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Versorgungssituation Suchtkranker in psychiatrischen Einrichtungen

Im Dokument Drogen- und Suchtbericht Mai 2009 (Seite 111-114)

Die psychiatrischen Einrichtungen in Deutschland stel-len einen wesentlichen Teil der stationären und ambu-lanten Behandlung von Suchtkranken sicher. Während die psychiatrischen Fachkrankenhäuser inzwischen über spezialisierte Therapieeinrichtungen für Sucht-kranke verfügen, wurden in den vergangenen Jahren auch in den Universitätskliniken für Psychiatrie und Psychotherapie sowie den psychiatrischen Abteilungen zunehmend Spezialangebote für diese Patienten-gruppe eingerichtet. Dem Modell der qualifizierten Entzugsbehandlung folgend werden Patienten neben der körperlichen Entgiftung durch geeignete Maß-nahmen für weiterführende Behandlungen motiviert.

Zudem gibt es spezialisierte Angebote für chronisch mehrfachgeschädigte Alkoholabhängige, wo z. T. län-gere stationäre Behandlungen durchgeführt werden, bevor die Patienten entweder zurück nach Hause oder in entsprechend betreute Wohnheime verlegt werden können. Darüber hinaus weisen viele Kliniken für Psy-chiatrie und Psychotherapie auch Spezialstationen zum qualifizierten Heroinentzug auf.

Nach im Rahmen der „Personalverordnung Psychiatrie“

erhobenen Daten (2006: 247 Kliniken und Abteilungen

mit 42.000 Betten) beträgt der Anteil Suchtkranker stabil 18 %. Bei insgesamt ca. 70.000 psychiatrischen Betten werden hochgerechnet etwa 12.000 Behand-lungsplätze für Suchtkranke genutzt. Bei einer mittle-ren Behandlungsdauer von 14 Tagen werden pro Jahr ca. 300.000 Behandlungen durchgeführt. Ent sprechend dem Behandlungsbedarf werden sechs Bereiche für Suchtkranke unterschieden: Regel-, Intensiv-, rehabili-tative Behandlung einschließlich Entwöhnung, lang andauernde Behandlung Schwer- und Mehrfachkranker, Psychotherapie Suchtkranker, tagesklinische Behand-lung. Seit 1991 ist eine Verschiebung des Behandlungs-bedarfes in zunehmend intensivere Behandlungsformen zu verzeichnen, während die rehabilitative Behandlung kaum noch stattfindet.

Die ambulante Betreuung von Suchtpatienten in psy-chiatrischen Einrichtungen wurde vor allem durch die Etablierung der psychiatrischen Institutsambulanzen (PIA) mit Behandlungsauftrag für Suchtpatienten stark ausgebaut. In 414 psychiatrischen Instituts ambulanzen werden ca. 650.000 Behandlungen pro Jahr durchge-führt. 12 % davon sind Suchtkranke. Pro Patient wer-den etwa 2,6 Behandlungen durchgeführt, so dass ca. 25.000 Suchtkranke pro Jahr in den PIAs behandelt werden. Lokal und regional arbeiten die psychiatrisch-psychotherapeutischen Einrichtungen eng mit den psychosozialen Beratungsstellen und den stationären und ambulanten Einrichtungen zur Suchtrehabilitation zusammen. In einigen Bundesländern wie in Baden-Württemberg gibt es inzwischen fest etablierte kom-munale Suchthilfenetze, in denen die zuvor genann-ten Leistungsanbieter gemeinsam mit Vertretern der niedergelassenen Ärzteschaft und der regionalen All-gemeinkrankenhäuser sowie der gesetzlichen Renten-versicherung und Krankenkassen eine verbindliche Zusammenarbeit praktizieren. Zunehmend werden auch mehr Suchttageskliniken eröffnet, die eine bedeutende Rolle im Gesamtbehandlungsangebot einnehmen.

Die Fachgesellschaften wie die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde, die Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie und die Deutsche Gesellschaft für Sucht-medizin gemeinsam führen mit dem Suchtausschuss

der Bundesdirektorenkonferenz Psychiatrischer Kliniken regelmäßige und intensive Fachdiskussionen durch. Der gewachsene Stellenwert der Suchtkrankenbehandlung im Rahmen der Psychiatrie findet verstärkt Berücksich-tigung in der Suchtforschung (siehe F). Der jährlich mit mehr als 7.500 Teilnehmern attraktive Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychothera-pie und Nervenheilkunde hat in den vergangenen Jah-ren zunehmend die Suchtforschung und -behandlung thematisiert.

Landschaftsverband Westfalen-Lippe: Manual „Männlich-keiten und Sucht“

Nach allgemeiner Einschätzung ist die Suchtkranken- bzw.

Suchtgefährdetenhilfe nicht ausreichend auf die Über-repräsentanz männlicher Abhängigkeitsproblematiken vor-bereitet. Diskussionen über männerspezifische Hilfe- und Unterstützungsansätze werden in Therapieeinrichtungen, in Publikationen und auf Fachtagungen zwar seit einigen Jah-ren geführt. Die Erkenntnis jedoch, dass ein solcher Arbeits-ansatz zur Qualitätssteigerung, zum größeren Erfolg der Hilfestrategien beitragen kann, hat sich in Deutschland im Unterschied zur Schweiz noch nicht ausreichend in der Praxis der Behandlung Suchtkranker durchgesetzt.

Gendergerechtes therapeutisches Arbeiten ist seit Jahr-zehnten in Deutschland bezogen auf den Bereich weiblicher Drogenabhängigkeit gute Praxis. Die Notwendigkeit einer geschlechtergerechten Gesundheitspolitik und -praxis im Suchtbereich auch für männliche Patienten ist in den letzten Jahren allerdings aus zwei Gründen notwendig geworden:

Gender-Mainstreaming-Ansätze fordern eine Orientierung auf das ‚soziale Geschlecht‘ für beide Geschlechter. Eine geschlechtsspezifische Beachtung des Genderaspektes bei beiden Geschlechtern trägt zu einer differenzierten und individualisierten therapeutisch-beraterischen Praxis bei.

Eine ‚geschlechtslose‘ Suchtkrankenhilfe stößt an die Gren-zen ihrer Effektivität, sie blendet die geschlechtsspezifischen Ursachen und Verlaufsformen der Sucht und demgemäß Ansätze der Suchtkrankenbehandlung aus.

Ein Grund für die mangelnde Umsetzung männerspezifischer Fragestellungen in Therapie und Beratung liegt im Fehlen praxisnaher Materialien, mit denen das abstrakte Thema

„Gender und Sucht“ mit männlichen Patienten in Beratungs-stellen und Fachkliniken in spezifischen Männergruppen

bearbeitet werden kann. Im Auftrag des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (Landesjugendamt Koordinationsstelle Sucht, Münster) ist deshalb ein Manual erarbeitet worden, das erstmalig eine ausführliche und praxisnahe Arbeitshilfe zur therapeutischen und beraterischen Bearbeitung des Gen-deraspektes männlicher Suchterkrankungen bietet.

r rwww.lwl-ks.de

DAK: Integrierte Versorgung - Suchthilfenetzwerk Einen neuen Weg der Zusammenarbeit bei der stationären und ambulanten Behandlung Suchtkranker beschreiten seit Oktober 2008 die Facharztpraxis für Neurologie und Psychia-trie/Psychotherapie-Suchtmedizin Dr. Volker Kielstein im Verbund mit der „Tagesklinik an der Sternbrücke“ (Magde-burg), das AMEOS Klinikum für Psychiatrie und Neurologie (Haldensleben), die medizinische Klinik des Krankenhauses Pfeiffersche Stiftung (Magdeburg) und niedergelassene Ärzte mit einem Vertrag über integrierte Versorgung mit der DAK. Neben der im Fokus stehenden Alkoholsucht werden auch andere Abhängigkeitserkrankungen wie Medikamen-ten-, Drogen-, Spielsucht sowie Essstörungen behandelt.

Nach der Überweisung der Patienten vom Hausarzt an die Suchtschwerpunktpraxis wird entschieden, ob eine ambu-lante (70–80 % der Fälle) oder stationäre Entgiftung durchge-führt wird. Danach folgen eine sechswöchige tagesklinische

„Qualifizierte Entzugsbehandlung“ und eine ambulante, wöchentlich stattfindende Gruppentherapie mindestens ein Jahr lang.

r rwww.suchttagesklinik.der

1 Modellprojekt „S. o. G. – Sucht-Selbsthilfe optimieren durch Gesundheitsförderung“

Die Sucht-Selbsthilfe leistet in Deutschland anerkannte und unverzichtbare Arbeit in der Hilfe und Nachsorge für Menschen mit Suchtproblemen und deren Ange-hörige. Neben einer Vielzahl von Gruppen werden Einzelberatungen und eine breite Palette von weiter-führenden Aktivitäten im Bildungs- und Freizeitbereich angeboten. Die Angebotsstrukturen sind grundsätzlich auf Veränderungsprozesse – weg von der Sucht und hin zu einer abstinenten, zufriedenen Lebensführung – ausgerichtet. Oftmals fällt es Menschen jedoch schwer, ihren Lebensstil in dem notwendigen Ausmaß (Absti-nenz vom Suchtmittel bzw. Veränderung des suchtbe-zogenen problematischen Verhaltens) zu verändern.

Rauchen, Fehl- oder Mangelernährung, Bewegungsman-gel, Stress und ungesunde Lebensrhythmen werden bei-behalten. Die durch den Suchtmittelkonsum oder den andauernden Stress als Angehörige/r bedingten Schä-digungen können langfristig negative Folgen für die Gesundheit, für das Wohlbefinden und die psychische Stabilität haben. Ändert sich der Lebensstil nicht, besteht erhöhte Rückfallgefahr in alte Konsummuster und Verhaltensweisen.

Aus diesem Grund fördert das BMG seit April 2008 für zweieinhalb Jahre das Projekt „S. o. G. – Sucht-Selbst-hilfe optimieren durch Gesundheitsförderung“ der fünf Sucht-Selbsthilfeverbände in der DHS (siehe E 2). Bei diesem Vorhaben sollen die Angebotsstrukturen in den Gruppen gezielt um Themen besonders im Bereich der körperlichen Gesundheit erweitert werden. Die Arbeit der Sucht-Selbsthilfe geht über die unmittelbare Bewäl-tigung der Sucht(mittel)problematik hinaus. Daher ist zur langfristigen Stabilisierung und zur positiven Ver-änderung des Lebensstils sowohl körperliche als auch psychosoziale Gesundheit von hoher Bedeutung. Im Projekt „S. o. G“ werden folgende Themenkomplexe bearbeitet und für die Umsetzung in die Gruppenarbeit vor Ort aufbereitet:

Leiblichkeit – Bewegung und Sport r

Gesundheitsbewusste Ernährung r

Tabakkonsum – Rauchfrei leben (Problematisierung r

des Rauchens und Tabakentwöhnungsangebote für

„ausstiegswillige“ Raucher/innen).

In einer Auftaktveranstaltung mit Teilnehmenden aus allen Verbänden wurden im Oktober 2008 die Rahmen-bedingungen von positiver Veränderung und gesund-heitsförderndem Verhalten in der Sucht-Selbsthilfe vermittelt und bearbeitet. Die positive „Aufbruchstim-mung“ dieser Veranstaltung zeigt bereits Wirkung in der Arbeit der Gruppen und Verbände: Themen der Gesund-heitsförderung werden besprochen, Kurse zur Raucher-entwöhnung veranstaltet, Bewegung und gesunde Ernährung rücken mehr ins Blickfeld und führen zu gemeinsamen Aktivitäten und zur Veränderung in Ein-stellungen, Haltungen und Handlungen. Im Jahr 2009 sollen die Themenkomplexe Ernährung – Bewegung/

Sport und (Nicht-)Rauchen in vier Regionen in Work-shops den engagierten ehrenamtlichen Multipli katoren und Multiplikatorinnen vermittelt werden. Ziel ist es, diese Themen dann weiter in die Arbeit der Verbände bzw. in die Arbeit der Gruppen vor Ort zu transportieren.

Ein Praxisleitfaden für Gruppen und Arbeitskreise wird die Ergebnisse und Erfahrungen des Projekts festhalten.

Mit diesem Leitfaden sollen ehrenamtliche Kräfte in die Lage versetzt werden, wichtige gesundheitsbezogene Themen aufzugreifen, um damit die Arbeit ihrer Gruppe zu optimieren und um einen weitreichenden gesund-heitsbewussten Ansatz zu ergänzen.

Drogenselbsthilfe-Netzwerk JES: „Profis fördern Selbsthilfe“

Selbsthilfen von Junkies, Ehemaligen und Substituierten sind seit vielen Jahren im Bereich Drogen, HIV/Aids und Hepatitis tätig. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass auch die Mitarbeit in der JES Selbsthilfe die Abstinenzmotivation stärken und die Entstehung sozialer Netzwerke fördern kann.

Sie erhöhen u. a. die Erreichbarkeit bestimmter Zielgruppen und leisten in diesem Zusammenhang wertvolle Dienste im Sinne der HIV/Aids- und Hepatitis- Prävention sowie der Scha-densminimierung. Trotz dieser positiven Effekte haben viele Einrichtungen der Drogenhilfe keinen Bezug zur Selbsthilfe Drogen gebrauchender Menschen bzw. zu geringe

Kenntnisse über Möglichkeiten der Selbsthilfe-Förderung.

Deshalb wurde eine neue Veranstaltungsreihe des JES Netz-werks organisiert, die 2007 und 2008 in sechs Städten durch-geführt wurde. Ziel ist es, die Relevanz der Peer-Arbeit zu vermitteln. Die Teilnehmer/innen sollten ermutigt werden, im Rahmen ihrer täglichen Begegnung mit Drogenkonsu-menten als Multiplikatoren zu agieren und sie zu einem Engagement in der Selbsthilfe zu motivieren. Es wurden einerseits das JES Selbstverständnis und andererseits Grund-lagen der Selbsthilfeförderung vorgestellt.

r rwww.jes.aidshilfe.de

Im Dokument Drogen- und Suchtbericht Mai 2009 (Seite 111-114)