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Veränderte Bedürfnisse erfordern neue Versorgungslösungen Im Hinblick der Bevölkerungsszenarien des BFS für die Schweiz, stellt die

Im Dokument in der Schweiz (Seite 99-103)

Riccardo Pardini

2.2 Veränderte Bedürfnisse erfordern neue Versorgungslösungen Im Hinblick der Bevölkerungsszenarien des BFS für die Schweiz, stellt die

Zunahme der über 80-jährigen Menschen die Kantone vor neuen Herausforde-rungen. Die Anzahl langzeitpflegebedürftiger Betagten nimmt zu und damit ver-bunden sind Fragen nach der optimalen Planung von neuen Pflegeheimen und alternative Strategien zur Deckung des zunehmenden Pflegebedarfs durch ambu-lante oder intermediäre Versorgungsstrukturen. Die demografische Entwicklung verändert die Versorgungsstruktur in der Schweiz nicht nur quantitativ. Mit dem gesellschaftlichen Wandel geht auch eine qualitative Veränderung einher, weil sich die Bedürfnisse betreuungs- und pflegebedürftiger älterer Menschen ebenfalls ändern.

Zu diesem Thema hat das Gottlieb Duttweiler Institut (GDI) mehrere Studien verfasst. Die Studie «Fluide Care» begründet die veränderten Ansprüche an die Pflege und Betreuung anhand mehreren Faktoren.

Erstens leben wir in einem stark individualisierten Zeitalter. Heutzutage suchen auch Senioren nach Angeboten, die auf sie persönlich zugeschnitten sind und den unmittelbaren aktuellen Bedürfnissen entsprechen (vgl. Kwiatkowski

& Tenger 2016, S. 10). Auch im Alter möchte man eine individuelle, selbstbe-stimmte Lebensweise fortführen können. Ein Beispiel dafür wäre der Wunsch, möglichst lange über die eigene Wohnsituation bestimmen zu können. Dies hat zur Folge, dass Betagte möglichst lange in ihrem Haushalt leben wollen, bevor ein Übertritt in eine stationäre Einrichtung unumgänglich wird.

Zweitens befinden wir uns in einer Gesellschaft der Entfamilisierung. Die Bedeutung der Kernfamilie schwindet, die Ehe- und Geburtenraten sinken, die Anzahl Scheidungen und alleinerziehender Elternteile steigen. Das führt zu neuen Familienstrukturen (vgl. Kwiatkowski & Tenger, 2016, S. 11). Die Formen des Zusammenlebens sind heute vielschichtiger geworden, die Blutsverwandtschaft spielt immer weniger eine Rolle.

Drittens kann man einen Trend hin zum Gemeinschaftsleben feststellen.

Da man heutzutage vermehrt alles alleine tun und das eigene Leben auf die per-sönlichen Bedürfnisse anpassen kann, wächst der Wunsch nach Zugehörigkeit.

«Man will irgendwo mitmachen, involviert sein und etwas zum Kollektiv beitra-gen» (Kwiatkowski & Tenger, 2016, S. 11). Neue kollaborative Konsum-, Lebens- und Arbeitsformen werden geschaffen. Unter dem Stichwort Sharing Economy werden verschiedene Güter (zum Beispiel Autos), Kompetenzen, Wissen und Zeit geteilt. Neue Wohnformen entstehen, in welchen Familien, Singles, Junge, Alte, Gesunde oder Pflegebedürftige gemeinsam die Wohnflächen teilen (zum Beispiel die Kalkbreite in der Stadt Zürich).

Viertens bringt das Vorantreiben der Digitalisierung neue Möglichkei-ten im Alltagsleben. Auch im Alter wird die Digitalisierung eine bedeuMöglichkei-tende Rolle einnehmen. Die damit verbundene permanente Überwachung und Opti-mierung der Lebenssituation älterer Menschen wird in Zukunft auch die Ver-sorgungsorganisation und die Inhalte von Betreuung und Pflege neu definieren.

Fünftens ist im Zuge der Digitalisierung vieles rund um die Uhr mit einem Mausklick verfügbar geworden. Flexibilisierung und Convenience strukturieren den Alltag. Auch im Alter lässt sich auf Convenience 24 Stunden, 7 Tage die Woche, 365 Tage im Jahr nicht verzichten. Anbietende von Betreuungs- und Pfle-geleistungen müssen diesen Ansprüchen älterer Menschen gerecht werden und dementsprechend die Versorgung nach Flexibilität und Convenience ausrichten.

Sechstens ist die fast unbegrenzte Anzahl von Möglichkeiten mit Überfor-derung verbunden. Das Verlangen nach einfachen und unkomplizierten Lösun-gen für die eiLösun-genen Bedürfnisse steigt (vgl. Kwiatkowski & Tenger 2016, S. 14).

Einfachheit und Orientierung in der Versorgung von älteren Menschen geht mit dem Wunsch nach Selbstbestimmung einher. Denn die selbstständige Auswahl von den idealen Dienstleistungen setzt ebenfalls ein vorausschauendes Planen

vor-aus. Dies ist im Betreuungs- und Pflegemarkt durch die vielfältigen Angebote oft schwierig.

Die oben skizzierten gesellschaftlichen Veränderungen stellen die Akteure in den jeweiligen Versorgungsstrukturen vor die Aufgabe, auf die neuen Ansprü-che und Bedürfnisse zu reagieren. Eine der viel diskutierten Möglichkeiten ist eine engere Kooperation zwischen den unterschiedlichen Akteuren. Gegenwärtig zeigt die Versorgung im Altersbereich eine starke Ausdifferenzierung und Spe-zialisierung. Eine betagte Person ist heute je nach Pflege- und Betreuungsbedarf auf mehrere Akteure angewiesen (vgl. Bericht des Bundesrates, 2016, S. 45 ff.).

Darüber hinaus können vor allem Akteure in ländlichen Gebieten die Nach-frage an Pflege und Betreuung selbstständig nicht mehr genügend abdecken. Der Anspruch alles aus einer Hand beziehen zu können, ist (noch) nicht beziehungs-weise nicht mehr möglich.

Die zunehmende Individualisierung des Lebensstils, die sich verändernden Familienstrukturen, der zunehmende Anteil von älteren Menschen mit Migrati-onshintergrund, das Bedürfnis möglichst lange zu Hause zu leben, verlangt neue Angebote und Infrastrukturen für die Betreuung und Pflege im Alter. Zum Bei-spiel treten gegenwärtig weniger ältere Menschen in Alters- und Pflegeheime ein.

Dafür sind die Bewohnerinnen und Bewohner älter und stärker pflegebedürftig geworden. Die Fälle sind komplexer geworden (Multimorbidität und Demenz) und neue Kompetenzen des Pflegepersonals sind erforderlich. Heutzutage gilt es auch Angebote für betreuende und pflegende Angehörige zu schaffen. Für die zukünftige Altersversorgung sind nicht nur die Kantone und Gemeinden, son-dern auch die weiteren Akteure im Altersbereich gefordert, eine Infrastruktur zu gewährleisten, die den Bedürfnissen der Zielgruppen entspricht (vgl. Bericht des Bundesrates, 2016, S. 45 ff.).

Zusammengefasst lässt sich folgende Situation für die Akteure in den verschiedenen Versorgungsbereichen formulieren: Die Akteure stehen vor dem Dilemma, individuelle, hoch professionelle, spezialisierte Pflege- und Betreuungs-leistungen zu erbringen und sie gleichzeitig flächendeckend, effizient und wirt-schaftlich der Allgemeinheit anzubieten.

Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, wird in mehreren Quellen vorgeschlagen, vermehrt zusammenzuarbeiten und sich zu vernetzen (Bericht des Bundesrates, 2016; Kwiatkowski & Tenger 2016; Curaviva 2012; Wintert-hurer Institut für Gesundheitsökonomie, 2010). Die Kooperationsformen unter den Akteuren sind vielfältig und unterschiedlich. In der Schweiz lassen sich die Kooperationsformen unter dem Begriff Verbundlösung subsumieren. Unter Ver-bundlösung versteht man die institutionenübergreifende Zusammenarbeit für die Leistungserbringung für unterstützungsbedürftige ältere Menschen in Pflege, Betreuung und Hauswirtschaft (vgl. Curaviva, 2012, S. 16). Die Bestrebungen zur Zusammenarbeit sind noch jung und deshalb waren die Ergebnisse der Litera-turrecherche bescheiden. Dieses Kapitel bietet einen Einblick in die gegenwärtige Zusammenarbeit zwischen Akteuren im Altersbereich und schliesst mit einer Ein-schätzung der Kooperationsarbeit von Leistungserbringenden in der Schweiz ab.

2.2.1 Formen der Vernetzung in der Gesundheitsversorgung älterer Menschen

Die Zusammenarbeit und Integration mehrerer Akteure in Form einer Verbund-lösung erfolgt entweder vertikal oder horizontal. In beiden Vernetzungsformen erfolgt die Kooperation entweder formell über Verträge oder durch Zusam-menschlüsse (in Form von Fusionen, Integration der Organisation, Akquisition und Allianzen) oder informell zum Beispiel durch mündliche Vereinbarungen (vgl. Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie, 2010).

Vertikale Integration

Vertikale Integration bedeutet den Zusammenschluss von Institutionen im vor- und nachgelagerten Dienstleistungsbereich. Der Zweck dieser Vernetzung liegt in der Überwindung von Schnittstellen der Wertschöpfung und in der gemeinsamen Nutzung von Ressourcen (zum Beispiel Verwaltung, Infrastruktur). Ein Beispiel dafür ist die Zusammenarbeit von einer stationären Institution (Akutspital) mit einer ambulanten Versorgungsstruktur (Spitex).

Horizontale Integration

Horizontale Integration bezeichnet die Vernetzung von Institutionen welche im selben Dienstleistungsbereich tätig sind. Der Vorteil dieses Zusammenschlusses liegt in der Nutzung von Grössenvorteilen. In ländlichen Regionen der Schweiz sind die Betriebsgrössen der einzelnen Institutionen sehr klein. Das Risiko unwirt-schaftlich zu arbeiten und nicht alle erforderlichen Dienstleistungen anzubieten ist gross. Ein Zusammenschluss hilft, solche Risiken zu minimieren. Der Grös-senvorteil in stationären Einrichtungen kann zum Beispiel in der gemeinsamen Verwendung der Küche, der Wäscherei liegen.

2.2.2 Verbundlösungen als zukunftsträchtige Zusammenarbeit in der Betagtenunterstützung

Untersuchungen in der Deutschschweiz haben ergeben, dass sich stationäre und ambulante Einrichtungen unterschiedlich vernetzen (vgl. Curaviva, 2012; Win-terthurer Institut für Gesundheitsökonomie, 2010). Von den drei Organisations-typen Alters- und Pflegeheim, Spitex-Organisationen und Versorgungszentrum (Spitex und Heim als eine Organisationsform) schliessen sich die zwei letztge-nannten Organisationen häufiger in Verbundlösungen (60%) zusammen als Heime (33%). Die Verbundlösung hängt auch von der Grösse der Institutionen ab. Grössere Institutionen schliessen sich eher zusammen als kleine. Der Zusam-menschluss in Verbundlösungen ist bei gemeinnützigen Institutionen häufiger als bei gewinnorientierten Institutionen. Oft erfolgt die Verbundlösung bilateral und

horizontal und mehrheitlich im ambulanten Versorgungsbereich. Das bedeutet, dass die Verbundlösung primär zwischen den Spitex-Organisationen stattfindet.

Die meisten Leistungen, die in Verbundlösungen erbracht werden, sind:

Grund- und Behandlungspflege, Hauspflege/-hilfe, Übergangspflege/Kurzzeit- und Ferienpflege. Oft werden Verbundlösungen genutzt um spezialisierte Dienst-leistungen anzubieten. Solche sind meistens im Bereich von Demenzbetreuung und Palliative Care zu finden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Altersinstitutionen und Spitex-Organisationen bestrebt sind, sich in Verbundlösungen zu formieren. Bisher bleiben die Vernetzungsformen jedoch noch unstrukturiert und begrenzt. In den meisten Fällen erfolgt eine Kooperation nur zwischen zwei Akteuren mit ähn-lichen Leistungsangeboten. Grössere und komplexe Verbundlösungen zwischen mehreren unterschiedlichen Akteuren bleiben bislang die Ausnahme. Das Poten-zial zur Bildung und Förderung ist vor allem in ländlichen Gebieten gegeben, insbesondere für kleine Heime. Zum Beispiel könnten administrative Tätigkeiten gemeinsam erbracht oder die Infrastrukturen gemeinsam genutzt werden (vgl.

Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie, 2010).

Die Studie zur Verbundlösung im Bereich der Pflege und Betreuung geht davon aus, dass mittel- bis langfristig eine verstärkte Zusammenarbeit bis hin zur Integration von Organisationen unumgänglich ist. Alle Organisationen im Gesundheitswesen leiden verstärkt unter finanziellem Druck und sind dementspre-chend dazu gezwungen, Prozesse zu optimieren und ihre Positionierung den Mark-terfordernissen auszurichten. Die Verbundlösung bietet hier ein geeignetes Mit-tel, wirtschaftlich, effizient und bedürfnisorientiert Dienstleistungen anzubieten.

2.3 Drei Modelle der Pflege- und Betreuungsversorgung von

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