4 Situationsanalyse des exemplarischen Gestaltungsobjekts: Das Arbeitssystem
4.3 Untersuchung vorhandener Lösungsansätze
Es gibt nicht das einheitliche Krankenhaus und wird es vermutlich auch künftig nicht geben.112 Zu individuell sind die Patienten und die Menschen, die in diesem System arbeiten und die medizinische Behandlung durchführen.113 Strukturelle Unterschiede u.a. nach Trägerschaft, Größe, Lage und Fachdisziplinen müssen individuell betrachtet werden. Bisher werden Krankenhäuser u.a. nach Versorgungsstufen unterschieden.
Sie werden allerdings in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich definiert.114 Dennoch sollte es möglich sein, eine einheitliche Methode zu konzipieren, weil Kom-ponenten innerhalb der Häuser überall gleich sind. Ein solches Vorgehen müsste hel-fen, die planungsrelevanten Informationen und klinischen Zusammenhänge zu verste-hen.
gemäß §6 KHG.“116 Diese Entscheidungen auf Kommunalebene beziehen sich haupt-sächlich auf benötigte Bettenzahlen und die Anzahl der Fachdisziplinen. Bei der Dis-kussion notwendiger Strukturen werden internationale Vergleiche zu Bettenkapazitäten herangezogen, i.d.R. ohne detaillierte Analyse weiterer Kriterien, wie z.B. Behand-lungsqualität, Personalqualifizierung und Kosten. Das gesamte System ist noch sehr auf Bettenzahlen ausgerichtet.117
Der zunehmende Wettbewerb fördert solche Strategien: Es gilt möglichst viele medizi-nische Leistungen anzubieten, um möglichst viele der begrenzten Ressourcen abzu-schöpfen. Besser wäre es sicher, stattdessen strategische Allianzen einzugehen und/oder eine sinnvolle Verteilung der Kapazitäten und der Schwerpunkte anzustre-ben.
Ausgangssituation für diesen Abschnitt sind bereits getätigte Entscheidungen für eine bauliche Veränderung von Teilbereichen des Krankenhauses oder eines ganzen Kran-kenhauses. Ziel derartiger Umbauentscheidungen ist das Ausnutzen krankenhausin-terner Potenziale, z.B.:
Verbesserung der Behandlungsabläufe sowie der Prozessqualität
Verbesserung der Serviceleistungen und -qualität
Optimierung logistischer Prozesse
Einsparung von Energie-, Unterhalts- und sonstigen Betriebskosten.
Hier setzen bestehende Planungs- und Gestaltungsansätze für den Krankenhausbau und die Raumgestaltung in Krankenhäusern an. Tab. 2 stellt die Ergebnisse der Suche nach vorhandenen Richtlinien, Standards und Empfehlungen zur Gestaltung klinischer Strukturen dar. Diese Sammlung stellt eine Auswahl geeigneter Ansätze dar, gegliedert nach methodik- bzw. vorgehens- (M) und ergebnisorientierten (E) Lösungen zur Pla-nung und Gestaltung baulicher Strukturen von Krankenhäusern. Im Anhang 1 werden die Ansätze ausführlicher dargestellt.
116 Siehe Motzkus, B., 2010, S. 377.
117 Vgl. z.B. Motzkus, B., 2010, S. 381; Penter, V. & Arnold, C., 2009, S. 22ff.
Tab. 2: Übersicht vorhandener Planungs- und Gestaltungsansätze im Krankenhausbau.
Quelle: Eigene Darstellung.118 LÖSUNGSKONZEPT/
-ORGANISATION BESCHREIBUNG119 E M
Planungsschritte HOAI Honorarordnung für Architek-ten und Ingenieure
§ 33 Anlage 11 der HOAI gibt für die Leistung von Gebäuden und raumbildenden Ausbauten neun Leistungsphasen vor, nach denen die Architekten abrechnen dürfen und ihr Vorgehen ausrichten.
X DIN – Deutsches Institut für
Normung
DIN 13080:2007-07, Beiblatt 1-4, Gliederung des Krankenhauses in Funktionsbereiche und Funkti-onsstellen.
X Patient Safety Risk
Assessment
im Auftrag u.a. der Joint Commission
Methoden- u. Techniksammlung zur Risikovermei-dung bzw. Steigerung der Patientensicherheit während der Vorplanung und Entwurfsphase im Bauplanungsprozess im Gesundheitswesen.
X Planungspyramide der
mo-dernen Krankenhausplanung von Lohfert & Lohfert
Planungssystem bestehend aus:
1. Betriebsorganisations- und Funktionsplanung zur Definition von Strukturen, Leistungen, Pro-zessen und Organisation.
2. Architektur- und Fachplanung von der bauli- chen Zielplanung bis zur Ausführungsplanung.
X
Project SWING
der Twente Universität;
Niederlande
Das „Procedure Usability Game“ (PUG) definiert
„Arbeitsprozesse zur gemeinsamen Gestaltung neuer Gebäude“ im Gesundheitswesen. Ein Vor-gehen auf Basis eines Spielplans mit definierten Spielkarten und Aufgabenschemata für Bauten.
X
Green Hospital Verbesserung der Ressourceneffizienz von Ener-gie, Wasser und Material sowie gleichzeitige Be-grenzung schädlicher Auswirkungen von Kranken-häusern.
X Design for Patient Safety
The Center of Health Design
Gestaltung der Einflussfaktoren bspw. der physi-schen Umgebung (Lärm, Klima Beleuchtung, Aus-stattungsgegenstände und Materialien) und An-ordnung von Räumen und Fluren in einem KH.
X Evidence-Based Design
Designing for Safety and Quality
Konkrete Gestaltungsempfehlungen zur Verbesse-rung der Qualität (Patientensicherheit und
-zufriedenheit) und Fehlervermeidung, z.B. Lärm-schutz, Beleuchtungskonzept, Infektionsschutz.
X Guidelines on emergency
Department Design – Aus-tralasian College for Emer-gency Medicine
Konkrete Gestaltungsempfehlungen für Notauf-nahmen z.B. Raumgröße, Ausstattung,
Farbge-staltung unterteilt in einzelne Räume. X Erstellung von
Notfallstati-onen – Eine Planungshilfe SGNOR
Konkrete Gestaltungempfehlungen zu baulichen Aspekten von Notaufnahmen inkl. Planungspro-zess auf Basis des „Leistungsmodells „SIA 112“.120
X (X) Planungsempfehlung für die
funktionell-bauliche Gestal-tung in Hamburger Kranken-häusern
Ergebnisorientierte Empfehlungen der baulich-funktionellen Voraussetzungen einer zentralen Notaufnahme: z.B. Flächenrichtwerte einschließ-lich krankenhaushygienischer Erläuterungen.
X
Diese kleine Auswahl von Lösungsansätzen zeigt bereits, dass die Bedeutung bauli-cher Strukturen und deren Effekte auf die Behandlungs- und Arbeitsabläufe hoch ein-geschätzt werden.
118 E = Ergebnis, M = Methodik.
119 Eine ausführliche Beschreibung der aufgeführten Projekte und Beteiligten siehe Anhang 1.
120 Die Ordnung des Schweizerischer Ingenieur- und Architektenvereins (SIA) ist vergleichbar mit der Deutschen Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI).
Zur Verbesserung der Patientensicherheit und Vermeidung von Fehlern in der Medizin fördern mehrere amerikanische Offensiven bereits seit einigen Jahren die Zusammen-arbeit von Architekten und Klinikern in den USA.121
Zahlreiche öffentlich geförderte Projekte werden unter dem „Evidence-based Design“-Ansatz im Gesundheitssektor verstärkt vorangetrieben. “Often these latent conditions are built into the physical environment.”122 Daher existieren auch schon zahlreiche Pla-nungs- und Gestaltungsansätze für bauliche Strukturen im Gesundheitswesen. Studien zu Auswirkungen physikalischer Größen auf das Arbeitsverhalten der Mitarbeiter und das Genesungsverhalten von Patienten bewirken, dass die Gestaltungsempfehlungen verstärkt auf physische Merkmale wie Beleuchtung, Tageslicht, Lärmschutz, Raumgrö-ße und andere Umgebungsfaktoren abzielen.
Die wenigen vorgehensorientierten Lösungsansätze streben zwar eine Prozessorien-tierung an, geben aber kaum Unterstützung zur Umsetzung des Planungsprozesses vor. Entweder werden Aufgaben der Architekten mit denen der Betriebsorganisation eines Krankenhauses verbunden (z.B. Lohferts Planungspyramide123), oder es werden Projektmanagementaufgaben im Rahmen von Bauprojekten vorgegeben. Eine generel-le Prozessorientierung in der Arbeitssystemplanung und -gestaltung ist keine neue Erkenntnis. Allerdings fokussieren Ansätze der architektonischen Gestaltung eher auf die Funktionen als auf die tatsächlichen Abläufe.124
Dafür fehlt ein systematisches und umsetzungsfähiges Vorgehen zur Etablierung einer behandlungsorientierten Prozesssicht und zum Erreichen prozessorientierter Struktu-ren in einem strukturierten Planungs- und Gestaltungsprozess.
121 Dazu gehören z.B.: Joint Commission on Accreditation of Healthcare Organization, The Center for Health Design, Agency for Healthcare Research and Quality.
122 Siehe Taylor, E. et al., 2012, S. 2620.
123 Vgl. z.B. Lohfert, P., 2010, S. 390.
124 Vgl. Lohfert, P., 2010, S. 390; Ludes, M., 2010, S. 405; Meßthaler, G. & Thiede, G., 2006, S. 100f.
Zwischenfazit:
Vorhandene Lösungsmethoden und -ansätze reichen zur Planung komplexer Systeme nicht aus.
Die Entwicklungen des klinischen Arbeitssystems, die zugrundeliegenden Be-handlungsabläufe und die Beteiligung der Mitarbeiter werden bei der Planung und Gestaltung bisher nicht ausreichend berücksichtigt.
Es fehlt ein strukturiertes Vorgehen und eine flexible Umsetzungsunterstützung für eine interdisziplinäre Planung und Gestaltung komplexer Systeme.