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Pflegemodell Schweiz im internationalen Vergleich

Im Dokument in der Schweiz (Seite 45-48)

Gesellschaftliche Organisation der Betreuung im Alter in der Schweiz

1.2 Pflegemodell Schweiz im internationalen Vergleich

Die Ausgangslage für die Betreuung und Pflege im Alter ist in vielen europäischen Ländern ähnlich. Steigende Pflegebedürftigkeit, zunehmende Individualisierung der sozialen Lebensformen und steigende Gesundheitskosten stellen die wichtigs-ten Herausforderungen in der Versorgung Betagter dar. So ähnlich die Ausgangs-lagen erscheinen mögen, die Ansätze und Lösungsversuche der europäischen Län-der unterscheiden sich stark. Nach einer Durchsicht verschiedener Vergleichsstu-dien verdeutlicht sich der hybride Charakter des Schweizer Versorgungsmodells.

Die Schweiz lässt sich in keinen gängigen Wohlfahrtstyp und im dazugehörigen Pflegemodell einordnen.

Grundsätzlich lassen sich zwei Pflegesysteme idealtypisch unterscheiden.

Nördliche Länder verfügen über ein steuerfinanziertes und gut ausgebautes Unter-stützungsangebot für Betagte. Solche Pflegesysteme sind servicebasiert. Hingegen liegt in südeuropäischen Ländern die Verantwortung der Pflege weitgehend bei den Familien. Familienbasierte Pflegesysteme beruhen auf der gesetzlichen Ver-pflichtung der Familienmitglieder, sich um die älteren Angehörigen zu kümmern.

Für die Regulierung der Unterstützung im Alter in der Schweiz kommen sowohl servicebasierte als auch familienbasierte Elemente zum Tragen. Diese Mischform wird in Bezug auf die Leistungserbringung (1.2.1), den Leistungszugang (1.2.2) und die Finanzierung (1.2.3) ersichtlich.

1.2.1 Öffentliche Leistungserbringung in der Unterstützung betreuungs- und pflegebedürftiger älterer Menschen

Im Allgemeinen erfolgt die Leistungserbringung der Unterstützung Betagter in den einzelnen Ländern entweder stärker in Form von Geldleistungen oder stärker in Form von Sachleistungen. Unter Geldleistungen sind Leistungsarten zu ver-stehen, welche sich primär auf die Einkommenssituation im Alter beziehen. In der Schweiz taucht diese Leistungsart in Form der Hilflosenentschädigung auf.

Sachleistungen beziehen sich auf Angebote im Bereich Hauswirtschaft und ambu-lante als auch stationäre Pflege. In der Schweiz zählen zum Beispiel die Pflege in einem Altersheim, der Mahlzeitendienst oder Transportdienst als Sachleistung.

In Bezug auf die Leistungserbringung lassen sich zwei Typen zu unterscheiden.

Nordeuropäische Länder wie Schweden, Norwegen und Finnland repräsentieren

den ersten Leistungstypen. Solche Länder investieren im Vergleich zu den übrigen Ländern viele öffentliche Mittel in die Versorgung von älteren Menschen. Die öffentliche Leistungserbringung setzt mehrheitlich auf die Vergabe von Sachleis-tungen. Frankreich, Italien, Polen und Spanien gehören dem zweiten Ländertyp an. Die Leistungserbringung ist durch die beschränkten Ressourcen der öffent-lichen Hand gekennzeichnet und die Geldleistungen überwiegen. Aus den zwei Typen ergeben sich Untergruppen. Die Schweiz weist Merkmale beider Typen auf (Haberkern, 2014, S. 76; Strohmeier Navarro Smith, 2010, S. 118).

Der Fokus der Leistungserbringung in der Schweiz liegt jedoch stärker auf der Ebene der Sachleistungen. Dies macht die hohe Bezugsrate für die Alterspflege und Altershilfe (zum Beispiel hauswirtschaftliche Tätigkeiten oder Betreuung) zu Hause oder in Alterseinrichtungen deutlich. Deshalb gleicht die Schweiz in die-sem Bereich eher den nordeuropäischen Ländern, obschon der Anteil öffentlicher Ressourcen in der Schweiz deutlich hinter den skandinavischen Ländern liegt. Der Zusammenhang zwischen der hohen Bezugsrate von ambulanten und stationären Leistungen und den zugleich tiefen öffentlich verfügbaren Mitteln ist dadurch zu erklären, dass die Sachleistungen mit hohen Mittelfinanzierungen durch die leistungsbeziehenden Personen selber erfolgen (Strohmeier Navarro Smith, 2010, S. 107). Die Schweiz ist mit der gemischten Leistungserbringung Finnland sehr ähnlich. Auch dort gehören Geldleistungen für unterstützungsbedürftige Betagte in beschränktem Masse zum Versorgungsmodell.

1.2.2 Regulierung der Versorgung älterer Menschen

Die Eigenheit der Schweiz bezüglich der Regulierung der Versorgung von Betag-ten besteht in der föderalistischen Regulierungsart. Die Finanzierung der Pflege-leistungen ist in verschiedenen nationalen Gesetzen geregelt. Die Regelung der Versorgung von Leistungen ist in den kantonalen Gesundheits- und Sozialberei-chen festgeschrieben. Die Zugangskriterien für Pflege-, Hilfe- und Betreuungs-leistung für Betagte sind nicht umfassend und einheitlich in einem nationalen Sozialversicherungsgesetz festgehalten. Weil sich die Regelung in verschiedenen Gesetzen, Verordnungen und Weisungen auf nationaler, kantonaler und kom-munaler Ebene befindet, unterscheidet sich die Schweiz von nordischen Ländern.

Durch die subnationalen Rahmenbedingungen der Leistungszugangskriterien sind grössere regionale Unterschiede in der Leistungserbringung und damit in den Zugängen zu verzeichnen (vgl. Bischofberger et. al., 2014; vgl. Strohmeier Navarro Smith, 2010, S. 114). Diesbezüglich gleicht die Schweiz insbesondere den Ländern Finnland, Italien und Spanien. Im Gegensatz zur Leistungserbrin-gung steht das Schweizer Modell in diesem Kontext dem familialen Pflegemodell näher.

1.2.3 Finanzierungsmodalitäten der Altershilfe und Alterspflege In Bezug auf die Finanzierung der Versorgung von Betagten liegt die Schweiz näher bei den südeuropäischen Ländern. Gemessen am Bruttoinlandprodukt ist der Anteil von öffentlichen Mitteln für die Gesundheitsversorgung gering.

Gemäss der OECD liegt der Anteil an Privatfinanzierung für die Gesundheits-versorgung in der Schweiz bei 60 Prozent. Kein anderes Land verfügt über eine so hohe Privatfinanzierung von Unterstützungsleistungen im Alter (Organisation for Economic Co-operation and Development, 2011, S. 231). Mit der Neuord-nung der Pflegefinanzierung ist die Finanzierung der Privathaushalte auf 20 Pro-zent des höchsten vom Bundesrat festgesetzten Pflegebeitrags begrenzt worden.

Bisher gibt es keine länderübergreifende Studie, welche die Kostenentwicklung in der Schweiz nach 2011 vergleicht. Trotzdem lässt sich daraus schliessen, dass der Anteil an Kosten für Altershilfe und Alterspflege im Gegensatz zu anderen Ländern überdurchschnittlich hoch ist. Neben den Kopfprämien, Franchisen und Selbstbehalten müssen die Leistungsempfangenden zusätzlich für die Kosten der hauswirtschaftlichen und betreuerischen Leistungen oder für Hotellerie- und Betreuungstaxen in Heimen aufkommen.

1.2.4 Zwischen servicebasierter und familialer Versorgung älterer Menschen

Die Altersversorgung der Schweiz lässt sich im Vergleich zu anderen europäischen Pflegemodellen nur schwer einordnen. Denn zum einen gleicht die Organisation der Altershilfe und Alterspflege den Modellen nordeuropäischer Ländern. Zum anderen gleicht der Finanzierungsmodus demjenigen von südeuropäischen Län-dern.

In der Schweiz sind hauswirtschaftliche Leistungen und Betreuungsaufga-ben nicht reguliert. Dies steht einem integrativen Pflegeverständnis entgegen. Das Hilfs- und Pflegemodell der Schweiz unterscheidet sich hier klar von den nordi-schen Ländern (vgl. Heintze, 2015, S. 11). Zugleich ist die Mitfinanzierung von Leistungsempfangenden für ambulante Leistungen wesentlich höher als in den skandinavischen Ländern. Zudem weisen mehrere Autorinnen und Autoren dar-auf hin, dass für das liberale Schweizer Modell der Versorgung von älteren Men-schen die familiale Pflege von (zu) grosser Bedeutung ist. So hält Rahel Strohmeier Navarro Smith fest: «[I]n der Schweiz [herrscht] eine Form des impliziten Famili-alismus [vor], bei welchem informelle Pflege keine Option, sondern eine Voraus-setzung für das Verbleiben einer Person zuhause ist. Die Hilfe und Pflege durch Familienangehörige, Bekannte und Freunde wird in der Regel ohne Bezahlung erbracht» (Strohmeier Navarro Smith, 2010, S. 119). Für die informellen Leis-tungserbringer gibt es in der Schweiz keine Regelung, auch keine sozialen Rechte, wie etwa ein Anspruch auf Entlastungsangebote, Steuererleichterung und weiteres mehr. Dies unterscheidet die Schweiz wiederum von nordeuropäischen Ländern.

Dort können soziale Rechte für die familiale Pflege geltend gemacht werden.

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