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2 Stand der Forschung

2.3 Fehlgeburten

2.3.9 Hilfestellungen und Betreuungsangebote für Frauen und Paare nach

den meisten medizinischen Einrichtungen noch heute als ein „Nicht-Ereignis“ (Leon, 1996) behandelt und die Verlusterfahrung der Frauen ignoriert. Cullberg untersuchte die Reaktionen des medizinischen Personals auf eine Totgeburt. Er beschreibt drei typische Verhaltensmuster, mit denen die Betroffenheit über den Kindesverlust abgewehrt werde. Entweder soll das trauri-ge Ereignis so rasch wie möglich untrauri-geschehen trauri-gemacht werden. Der Umgang mit der Patientin wird dann eher vermieden, die Patientin auf ihren Verlust nicht angesprochen. Oder die Betreu-er identifiziBetreu-eren sich mit dem vBetreu-erstorbenen Kind und sehen sich selbst als gescheitBetreu-ert an. Diese Gefühle werden dann unbewusst als Vorwurf gegen die Mutter gerichtet. Ein drittes typisches Abwehrmuster bestehe darin, den mit dem Kindesverlust verbundenen Hilflosigkeitsgefühlen mit narzisstischen Allmachtsphantasien zu begegnen. Häufig werde in diesem Falle der Patien-tin zum Trost eine möglichst rasche, neue Schwangerschaft empfohlen (Cullberg, 1972). Diese Reaktionsmuster des medizinischen Personals können unseren Erfahrungen nach auch nach frühen Schwangerschaftsverlusten beobachtet werden.

Die Forschergruppe um Schuth und Mitarbeiter (1992) interviewte 40 Frauen nach erlittener Fehlgeburt sowie ihre behandelnden Ärzte und Schwestern zu Qualität und Zufriedenheit mit der ärztlichen Aufklärung. 38 der 40 Frauen fühlten sich nicht ausreichend über das Ereignis aufgeklärt. Die behandelnden Ärzte hingegen gaben an, dass mindestens die Hälfte der Patien-tinnen gut bis sehr gut aufgeklärt worden sei. Bei Beutel (1996) sind 90% der Abortpatientin-nen mit der medizinischen Versorgung nach der Fehlgeburt zufrieden, der überwiegende Teil der Patientinnen (78%) auch mit der psychologischen Betreuung durch das Personal. Dennoch wünschten sich auch in dieser Studie mehr als die Hälfte der Patientinnen (58%) mehr Informa-tionen über Fehlgeburten. 38% der Befragten hätten sich ein zusätzliches Einzelgespräch, 34%

ein Paargespräch gewünscht. Selten wurden Gesprächs- oder Selbsthilfegruppen gewünscht (Beutel, 1996).

Einige Autoren betonen, wie wichtig der Zeitpunkt des Aufklärungsgesprächs sei (Beutel, 1996; Lee et al., 1996). So hätten Aufklärungsversuche unmittelbar nach dem Schwanger-schaftsverlust einen nur geringen Effekt, da die Frauen unter dem Einfluss von Schock und Be-täubung durch den plötzlichen Verlust Informationen kaum aufnehmen könnten. Erst nach der Entlassung aus der Klinik fühlten sich viele Frauen allein gelassen und ratlos über den Verlust (Beutel, 1996). Der optimale Zeitpunkt für ein Aufklärungsgespräch liege demnach bei zwei bis drei Wochen nach der Fehlgeburt (vgl. Lee et al., 1996b).

Angefangen bei ärztlichen Aufklärungsgesprächen über begleitende Einzelgespräche (Swanson, 1999), Paargespräche und Paarberatungen (Rauchfuß, 1999; Beutel, 1994), stützende Kurzzeit-therapien und z. T. aufdeckende LangzeitKurzzeit-therapien (Pines, 1972; Leon, 1986),

Selbsthilfegrup-2 Stand der Forschung 51

pen, stützende ärztliche Begleitung in einer neuen Schwangerschaft („tender loving care“, Cly-ne, 1972; Stray-Pedersen & Stray-Pedersen, 1988) bis hin zu Entspannungsverfahren und Schwangerengruppen (Rauchfuß 1999; Läpple, 1989a) wurde und wird eine Reihe von Behand-lungskonzepten für Patientinnen mit Fehlgeburten vorgeschlagen und angewandt. Leider sind die Effekte der verschiedenen Interventionen bislang kaum systematisch untersucht worden.

Die wenigen Effektivitätsstudien weisen Erfolge in der Betreuung von Schwangeren mit rezidi-vierenden bzw. habituellen Aborten nach. Ein Einfluss der Betreuungsangebote auf den Verar-beitungs- und Anpassungsprozess nach der Fehlgeburt konnte nicht oder mit nur einzelnen Ef-fekten belegt werden.

Erfolge nach einer kombinierten somatischen und psychologischen Betreuung von Frauen mit rezidivierenden Aborten in einer neuen Schwangerschaft berichten Tupper & Weil (1962), Stray-Pedersen & Stray-Pedersen (1988) und Liddell et al. (1991). Die 19 in der Studie von Tupper & Weil behandelten Schwangeren erfuhren während der gesamten Schwangerschaft neben der gynäkologischen Betreuung auch wöchentliche psychiatrische Gespräche zu Themen der Schwangerschaft und Alltagsproblemen. Mit dieser Behandlung erzielten die Autoren eine Geburtenrate von 84% im Gegensatz zu einer Geburtenrate von 26% einer Vergleichsgruppe von anamnestisch belasteten Schwangeren, die keine zusätzliche psychiatrische Betreuung hat-ten. Ähnliche Ergebnisse erzielten Stray-Pedersen & Stray-Pedersen mit der Methode des „ten-der loving care“, einer verstärkten, unterstützenden Zuwendung des Arztes zur Patientin. 85%

der Schwangeren mit habituellen Aborten ohne medizinischen Befund konnten unter dieser Begleitung ihre Schwangerschaft erfolgreich austragen. Die Erfolgsrate in der nicht behandel-ten Vergleichgruppe lag bei 36% (Stray-Pedersen & Stray-Pedersen, 1988). Die Studie von Liddell et al. (1991) repliziert die Ergebnisse der beiden Untersuchungen.

Forrest et al. (1982) berichten Erfolge psychologischer Beratungsgespräche bei 16 Paaren nach Totgeburten. Die Gespräche, im Mittel drei über einen Zeitraum von sechs Wochen, verkürzten den Trauerprozess der betroffenen Frauen im Vergleich zu einer Gruppe nicht behandelter Frauen nach Totgeburt. Die Teilnahme an Gruppengesprächen hat hingegen bei DiMarco et al.

(2001) keinen Effekt auf den Trauerprozess nach einer Totgeburt.

Trotz vieler Gemeinsamkeiten prä- und perinataler Kindesverluste kann die Situation einer Frau nach einer Totgeburt nicht direkt auf die einer Frau nach frühem Schwangerschaftsverlust über-tragen werden. Zur Wirksamkeit therapeutischer Angebote nach Fehlgeburten liegen kaum Un-tersuchungen vor. Lee et al. (1996b) führten in einer kontrollierten Studie vier Monate lang psychologische Beratungsgespräche mit 21 Frauen nach einer ersten Fehlgeburt durch. Obwohl die Beratungsgespräche als hilfreich erlebt wurden, hatten sie keine Auswirkung auf die psychi-sche Anpassung der Frauen nach der Fehlgeburt. Die Autoren führen die Ergebnisse v. a. auf die kleinen Stichproben und den späten Zeitpunkt der Zweitbefragung zurück: Innerhalb der

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vier Monate nach der Fehlgeburt sei offenbar den Frauen der nicht behandelten Vergleichs-gruppe ebenfalls eine psychische Anpassung gelungen. Sie stellen allerdings auch fest, dass vielen Frauen eher an medizinischen Aufklärungsgesprächen und weniger an emotionaler Un-terstützung gelegen war. Eine etwas größere Stichprobe von 46 Frauen behandelte Swanson (1999). Im Vergleich zur nicht behandelten Kontrollgruppe verringerten die Beratungsgesprä-che zwar den Ärger der Frauen deutlich, sie hatten aber ebenfalls keinen Effekt auf die emotio-nale Anpassung der Frauen, gemessen vier und zwölf Monate nach der Fehlgeburt.

In die letztgenannten Interventionsstudien wurden alle Frauen nach Spontanabort einbezogen, unabhängig davon, ob sie eine Indikation für Beratungsgespräche in Form ausgeprägter Befin-densstörungen oder anderer Risikomerkmale aufwiesen. Das könnte bestehende Effekte über-deckt haben. Nach Beutel (1996) sind es gerade Frauen mit psychischen Vorerkrankungen, die eine intensivere Betreuung nach der Fehlgeburt wünschen. In dieser Richtung besteht noch gro-ßer Forschungsbedarf.

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