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