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5.2 Symptomatik, Trauer- und Verarbeitungsprozesse nach der Fehlgeburt

5.2.3 Verarbeitungsmuster nach der Fehlgeburt

Die mittleren Werte der Skalen der Münchner Trauerskala, des Freiburger Fragebogens zur Krankheitsverarbeitung und des Fragebogens zur Attribution der Fehlgeburt werden gemeinsam einer Faktorenanalyse (Hauptkomponentenanalyse mit Varimaxrotation) unterzogen mit dem Ziel, den Merkmalsausprägungen zugrunde liegende Verarbeitungsmuster zu extrahieren. Der Bartlett-Test weist alle Variablen als geeignet aus, in die Analyse einzugehen (KMO=0,85836; Bartlett-Test: Chi2=1183,294, df=78, p=0,00037). Im Ergebnis der durchgeführten Analyse er-hält man 3 Faktoren mit Eigenwerten > 1, die zusammen 50,070% der Gesamtvarianz aufklä-ren. Tabelle 27 enthält die Faktorladungen der einzelnen Variablen, die Eigenwerte der Fakto-ren und den prozentualen Anteil der FaktoFakto-ren an der Aufklärung der Gesamtvarianz.

36 Kaiser-Meyer-Olkin-Kriterium.

37 Der Bartlett-Test auf Sphärizität testet die Nullhypothesen, dass die Korrelationen zufällig entstanden sind und alle Korrelationskoeffizienten einen Wert von 0 haben.

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Tabelle 27: Verarbeitungsmuster nach der Fehlgeburt: Rotierte Faktormatrix, Eigenwerte und

Varianzaufklärung der Faktoren, Faktorladungen der einzelnen Variablen (Untersuchungsgruppe I (n=232), Methode: Hauptkomponentenanalyse mit Varimax-Rotation, die fett gekennzeichneten Variablen werden jeweils zur Interpretation des Faktors hinzugezogen)

Faktor

Merkmale der eigenen Person 0,804 0,241 0,067

FKV:

Depressive Verarbeitung 0,610 0,483 0,091

Attribution:

Stress in der Schwangerschaft 0,586 0,129 0,061

Münchner Trauerskala:

Ärger 0,578 0,348 -0,038

Attribution:

Arzt/ medizinisches Personal 0,326 0,252 0,051

Münchner Trauerskala:

Traurigkeit 0,253 0,744 0,163

Münchner Trauerskala:

Verlustangst 0,375 0,704 0,060

Münchner Trauerskala:

schuldhafte Verarbeitung 0,503 0,646 -0,046

FKV:

Bagatellisierung und Wunschdenken 0,465 0,534 0,030

FKV:

Ablenkung und Selbstaufbau 0,196 -0,078 0,816

FKV:

Frauen, die hohe Merkmalsausprägungen auf dem ersten Faktor – depressive Verarbeitung ge-nannt – haben, nehmen starke Schuldzuweisungen an sich selbst, das eigene Schicksal oder psychischen Stress vor. Sie weisen weitere depressive Symptome wie Grübelei, Gereiztheit, Wertlosigkeitsgefühle und sozialen Rückzug auf. Der Schwangerschaftsverlust wird von diesen Frauen bagatellisiert und verleugnet.

Der zweite Faktor unterscheidet sich vom ersten Faktor v.a. durch eine ausgeprägte Traurigkeit nach dem Verlust. Hinzu kommen starke Ängste vor erneuten Schwangerschaftsverlusten, Pes-simismus, Neid auf andere Schwangere oder Mütter, Selbstvorwürfe und weitere depressive Symptome. Dieses Verarbeitungsmuster wird deshalb pessimistisch-traurige Verarbeitung ge-nannt.

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Frauen, die hohe Werte auf dem dritten Faktor - der aktiven Auseinandersetzung - aufweisen, setzen sich aktiv mit dem Schwangerschaftsverlust auseinander. Sie suchen Information über Fehlgeburten und den Rat ihres behandelnden Arztes. Sie überlegen, was sie verändern könnten und versuchen, dem Ereignis einen Sinn zu geben. Darüber hinaus unternehmen sie Versuche, sich selbst aufzubauen, indem sie nach Selbstbestätigung suchen oder sich an ihren Partner oder andere Bezugspersonen wenden. Attributionen auf natürliche Regulationsprozesse sind typisch für dieses Verarbeitungsmuster.

5.2.3.1 Faktoren, die den Verarbeitungsmodus nach der Fehlgeburt mitbestimmen

Über die Methode der linearen Regressionsanalyse soll der Einfluss von Kontrollvariablen auf die einzelnen Verarbeitungsmuster geprüft werden. Tabelle 28 gibt das Regressionsmodell für die Zielvariable „Depressive Verarbeitung der Fehlgeburt“wieder.

Tabelle 28: Regressionsmodell für die Zielvariable „Depressive Verarbeitung nach der Fehlgeburt“

(Untersuchungsgruppe II (n=232), lineare Regressionsanalyse, Methode: Einschluss) Vorhersage von „Depressive Verarbeitung der Fehlgeburt“

(R2=0,374, F=8,793, df1=10, df2=142, p<0,001) Prädiktor Standardisierter

Konstante 4,684 p<0,001

Kinder (ja/nein) -0,292 -3,990 p<0,001 0,781 1,281

Schwangerschaft war geplant (ja/nein)

0,012 0,167 p=0,868 0,849 1,178

Alter -0,050 -0,690 p=0,491 0,819 1,222

Erwerbstätigkeit (ja/nein) -0,079 -1,110 p=0,269 0,832 1,201

Unterstützung durch den Partner -0,372 -5,248 p<0,001 0,848 1,179 Psychische Vorerkrankung (ja/nein) 0,186 2,638 p=0,009 0,865 1,156 Rezidivierende/ habituelle Aborte

(ja/nein)

0,095 1,391 p=0,166 0,936 1,068

Interruptio (ja/nein) 0,134 1,916 p=0,057 0,873 1,145

Belastung durch Tod von Angehörigen/ Freunden (ja/nein)

0,106 1,551 p=0,123 0,899 1,112

Belastung durch Trennung/

Scheidung (ja/nein)

0,196 2,732 p=0,007 0,820 1,220

Die Variablen „Kinder“, „psychische Vorerkrankung“, „Partnerunterstützung“ und „Belastung durch Trennung/Scheidung“ üben einen signifikanten Einfluss auf die Zielvariable aus. Eine depressive Verarbeitung der Fehlgeburt ist bei den Frauen wahrscheinlicher, die sich durch ih-ren Partner nicht ausreichend unterstützt fühlen und die noch kinderlos sind, bei Frauen, die noch unter einer Trennung oder Scheidung vom Partner leiden und bei Frauen, die bereits in der Vergangenheit schon einmal psychisch erkrankt waren. Dabei sagen das Fehlen eigener Kinder und eine schlechte Unterstützung durch den Partner eine depressive Verarbeitung am ehesten

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voraus (Stärke und Richtung des Einflusses der Prädiktorvariablen auf die Zielvariablen werden durch den standardisierten Regressionskoeffizienten Beta angezeigt).

Tabelle 29: Regressionsmodell für die Zielvariable „Pessimistisch-traurige Verarbeitung nach der

Fehlgeburt“ (Untersuchungsgruppe II (n=232), lineare Regressionsanalyse, Methode: Einschluss) Vorhersage von „Pessimistisch-traurige Verarbeitung der Fehlgeburt“

(R2=0,150, F=2,593, df1=9, df2=143, p=0,006) Prädiktor Standardisierter

Konstante 1,785 p=0,076

Kinder (ja/nein) 0,128 1,498 p=0,136 0,781 1,281

Schwangerschaft war geplant (ja/nein)

0,086 1,042 p=0,299 0,849 1,178

Alter -0,177 -2,108 p=0,037 0,819 1,222

Erwerbstätigkeit (ja/nein) 0,036 0,436 p=0,663 0,832 1,201

Unterstützung durch den Partner -0,137 -1,662 p=0,099 0,848 1,179

Psychische Vorerkrankung (ja/nein) 0,043 0,528 p=0,598 0,865 1,156 Rezidivierende/ habituelle Aborte

(ja/nein)

0,193 2,415 p=0,017 0,936 1,068

Interruptio (ja/nein) -0,068 -0,834 p=0,406 0,873 1,145

Belastung durch Tod von Angehörigen/ Freunden (ja/ nein)

0,168 2,106 p=0,037 0,899 1,112

Belastung durch Trennung/

Scheidung (ja/nein)

-0,001 -0,018 p=0,986 0,820 1,220

Tabelle 30: Regressionsmodell für die Zielvariable „Aktive Auseinandersetzung mit der Fehlgeburt“

(Untersuchungsgruppe II (n=232), lineare Regressionsanalyse. Methode: Einschluss) Vorhersage von „Aktive Auseinandersetzung mit der Fehlgeburt“

(R2=0,130, F=2,190, df1=9, d2=143, p=0,021) Prädiktor Standardisierter

Konstante -3,695 p<0,001

Kinder (ja/nein) 0,117 1,354 p=0,178 0,781 1,281

Schwangerschaft war geplant (ja/nein)

0,094 1,121 p=0,264 0,849 1,178

Alter 0,014 0,163 p=0,871 0,819 1,222

Erwerbstätigkeit (ja/nein) 0,136 1,609 p=0,110 0,832 1,201

Unterstützung durch den Partner 0,253 3,025 p=0,003 0,848 1,179

Psychische Vorerkrankung (ja/nein) 0,057 0,684 p=0,495 0,865 1,156 Rezidivierende/ habituelle Aborte

(ja/nein)

0,036 0,442 p=0,695 0,936 1,068

Interruptio (ja/nein) 0,070 0,848 p=0,398 0,873 1,145

Belastung durch Tod von Angehörigen/ Freunden (ja/nein)

0,023 0,279 p=0,781 0,899 1,112

Belastung durch Trennung/

Scheidung (ja/nein)

0,159 1,850 p=0,066 0,820 1,220

Frauen reagieren eher mit Mustern der pessimistisch-traurigen Verarbeitung auf eine Fehlge-burt, wenn sie bereits zum wiederholten Male einen Abort erlitten hatten oder noch durch den

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Tod von Angehörigen oder Freunden belastet waren (Tabelle 29). Außerdem scheint ein jünge-res Alter diesen Verarbeitungsstil wahrscheinlicher zu machen.

Eine aktive Auseinandersetzung mit dem Schwangerschaftsverlust wird durch eine – von den Frauen subjektiv wahrgenommene – gute Unterstützung durch den Partner vorhergesagt (Tabelle 30).

5.2.3.2 Adaptivität der Verarbeitungsmuster hinsichtlich des Trauerverlaufs

Mit einer logistischen Regressionsanalyse soll die Fragestellung überprüft werden, ob sich der weitere Trauerverlauf (unauffällig vs. pathologische Trauer) aus den wenige Wochen nach der Fehlgeburt zu beobachtenden Verarbeitungsmustern vorhersagen lässt. Tabelle 31 gibt die Er-gebnisse der logistischen Regressionsanalyse für die binäre Zielvariable „unauffällige vs.

pathologische Trauer“ wieder. Als Prädiktoren gehen neben den drei unmittelbar nach der Fehl-geburt beobachteten Verarbeitungsmodi die Kontrollvariablen „Geplantheit der Schwangerschaft“, „Erwerbsstatus“ und „frühere Schwangerschaftsunterbrechungen“ in das Regressionsmodell ein. Auf weitere Kontrollvariablen, die theoretischen Überlegungen zufolge den Trauerverlauf beeinflussen (Alter, Unterstützung durch den Partner, psychische Vorerkran-kung, frühere Fehlgeburten) muss verzichtet werden, da diese Variablen, wie oben dargestellt, einen starken Einfluss auf die jeweiligen Verarbeitungsmuster nach der Fehlgeburt ausüben und das Prinzip der Vermeidung von Kollinearität (lineare Zusammenhänge zwischen den Prädikto-ren) nicht gewährleistet wäre.

Tabelle 31: Regressionsmodell für die Zielvariable „unauffällige vs. pathologische Trauer“ nach der Fehlgeburt (Untersuchungsgruppe II (n=232), binär-logistische Regressionsanalyse, Methode:

Einschluss, Signifikanzprüfung der Regressionskoeffizienten über den Wald-Test) Vorhersage von „unauffällige vs. pathologischer Trauer“ 6 Monate nach der Fehlgeburt

(R2=0,393 (Nagelkerkes), -2 Log Likelyhood=76,404, Chi2=29,960, df=6, p<0,001) Prädiktor Regressionskoeffizient

Beta

Irrtumswahr-scheinlichkeit p

Exp (B) (Odd´s Ratio)

Konstante -2,037 p=0,009 0,130

Depressive Verarbeitung 1,097 p=0,004 2,997

Pessimistisch-traurige Verarbeitung 1,624 p=0,001 5,073

Aktive Auseinandersetzung -0,029 p=0,945 0,972

Schwangerschaft war geplant (ja/nein) 0,059 p=0,945 1,061

Erwerbstätigkeit (ja/nein) -1,361 p=0,182 0,256

Interruptio (ja/nein) -0,145 p=0,860 0,130

Die wenige Wochen nach der Fehlgeburt beobachteten Muster der depressiven und pessimi-stisch-traurigen Verarbeitung üben einen statistisch bedeutsamen Einfluss auf den weiteren Trauerverlauf aus. Frauen, die den Schwangerschaftsverlust überwiegend in depressiver oder pessimistisch-trauriger Form bewältigen, haben ein um ein rund Drei- bis Fünffaches erhöhtes

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Risiko, eine pathologische Trauer mit anhaltender depressiver bzw. Trauersymptomatik sechs Monate nach der Fehlgeburt zu entwickeln (vgl. Tabelle 31, Spalte 4). Der Modus der aktiven Auseinandersetzung mit der Fehlgeburt scheint keine Vorhersagekraft für den weiteren Trauer-verlauf zu besitzen. Die Geplantheit der Schwangerschaft, eine Erwerbstätigkeit der Frauen und vorausgegangene Schwangerschaftsabbrüche spielen hinsichtlich der untersuchten Trauerver-läufe eine untergeordnete Rolle.

Einschränkend muss angemerkt werden, dass die Vorhersagekraft des Regressionsmodells für die Vorhersage pathologischer Trauer als unbefriedigend beurteilt wird. Mit dem Modell wer-den zwar 94,0% der Frauen mit einem unauffälligen Trauerverlauf tatsächlich auch der Gruppe

„unauffällige Trauer“ zugeordnet. Es werden jedoch nur 50,0% der Frauen, die einen pathologi-schen Trauerverlauf aufweisen, der Gruppe „pathologische Trauer“ zugeordnet. Die Gesamt-Trefferquote des Modells beträgt 87,0%. Die hohe Fehlerquote in der Gruppe der pathologi-schen Trauer ist durch methodische Probleme verursacht, die sich durch die asymmetrische Aufteilung der befragten Frauen auf die Gruppen unauffällige (n=107) und pathologische Trau-er (n=25) Trau-ergeben. Ein Stichprobenumfang von n=25 ist nicht ausreichend, um den Einfluss von sechs Prädiktoren statistisch zu prüfen. Das hat zur Konsequenz, dass mit dem hier dargestell-ten Regressionsmodell zwar ein bedeutsamer Einfluss der Merkmale „depressive Verarbeitung“

und „pessimistisch-traurige Verarbeitung“ auf den Trauerverlauf nachgewiesen werden kann.

Das Modell lässt aber keine Vorhersage darüber zu, ob die Frauen mit hohen Merkmalsausprä-gungen dieser Variablen (bzw. geringer Ausprägung des Merkmals Erwerbstätigkeit) auch tat-sächlich eine pathologische Trauer entwickeln.