• Keine Ergebnisse gefunden

2. Kultur – Zeit – Führung

2.3 Führung: Der unsichtbare Vertrag

2.3.4 Vertrauen in Führung (Fragezeichen?)

Wer an Führung denkt, hat unwillkürlich ein Bild vor Augen: Einer geht vorweg, führt – andere folgen. Warum sie folgen? Und warum dieser eine, manchmal auch mehrere führen?

Dies sind nicht nur traditionelle Fragen der Ökonomie, denn schließlich funktioniert das selbe Prinzip auch in der wilderen, freieren Natur außerhalb betriebswirtschaftlicher Kontexte: ein Herdenchef im Tierreich, der für das Wohl aller sorgt, aufgrund bestimmter Eigenschaften als Führer angesehen wird, das Vertrauen der Herde genießt – und ansonsten unwillkürlich abgesetzt würde.

An dieser Stelle soll nicht in Disney-Manier eine Verklärung oder naive Vereinfachung des Prinzips Führung versucht, auch nicht die große Frage aufgetan werden, was an Führung natürlich sei etc.

115 2. Kultur – Zeit – Führung

Vielmehr ist dieses Bild angeführt, da es ein grundlegendes, aber gerade wegen seiner Na-türlichkeit gern übersehenes Element beinhaltet, das Führung ausmacht: In einer gut funk-tionierenden Herde, einem Rudel, einer wie auch immer gearteten Staatenbildung folgen die anderen – freiwillig –, da sie wissen, dass dies zum Wohl aller und zugleich jedes Einzelnen ist. In diesem Sinne führt derjenige, der den anderen am meisten dient!

Wenn das Prinzip der Führung also in freierer Natur gut zu funktionieren scheint, ist es umso verwunderlicher, dass ein offensichtlich natürliches Prinzip des Miteinanders in gesell-schaftlichen Kontexten immer wieder auf ein ausgeprägtes Misstrauen stößt, ja dass manche (und nicht wenige) bei dem Begriff „Führung“ Assoziationen an Ausnutzung, Ausbeutung etc. aufflammen fühlen. Offensichtlich muss mit Führung die Erfahrung eines ausgeübten Missbrauchs gemacht worden sein, so dass das Begriffsfeld eher mit dem Sklavenhändler als mit dem Gärtner verknüpft wird.

Dabei könnte gerade das Bild des Gärtners ein positives Führungsverständnis inspirieren, denn es beinhaltet äußerst einfache, aber greifende Prinzipien: Der Gärtner, der seinen Ap-felbaum gießt, düngt, schneidet, kurz: ihn pflegt, darf sich natürlich auch an dessen Ertrag erfreuen. In diesem Sinne ist also der Ertrag bzw. die Ertragserwartung nichts negativ Be-setztes, auch von der Intention des Gärtners her gedacht: Natürlich gießt und pflegt er, um zu ernten. Dieses um zu jedoch nun anzuprangern oder zu verurteilen, dem Nutzungsgedanken eine Ausbeutungsintention zu unterstellen, würde zu kurz greifen und vor allem auch einen wesentlichen Aspekt ausblenden: Schließlich haben beide etwas von dieser Form der Koope-ration – Baum und Gärtner.

Das Wesentliche ist jedoch, dass der Gärtner zuerst pflegt, sich kümmert (hier sei an den Ursprung des Begriffs „Kultur“ erinnert!) und dann die Ernte erhält. Diese Reihenfolge und Perspektive ist essenziell, da dort ein Kernpunkt des Misstrauens gegenüber Führung liegt:

Es ist wesentlich – und wahrnehmbar! –, inwiefern ein reines Effektivitätsdenken den

Füh-116

MENTOR I

rungsgedanken bestimmt im Sinne von „Wie viel muss ich mindestens investieren, wie knapp kann ich kalkulieren, um den gewünschten (natürlich höchstmöglichen) Ertrag zu erwirt-schaften? Wie weit kann ich die Kosten, den Input reduzieren, ohne eine zu Buche schlagende Ertragsverminderung einzustecken? Was für ein Output erhalte ich für mein Input?“ Die um-gekehrte Blickrichtung wäre die, grundsätzlich zuerst einmal vom Geben auszugehen: Nicht, wie wenig, sondern was und wie viel kann, muss und will ich geben?

Eben dieser Perspektive liegen die wesentlichen Parameter des unsichtbaren Vertrages zu-grunde. Er folgt einfachen und wirksamen Prinzipien: Wie man in den Wald ruft, so schallt es heraus. Wer Vertrauen schenkt, wird es erwidert bekommen. Und wer primär ans Geben denkt, wird gebende Mitarbeiter erhalten.

Der Clou dieses Standpunktes: Jeder muss für sich, individuell und situativ entscheiden, was er zu investieren bereit ist. In der Entscheidung liegt die Freiheit. Und die Entscheidung, die-sen Blickwinkel einzunehmen, also Vertrauen als Basis und Voraussetzung anzunehmen, ist nicht nur Führungskräften, sondern unwillkürlich auch den Mitarbeitern überantwortet:

Wenn sie der Perspektive des Gebens gegenübergestellt sind, wäre es äußerst unnatürlich bis erstaunlich, wenn diese bei ihnen nicht auf Resonanz treffen würde.134

Kurz: Wer Geben im Fokus hat, weil er es vorgelebt bekommt, wird unwillkürlich das Geben auch im eigenen Bewusstsein als leitendes Prinzip verhaftet haben – was kann ich geben?135 Die dahinterliegende Grundannahme lautet: Geben als Impuls scheint natürlicher-weise Geben nach sich zu ziehen.

134 Ein schönes Zitat, das hier nicht in den Haupttext passt, da es in Bezug auf Mitarbeiter falsch verstanden werden bzw.

wieder einen Misstrauensbeweis unterstellen könnte, dennoch aber die Kraft des Vertrauensvorsprungs verbildlicht, wäre: „Vertrauen macht selbst dem Dieb irgendwann ein schlechtes Gewissen.“.

135 Hier könnte auch die Lösung vieler Motivationsfragen liegen! Mitarbeiter, die sich eigenverantwortlich fragen, was sie geben können, dürften recht entfernt von Demotivation sein.

117 2. Kultur – Zeit – Führung

Der Ausweg aus der Misstrauensfalle, in der Führung steckt, scheint also in einem kleinen, aber fundamentalen Perspektivwechsel zu liegen: weg vom Nehmen, von der Frage: Was kann ich von meinen Mitarbeitern bekommen?, hin zum Geben: Was kann ich ihnen geben?

Diese Blickachse, die einen Wesenszug nicht nur der christlichen Kultur bildet,136 stellt die Ausgangsposition und Philosophie des unsichtbaren Vertrags dar. Sie bedeutet nicht mehr und nicht weniger als die Rückführung moralischer und ethischer Werte in die Ökonomie.