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Systematische und typologische Aspekte

III. Zum «Eigengeartetsein» der Verfassungsrecht - -sprechung und des Verfassungsprozessrechts

1. Verfassungsrechtsprechung als judikative Tätigkeit und staatsintegrative Funktion

a) Verfassungsgerichte als Gerichte

Verfassungsgerichtsbarkeit66ist «Rechtsprechung unmittelbar in Verfas -sungs sachen».67 Verfassungsgerichte sind dementsprechend zunächst Organe der Rechtspflege. Auch der liechtensteinische Staatsgerichtshof ist ein Gericht. Er übt seine judikative Funktion zusammen mit den «anderen Gerichten» – wie es die Überschrift in Art. 28 Staatsgerichts hofs -gesetz (StGHG) formuliert – aus. Dementsprechend sieht sich der Staats gerichtshof eingebunden «in die im positiven Recht verankerten Aufgaben der Rechtsprechung».68

Und in der Tat: Verfassungsgerichte – das gilt für den österreichi-schen Verfassungsgerichtshof, das schweizerische Bundesgericht69 und das deutsche Bundesverfassungsgericht in gleicher Weise wie für den liech tensteinischen Staatsgerichtshof – teilen die konstitutiven und prä-genden Merkmale mit allen anderen Jurisdiktionsorganen. In ihrem Grund typus sind sie charakterisiert durch die Aufgabe autorisierter und damit verbindlicher verselbständigter Entscheidungen in Fällen bestrit-tenen oder verletzten Rechts in einem besonderen Verfahren,70das strikt

Judikative Tätigkeit und staatsintegrative Funktion

66 Geläufig wurde der Ausdruck «Verfassungsgerichtsbarkeit» erst im Anschluss an das grundlegende Referat von Heinrich Triepel über «Wesen und Entwicklung der Staatsgerichtsbarkeit» vor der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer im Jahre 1928 (VVDStRL 5 [1929], 4ff.), wobei Heinrich Triepel sich auf den öster-reichischen Sprachgebrauch bezog; siehe auch Klaus Schlaich/Stefan Korioth, Das Bundesverfassungsgericht. Stellung, Verfahren, Entscheidungen, 5. Aufl. 2001, S. 8 (Rn. 10).

67 So die häufig aufgegriffene Formulierung bei Hermann Mosler, Das Heidelberger Kolloquium über Verfassungsgerichtsbarkeit. Ziele – Methoden – Ergebnis, in: ders.

(Hrsg.), Verfassungsgerichtsbarkeit in der Gegenwart: Länderberichte und Rechtsvergleichung, 1962, S. IX (XII); Peter Häberle, Grundprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit, in: ders. (Hrsg.), Verfassungsgerichtsbarkeit, 1976, S. 1 (6); Kurt Eichenberger, Die Verfassungsgerichtsbarkeit in den Gliedstaaten der Schweiz, in: Christian Starck/Klaus Stern (Hrsg.), Landesverfassungsgerichtsbarkeit Teilband 1, 1983, S. 435 (437).

68 StGH 1982/65/V – Urteil vom 15.9.1983, LES 1984, 3 (3 f.); siehe auch Wolfram Höfling, Die liechtensteinische Grundrechtsordnung, S. 36 f.

69 In seiner Funktion als Verfassungsgericht.

70 So Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutsch -land, 20. Aufl. 1995, Rn. 548; vgl. ferner etwa Karl August Bettermann, Die rechtsprechende Gewalt, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staats -rechts, Bd. III, 1988, § 73 Rn. 17 ff. (S. 783 ff.).

antragsgebunden ist.71 Dementsprechend finden sich auch immer wieder Selbstcharak te risie rungen des Staatsgerichtshofs als Gericht, so bei-spielsweise, wo er im Blick auf seine (frühere) Gutachtentätigkeit seine Funk tion als Recht spre chungsorgan hervorhebt und dabei die judika tive Tätig keit umschreibt als «die in einem bestimmten Verfahren erfolgende, gerechtigkeitsorientierte Zusprechung von Rechten und Pflichten im Ein zel fall».72

b) Mehr als Gerichte: Verfassungsgerichte als Verfassungsorgane Doch vielfach wird darüber hinaus angenommen, Verfassungsgerichte seien nicht bloss Gerichte, sondern auch noch etwas anderes.73 Der Staats gerichtshof deutet dieses «Mehr» etwa in der Selbstbeschreibung an, er sei «auch Gericht im weiteren Sinne».74

Dieser «weitere Sinn» referiert auf die Stellung des Staatsgerichts -hofs im Gefüge des Staatsganzen, wie es in der Verfassung Liechtensteins entfaltet ist. Der Staatsgerichtshof ist zwar ein «Gerichtshof» (Art. 104 Abs. 1 LV), aber ein «Gericht sui generis»75. Das zeigt schon die Anord -nung der relevanten Bestimmungen in der Verfassung. Zunächst sind die Bestimmungen über die «Rechtspflege» (Art. 99 ff. LV) normiert, so-dann jene über den «Staatsgerichtshof» (Art. 104 ff. LV). Ersichtlich

71 Für Liechtenstein siehe die Art. 24, 25, 26 und 28 StGHG bzw. Art. 17, 19 und 21 des noch nicht sanktionierten StGHG; siehe hierzu näher Herbert Wille, Nor men -kontrolle, S. 121 f. mit zahlreichen Nachweisen; ders., in: ders. (Hrsg.), Fest gabe Staatsgerichtshof, S. 9 (47 f.), der insoweit auch kritisch der Selbstcharak teri sierung als «Hüter der Verfassung» gegenübersteht. – Der Staatsgerichtshof selbst spricht von der «grundsätzlich strikte(n) Antragsbindung der Entscheidungs zu ständigkeit des StGH»; so StGH 1995/25 – Urteil vom 23. November 1998, LES 1999, 141 (147).

72 So StGH 1976/6 – Entscheidung vom 10. Januar 1977, ELG 1973–1978, 407 (409).

73 Dezidiert anderer Auffassung Klaus Schlaich/Stefan Korioth, Bundesverfassungs -gericht, Rn. 34 im Blick auf das Bundesverfassungsgericht: «Es ist zusätzlich nicht noch etwas anderes»; siehe auch Josef Isensee, Bundesverfassungsgericht – Quo va-dis?, JZ 1996, 1085 (1091): «Juristen, die von Berufs wegen nicht zur Utopie neigen, richten auf das Bundesverfassungsgericht eine bescheidene Hoffnung: dass es Ge -richt sei, -richtiges Ge-richt und ganz Ge-richt».

74 So StGH 1982/37 – Urteil vom 1.12.1982, LES 1983, 112 (113). – Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 51 spricht im Blick auf die «Letztentscheidungskompetenz»

des StGH davon, dass dies «seine besondere (einzigartige) statusrechtliche Stellung im Verfassungsgefüge» ausmache.

75 So Bericht des Berichterstatters, JöR NF 6 (1957), S. 120.

weiss die Verfassung zwischen beidem zu unterscheiden. So sehr der Staats gerichtshof auch, wie sein Name schon sagt, gerichtlich tätig ist, so handelt es sich doch nicht nur um «Rechtspflege» im herkömmlichen Sinne. Der Akzentuierung dieser «Eigenart» dient schon die eigenständige Normierung im Hauptstück VII. Abschnitt E. («Der Staatsgerichts -hof») der FL-Verfassung.76

In Anlehnung an die deutsche Debatte über den verfassungsrecht-lichen Status des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) lässt sich der

«weitere» Sinnhorizont, in den der Staatsgerichtshof gestellt ist, mit dem Begriff des «Verfassungsorgans» markieren. Verfassungsorgane sind die-jenigen obersten Staatsorgane, die «eigenständige Inhaber eines nicht un-wesentlichen Ausschnitts aus der verfassungsrechtlich konstituierten Staats gewalt» sind.77 Es geht also um oberste Staatsorgane, die in der Ver fassung mit besonderer Autorität ausgestattet sind, «deren Ent -stehen, Bestehen und verfassungsmässige Tätigkeit erst recht eigentlich den Staat konstituieren und seine Einheit sichern.»78Der Terminus «Ver -fassungsorgan» ist insoweit die auf den Begriff gebrachte Beschreibung der Funktionen eines Verfassungsgerichts.79Wie sehr dies auf den liech-tensteinischen Staatsgerichtshof zutrifft, machen Entstehungsgeschichte und Ausgestaltung der Verfassung von 1921 eindrucksvoll deutlich.80

In Deutschland hat der Gesetzgeber diese Konzeption rezipiert, indem er sie an den Anfang des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) gestellt hat.81Auch die Verfassungsrechtslehre ist ihr mehr-heitlich – jedenfalls dem Grunde nach – gefolgt.82

Judikative Tätigkeit und staatsintegrative Funktion

76 Siehe auch Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 36: «Der Staatsgerichtshof ist durch die systematische Verortung in einem separaten Abschnitt E. des VII. Hauptstücks der Verfassung klar von der ordentlichen Gerichtsbarkeit …, die ihren Platz in Ab -schnitt D. einnimmt, geschieden und abgegrenzt. Diese verfassungsrechtlich eigen-ständige Regelung unterstreicht ihre Besonderheit und Bedeutung, die nach einer Sonderstellung verlangen».

77 Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 1980, S. 42.

78 Gerhard Leibholz: Das Bundesverfassungsgericht 1951-1971, 1971, S. 45.

79 S. auch Hans-Hugo Klein, Gedanken zur Verfassungsgerichtsbarkeit, in: FS für Klaus Stern, 1997, S. 1135ff. (1135).

80 Siehe dazu die Ausführungen oben A. II., S. 24, mit weiteren Nachweisen.

81 § 1 Abs. 1 BVerfGG: «Das Bundesverfassungsgericht ist ein allen übrigen Verfas -sungs organen gegenüber selbständiger und unabhängiger Gerichtshof des Bundes.»

– Hervorhebung nur hier. S. auch § 19 Geschäftsordnung des BVerfG, wo von der Stellung des BVerfG als «eines obersten kollegialen Verfassungsorgans» die Rede ist.

82 Eingehend Klaus Schlaich/Stefan Korioth, Bundesverfassungsgericht, Rn. 25 ff.

(auch zu krit. Gegenstimmen); Ernst Benda/Eckart Klein, Verfassungsprozessrecht, Rn. 99 ff., Rn. 106 ff. mit umfangr. Nachw.

Der Begriff «Verfassungsorgan» dient der funktionellrechtlichen Relationierung des dem Staatsgerichtshof von der FL-Verfassung zuge-wiesenen Auftrags. Als richterlich arbeitendes Verfassungsorgan verfügt der Staatsgerichtshof über eine beachtliche Fülle von Prüfungskom peten zen, die ihm einen besonders nachhaltigen Einfluss auf das Han -deln der anderen Staatsorgane,83 namentlich unter dem Aspekt des

«Schutz(es) der verfassungsmässig gewährleisteten Rechte der Bürger»

(Art. 104 Abs. 1 LV, Art. 11 Nr. 1 StGHG), einräumt. Diese Ein fluss -mög lichkeit geht über die einzelfallgebundene Entscheidung einer privat, straf oder verwaltungsrechtlichen Streitigkeit hinaus. Der Staats -ge richtshof, der als «Gerichtshof des öffentlichen Rechts» (Art. 104 Abs. 1 LV) dem «Schutze des öffentlichen Rechts» (Art. 1 Abs. 1 StGHG) dient, sichert die Unverbrüchlichkeit der Verfassung, er ist

«Hüter der Verfassung»84. Er ist die sprichwörtlich «letzte Instanz»85, die konfliktlösende, institutionelle «Klammer ..., die den liechtensteini-schen Staat zusammenhält»86.

2. Verfassungsrechtsprechung und Verfassungsprozessrecht

a) Der Staatsgerichtshof als «Herr des Verfahrens»?

Die «überschiessende» Bedeutung, die der Rechtsprechung in Ver fas -sungs sachen damit durchaus zukommt, ist indes eine ihrerseits normativ eingegrenzte. Die (Selbst-)Qualifikation als Verfassungsorgan liefert kei-nen eigenständigen Titel zur Erweiterung von Kompetenzen.87 In die-sem Zusammenhang kommt vor allem dem Verfassungsprozessrecht

83 Grds. dazu: Arno Waschkuhn, Das Spannungsverhältnis von Recht und Politik im Hinblick auf den Kleinstaat, in: Gedenkschrift für Erich Seeger, o.J., S. 1999 ff.

84 Gerard Batliner, Der konditionierte Verfassungsstaat – Die Ausstandsregel des Art. 7 lit. d LVG für liechtensteinische Verfassungsrichter, in: Herbert Wille (Hrsg.), Festgabe Staatsgerichtshof, S. 109 (132).

85 Gerard Batliner, Der konditionierte Verfassungsstaat – Die Ausstandsregel des Art.

7 lit. d LVG für liechtensteinische Verfassungsrichter, in: Herbert Wille (Hrsg.), Festgabe Staatsgerichtshof, S. 109 (129) – mit Blick auf Art. 112 LV.

86 Gerard Batliner, Der konditionierte Verfassungsstaat – Die Ausstandsregel des Art. 7 lit. d LVG für liechtensteinische Verfassungsrichter, in: Herbert Wille (Hrsg.), Festgabe Staatsgerichtshof, S. 109 (129) – mit Blick auf Art. 112 LV.

87 Siehe auch Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 296 f.

eine wichtige Rolle zu.88Das damit angesprochene Problem wird deut-lich, wenn man Entscheidungen von Verfassungsgerichten in den Blick nimmt, in denen diese unter legitimatorischer Berufung auf ihren spezi-fischen Status «Verfahrensautonomie» für sich reklamieren.89Das Bun -des verfassungsgericht hat sich gelegentlich gar als «Herr -des Verfahrens»

charakterisiert90 und damit eine deutliche Akzentsetzung vorgenom-men.91 Indes ist nachdrücklich an die kompetentielle Einbindung auch der Verfassungsgerichte zu erinnern.

Auch der Staatsgerichtshof kann den Plan der Zuständigkeiten nicht aus eigenem Antrieb korrigieren. Allerdings lassen ihm die ein-schlägigen Verfassungs- und Prozessrechtsbestimmungen einigen Raum bei der Konkretisierung des Procedere. Das Verfahren wird durch die Verfassung gar nicht und durch das StGHG nur schwach program-miert.92 Der ergänzende Verweis auf das Landesverwaltungs pfle -gegesetz und von dort auf die Zivilprozessordnung lässt viel Raum für eine problemadäquate Abstimmung auf die Besonderheiten der Aufgaben des Staatsgerichtshofs. In den Konkretisierungsprozess spielt nicht zuletzt als interpretationsdirigierendes Leitbild das Selbst ver -ständnis des Staats ge richtshofs hinein, der nur dann seine Aufgabe als Hüter der liechtensteinischen Verfassung effektiv ausüben kann, wenn die Verfahrens regeln eine problemadäquate Handhabung erlauben. Das bedeutet, dass die analoge Heranziehung von Bestimmungen etwa des LVG oder der ZPO der Eigenart des verfassungsgerichtlichen Auf trags

Verfassungsrechtsprechung und Verfassungsprozessrecht

88 Dazu siehe sogleich unter b), S. 36.

89 Vgl. etwa für das Bundesverfassungsgericht die Nachweise bei Klaus Schlaich/

Stefan Korioth, Bundesverfassungsgericht, Rn. 33; Ernst Benda/Eckart Klein, Ver fas sungs prozessrecht, Rdnrn. 114 ff., 168 ff.; Peter Oberndörfer, Die Verfas -sungsrecht sprechung im Rahmen der staatlichen Funktionen, EuGRZ 1988, 193 (205) spricht im Blick auf den österreichischen Verfassungsgerichtshof ebenfalls (überraschend) davon, der VerfGH besitze in Verfahrensfragen «echte richterliche Autonomie»; dezidiert anders Michael Holoubek, Grundsätze des verfassungsge-richtlichen Verfahrens, in: Michael Holoubek/Michael Lang (Hrsg.), Das verfas-sungsgerichtliche Verfahren in Steuersachen, 1998, S. 13 (21): «Der Gerichtshof ist nicht ‹Herr des Verfahrens›, sondern ebenso wie jedes andere Gericht strikt an das ein schlägige Verfahrensrecht gebunden.»

90 BVerfGE 13, 54 (94); 36, 342 (357); 60, 175 (213).

91 Kritisch etwa Bonk, in: Michael Sachs, GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 93 Rn. 27 mit weit. Nachw.; siehe auch Bernd Sangmeister, «Der Krieg der Richter» – Bundesverfassungsgericht, NJW 1998, 519, in: JuS 1999, 21 (27) zum gelegentlich ausgesprochen «‹freien› Umgang des Gerichts mit dem Verfahrensrecht».

92 Dazu noch eingehend unten B. I. 2, S. 40 ff.

und damit des verfassungsgerichtlichen Verfahrens Rechnung tragen muss.93

Kritischer Betrachtung aber bedarf es, wenn das – lückenhafte – Ver fassungsprozessrecht durch den Staatsgerichtshof selbst gleichsam kompetentiell ergänzt wird. Dies ist etwa der Fall, wenn das Ver fas -sungs gericht seit einigen Jahren sog. Appellentscheidungen94 als Ent -schei dungsvarianten praktiziert,95ohne sich hierfür auf eine gesetzliche Grundlage berufen zu können. Darauf wird zurückzukommen sein.96

b) Funktionen des Verfassungsprozessrechts

Ebenso wie andere Prozessrechtsordnungen steht das Verfassungspro -zess recht in einem Ak-zessorietätsverhältniszum materiellen Recht, über das im Prozess zu entscheiden ist. Somit dient Verfassungsprozessrecht der Realisierung des Verfassungsrechts.97Schon von daher ergibt sich die Forderung nach einem gewissenhaften und sorgfältigen Umgang mit der Rechtsmaterie von selbst.98

Neben dieser dienenden Funktion – und unmittelbar hierauf be -zogen – steht eine weitere Dimension des verfassungsspezifischen Prozessrechts: Es ist auch bzw. sollte auch Funktionssicherungsrecht sein.99

Schliesslich aber verlangt die gleichsam überschiessende Bedeutung und Wirkung von Verfassungsrechtsprechung100 nach einem Verfas -sungs prozessrecht, dass das jeweilige Verfas-sungsgericht einzubinden vermag in das Kompetenzgefüge der (Verfassungs-)Rechtsordnung.

Inso weit ist Verfassungsprozessrecht auch Kompetenz und Status

-93 Dazu aus deutscher Sicht Klaus Schlaich/Stefan Korioth, Bundesverfassungsgericht, Rn. 54.

94 Zu den Arten vgl. Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 314 ff.

95 Siehe vorerst als Beispiele: StGH 1995/20 – Urteil vom 24. März 1996, LES 1997, 30 (38); StGH 1995/6 – Urteil vom 2. Februar 1999, LES 2001, 63 (69).

96 Siehe unten sub B. VII, S. 194 ff.

97 Dazu etwa Ernst Benda/Eckart Klein, Verfassungsprozessrecht, Rn. 36.

98 Vgl. auch Rainer Wahl, in: Bernd Guggenberger/Thomas Würtemberger (Hrsg.), Hüter der Verfassung oder Lenker der Politik, 1998, S. 104.

99 Siehe Ernst Benda/Eckart Klein, Verfassungsprozessrecht, Rdnrn. 39 f. – Ob und in wieweit das liechtensteinische Verfassungsprozessrecht diese Funktion zu erfüllen vermag, sollen die nachfolgenden Ausführungen erweisen.

100 Dazu vorstehend, S. 34 f.

recht.101 Dem verfassungsbezogenen Verfahrensrecht kommt m.a.W.

eine «kompetenzrechtliche Grenzfunktion» zu.102 Diese Aufgabe wird gefährdet, ver steht man das Verfassungsprozessrecht einseitig als ein

«emanzipiertes» Prozessrecht, dessen Struktur sich – mit Hilfe der Inter -pre ta tionsarbeit des Verfassungsgerichts – «der Offenheit der Verfassung zu öffnen» habe.103

Verfassungsrechtsprechung und Verfassungsprozessrecht

101 Dazu schon Eckart Klein, Verfassungsprozessrecht – Versuch einer Systematik an-hand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, AöR 108 (1983), 410 (415).

102 Formulierung bei Rinken, in: AKGG, Bd. 2, 2. Aufl. 1989, vor Art. 93 Rn. 125; zur verfahrensrechtlichen Bindung der Verfassungsrechtsprechung vgl. ferner Paul Kirch hof, Verfassungsverständnis, Rechtsprechungsaufgabe und Entlastung des Bun desverfassungsgerichts, in: Harald Bogs (Hrsg.), Urteilsverfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht, 1999, S. 71 (76). – Für Österreich Michael Holou bek, in: Michael Holoubek/Michael Lang, S. 13 (20): Die verfahrensrechtliche Bin -dung des VerfGH wirke «kompetenzbegrenzend» und sichere so die «Einhaltung des Gewaltenteilungsgefüges» mit.

103 So aber Peter Häberle, JöR NF 45 (1997), 89 (103).