• Keine Ergebnisse gefunden

Methacrylsäure

10.3 Vergleich von ionisierter Acrylsäure und ionisierter Methacrylsäure

Da die phänomenologische Betrachtung der experimentellen Daten in Kapitel 10.2 zeigt, dass die MCR-Kinetik eine wichtige Rolle bei der radikalischen Polymerisationskinetik von vollständig ionisierter AA spielt, wird im folgenden Kapitel ionisierte AA mit ionisierter MAA verglichen, um ein tieferes Verständnis für den Einfluss der MCR-Kinetik zu erhalten.

0 1 2 3 4 5

0,0 0,1 4 8 12 16

0 1 2 3 4 5

0,0 0,4 0,8 1,2 1,6

104 ·r ini p /(c M) Mittel / s1

cNa+ / molL1

NaMAA

cNa+ / molL1 NaAA

Abbildung 75. Vergleich der reduzierten Polymerisationsraten von 0,6 mol·L–1 Natriumacrylat und Natriummethacrylat in D2O bei 50 °C mit 12 mmol·L–1 V-50 als thermischen Initiator. Die Natriumkonzentration wurde durch Zugabe von NaCl, 15-Krone-5 und 2.2.2-Kryptand zwischen ~0 und 3,6 mol·L–1 variiert.

Die ionisierten Formen der Acryl- und Methacrylsäure ähneln sich strukturell und besitzen beide eine Carboxylat-Funktion als Seitengruppe.

Aus diesem Grund sollten sich die Effekte der Gegenionen ähnlich stark auf die Polymerisation beider Monomere auswirken. Der einzige Unterschied besteht in der -Methylgruppe von NaMAA. Sie führt zu einem generell um eine bis zwei Größenordnungen kleinerem kp des Methacrylats aufgrund der Einschränkung der Rotationsfreiheitsgrade im Übergangszustand durch die sterische Hinderung der Methyl-Gruppe. 12,14,16,34,54

Zudem verhindert die 

-10.3 Vergleich von ionisierter Acrylsäure und ionisierter Methacrylsäure

161 Methylgruppe das backbiting, sodass das Methacrylat im Gegensatz zum Acrylat keine MCRs aufweist.

In Abbildung 75 werden die reduzierten Polymerisationsraten von 0,6 mol·L–1 NaAA und NaMAA in D2O bei 50 °C hinsichtlich ihrer Abhängigkeit von der Gegenionenkonzentration verglichen. Dazu wurde die Natriumkonzentration durch Zugabe von NaCl, 15-Krone-5 bzw. 2.2.2-Kryptand zwischen ~0 und 3,6 mol·L–1 variiert. Die zu den Werten gehörigen Umsatz-Zeit-Verläufe sind in Abbildung 64 für NaAA und in Abbildung 52 für NaMAA gezeigt. Wie in Abbildung 75 zu erkennen, erhöht sich die reduzierte Polymerisationsrate beider Monomere mit steigender Natriumkonzentration, wobei jedoch der relative Anstieg für NaAA deutlich stärker ausgeprägt ist als für NaMAA. Die Zugabe von 15-Krone-5 und 2.2.2-Kryptand führt bei beiden Monomeren zu einer erheblichen Abnahme der Polymerisationsgeschwindigkeit bis zu einem ähnlichen geringen Absolutwert von rp

ini/(cAA)Mittel bei cMt+ = ~0.

Der qualitative Trend von rp

ini/(cAA)Mittel, bei Variation der Gegenionenkonzentration, ist für beide Monomere identisch, jedoch ist der Effekt bei NaAA viel stärker. Die Zugabe von 3 mol·L–1 NaCl resultiert bei NaMAA in einem Anstieg der Polymerisationsrate um den Faktor 1,5, wohingegen sie bei NaAA zu einem Anstieg von etwa Faktor 7 führt. Dies könnte ein Hinweis für den Einfluss der Gegenionen auf die MCR-Kinetik sein.

Durch die backbiting-Reaktion werden SPRs in MCRs umgewandelt, deren Geschwindigkeitskoeffizient der Propagation, kp

t, um ca. drei Größenordnungen kleiner ist als der von SPRs, kp

s.16,28 Dies hat zur Folge, dass der scheinbare Geschwindigkeitskoeffizient der Propagation, kp

app, (siehe Gleichung (60)) kleiner ist als kp

s wobei die Differenz beider Koeffizienten vom Verhältnis der SPRs zu den MCRs abhängt. Dieses Verhältnis liegt bei ionischen Monomeren, wie bereits in Kapitel 8.3 für TMAEA gefunden, xMCR(TMAEA) > 90%, stark auf der Seite der MCRs.

Somit hat bereits eine geringfügige Verschiebung des Gleichgewichts zur Seite der SPRs, z.B. durch ein steigendes kp

t oder eine höhere Monomerkonzentration (Gleichung (58) in Kapitel 8.3), einen großen Effekt auf die Polymerisationsgeschwindigkeit der ionisierten AA, da die SPRs für den Umsatz verantwortlich sind.

Kinetik und Modellierung der Homopolymerisation von ionisierter Acrylsäure

162

Da kp und <kt> von vollständig ionisierter Methacrylsäure, wie anhand der Auswertung in Kapitel 9 gezeigt, mit der Gegenionenkonzentration steigen, könnte dies aufgrund des ähnlichen Verlaufs in Abbildung 75 auch für die Geschwindigkeitskoeffizienten kp

s, kp t, <kt

ss> und <kt

st> der vollständig ionisierten AA der Fall sein. Dies bedeutet, dass durch die zunehmende Gegenionenkonzentration nicht nur kp

s steigen würde, sondern auch kp t, was eine Verschiebung des Gleichgewichts zu Seiten der SPRs zur Folge hätte (Gleichung (58) in Kapitel 8.3). Die daraus resultierende zusätzliche Beschleunigung der Polymerisation würde zu einem viel stärkeren Anstieg der Polymerisationsrate von NaAA im Vergleich zu NaMAA führen, was ein Verhalten wie in Abbildung 75 zur Folge haben könnte. Die MCR-Kinetik von NaAA könnte somit hauptverantwortlich für die unterschiedliche Ausprägung des Effekts der Gegenionen bei NaMAA und NaAA sein.

0,0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 0

2 4 6 8 10

0,0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 0,0

0,2 0,4 0,6 0,8 1,0

104 ·r ini p /(c M) Mittel / s1

cAA / molL1

NaAA NaMAA

cMAA / molL1

Abbildung 76. Vergleich der reduzierten Polymerisationsraten von 0,6 bis 1,7 mol·L–1 NaAA und von 0,6 bis 1,8 mol·L–1 NaMAA in D2O bei 50 °C mit 12 mmol·L–1 V-50 als thermischen Initiator.

Ob der Geschwindigkeitskoeffizient des backbitings, kbb, ebenfalls durch die Gegenionenkonzentration beeinflusst wird, lässt sich anhand der Daten nicht feststellen. Um dies zu untersuchen und zusätzlich dazu den Einfluss der Gegenionen auf kp

s, kp t, <kt

ss> und <kt

st> zu quantifizieren, wird in Abschnitt 10.4 die radikalische Polymerisation von NaAA mittels NMR, ESR und mit einem Predici®-Modell analysiert.

10.3 Vergleich von ionisierter Acrylsäure und ionisierter Methacrylsäure

163 Wie bei der Variation der Gegenionenkonzentration, würde der Einfluss von MCRs die unterschiedlichen Abhängigkeiten der reduzierten Polymerisationsraten für NaMAA und NaAA von der Anfangsmonomerkonzentrationen perfekt erklären, wie dies in Abbildung 76 anhand von reduzierten Polymerisationsraten für radikalische Polymerisationen von 0,6 bis 1,7 mol·L–1 NaAA und von 0,6 bis 1,8 mol·L–1 NaMAA in D2O bei 50 °C mit 12 mmol·L–1 V-50 als thermischen Initiator gezeigt wird. Hierbei führt die Erhöhung der Monomerkonzentration von NaAA von 0,6 auf 1,7 mol·L–1 zu einem Anstieg der Polymerisationsrate um etwa das dreifache, wohingegen die gleiche Erhöhung bei NaMAA nahezu keinen Einfluss auf die Polymerisationsrate zeigt. Diese Unabhängigkeit resultiert aus einem ähnlichen Anstieg von kp und <kt> mit cMAA (siehe Kapitel 9.5). Die reduzierte Polymerisationsrate von NaAA nimmt hingegen stark zu, da zusätzlich zu kp

s und <kt

ss> sowohl kp

t als auch cAA steigen und sich somit das Gleichgewicht zwischen SPRs und MCRs zur Seite der SPRs hin verschiebt.

0,0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0

Methacrylat Natrium Rubidium

104 ·r ini p /(c M) Mittel / s1

Acrylat

Abbildung 77. Vergleich der reduzierten Polymerisationsraten von 0,6 mol·L–1 vollständig ionisierter Acryl- und Methacrylsäure in D2O bei 50 °C mit 12 mmol·L–1 V-50 als thermischen Initiator und Natrium sowie mit Rubidium als Gegenion.

Abschließend wird geprüft, wie sich die Art des Gegenions auf die MCR-Kinetik von NaAA auswirkt. Abbildung 77 zeigt dazu die reduzierten Polymerisationsraten für Polymerisationen von 0,6 mol·L–1 vollständig

Kinetik und Modellierung der Homopolymerisation von ionisierter Acrylsäure

164

ionisierter Acryl- und Methacrylsäure in D2O bei 50 °C mit Natrium sowie mit Rubidium als Gegenion.

Wie anhand von Abbildung 77 eindeutig zu erkennen, beeinflusst auch die Art des Gegenions die Wachstumskinetik. Während sich bei vollständig ionisierter MAA die Polymerisationsrate kaum verändert, könnte ein Anstieg von kp

t für ionisierte AA beim Übergang von Rubidium zu Natrium als Gegenion das Gleichgewicht zur Seite der SPRs verschieben und so dazu führen, dass die Polymerisationsrate von vollständig ionisierter AA in der homologen Reihe von Cäsium- zu Lithium-Gegenkationen ansteigt.