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1.2. Besonderheiten des Wiederkäuers im Nährstoff-Stoffwechsel

1.2.1. Verdauung von Nährstoffen im Wiederkäuer

1.2.1.1. Degradation von Futterinhaltsstoffen: Neben-/Endprodukte

Im Laufe der Evolution hat der Wiederkäuer ein hochspezialisiertes Vormagensystem entwickelt, das es ihm ermöglicht, qualitativ geringwertiges Futter zu verwerten, das verhältnismäßig arm an Protein, dafür aber besonders faserreich ist. Für Monogastrier unverdauliche Gerüstsubstanzen wie (Hemi-)Cellulose werden als Kohlenhydratquelle genutzt. SILANIKOVE (1986) und SILANIKOVE & BROSH (1989) zeigten bei bestimmten Ziegenrassen sogar einen teilweisen Abbau von Lignocellulosen.

Die funktionell wichtigste Einheit im vierteiligen Magensystem (Haube, Pansen, Blättermagen, Labmagen) des Wiederkäuers ist der Pansen, der als geräumige Fermentationskammer dient. In der Wachstumsphase, während derer sich der Pansen noch in der Entwicklung befindet, wird er bereits dicht mit Mikroorganismen besiedelt (Bakterien, Archaeen, Protozoen und Pilze), die mit fortschreitendem Alter zunehmend Festnahrung zersetzen und das Wirtstier symbiotisch mit den Neben- und Endprodukten ernähren. Im Gegenzug versorgt der Wiederkäuer die mikrobielle Flora mit einem stabilen Mileu unter Aufrechterhaltung einer konstanten Temperatur, fortwährender Versorgung mit Nahrung und weiterer, im Speichel und endogenen Sekreten enthaltenen Substraten, sowie der Erhaltung des Fließgleichgewichts. Die ruminalen Fermentationsprozesse erfordern in Abhängigkeit vom Rohfasergehalt und

Partikelgröße des Substrates viel Zeit. Die komplette Magen-Darm-Passage des Wiederkäuers in Abhängigkeit von der Partikelgröße kann bis zu 73 Stunden dauern (UDÉN 1988; JUDKINS et al. 1986). Zellwandbestandteile und schwer verdauliche Gerüstsubstanzen werden effizient durch die Mikroorganismen und ihre Enzyme aufgeschlossen und ihre Kohlenhydrate zu kurzkettigen Fettsäuren wie Acetat, Propionat und Butyrat abgebaut. Aus diesen bezieht der Wirt nach Resorption durch die Pansenwand einen erheblichen Anteil seiner Energie. Im Rahmen dieser mikrobiellen Vorverdauung werden die meisten Futterproteine und Nicht-proteinhaltige-Stickstoffverbindungen (NPN) (VIRTANEN 1966) aufgespalten.

Nahrungsproteine werden durch zellwandständige Proteasen und Peptidasen der Pansenmikroben zu Peptiden und Aminosäuren abgebaut und zu großen Teilen für die Neusynthese von Mikrobenprotein genutzt oder in den Ammoniak-Pool der Pansenflüssigkeit überführt. NPN-Verbindungen, wie der häufig supplementierte Harnstoff, werden durch mikrobielle Ureasen zu Ammoniak umgesetzt. Der Ammoniak-Pool wiederum dient den Pansenmikroben als Haupt-N-Quelle für die mikrobielle Proteinsynthese (Abb. 2). Fette werden via mikrobieller Lipolyse im Pansen zu Glycerin, Galactose und freien Fettsäuren aufgespalten. Glycerin und Galactose werden zu SCFA verstoffwechselt, während freie Fettsäuren und mikrobielle Lipide der intestinalen Fettverdauung zugeführt werden (LEBZIEN 2005).

Bis zu 70 % des aufgenommenen Futterproteins und bis zu 100 % der NPN-Verbindungen werden im Pansen abgebaut und stehen dem Wiederkäuer nicht mehr direkt zur Verfügung (KAUFFOLD et al. 1977; VON ENGELHARDT & BREVES 2005). Die nicht abgebauten Stickstoffverbindungen werden zusammen mit mikrobiellem Protein über das Foramen reticulomasale in den Blättermagen entlassen und schließlich über den Labmagen in den Dünndarm zur Resorption transportiert. Im Ingestafluss in die dem Pansen nachgeschalteten Abschnitte sind große Anteile von mikrobiellem Protein in Form von mikrobieller Biomasse enthalten, die dem Wiederkäuer bei der intestinalen Verdauung als Proteinquelle dienen.

Abbildung 2: Übersicht der wichtigsten Stickstoffumsetzungen (nach NOLAN & LENG 1983).

Die gesamte mikrobielle Zellmasse kann bis zu 75 – 85 % Protein und 13 – 19 % Nucleinsäuren enthalten (SMITH et al. 1975). LESSMANN (1985) stellte in einer Referenzfraktion von Pansenbakterien Rp-Gehalte von ca. 50 % der Trockenmasse fest. Somit stellt das MP einen erheblichen Beitrag zur Versorgung des Wiederkäuers dar. Im Hinblick auf die Fähigkeit der Mikroben, Protein auch aus NPN-Verbindungen zu synthetisieren, kann MP unter Versuchsbedingungen und proteinfreier aber NPN-haltiger Fütterung sogar die einzige Proteinquelle des

Wiederkäuers darstellen (HUME et al. 1970). Im MP enthalten sind für den Wirt essentielle und nicht essentielle Aminosäuren. Abgesehen von den Fermentationsprozessen im Pansen mit der Produktion von kurzkettigen Fettsäuren und damit einhergehenden Energieversorgung ist damit die mikrobielle Besiedlung des Pansens eine unabdingbare Voraussetzung für die Proteinversorgung des Wiederkäuers. Für den Wirt ist es daher überlebenswichtig, ein fortwährendes Mikrobenwachstum und damit kontinuierliche Proteinsynthese aufrecht zu erhalten.

Da der hierfür nötige Stickstoff gerade in Mangelperioden nicht immer ausreichend zur Verfügung steht, weist der Wiederkäuer eine Stoffwechselbesonderheit auf, die es ihm ermöglicht, durch vermehrten Rücktransport von N in den Pansen Perioden stickstoffarmer Versorgungslage (z.B. Wildwiederkäuer im Winter) abfangen zu können (BUNTING et al. 1989; LAPIERRE & LOBLEY 2001).

1.2.1.2. Aufgaben der Pansenmikroben

Im Pansen dominieren vier Gruppen von Mikroorganismen: Bakterien, Archaeen, Protozoen und Pilze. Bakterien stellen die metabolisch wichtigste und vielfältigste Gruppe dar (HUNGATE 1966; RUSSELL & HESPELL 1981) und sind für den Wiederkäuer im Gegensatz zu Protozoen und Pilzen essentiell. Bakterien dienen der Fermentation aufgenommener Futternährstoffe und versorgen den Wiederkäuer u. a.

mit kurzkettigen Fettsäuren und mikrobiellem Protein. Bei dem Abbau von leicht fermentierbaren Kohlenhydraten, wie zum Beispiel in Pflanzenzellen enthaltene Stärke oder Zucker, aber auch Strukturkohlenhydraten wie Cellulose und Hemicellulosen, werden in hohen Konzentrationen die flüchtigen Fettsäuren Acetat, Propionat und Butyrat freigesetzt. Futterprotein und Nicht-Protein-Stickstoffverbindungen (z.B. Harnstoff) werden von den Pansenbakterien zu Ammoniak degradiert und schließlich zur Synthese von Nukleinsäuren oder von mikrobiellem Protein verwendet, welches dem Wiederkäuer später in der intestinalen Proteinverdauung zur Verfügung steht. Das mikrobielle Protein stellt mit 70-100 % die Hauptquelle der im Dünndarm resorbierten Aminosäuren für den Wirt dar

(SCHWAB et al. 2005) und wird überwiegend aus dem Ammoniakpool im Pansen synthetisiert (38-80 % des Futterproteins gehen in MP über; PACHECO &

WAGHORN 2008).

Auch wenn die Protozoen im Rahmen der Fermentation nur eine geringe Rolle spielen und sie für den Wiederkäuer nicht essentiell sind, fällt ihnen eine vielschichtige Aufgabe zu. Sie produzieren Hemicellulasen und helfen somit beim Zellwandabbau der Futterbestandteile und den darin enthaltenen Kohlenhydraten.

Zudem fungieren sie als Wegbereiter für die bakterielle Fermentation. Protozoen nehmen außerdem leicht fermentierbare Futter-Kohlenhydrate schnell auf und speichern diese als Glykogen in ihren Amyloplasten. Auf diese Weise übernehmen die Protozoen eine Pufferfunktion und entziehen leicht fermentierbare Kohlenhydrate dem bakteriellen Fermentationsprozess und der zu schnellen Überführung in kurzkettige Fettsäuren. Somit führen sie zu einer Stabilisierung/geringeren Absenkung des Pansen-pH und schützen vor einer überschießenden Produktion von kurzkettigen Fettsäuren. Zu den weiteren Funktionen der Protozoen gehört die Populationskontrolle der Pansenbakterien. Sie können zum einen ein Überwuchern unter Normbedingungen verhindern, aber auch das Wachstum pathogener Keime eindämmen (NEWBOLD et al. 2001). Die höchsten Protozoenanteile sind bei 40-60

% Kraftfutteranteil in der Ration festgestellt worden (DEHORITY & ORPIN 1988;

TOWNE et al. 1988), allerdings in Abhängigkeit von der Abbaubarkeit der Kohlenhydrate.

Den Pilzen fällt eine untergeordnete Rolle als eine Art Bakterienanker an Futterpartikeln zu. Sie können aber bis zu 25 % der mikrobiellen Masse ausmachen (STEWART et al. 1986). Sie siedeln auf Futterpartikeln und bewirken mit ihren Hyphen eine Auflockerung der Zellwandbestandteile und machen diese dadurch besser angreifbar für bakterielle Enzyme. Ebenso sorgen sie durch ihre Besiedelung für eine Oberflächenvergrößerung der Futterpartikel und bieten partikelassoziierten Bakterien eine bessere Ansiedlungsgrundlage für die eigentlichen cellulolytischen Prozesse (VON ENGELHARDT & BREVES 2005).